Zu:
Peter Schäfer: Jüdische Polemik gegen Jesus und das Christentum, Die Entstehung eines jüdischen Gegenevangeliums, Carl Friedrich von Siemens Stiftung, München 2017, 78 Seiten, Paperback, ISBN: 978-3-938593-28-8, Preis: ohne Angabe, nur auf Anforderung bei: carl-friedrich-von-siemens-stiftung.de,
Und:
Martin Luther und die Kabbala, Vom Schem Hamephorasch und vom Geschlecht Christi, Neu bearbeitet und kommentiert von Matthias Morgenstern, Berlin University Press im Verlag am Römerweg, Wiesbaden 2017, ISBN: 978-3-737413275, 19,90 Euro
Peter Schäfer hat seinen 2016 in München gehaltenen Vortrag zu einem Buch in der Reihe „THEMEN“ der Carl Friedrich von Siemens Stiftung ausgearbeitet. Da das Buch nicht im Buchhandel verkauft wird, war es für mich ein Glücksfall, es bei Tauschticket.de erwerben zu können. Peter Schäfer ist durch seine Professuren in Princeton und Berlin ausgewiesener Experte des Judaismus und leitet das jüdische Museum in Berlin. Schon im Jahr 2011 wurde unter seiner Beteiligung eine in Princeton (2009) durchgeführte Tagung zum „Toledot Jeschu“ (Geschlecht Jesu) dokumentiert.
Die mittelalterliche bzw. spätantike Schrift wird in ihrer Entstehungsgeschichte und den verschiedenen Fassungen erläutert. Hierzu heißt es: „Parodistische Verzerrungen und Übertreibungen werden ganz gezielt eingesetzt, um den Gegner bloßzustellen und zu verleumden. […] Zentrale Themen wie Jungfrauengeburt, Erlösung durch den Tod am Kreuz, Himmelfahrt werden persifliert und verspottet.“ (S. 24)
Das Büchlein von Peter Schäfer ist eine nacherzählende Einleitung in die Schrift, dokumentiert sie aber nicht. Interessant sind auch die ersten Seiten, die den Anfang der Beziehung zwischen Christentum und Judentum quasi als Bruderkampf darstellen, als „innerjüdische Auseinandersetzung“, was im Titel „Toledot Jeschu“ noch am Namen Jesu zu erkennen ist. Peter Schäfer zeigt die Vorgeschichte der antichristlichen Polemik auch durch das auf, was im Talmud über Jesus überliefert ist. So werden die vermeintlich „antijüdischen“ Texte des Neuen Testament als Beiträge dieser Auseinandersetzung zu bewerten sein. Erst mit dem Johannesevangelium soll nach Peter Schäfer die Trennung zwischen Juden und Christen vollzogen sein.
Eine nützliche Ergänzung zu dieser Einführung in den „Toledot Jeschu“ ist die kommentierende Dokumentation des antijüdischen Buchs von Martin Luther gegen die Kabbala, die auch durch humanistische Veröffentlichungen in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts ein wenig in Mode gekommen war. Der Anfangsteil besteht aus der deutschsprachigen Wiedergabe des „Toledot Jeschu“ aus der Feder Martin Luthers, die er aus der Straßburger Handschrift übersetzt hat. Die Schrift „Toledot Jeschu“ bietet insofern eine Verbindung zur Kabbala, da sie die Wunderkraft des Erlösers „Jeschu“ nicht auf eine etwaige Gottesabkunft, sondern auf die Kenntnis des Tetragrammaton zurückführt, dass sich „Jeschu“ unrechtmäßigerweise auf magische Art im Tempel Jerusalems angeeignet hat. Auch der in der Geschichte genannte Judas hat, so die Erzählung, das Tetragramm auf gleiche Art und Weise im Tempel kopiert, um „Jeschu“ in einem wundersamen Himmelskampf besiegen zu können. Das heißt auch, dass die Wunder Jesu in der christlichen Tradition gar nicht in Abrede gestellt wurden, allerdings als Zauber deklassiert wurden.
Da Luthers deutsche Fassung auf einer zeitgenössischen Quelle beruht, ist sie glaubwürdig tradiert. Die Fassungen der Mariengeschichte und des Verrats durch Judas, die einige Obszönitäten enthalten, wurden von Martin Luther ausgelassen. Matthias Morgenstern hat diese Texte in einem Anhang in einer deutschen Übersetzung aus der Straßburger Handschrift angefügt.
Interessant war für mich im Nachwort von Matthias Morgenstern die Bemerkungen über den Namen Jesu. Hätte man nicht das griechische Wort Jesus im Hebräischen mit „Jehoschuah“ oder in der Kurzform „Jeschua“ wiedergeben müssen? Interessanterweise ist die hier verwendete Schreibweise „Jeschu“ tatsächlich die in der rabbinischen Literatur geläufige, so bemerkt Matthias Morgenstern. Die dann folgende Diskussion über die kabbalistische Auslegung des Jesusnamens allerdings führt m. e. zu einem dürftigen Ergebnis. Es handelte sich allerdings um eine zu Luthers Zeit veröffentlichte Überlegung zum Namen Jesu. Dass der Name „Jeschu“ eine Rückübertragung aus dem Griechischen ist, scheint hier nicht aufzufallen.
Diese späte Judenschrift Luthers enthält extremste und beschämende Beschimpfungen des Judentums. Mit einer Erlösung der Juden, wie von Paulus in Römer 11, 26 beschrieben, rechnet Martin Luther nicht mehr, hält auch Judenmission für aussichtslos. (vgl. Anmerkung 17, S. 6)
Luther ist allerdings auch von der Entwicklung der evangelischen Kirche enttäuscht und schreibt: „Wir können doch unsere Christen […] nicht bekehren und müssen uns am kleinen Häuflein genügen lassen.“ (S. 6)
Für die Frage nach der Schrift „Toledot Jeschu“ ist die Ausgabe der antijüdischen Schrift Luthers jedoch eine große Hilfe, da der Herausgeber Matthias Morgenstern den Luthertext in eine neuhochdeutsche Sprache umschreibt, komplett aus judaistischer Sicht kommentiert und in einem ausführlichen Glossar erläutert. Ich meine, dass eine Erinnerung an diese Seite der Tradition ebenso in die Geschichte des Antisemitismus hineingehört. Andererseits ist es wie schon bei der Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ notwendig, dass diese als Vorgeschichte des Holocaust angesehen werden, wenn sie einer größeren Öffentlichkeit als bisher bekannt gemacht werden. Auch in die Denkweise der Kabbala wird eine schlichte Einführung gegeben.
P. S.: Ich zitiere bewusst zum Schluss Matthias Morgensterns Nachwort:
Luther gab am 7. März 1543 „… diese antijüdische Schrift in Druck, die die früheren Schmähungen im Tonfall und in der Sache an einigen Stellen noch übertrumpfte. Vor allem die Möglichkeit einer grausamen ‚Bestrafung‘ der Juden mit Hunderttausenden, ja Millionen von Toten, gleich zu Beginn in drohendem Tod vorgetragen, macht bei der Lektüre geradezu fassungslos. soll man den – ebenso richtigen wie wohlfeilen – Satz wiederholen, dass der Autor weder als ‚Prophet‘ der Judenmorde des 20. Jahrhunderts gelten kann noch überhaupt für die Shoah verantwortlich zu machen ist.“ (S. 177)