Das diakonische Handeln der Kirchen, Rezension von Konrad Schrieder, Hamm 2020

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Quenstedt, Jan: Diakonie zwischen Vereinslokal und Herrenmahl. Das Konzept diakonischen Handelns im Licht antiker Vereinigungen und früher christlicher Gemeinden, in: Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, hg. v. Eve-Marie Becker, Jens Herzer, Angela Standhartinger und Florian Wilk, Band 31, Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG, Tübingen 2020, 612 S., ISBN 978-3-7720-8710-3, € 108,00.

 

Das diakonische Handeln der Kirchen ist einer der Faktoren, der einen großen Teil ihrer Akzeptanz in breiten Schichten der Bevölkerung ausmacht. Gleichzeitig ist es eine wesentliche Lebensäußerung ihres Auftrags und ihres Selbstverständnisses.

Jan Quenstedt bewegt sich auf dem Hintergrund seiner diakoniewissenschaftlichen Tätigkeit sowohl auf dem Gebiet der Praktischen Theologie als auch auf dem der neutestamentlichen Exegese. In seiner umfangreichen Dissertation stellt er einen Vergleich an zwischen den heutigen Gegebenheiten und den biblischen Grundlagen, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten. Dabei legt Vf. einen besonderen Akzent darauf, in wieweit möglicherweise das antike Vereinswesen den diakonischen Gedanken und Organisation beeinflusst hat. Aufgrund von Inschriften aus dem lateinisch- und griechischsprachigen Bereich arbeitet er Inhalte und Soziologie fürsorgliches Handeln anhand von Vereinsstatuten und Lobreden auf Wohltäter heraus.

Die Organisationen hatten es sich zum Ziel gesetzt, die gegenseitige Fürsorge im Alltag und darüber hinaus zu gewährleisten. Die Begräbnisfürsorge spielt dabei eine besondere Rolle. Fragen der Finanzierung und eventueller Streitigkeiten wurden durch die erhalten gebliebenen Dokumente minutiös geregelt. Gemeinsame Mahlzeiten förderten die Gemeinschaft. Bemerkenswert ist aber auch die Erkenntnis, dass die Vereine für eine Mitgliedschaft grundsätzlich jedem Menschen offenstanden.

Schon durch personale Überschneidungen lassen sich daher Berührungspunkte zu den jungen christlichen Gemeinden vermuten. Ausgehend von dem Auftrag zur Fürsorge und der Schlichtung von Rangstreitigkeiten in den Evangelien untersucht Vf. anhand ausgewählter Texte bei Paulus und in den Pastoralbriefen die dort behandelten Fragen der Fürsorge füreinander, des Besitzes und den Umgang mit Streitigkeiten sowie der damit verbundenen Hierarchien und Ämter.

Dabei zeigt sich in der Apg. und bei Paulus, dass die Feier des Herrenmahls und die Gütergemeinschaft die getauften Christen zu verantwortlichem Handeln verpflichten. Auch die von Paulus erbetene Kollekte bezieht sich darauf. Ein Sonderfall der Fürsorge ist der Kasus der Bestattung. Im Unterschied zu antiken paganen Vereinigungen ist diese nicht an die Entrichtung von Beiträgen gebunden. Gleichwohl leitet sie sich von der Tatsache ab, dass der Leichnam Jesu nach der Kreuzabnahme bestattet wurde.

Damit wird deutlich, dass diakonisches Handeln von der Mimesis, der Nachfolge Christi getragen ist. Die beiden Aspekte der Philanthropia (Güterverteilung aus Menschenliebe – die moderne Frage der sozialen Gerechtigkeit ist nicht Thema dieser Untersuchung) und der Philotimia (Ehrenamt), die Christen zum fürsorgenden Handeln verpflichtet und sie damit von der Welt unterscheidet, sind eng miteinander verbunden. Es kann also bei dem diakonischen Handeln nicht um die persönliche Ehre gehen.

Abschließend stellt Vf. fest, dass die Untersuchung dazu beitragen kann, diakonisches Handeln als ein identitätsschaffendes Tun zu begreifen, um in dieser Welt und für diese Welt zu dienen. Ein weiterer Aspekt ist die Dimension des diakonischen Lernens, das zum einen davor bewahrt, Strukturen zu konservieren, die in einer ständig sich verändernden Welt leicht erstarren können, das dadurch zum anderen die innovative Kraft eines Handelns in der Nachfolge Christi entdeckt und bewahrt.

Bei dieser Dissertation handelt es sich nicht nur um eine historische Arbeit. Für Menschen, die in der diakonischen Leitung und Organisation tätig sind, kann sie eine lohnenswerte Fundgrube darstellen, um biblische und allgemeine anthropologische Impulse für gelingendes fürsorgliches Handeln zu gewinnen, gemessen an dem Auftrag, der gegeben ist. Aber auch in der Diakonie Tätige oder am gesellschaftlichen Auftrag der Kirche Interessierte können daraus einen Nutzen ziehen, um weiter zu denken.

Der disziplinenübergreifende Blickwinkel dieser gut zu lesenden Monographie mit ihren gründlichen Textanalysen lädt dazu ein. Von der Fülle des verarbeiteten Materials sollte sich niemand abschrecken lassen, zumal jedem Originaltext eine eigene Übersetzung beigefügt ist. Ein ausführlicher Anhang mit den bearbeiteten Quellen, Sekundäeliteratur, Tabellen, Schlagwortverzeichnis und Bibelstellenregister erleichtern die Handhabe. Allein der Preis wird manchen vom Kauf dieses sehr empfehlenswerten Buches abhalten.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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