Möglichkeit eines atheistischen Glaubens, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2022,

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Hartmut von Sass, Atheistisch glauben, Ein theologischer Essay, Matthes und Seitz, Berlin 2022, ISBN: 978-3-7518-0541-4, 150 Seiten, Klappenbroschur, Preis: 14,00 Euro

Da es im Essay/Büchlein von Hartmut von Sass darum geht, „atheistisch“ an Gott zu glauben, wird man zu Recht mit einer Auseinandersetzung mit Formen des Atheismus zu rechnen haben. Dies wird aber hier kaum geleistet, wozu sich der Autor allerdings auch äußert.

Stattdessen begibt er sich auf den Denkweg der theologischen Kritik des Theismus. Er katalogisiert etliche Varianten des (post-)modernen Umgangs mit theistischen Formen, um dann im zweiten Teil neu anzusetzen. Der Aufbau des zweiten Teils liest sich wie eine Kurzfassung der systematischen Theologie. Insofern kommt er hier auf das Ziel des Buchs zu sprechen. Im ersten Teil fällt mir auf, dass er eines der berühmtesten Zitate Dietrich Bonhoeffers ohne Nennung des Autors aufgreift: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ (Zitat DBG, der Rezensent). Auch das Zitat von Gerhard Ebeling weist eine Nähe zu Bonhoeffer auf (S. 35): „… Glauben ist das Bestimmtsein der Existenz…“.

Ähnliches gilt auch für andere Autorinnen wie Dorothee Sölle und ihre Vor- oder Mitdenkerinnen. Aber die Frage der Referenz mag ja letztlich für einen Essay egal sein, der schlicht einen neuen Ansatz ausdrückt.

Sein Aufsatz ist philosophisch stringent formuliert. Er stellte Bezüge zu traditionellen und aktuellen Denkwegen auf. Diese Denkwege werden übersichtlich strukturiert und zumindest ansatzweise auf ihre Konsequenzen hin überprüft (obwohl mir diese Schlüsse manchmal etwas schnell erscheinen).

Im folgenden Zitat scheint mir die wahre Intention des Autors aufzuleuchten, die dann doch m. E. zum Panentheismus in einer gewissen Affinität steht: „Kein ontologisch autarkes Wesen wird nun theologisch charakterisiert, sondern die Theologie expliziert den glaubend vollzogenen Bezug auf diese eine Welt. Der atheistischen Revision religiösen Glaubens geht es folglich nicht um einen zur Welt addierten Referenten, sondern um eine irreduzible Referenz auf die uns umgebende Welt.“ (S. 38). Damit die Welt nicht direkt mit Gott gleichgesetzt wird, heißt es auch, es gehe um die Beziehung zum „Ganzen“.

An einem Bild, das sowohl als Hase als auch als Ente beschrieben werden kann, wird gezeigt, dass der Glaube nicht die Erfahrung der Welt ändert, sondern einen Perspektivenwechsel beschreibt. Das erinnert dann tatsächlich schon an einen philosophischen Gedankengang, wobei die Frage offen bleibt, ob von Sass das auch bis zum Ende des Buche durchhalten kann. Der Glaube kann also auf keinen Fall als „Hinterwelt“ gesehen werden, sondern allenfalls als neues Denken.

Im nächsten Abschnitt wechselt Hartmut von Sass ungeachtet aller Begrifflichkeit in eine positive Theologie, indem er feststellt: „Gottes Wirklichkeit ist sein liebendes Wirken am Menschen.“ (S. 62). Diese Bestimmung bewirkt nun eine Art existentiale Interpretation, die Hartmut von Sass gleich auf die Grundfrage anwendet. Glaube an Gott ist keine Einstellung zu etwas oder Glaube an jemanden, sondern eine Art Grundverständnis des Lebens: „Nicht an Gott wird geglaubt, sondern in Gottes Wirklichkeit wird gelebt. Gott ist die Wirklichkeit des Glaubens.“ (S. 65)

Da ich gerade noch sehr interessiert der religionsphilosophischen Spur des Autors gefolgt bin, reibe ich mir die Augen. Wo ist die ontologische Grundfrage geblieben, das Interesse an atheistischer Theologie? Atheismus bedeutet hier also nur, von einer abstrakten Gotteslehre abzusehen und eine Theologie der Existenz zu formulieren. Doch ist das noch Atheismus?

Eine Zwischenbesinnung fragt nach Aporien quasi postmoderner Gottesbegriffe, die meist auf eine Definition des Gottesbegriffs hinauslaufen und demnach konstruiert sind. Dazu gehört auch die bekannte Tautologie, Gott könne nur durch Gott selbst erkannt werden. Hierbei nimmt von Sass das bekannte Modell auf, verknüpft es dabei zugleich mit seiner Rezeption: „Wie niemals betrachtete Bilder kaum Kunst sein können, weil ihr Publikum zwar nicht Ursache, aber doch Medium ist, in dem Werke zu Kunst werden, so zeigt sich Gott in seiner Offenbarung, die er selbst ist, wenn sie von jemandem vernommen wird.“ (S. 69f)

Das Thema „Anfechtung“ bringt es auf den Punkt. Schon nach Luther und Calvin ist Glaube selbst ein unverfügbares Geschenk, kein Koffer von Sicherheiten. Hier spricht von Sass zu Recht von Dekonstruktion: „Im spätmodernen Vokabular könnte man auch von einer Dekonstruktion sprechen, die den Glauben auf seine Brüche und inneren Spannungen hin befragt, ohne ihn zu verabschieden.“ (S. 74)

Glaube ist ohne Anfechtung, ja Unglaube nicht denkbar, wäre eine sture Wahrheitsbehauptung. Anfechtung im Inneren des Christseins ist das, was gesellschaftlich der Atheismus ist. Dass an dieser Stelle jeder Fundamentalismus scheitern muss, weil er den Zweifel ausblendet und den Glauben damit dem Scheitern aussetzt, wird hier (noch) nicht angedeutet.

Nun folgt das zweite große Kapitel des Buches.

Die folgenden theologischen Skizzen machen nun tatsächlich ernst mit einer Dekonstruktion der religiösen Wirklichkeit. So ist die Schöpfung in der Tat nicht im Ansatz eine religiöse Theorie der Weltentstehung, sondern beschreibt schlicht das Entstehen des Glaubens.

Das gleiche Methodenspiel wird nun auf die Frage nach dem Bösen, also schlicht die Theodizee angewandt. Es ist sehr oft von Hiob die Rede. Am Ende kommt von Sass auf Jürgen Habermas zu sprechen und das „Bewusstsein von dem, was fehlt“. Hiob, so heißt es zuvor, ist kein Antwortgeber auf die Frage nach dem Leid, sondern illustriert hingegen, dass diese Frage nicht nur glaubende Menschen lebenslang begleitet.

Sünde und Schuld, die dann zur Sprache kommen, dürfen nicht verwechselt werden. Die Rede von der Sünde gilt nur innerhalb des Glaubens und bezeichnet eine Krise in der Beziehung zu Gott.

Hierzu ein Zitat: „Der Glaube an Gott schafft das Problem, das er selbst bekämpft, so ließe sich die zirkuläre Lage zuspitzen. Das spricht nicht gegen diesen Glauben, sondern entfaltet seine innere Dynamik. Wie mit dem Fußball die Abseitsfalle in die Welt kommt, die ohne ihren sportlichen Kontext selbst ins Abseits geriete, so haben die Sprachspiele des Glaubens nur innerhalb der Glaubenspraxis ihren Ort und Sinn.“ (S.110).

In diesem Abschnitt gesteht von Sass der Theologie tatsächlich einen Zirkelschluss zu, was m. E. philosophisch zu einer Aporie führt. Besser hingegen ist am Ende des Abschnitts die säkulare Deutung der Auferstehung, die m. E. schon von der Theologie des Paulus beispielsweise belegen lässt: „Die Verkündigung der Auferstehung von den Toten muss daher nicht als mirakelhafte Revision eines eigentlich unwiderruflichen Todes aufgefasst werden, auch nicht als martialische Opferung des Sohnes durch den auf Satisfaktion bestehenden Vater (…). Vielmehr kann Jesu Auferstehung als Artikulation eines Glaubens daran verstanden werden, dass sein Heilen und Predigen ein Geschehen sei, welches mit diesem Tod am Kreuz gerade nicht endet;“ (S. 116).

Als praktischer Aspekt des Glaubens ist nun das Beten zu besprechen. Hierbei geht es insbesondere um die Anrede bzw. den Adressaten des Gebets: „Wenn sogar für das Gebet als Bitte gezeigt werden kann, dass es keinen Gott als Quasi-Person reaktivieren muss, sind dem Theismus in all seinen Schattierungen die besten Gründe genommen.“ (S. 120) Gebete bekommen so etwas Unerhörtes. Die Wirklichkeit der Adresse bleibt unverfügbar und ist doch gerade deshalb gewünscht.

Dazu schiebt von Sass nun einen „Exkurs“ ein. Wieder wird die Beziehung zu Gott zu einer Beziehung in Gott. Dass religiöse Traktate nicht nur schon früher mit einem Gebet begannen, sondern auch schlicht als Gebet formuliert waren, wäre als bekannt vorauszusetzen, um nur an Karl Barths Anselmzitat zu denken. Ist also der von Sass entwickelte theologische Atheismus nichts anderes als dialektische Theologie? (d. Rezensent)

Im letzten Abschnitt geht es um Hoffnungsaspekte des Glaubens. Von Sass warnt davor, in den Ereignissen des Hoffnungsglaubens „die Haltepunkte eines geschichtstheologischen Fahrplans in Richtung Zukunft zu sehen“ (S. 139). Vom atheistischen Glauben her, ist nicht Gott, sondern der Glaube selbst der Dreh- und Angelpunkt, was zu einer präsentischen Eschatologie führt: „Man steht von den ›Toten‹ auf, indem man (wieder) zum Glauben findet; und wem dies widerfährt, der hat bereits das »ewige Leben« (so Joh 3,36);…“ (S. 139) Glaube ist demnach nun doch nichts anderes als das Leben für eine bessere Zukunft.

Darauf folgt ein Nachwort bzw. ein Epilog. Er findet einen Ort für die nichtreligiöse Interpretation des Glaubens (ohne diesen Ausdruck zu gebrauchen) in einer Reflexion des Karsamstags.

Obwohl der Essay reichlich Anmerkungen enthält, finde ich doch wenig inhaltliche Referenzen, von dem sinntragenden Ebeling-Zitat am Anfang mal abgesehen. Dorothee Sölle, die den Ausdruck „atheistisch an Gott glauben“ als erste geprägte hat kommt genauso wenig zu Wort (außer in der ersten Anmerkung), wie Jürgen Moltmann, Dietrich Bonhoeffer und andere. Vielleicht ist das auch gut, dass es dem Autor nicht in erster Linie um Referenzen geht, sondern darum, einen eigenen Gedankengang zu entfalten und an einige Beispielen auszuführen. Dafür sollten wir ihm dankbar sein, weil sich von diesen Abschnitten auch neue Gedanken entwickeln lassen. Es ist jedenfalls deutlich geworden, dass dieser atheistische Glaube den Neuen Testament keinesfalls fremd ist, sondern sich von einigen Bibelstellen her direkt entfalten lässt.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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