Wehret den Lügen in der Klimadebatte, Von Lars Jaeger, Freiburg 2019

Print Friendly, PDF & Email

Den folgenden Beitrag von Lars Jaeger veröffentliche ich gekürzt aus Anlass der Freitagsdemonstrationen für die nötigen Reformen in der Klimakatastrophe, die als Schulstreik von Greta Thunberg (Schweden) begonnen hat (Redaktion: Christoph Fleischer):

Das politische und wirtschaftliche Establishment ist besorgt. Was Klimaforscher, Umweltpolitiker und engagierte Bürger bisher nicht vermocht haben, schaffen jetzt ausgerechnet unsere Kinder: Die Gefahr der globalen Erwärmung drängt sich in den Vordergrund der gesellschaftlichen Aufmerksamkeit.

Kirschblüte in Welver

Liberal-konservative Politiker, Wirtschaftsverbände und Rechtsintellektuelle zeigen daraufhin ihre altbekannten Reaktionsmuster: Ableugnen, Schimpfen gegen Wissenschaftler, Beharren auf der Alternativlosigkeit unseres heutigen Wirtschaftens, stures Proklamieren einer eigenen Wahrheit bis hin zu schamlosen Lügen. So entgegnet der deutsche FDP-Vorsitzende Christian Lindner, die Schüler sollen doch die Klimadebatte den Profis überlassen.

Prompt reagierte ein Klimaprofi. Stefan Rahmstorf, einer der weltweit führenden Ozeanographen und Leitautoren des Sachstandsberichtes des Weltklimarates (IPCC) schreibt: „Die Klima-Profis sind klar auf Seiten der Schüler! Die Schüler gehen auf die Straße, weil die Politiker trotz schöner Worte die Klimaziele verfehlen. Greta Thunberg versteht mehr vom knappen Emissionsbudget und den Kipppunkten des Klimas als Herr Lindner.“

Ein besonders dreistes Beispiel für eine Reaktion von Seiten der politischen Rechten stellt ein kürzlich publiziertes Interview des Schweizerischen Rechtspopulisten und selbsterklärten Intellektuellen Roger Köppel von der Schweizerischen Volkpartei (SVP) dar (im Zürcher Tagesanzeiger vom 16. März 2019). In der Schweiz mag man sich an Köppels Provokationen bereits gewöhnt haben, aber seine Argumentation folgt dem immer gleichen Muster von Klimaleugnern und muss daher in ihrer Einfältigkeit immer wieder neu entblößt werden. Selbstsicher erklärt Köppel seine Opposition zur Klimawissenschaft mit „unbestrittenen Fakten“. Seit 1860 habe sich die globale Temperatur „nur um knapp 1°C“ erhöht. Tatsächlich sind es 1.1°C, wobei sich die Erhöhung in den letzten Jahrzehnten dramatisch beschleunigt hat. Köppels Formulierung suggeriert, dass 1°C doch so viel nicht sei. Doch für das globale Klima ist eine 1°C Erwärmung sehr viel.

Klimaforscher gehen davon aus, dass eine weitere Erwärmung um mehr als 1°C dramatische Auswirkungen auf die globalen Ökosysteme und damit auch auf das menschliche Leben haben werden. So warnt selbst das Weltwirtschaftsforum: „Das Wechselspiel zwischen der Belastung der wirtschaftlichen und ökologischen Systeme wird unvorhersehbare Herausforderungen für globale und nationale Widerstandsfähigkeiten darstellen.“

Die Hälfte der bisherigen Erwärmung sei in den Jahren von 1910 bis 1940 passiert, behauptete Roger Köppel dann. Dies stellt eine erste direkte Lüge dar: Im Zeitraum 1910 bis in die 1940er Jahre hat die Temperatur um 0.35 °C zugenommen, seit den späten 1970er Jahren bis zur Gegenwart deutlich stärker um 0.6 °C. Dazwischen gab es eine leichte Abkühlung um 0.1 °C. Letztere erklärt sich daraus, dass durch die fortschreitende Verbrennung von fossilen Brennstoffen nicht nur Kohlendioxid, sondern auch Aerosole emittiert wurden, insbesondere Sulfat-Aerosole, die das Sonnenlicht wieder in den Weltraum reflektieren und so den Treibhauseffekt maskieren. Mittlerweile sind diese Emissionen in Nordamerika und Europa jedoch gesunken, so dass die Emission von Treibhausgasen nun eine deutlichere Wirkung zeigt.

Froschleich in Welvers Gräben

Auch die Phase relativ stagnierender Oberflächentemperaturen zwischen 1998 und 2013 wurde lange Zeit von Klimawandelleugnern als Beleg dafür angeführt, dass es keine menschenverursachte Erderwärmung gibt. Mit den neuen Temperaturrekorden ab 2014 fiel der Mythos der Klimawandel-Pause in sich zusammen. Tatsächlich war wohl kontinuierlich Wärme aufgenommen worden, doch diese wurde vorübergehend fast vollständig in den Ozeanen gespeichert, so dass sich diese Wärme nicht in messbaren Temperaturanstiegen auf dem Festland zeigte.

Fakt ist, dass mehr als die Hälfte der Erderwärmung in den letzten eineinhalb Jahrhunderten sich in den letzten 30-40 Jahren ereignete. Dies zeigt auch die Statistik der Veränderung der globalen Mitteltemperatur 1880-2015 über dem Mittelwert des 20. Jahrhunderts. Hier liegen die Werte bis 1940 allesamt unter dem Mittel, und ab 1940 alle darüber. Die letzten Jahrzehnte waren in der nördlichen Hemisphäre ohne Zweifel die wärmste Zeitspanne innerhalb des vergangenen Jahrtausends.

Und alle Daten verweisen auf eine dramatische Beschleunigung dieses Trends. Die Tendenz der globalen Erwärmung ist eindeutig, und sie ist mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf die Aktivitäten der Menschen zurückzuführen. Dies zu leugnen ist ein Zeichen von haltloser Ignoranz.

Das weiß der selberklärte Intellektuelle Köppel vermutlich auch. Was seine Aussagen umso schlimmer machen, denn damit bewegt er sich eindeutig auf dem Terrain der Lüge, und zwar der Lüge in ihrer schlimmsten Form, der Lüge als bewusst eingesetztes Propagandainstrument.

Die „Klima-Apokalyptiker sind bezahlt“, sagt er. Was er meint ist, dass die meisten Forschungsbetriebe staatliche Einrichtungen sind. Was sich also wie eine skandalöse Behauptung anhört, ist eine Trivialität. Die staatliche Förderung der Grundlagenforschung ist seit 300 Jahren eine Säule des wissenschaftlichen und technologischen Fortschritts und damit unseres gesellschaftlichen Wohlstandes. Köppel macht den Bock zum Gärtner: Wollen wir wirklich, dass Wissenschaft von interessegetriebenen privaten Unternehmen gemacht wird?

Nun fragen sich die Anhänger Köppels vielleicht: Was macht eigentlich den Unterscheid wissenschaftlicher Wahrheit und populistische Wahrheit aus? Müssen wir den Wissenschaftlern uneingeschränkt glauben, oder steht hier vielleicht nicht einfach Aussage gegen Aussage, und wir können uns unsere eigene Wahrheit aussuchen? Der Unterschied liegt in der Motivation der Beteiligten. Wissenschaftler wollen in einer Welt voller Unsicherheiten ihr Wissen vergrößern – uneingeschränkt, aufrichtig, rational und methodisch. Dazu stehen ihnen einige „heilige“ Wesensmerkmale zur Verfügung:

  • klare Kriterien, um Hypothesen bestätigen oder verwerfen zu können,
  • das ehrliche Bekenntnis zu Fakten,
  • eine kompromisslos reflexive Einstellung in einem offenen und transparenten Diskurs,
  • das Bekenntnis dazu, dass unser Wissen nicht absolut und letztendlich ist,
  • eine Demut angesichts komplexer Zusammenhänge und des zuweilen schwer Erklärlichen.

Dass Wissenschaftler dabei immer wieder auch Irrtümern ausgesetzt sind, ist Teil der wissenschaftlichen Methode. Es ist eine Funktion, kein Fehler dieser Methode! Und Falschheiten unterliegen darin immer wieder einem sehr starken Korrekturmechanismus. Wer einmal den Wissenschaftsbetrieb erlebt hat, weiß, wie hart hier um Wahrheiten gerungen wird, wie sich Wissenschaftler permanent gegenseitig herausfordern und in Frage stellen, wie ein bestehender Konsens immer wieder in Frage gestellt wird.

Zu behaupten, dass Wissenschaftler als Gesamtheit interessegetrieben falsche Ergebnisse publizieren, entspricht entweder purem Unwissen oder bewusster Böswilligkeit. Den Populisten dagegen geht es nicht um Wissensvermehrung, sondern um Glaubensbestätigung. Sie setzen klare unumstößliche Wahrheiten voraus; was nicht „ihrer Wahrheit“ entspricht, wird mit Mitteln der Lüge, der Veruntreuung von Fakten, schlimmstenfalls mit politischer Macht bekämpft, nicht mit denen des wissenschaftlichen Austauschs. Stattdessen sagt Köppel, „dank dem CO2 wachsen seit dreißig Jahren die Grünflächen massiv auf der Erde“. Hier paart sich seine peinliche Ignoranz endgültig mit unerträglicher Arroganz und produziert ein widerliches Gemisch.

Auf diese Widerlichkeit weisen nun die Schülerinnen und Schüler mit dem feinen Gespür, dass sie wohl diejenige sind, die am meisten unter den Konsequenzen eines solchen Gemischs zu leiden haben werden, hin. So sind es zuletzt die jungen Menschen, die uns sagen, dass unsere Tatenlosigkeit in Anbetracht der Entwicklungen unseres Klimas verantwortungslos ist.

Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Seine letzten Bücher „Die Naturwissenschaften. Eine Biographie“ (2015) und „Wissenschaft und Spiritualität“ (2016) sind bei Springer Spektrum erschienen. Im August 2017 erschien „Supermacht Wissenschaft“ beim Gütersloher Verlagshaus und sein neuestes Buch „Die zweite Quantenrevolution“ erschien im August 2018 bei Springer.

Bei Rückfragen: BUCH CONTACT, Murielle R. Rousseau, Ulrike Plessow

Freiburger Büro: Rosastr. 21, D-79098 Freiburg, Fon: 0761-29604-0

Berliner Büro: Karl-Heinrich-Ulrichs-Str. 20c, 10785 Berlin, Fon: 030-2060669-0

E-Mail: buchcontact@buchcontact.de

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Kommentar verfassen

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.