Bericht über die Frankfurter Buchmesse 2022, Niklas Fleischer, Dortmund 2022

Agora, mit Blick auf den Messeturm

Ein verregneter Oktobertag, was gibt es da schöneres als 200km über die A45 und Umleitungen im Sauerland zur Frankfurter Buchmesse nach Frankfurt zu fahren?

Tatsächlich ist die Frankfurter Buchmesse auch im Jahr 2022 ein lohnenswertes Ziel, auch wenn sich die Anfahrt durch die Teilsperrung der A45 – wie auch schon in 2021 – mehr als nervenaufreibend gestaltet.

Zur Verteilung der Stände gibt in diesem Jahr – zu mindestens im Vergleich zum Vorjahr – gar nicht so viel zu berichten, da sich diese bis auf kleinere Ausnahmen weitestgehend wie 2021 gestaltete (Bericht vom Vorjahr hier im Blog). Der große Unterschied im Vergleich zum Vorjahr bestand für mich eher in der Besucherzahl, die sich scheinbar wieder normalisiert hat und die Messe wieder deutlich belebt hat. Trotz des Fachbesuchertages waren eigentlich alle Hallen ziemlich gefüllt, jedoch noch nicht in einem unangenehmen Maße, dies mag sich an den Publikumstagen sicherlich ändern.

Langenscheidt-Verlag in Halle 3.1

Auch für die Stände gab es in diesem Jahr trotz der anhaltenden Energie- und Wirtschaftskrise offenbar wieder mehr Budgets, die teilweise gebraucht oder improvisiert wirkenden Stände des Vorjahres waren jedenfalls nicht mehr zu finden. Witzig war zum Beispiel ein großer Grüffelo, mit dem man sich in Halle 3.0 beim BELTZ & Gelberg-Verlag fotografieren lassen konnte.

Grüffelo bei BELTZ & Gelbert

Beim Katapult-Verlag in Halle 3.1 konnten wir um 14 Uhr an der Autoren-Vorstellung des Buches „100 Karten über China“ teilnehmen. Der Vortrag war zwar informativ und ganz gut gemacht, hinterließ bei mir jedoch ein paar Fragezeigen, da zwar zuerst Chinas Qualitäten als Vielvölker- und multireligiöser Staat angepriesen wurden, jedoch kritische Punkte erst später benannt wurden – z.B. die Frage, welche dieser Religionen denn überhaupt ohne politische Verfolgung ausgeübt werden kann. Eine Diskussion mit den Autoren über diese und andere Themen wäre zwar lohnend gewesen, zeitliche Zwänge und die große Menge an weiteren Ständen zwangen jedoch nach einer halben Stunde zum Aufbruch.

Postkarten beim Katapult-Verlag

In Halle 3.0 fiel mir auf dem Rückweg aus Halle 3.1 noch der zwar nicht besonders große, jedoch besonders prominent platzierte Stand des Karl-May-Verlages auf. Die Frage, ob dies mit der anhaltenden Diskussion darüber – ob die angebotenen Werke Mays angesichts laufender Wokeness-Debatten noch zeitgemäß sind – zu tun hat, liegt zwar auf der Hand. Der Andrang am Stand schien sich jedenfalls in Grenzen zu halten, vielleicht auch weil von Karl May derzeit keine Neuvorstellungen mehr zu erwarten sind. Leider kann man bei einem Ein Tages-Besuch mit längerer Anfahrt nicht jede interessante Diskussion führen, die sich vielleicht angeboten hätte.

„Durchs Wilde Kurdistan“

Meine persönlichen Highlights waren in diesem Jahr sicherlich wieder die beiden Etagen der Halle 3 und die generellen Eindrücke, die auf der Messe gewonnen werden konnten. Der Stand der „Stiftung Buchdruckkunst“ war wie auch schon in den Vorjahren auch wieder ein besonderes Highlight.

Nachdenklich hat mich hingegen der Neubau (oder die Renovierung) der Halle 5 gemacht – ob man diesen Platz jemals wieder sinnvoll für die Buchmesse brauchen kann, oder ob auch hier die Grenzen des Wachstums erreicht sind, müssen die nächsten Jahre zeigen. Derzeit bin ich jedenfalls skeptisch.

Weiterhin: Corona stand für mich wie ein Elefant im Raum. Trotz hoher Inzidenzen bestand keine Maskenpflicht, auch bestand bei gefühlt 80-90% der Besucher keine Motivation, freiwillig eine Maske zu tragen. Angesichts aktueller Warnungen vor neuen Herbstwellen fand ich dies schon etwas komisch, und der ein oder andere Besucher wird sicherlich mit Omikron nach Hause gehen. Dies wird sich an den Besuchertagen der Messe sicherlich noch verschlimmern. Auch die Beheizung der Hallen war für meinen persönlichen Geschmack deutlich zu warm, da sich ein Besuch der Agora um zwischendurch „durchzulüften“ und risikofrei die Maske absetzen zu können geradezu angeboten hat. Um die Jacke bei jedem Wechsel der Halle auszuziehen hatte ich jedoch nach Mitnahme des ein oder anderen Kataloges schlichtweg keinen Platz in den Taschen mehr. Vielleicht hätte man auch hier angesichts aktueller Aufrufe zum Energiesparen anders vorgehen können.

Aber: Unterm Strich hat sich die Buchmesse, wie in den Vorjahren, erneut sehr gelohnt. Es wird sicherlich spannend in 2023 zu erleben, ob die Erholung der Messekultur weiter geht, oder ob wir 2019 die Frankfurter Buchmesse im größten Umfang der Messegeschichte erlebt haben.

Buchcover-Installation am GU Stand

Die Heilung eines Kindes – eine Vater-Sohn Geschichte, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2022

Predigt über Markus 9,17-27 

„Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat.“ (1. Joh 5,4)

Liebe Gemeinde,

„Wenn es noch eine Chance gibt für meinen Sohn, dann jetzt“, denke ich spontan und schleife meinen widerwilligen Sohn vom Streitgespräch weg hin zu Jesus: „Lehrer, mein Sohn ist von einem bösen Geist besessen. Er hat ihn stumm gemacht und manchmal wirft er ihn zu Boden, dann hat er Schaum vor´m Mund und krampft.“

Meine eigene Stimme hört sich blechern an, zu oft schon habe ich diese Sätze gesagt, musste mich erklären vor anderen, schämte mich in Grund und Boden für meinen Sohn. Wie ohnmächtig bin ich, wie ich gar nichts ändern kann, wenn eine fremde Macht meinen Sohn hin- und herwirft; das Tuscheln der Nachbarn, die mich voller Mitleid ansehen, klingt mir noch in den Ohren, wie habe ich das alles satt. Wie um alles in der Welt bin ich gestraft mit diesem Sohn, gestraft mit meinem Leben. Wie anders habe ich mir alles vorgestellt. Auf den ersten Blick ist alles normal mit meinem Sohn, manchmal ist er etwas abwesend und in sich versunken, aber „normal“. –  Doch von Normalität – was ist das schon: von „normal sein“ – kann keine Rede sein.

Mein Sohn kann nicht sprechen, er kann nicht hören…und ich kann es nicht mehr hören wie er zum Gerede wird!

Jetzt schon wieder. Die Schüler von Jesus konnten ihn nicht heilen und streiten heftig mit den jüdischen Gesetzeslehrern. Jeder ist „besessen“ von seiner Ansicht. Überall dieser Streit, wo ich mit ihm auftauche, ich kann´s nicht mehr ertragen. Ich mag mein Leben nicht mehr, da ist so viel Unruhe und tiefer Groll in mir…Ich hasse meinen Sohn – o nein, das darf ich nicht denken…

Die Tränen meiner Frau versiegen nicht und ich komme mir bloßgestellt vor, habe meine Ehre, habe meinen Glauben verloren an das Gute im Menschen. Ausgesondert sind wir durch ihn. Er darf nicht mit in die Synagoge, weil er „besessen“ ist, sagen sie. Ja, eine Macht ergreift ihn, vor der wir machtlos sind – aber er ist unser Kind, mein Sohn. Nur noch aus Sorge besteht unser Leben. Ich bin auch wie gelähmt, funktioniere nur noch.

Hey, und dieser Rabbi, warum schimpft er jetzt? Meint er mich? Meint er seine Schüler? Meint er uns alle? Was sagt er: Wir hätten keinen Glauben? Wie meint er das? Ja, mein Glaube ist am Boden, das stimmt, ich habe keinen Glauben mehr. Soll ich mich jetzt auch noch schuldig fühlen, dass mein Glaube mir abhandengekommen ist? Nein, nein, nein. Das muss erst mal einer durchgemacht haben, was ich durchgemacht habe.

Was denke ich da?

Kann ich das nicht auch anders hören, was Jesus sagt? Hat dieser Rabbi nicht recht, dass wir uns alle schwer tun mit Glauben und Vertrauen? Heißt das nicht, dass wir uns selbst nicht mehr vertrauen, nicht den anderen, nicht dem Gott unserer Väter und Mütter?

Ja, mein Vertrauen hat ganz schön gelitten. Mein Selbstvertrauen ist weg, Argwohn hat sich in mir eingenistet. Hinter allem vermute ich eine böse Absicht. Ich bin genau wie die Pharisäer, die hinter allem nur das Böse am Werk sehen und ich bin auch wie die Jünger, die es nicht hinkriegen, deren Glauben, wenn ihr Meister nicht in der Nähe ist, schmählich versagt.

Ich sehe meine Frau kritisch: hinter allem, was sie tut und sagt, sehe ich, dass sie sich von mir distanziert, mehr noch, dass sie mir die Schuld gibt an unserem missratenen Sohn. Anstelle von Liebe nur noch Angst.

In ihrer Familie sei so etwas noch nicht vorgekommen… Verdammte Schuld, verdammtes Misstrauen…

Ganz schön einsam bin ich geworden und traurig, fühle mich nicht mehr mit meiner Frau verbunden, auch nicht mit meinem Sohn. Ich lehne ihn unbewusst ab. Ich traue ihm nichts zu, ich vertraue ihm nicht. Ständig kontrolliere ich ihn, ständig mache ich mir Sorgen und bringe Unruhe in die Familie.

„Was ist das jetzt?“ Da nimmt mir jemand meinen Sohn weg und stellt ihn näher zu Jesus.

O, und jetzt kriegt er wieder einen Anfall. Vor allen Leuten. Warum nur jetzt?

 „Von klein auf“, höre ich mich sagen. Die Frage holt mich wieder in die Gegenwart zurück, ich spüre wie sich meine Zunge löst, ich einen festen Stand bekomme, mich innerlich mit einem Atemzug aufrichte und klar und deutlich sage: „Es ist als wenn meinen Sohn eine fremde Macht ergreift, er ist dann fremd gesteuert, wird ins Feuer geworfen oder ins Wasser getrieben, dann geht es um Leben und Tod…“, und leise mit gesenkter Stimme:

„Wenn du kannst, dann hilf uns doch! Hab Erbarmen mit uns!“

„Was heißt hier, wenn du kannst“, sagt Jesus. „Wer glaubt, kann alles!“

Stille – Wie, was meint der Rabbi? Was meint er mit: „Wer glaubt, kann alles.“ Warum dreht er das Ganze um? Liegt es etwa an meinem Glauben, das kann doch nicht sein! Ich dachte immer, ich müsste den anderen zutrauen, dass sie die Macht haben zu helfen. Daran habe ich geglaubt und bin so oft enttäuscht worden. Kann es denn wirklich sein, dass auch mein mangelndes Vertrauen meinen Sohn hin- und herwirft, dass mein Misstrauen mich von allen abschneidet? Das kann nicht sein. Das darf nicht sein. Das kann ich nicht zulassen. Alle meine Mühen, alle meine Sorgen haben ihm nicht geholfen?

Wie schön wäre es, mein Leben mit meinem Sohn wieder anders zu sehen, wie schön wäre es zu glauben, dass alles einen Sinn hat, wie schön wäre es, das Gefühl zu haben, ich muss mich nicht ständig mühen und überfordern, ich darf einfach glauben… und doch, ich kann es nicht. Die Realität sieht doch anders aus. Das ist doch meine leidvolle Erfahrung. Von diesem Glauben wird doch mein Sohn nicht gesund – oder?

Was ist das, es kommt aus mir von ganz unten, plötzlich schreie ich es aus mir heraus:

„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“

Stille

Das ist die Wahrheit. Nie war ich ehrlicher als jetzt – es fühlt sich gut an, ganz richtig. Vielleicht ist das mein Glaube wie ich ihn ausdrücke für mich und meinem Sohn. Ja, ich will vertrauen. Ich will ihn ganz Gott überlassen und ich merke wie gut es tut, loszulassen, Gott zu vertrauen – wie der Rabbi Jesus das in mir bewirkt hat ist schon allein ein Wunder und etwas ganz Besonderes: Wie Jesus das verschüttete Vertrauen in mir freigelegt hat, wie ich nicht länger Opfer von fremden Mächten bin, wie ich selbst ohnmächtig immer noch glauben darf – und auch menschlich zweifeln darf.

„Ja, Herr, hilf meinem Unglauben auf, dass der Glaube überhandnimmt, dass ich vertraue trotz allem.“

Dann stehe ich da wie in Trance, es ist so als hätte Gott mich berührt und hätte eine Art Blockade in mir gelöst. Was dann geschieht, nehme ich nur noch schemenhaft wahr.

Jesus treibt die fremde Macht aus meinem Sohn aus. Danach liegt er wie tot auf dem Boden, mich aber erschreckt das nicht, es ist, als würde ich in diesem Moment alles wissen, und egal wie es ausgeht, es ist gut. Ich fühle mich von der Welt empfangen und Gott sehr nah.

Dann sehe ich, wie Jesus meinen Sohn bei der Hand nimmt und ihn aufrichtet.

Mein Sohn darf leben und ich auch. Ich habe mein Vertrauen wieder gefunden – wie wunderbar.

Amen

Möglichkeit eines atheistischen Glaubens, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2022,

zu:

Hartmut von Sass, Atheistisch glauben, Ein theologischer Essay, Matthes und Seitz, Berlin 2022, ISBN: 978-3-7518-0541-4, 150 Seiten, Klappenbroschur, Preis: 14,00 Euro

Da es im Essay/Büchlein von Hartmut von Sass darum geht, „atheistisch“ an Gott zu glauben, wird man zu Recht mit einer Auseinandersetzung mit Formen des Atheismus zu rechnen haben. Dies wird aber hier kaum geleistet, wozu sich der Autor allerdings auch äußert.

Stattdessen begibt er sich auf den Denkweg der theologischen Kritik des Theismus. Er katalogisiert etliche Varianten des (post-)modernen Umgangs mit theistischen Formen, um dann im zweiten Teil neu anzusetzen. Der Aufbau des zweiten Teils liest sich wie eine Kurzfassung der systematischen Theologie. Insofern kommt er hier auf das Ziel des Buchs zu sprechen. Im ersten Teil fällt mir auf, dass er eines der berühmtesten Zitate Dietrich Bonhoeffers ohne Nennung des Autors aufgreift: „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht.“ (Zitat DBG, der Rezensent). Auch das Zitat von Gerhard Ebeling weist eine Nähe zu Bonhoeffer auf (S. 35): „… Glauben ist das Bestimmtsein der Existenz…“.

Ähnliches gilt auch für andere Autorinnen wie Dorothee Sölle und ihre Vor- oder Mitdenkerinnen. Aber die Frage der Referenz mag ja letztlich für einen Essay egal sein, der schlicht einen neuen Ansatz ausdrückt.

Sein Aufsatz ist philosophisch stringent formuliert. Er stellte Bezüge zu traditionellen und aktuellen Denkwegen auf. Diese Denkwege werden übersichtlich strukturiert und zumindest ansatzweise auf ihre Konsequenzen hin überprüft (obwohl mir diese Schlüsse manchmal etwas schnell erscheinen).

Im folgenden Zitat scheint mir die wahre Intention des Autors aufzuleuchten, die dann doch m. E. zum Panentheismus in einer gewissen Affinität steht: „Kein ontologisch autarkes Wesen wird nun theologisch charakterisiert, sondern die Theologie expliziert den glaubend vollzogenen Bezug auf diese eine Welt. Der atheistischen Revision religiösen Glaubens geht es folglich nicht um einen zur Welt addierten Referenten, sondern um eine irreduzible Referenz auf die uns umgebende Welt.“ (S. 38). Damit die Welt nicht direkt mit Gott gleichgesetzt wird, heißt es auch, es gehe um die Beziehung zum „Ganzen“.

An einem Bild, das sowohl als Hase als auch als Ente beschrieben werden kann, wird gezeigt, dass der Glaube nicht die Erfahrung der Welt ändert, sondern einen Perspektivenwechsel beschreibt. Das erinnert dann tatsächlich schon an einen philosophischen Gedankengang, wobei die Frage offen bleibt, ob von Sass das auch bis zum Ende des Buche durchhalten kann. Der Glaube kann also auf keinen Fall als „Hinterwelt“ gesehen werden, sondern allenfalls als neues Denken.

Im nächsten Abschnitt wechselt Hartmut von Sass ungeachtet aller Begrifflichkeit in eine positive Theologie, indem er feststellt: „Gottes Wirklichkeit ist sein liebendes Wirken am Menschen.“ (S. 62). Diese Bestimmung bewirkt nun eine Art existentiale Interpretation, die Hartmut von Sass gleich auf die Grundfrage anwendet. Glaube an Gott ist keine Einstellung zu etwas oder Glaube an jemanden, sondern eine Art Grundverständnis des Lebens: „Nicht an Gott wird geglaubt, sondern in Gottes Wirklichkeit wird gelebt. Gott ist die Wirklichkeit des Glaubens.“ (S. 65)

Da ich gerade noch sehr interessiert der religionsphilosophischen Spur des Autors gefolgt bin, reibe ich mir die Augen. Wo ist die ontologische Grundfrage geblieben, das Interesse an atheistischer Theologie? Atheismus bedeutet hier also nur, von einer abstrakten Gotteslehre abzusehen und eine Theologie der Existenz zu formulieren. Doch ist das noch Atheismus?

Eine Zwischenbesinnung fragt nach Aporien quasi postmoderner Gottesbegriffe, die meist auf eine Definition des Gottesbegriffs hinauslaufen und demnach konstruiert sind. Dazu gehört auch die bekannte Tautologie, Gott könne nur durch Gott selbst erkannt werden. Hierbei nimmt von Sass das bekannte Modell auf, verknüpft es dabei zugleich mit seiner Rezeption: „Wie niemals betrachtete Bilder kaum Kunst sein können, weil ihr Publikum zwar nicht Ursache, aber doch Medium ist, in dem Werke zu Kunst werden, so zeigt sich Gott in seiner Offenbarung, die er selbst ist, wenn sie von jemandem vernommen wird.“ (S. 69f)

Das Thema „Anfechtung“ bringt es auf den Punkt. Schon nach Luther und Calvin ist Glaube selbst ein unverfügbares Geschenk, kein Koffer von Sicherheiten. Hier spricht von Sass zu Recht von Dekonstruktion: „Im spätmodernen Vokabular könnte man auch von einer Dekonstruktion sprechen, die den Glauben auf seine Brüche und inneren Spannungen hin befragt, ohne ihn zu verabschieden.“ (S. 74)

Glaube ist ohne Anfechtung, ja Unglaube nicht denkbar, wäre eine sture Wahrheitsbehauptung. Anfechtung im Inneren des Christseins ist das, was gesellschaftlich der Atheismus ist. Dass an dieser Stelle jeder Fundamentalismus scheitern muss, weil er den Zweifel ausblendet und den Glauben damit dem Scheitern aussetzt, wird hier (noch) nicht angedeutet.

Nun folgt das zweite große Kapitel des Buches.

Die folgenden theologischen Skizzen machen nun tatsächlich ernst mit einer Dekonstruktion der religiösen Wirklichkeit. So ist die Schöpfung in der Tat nicht im Ansatz eine religiöse Theorie der Weltentstehung, sondern beschreibt schlicht das Entstehen des Glaubens.

Das gleiche Methodenspiel wird nun auf die Frage nach dem Bösen, also schlicht die Theodizee angewandt. Es ist sehr oft von Hiob die Rede. Am Ende kommt von Sass auf Jürgen Habermas zu sprechen und das „Bewusstsein von dem, was fehlt“. Hiob, so heißt es zuvor, ist kein Antwortgeber auf die Frage nach dem Leid, sondern illustriert hingegen, dass diese Frage nicht nur glaubende Menschen lebenslang begleitet.

Sünde und Schuld, die dann zur Sprache kommen, dürfen nicht verwechselt werden. Die Rede von der Sünde gilt nur innerhalb des Glaubens und bezeichnet eine Krise in der Beziehung zu Gott.

Hierzu ein Zitat: „Der Glaube an Gott schafft das Problem, das er selbst bekämpft, so ließe sich die zirkuläre Lage zuspitzen. Das spricht nicht gegen diesen Glauben, sondern entfaltet seine innere Dynamik. Wie mit dem Fußball die Abseitsfalle in die Welt kommt, die ohne ihren sportlichen Kontext selbst ins Abseits geriete, so haben die Sprachspiele des Glaubens nur innerhalb der Glaubenspraxis ihren Ort und Sinn.“ (S.110).

In diesem Abschnitt gesteht von Sass der Theologie tatsächlich einen Zirkelschluss zu, was m. E. philosophisch zu einer Aporie führt. Besser hingegen ist am Ende des Abschnitts die säkulare Deutung der Auferstehung, die m. E. schon von der Theologie des Paulus beispielsweise belegen lässt: „Die Verkündigung der Auferstehung von den Toten muss daher nicht als mirakelhafte Revision eines eigentlich unwiderruflichen Todes aufgefasst werden, auch nicht als martialische Opferung des Sohnes durch den auf Satisfaktion bestehenden Vater (…). Vielmehr kann Jesu Auferstehung als Artikulation eines Glaubens daran verstanden werden, dass sein Heilen und Predigen ein Geschehen sei, welches mit diesem Tod am Kreuz gerade nicht endet;“ (S. 116).

Als praktischer Aspekt des Glaubens ist nun das Beten zu besprechen. Hierbei geht es insbesondere um die Anrede bzw. den Adressaten des Gebets: „Wenn sogar für das Gebet als Bitte gezeigt werden kann, dass es keinen Gott als Quasi-Person reaktivieren muss, sind dem Theismus in all seinen Schattierungen die besten Gründe genommen.“ (S. 120) Gebete bekommen so etwas Unerhörtes. Die Wirklichkeit der Adresse bleibt unverfügbar und ist doch gerade deshalb gewünscht.

Dazu schiebt von Sass nun einen „Exkurs“ ein. Wieder wird die Beziehung zu Gott zu einer Beziehung in Gott. Dass religiöse Traktate nicht nur schon früher mit einem Gebet begannen, sondern auch schlicht als Gebet formuliert waren, wäre als bekannt vorauszusetzen, um nur an Karl Barths Anselmzitat zu denken. Ist also der von Sass entwickelte theologische Atheismus nichts anderes als dialektische Theologie? (d. Rezensent)

Im letzten Abschnitt geht es um Hoffnungsaspekte des Glaubens. Von Sass warnt davor, in den Ereignissen des Hoffnungsglaubens „die Haltepunkte eines geschichtstheologischen Fahrplans in Richtung Zukunft zu sehen“ (S. 139). Vom atheistischen Glauben her, ist nicht Gott, sondern der Glaube selbst der Dreh- und Angelpunkt, was zu einer präsentischen Eschatologie führt: „Man steht von den ›Toten‹ auf, indem man (wieder) zum Glauben findet; und wem dies widerfährt, der hat bereits das »ewige Leben« (so Joh 3,36);…“ (S. 139) Glaube ist demnach nun doch nichts anderes als das Leben für eine bessere Zukunft.

Darauf folgt ein Nachwort bzw. ein Epilog. Er findet einen Ort für die nichtreligiöse Interpretation des Glaubens (ohne diesen Ausdruck zu gebrauchen) in einer Reflexion des Karsamstags.

Obwohl der Essay reichlich Anmerkungen enthält, finde ich doch wenig inhaltliche Referenzen, von dem sinntragenden Ebeling-Zitat am Anfang mal abgesehen. Dorothee Sölle, die den Ausdruck „atheistisch an Gott glauben“ als erste geprägte hat kommt genauso wenig zu Wort (außer in der ersten Anmerkung), wie Jürgen Moltmann, Dietrich Bonhoeffer und andere. Vielleicht ist das auch gut, dass es dem Autor nicht in erster Linie um Referenzen geht, sondern darum, einen eigenen Gedankengang zu entfalten und an einige Beispielen auszuführen. Dafür sollten wir ihm dankbar sein, weil sich von diesen Abschnitten auch neue Gedanken entwickeln lassen. Es ist jedenfalls deutlich geworden, dass dieser atheistische Glaube den Neuen Testament keinesfalls fremd ist, sondern sich von einigen Bibelstellen her direkt entfalten lässt.