Wie das Christentum aus dem Judentum entstand, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2021

Wie das Christentum entstand von Klaus Wengst

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Klaus Wengst: Wie das Christentum entstand, Eine Geschichte mit Brüchen im 1. und 2. Jahrhundert, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2021, gebunden, 351 Seiten, mit Stellenregister, ISBN: 978-3-579-07176-3, Preis: 22,00 Euro (Print)

Ist der Titel wirklich passend?

Zunächst ein Einwand: Wie man sieht, habe ich den Titel des Buches in meiner Überschrift um ein kleines Detail erweitert. Mir fehlte die Bemerkung, dass das Christentum aus dem Judentum entstand.

Liest man den Wortlaut nämlich so, wie es auf dem Cover steht, erwartet man eine historische Abhandlung, vielleicht aufgeteilt nach den Hauptorten Jerusalem, Cäsarea, Athen, Korinth und Rom. Warum das offensichtlich so nicht leistbar ist oder war, wird deutlich, wenn man den Bezug zum Judentum hinzunimmt.

Warum es keine historische Abhandlung gibt, und was stattdessen geboten wird.

Dass eine historische Abhandlung lückenhaft wäre, steht außer Frage, aber sie gar nicht erst zu versuchen, enttäuscht die Leserinnen und Leser.

Was finden wir stattdessen? Um sich dieser Frage zu nähern, ist es sinnvoll, sich das Coverbild näher anzusehen. Ganz nebeneinander sitzen zwei lesende Figuren, die beide eine Krone tragen. Die eine links liest aus einer Schriftrolle, die Person rechts aus einem gebundenen Buche, früher Codex genannt.

Covergrafik: Die lesenden Geschwister

Die sind im Miteinander-Lesen verbunden, die Bücher jedoch sind verschieden, beziehen sich aber aufeinander. Das Neue Testament kann im Gottesverständnis und in der religiösen Ausrichtung ohne das Alte Testament nicht verstanden werden. Und das Alte Testament findet seine Fortsetzung in Schriften, die darin nicht mehr aufgenommen wurden. Zu diesen jüdischen Schriften zählen Fachleute auch viele Schriften des Neuen Testaments.

Geschichte der frühchristlichen Literatur

Wenn man sich nun also den Inhalt des Buches von Klaus Wengst (geb. 1942, em. Professor für Neues Testament aus Bochum) vor Augen führt, erkennt man eine, wenn auch selektive, Geschichte der neutestamentarischen Literatur. Das Buch verkörpert in meist narrativer Form die Literaturgeschichte des Neuen Testaments, früher meist unter dem Titel „Theologie des Neuen Testaments“ veröffentlicht.

So wie das Buch geschrieben ist, gehört es unbedingt an den Anfang des Theologiestudiums, egal ob für das Pfarramt oder das Lehramt. Ohne fremdsprachliche Anteile ist es auch für interessierte Laien verständlich.

Das Judentum ist die Wurzel, aus der ein neuer Baum wächst. Dieser neue Baum wächst daher aus dem alten heraus und wird unter dem Einfluss griechischer Philosophie zu einer Weltreligion, zum Christentum.

Wenn man diese Frage der Entstehungsgeschichte außer Acht ließe, entstünde ein Eindruck von der Einbindung des Christentums wie des Judentums in die antike, römisch dominierte Welt.

Am Anfang steht ein Verrat

Vielleicht ist es sogar die Geschichte eines Verrats. Denn nach dem ersten und erst recht dem zweiten jüdischen Krieg war die Ausübung der jüdischen Religion reglementiert und eingeschränkt. In dieser Situation rückt das Christentums endgültig von der jüdischen Mutter ab, um nicht ebenfalls unter die betreffenden Religionsgesetze zu fallen. Dass die Tempelsteuer nun vom römischen Staat erhoben wurde und ganz anderen Zwecken galt als vorher, wird eventuell mit dem Wort Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist…“ unterstützt.

Mit dem Judentum an Jesus Christus glauben, nicht dagegen

Das Christentum wird später im römischen Reich trotzdem verfolgt, aber nicht, weil es ein Teil des Judentums ist. Die Texte des Neuen Testaments passen zu den entsprechenden Religionsperioden und lassen Rückschlüsse der Entstehung des Christentums aus dem Judentum zu. Um diese Perspektive zu eröffnen und zu verstärken, hat Klaus Wengst einen wichtigen Beitrag geleistet.

Raffael 2021 in Hamburg, Videorezension, Christoph Fleischer, Fröndenberg 2021

Die Ausstellung Raffael endet morgen. Hier zur Finissage eine Rezension:

 

 

 

 

Siegfried Niehaus, -Die Aplerbecker-Mark- wie sie wurde, was sie ist, hrsg. von Christoph Fleischer, Dortmund 1994

Es ist also in der Tat ein Artikel aus dem Jahr 1994, den ich hier im Jahr 2021 dokumentiere. Nach meiner Kenntnis ist die Aplerbecker Mark als Ortsteil noch weiter gewachsen als damals, aber in den Grundstrukturen doch gleich geblieben. Die alte Bebauung, um die es im Artikel geht, ist in der neuen Mark enthalten, wie die Hefe im Kuchen. Die alte Mark ist in der Kleinen Schwerter Straße genauso enthalten, wie in der Knyphausenstraße. Manche Straßen sind natürlich komplett neu in einem Wohngebiet in der modernen Bebauung der Siebziger Jahre und danach. In Baulücken oder aus Wiesen sind immer wieder kleine Baugebiete hingekommen.

Der Vortrag von Siegfried Niehaus wurde im Jahr 1986 und von mir als Tonbandmitschnitt abgetippt und redaktionell bearbeitet.  Das daraus entstandene bebilderte Heft habe ich jetzt einfach gescannt.

später folgt hier eine PDF-Datei

Beispiel aus der Ausstellung Shares History, Pressearbeit und Aufsatz, Fröndenberg 2021

Ernst Gräfenbergs Kampagne für die Rechte der Frau

Jul 8, 2021, von Prof. Atina Grossmann | The Cooper Union

Genehmigung durch: Margarete Schwind, SCHWINDKOMMUNIKATION, Margarete Schwind und Sabine Schaub GbR, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Knesebeckstr. 96, 10623 Berlin

Die Beispiele des Gräfenberg-Pessars aus der virtuellen Ausstellung Shared History Project, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Die „Erfindung“ des Intrauterinpessars von Dr. Ernst Gräfenberg ist Teil einer transnationalen – konkret: einer gemeinsamen deutsch-jüdisch-amerikanischen – Geschichte von Sexualreform und Bevölkerungspolitik. Die Bewegung war geprägt vom einem breiten„Konsens über Mutterschaft und Eugenik“ der gesunde Mutterschaft und Fortpflanzung forderte – und jeweils in unterschiedlich radikaler Form – die Legalisierung von Homosexualität und Abtreibung und für das Recht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung über ihren Zugang zu sicheren Verhütungsmethoden eintrat.

Ernst Gräfenberg wurde 1881 geboren; seine jüdische Familie lebte in Adelebsen, einer kleinen Stadt nahe Göttingen. Sein Vater besaß einen Eisenwarenhandel und war Vorsteher der jüdischen Gemeinde. Ernst Gräfenberg studierte Medizin in Göttingen und München, ursprünglich mit der fachärztlichen Ausrichtung der Augenheilkunde, und schloss im Jahr 1910 seine Ausbildung in Geburtskunde und Gynäkologie in Kiel ab. Seine gerade erst begonnene Laufbahn als Arzt und Wissenschaftler in Berlin wurde unterbrochen, als er im Ersten Weltkrieg als Sanitäter diente.

Nach seiner Rückkehr aus dem Krieg ließ sich Gräfenberg mit einer Praxis auf dem Kurfürstendamm mitten im belebten Berliner Geschäftszentrum Charlottenburg nieder, die bald florierte. Der Bezirk stand wie kein anderer für die experimentell-modernistische und jüdisch geprägte urbane Kultur der Weimarer Republik. Parallel übernahm er wie viele seiner jüdischen Kollegen einen Posten im umfassenden kommunalen Gesundheitssystem der Stadt, das von Ideen des Sozialismus bzw. Kommunismus geprägt war, und arbeitete als Chefarzt der Gynäkologie im städtischen Krankenhaus des Arbeitervororts Britz.

Im Jahr 1932, kurz vor ihrer Entlassung im Rahmen der von den Nazis betriebenen „Gleichschaltung“, waren in einer Stadt mit einem jüdischen Bevölkerungsanteil von 4 % weit mehr als die Hälfte der 6.785 Ärztinnen und Ärzte an den städtischen Krankenhäusern Berlins Jüdinnen und Juden. Ab 1933 durften jüdische Ärztinnen und Ärzte, davon mindestens 270 von 722 Ärztinnen in Berlin, nicht mehr in den öffentlichen, Kassenpatienten offenstehenden Ambulatorien praktizieren.

Ein im Jahr 2016 in Haaretz erschienener Beitrag feierte Gräfenberg wegen seiner anderen (nach seinem Tod erkannten) Errungenschaft als den „Arzt, der den G-Punkt entdeckte, falls es diesen gibt“ und beschrieb ihn als Mann, „der seiner Zeit voraus war.“ Tatsächlich war er aber auch und gerade ein Mensch seiner Zeit. Sexualwissenschaftler, Ärzte, Sozialarbeiter und Politiker der Weimarer Republik beklagten den „Graben zwischen den Geschlechtern“, der sich im Ersten Weltkrieg aufgetan hatte, ebenso wie die offensichtlich unter den „neuen Frauen“ der 1920er Jahre verbreitete Verachtung für Ehe und Mutterschaft. Frauen hatten das Wahlrecht erhalten und einen gewissen Grad an wirtschaftlicher Unabhängigkeit erreicht – die Folge der neuen rationalisierten Wirtschaft, in der Angestellte und Fließbandarbeiter gebraucht wurden. Ebenso eröffneten sich den Frauen neue berufliche Chancen unter anderem in Medizin, Sozialarbeit, im Journalismus, in der Fotografie und sogar in der Rechtspflege. In seiner wissenschaftlichen Forschung befasste sich Gräfenberg mit der weiblichen Sexualität und dort besonders mit dem so schwer zu erreichbaren vaginalen Orgasmus, dem in dieser Zeit seit neuestem große Bedeutung als zentraler Aspekt harmonischer heterosexueller Beziehungen zugeschrieben wurde. Dieser, so die Annahme, hing vom Zugang der Frauen zu sicheren und verlässlichen Verhütungsmethoden ab.

Im Jahr 1928 organisierte das neu gegründete Deutsche Komitee für Geburtenregelung in Zusammenarbeit mit dem Verband Berliner Krankenkassen das erste Ärzteseminar zum Thema Geburtenregelung im Berliner Virchow-Krankenhaus. Die meisten der ungefähr 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren Mitglieder des Vereins sozialistischer Ärzte und/oder des Bundes deutscher Ärztinnen; viele von ihnen kamen aus jüdischen Familien.

In seinem Vortrag fasste Gräfenberg seine seit fast zehn Jahren betriebene experimentelle Forschung an Intrauterinpessaren (IUP) zusammen; diese waren erstmals von den deutschen Ärzten Richard Richter (1909) veröffentlicht und Walter Pust (1923) entwickelt worden. Gräfenberg hatte das IUP weiterentwickelt als einen Ring mit Seidenfäden, mit dem Spermien abgewehrt wurden. Das Gerät stellte eine „elegante“ medizintechnische Lösung dar, so formulierte er es, die Frauen vor häufigen Schwangerschaften und der Gefahr einer Sepsis oder einer möglichen Unfruchtbarkeit bewahrte, die mit einer illegalen Abtreibung verbunden war. Gräfenberg pries den Ring als besonders hilfreich für Frauen des Proletariats an, die unter Umständen wegen schlechter hygienischer Bedingungen, des Unwillens ihrer männlichen Partner und allgemeiner „Unkenntnis“ nicht in der Lage waren, ein Diaphragma (oder Pessar) richtig und regelmäßig zu verwenden. Sein Publikum begegnete dem Vortrag mit großer Skepsis, so dass der „Gräfenberg-Ring“ weiterhin wegen der weitverbreiteten Zweifel an seiner Sicherheit und Zuverlässigkeit umstritten blieb. Während die Ärzte das IUP in ihr Angebot an Verhütungsmitteln aufnahmen, wurden in den Ehe- und Sexualberatungsstellen für Frauen der Arbeiterklasse weiterhin den weniger invasiven und von den Frauen selbst eingesetzten Verhütungsmitteln der Vorzug gegeben, wobei allerdings regelmäßig darauf hingewiesen wurde, wie wichtig medizinische Anleitung und Kontrolle seien.

Davon unbeeindruckt präsentierte der Sexualwissenschaftler 1929 sein IUP auf dem Londoner Kongress der Weltliga für Sexualreform. Diese internationale Vereinigung, die Wilhelm Reich, Alexandra Kollontai und Bertrand Russell wie auch Aktivistinnen und Aktivisten aus Indien und Japan zu ihren Unterstützern zählte, trat für sexuelle Freiheit, die Rechte von Homosexuellen und die Legalisierung von Abtreibungen ein. Inspiriert war die Liga in ihrer Haltung von der frühen bolschewistischen Revolution und dem Leitsatz des von Magnus Hirschfeld gegründeten Instituts für Sexualwissenschaft in Berlin: Per Scientiam ad Iustitiam.

Im gleichen Jahr hielt Gräfenberg einen Vortrag auf der Internationalen Konferenz für Geburtenregelung in Zürich. Margaret Sanger, der Vorkämpferin der Verhütung in den Vereinigten Staaten, war es gelungen, Vertreter und Vertreterinnen einer auffallend großen Vielfalt von Gruppierungen und politischen Haltungen als Teilnehmende der Konferenz zu gewinnen. Anwesend waren überzeugte Kommunisten und Kommunistinnen und Mitglieder des Bundes deutscher Ärztinnen, sowie Dr. Hans Lehfeldt und Dr. Felix Theilhaber, beides Kollegen von Gräfenberg, die in den von Laienorganisationen der Sexualreformbewegung getragenen Beratungsstellen tätig waren. Auch Dr. Charlotte Wolff, die in einem Ambulatorium der Schwangerenfürsorge des Verbandes Berliner Krankenkassen arbeitete, nahm teil, wie auch Eugeniker, die zum Teil von der Rockefeller-Stiftung unterstützt wurden.

Auf der Züricher Konferenz mit ihren medizinischen Vorträgen – aber auch gemeinsamen Abendessen, Tänzen und Ausflügen in die Berge der friedlichen Schweiz – wurden Verbindungen geknüpft und intensiviert, die sich nur wenige Jahre später als lebensrettend herausstellen sollten, als viele der Teilnehmenden, darunter auch Hans Lehfeldt, Felix Theilhaber und Charlotte Wolff, aus Deutschland flüchten mussten. Eine weitere Folge dieser Konferenz waren globale Kooperationen nach dem Krieg und die Entstehung der International Planned Parenthood Federation. Kurze Zeit später organisierte die Weltliga für Sexualreform einen von radikaleren Positionen gekennzeichneten Kongress in Wien mit der Unterstützung des sozialistisch regierten Rathauses der Stadt. Es kann angenommen werden, dass in dessen Ausstellung von Verhütungsmitteln auch Gräfenbergs neuer Ring gezeigt wurde.

 

Raffael (1483 – 1520), Hinweis 2, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021

Zur weiteren Vorarbeit zum Ausstellungsbesuch in Hamburg habe ich mir etwas Lesestoff unter medimops.de besorgt, u. a. auch ein gut erhaltene Buch aus dem Jahr 1983:

Konrad Oberhuber: Polarität und Synthese in Raphaels ‚Schule von Athen‘, Urachhaus Verlag, Stuttgart 1983, broschiert, 128 Seiten im Großformat, Glanzpapier, 77 Abbildungen, zumeist Schwarz-Weiß, wenige in Farbe, ISBN: 3878383797, Preis: antiquarisch zu erwerben.

Ich beginne mit einem Zitat:

„Noch in den wenige Jahre früher entstandenen Fresken mit den Darstellungen der freien Künste im Appartamento Borgia im Vatikan, die, wie wir noch sehen werden, sicher eine der Voraussetzungen für Raphaels Werk waren, können wir außer durch Bücher, Aufschriften und Attribute die einzelnen Philosophen, Wissenschaftler, Gelehrten oder Künstler nicht voneinander unterscheiden. Auch bei Raphael bieten im Fresko (d. i. „Die Schule von Athen“, der Rez.) Aufschriften und sonstige Attribute wesentliche Hinweise, aber die einzelnen Gestalten sind zum lebendigen Ausdruck ihrer Gedanken geworden, ihre Handlungen kennzeichnen sie auch ohne Bücher als Menschen, deren Leben in der denkenden und einfühlenden Auseinandersetzung mit der Welt und ihren Problemen besteht. Dieses vollkommene Durchdrungensein von der eigenen Idee gibt den Gestalten die Freiheit, die wesentlich zum polyphonen Reichtum der großen Symphonie der Komposition beiträgt. Es ist dies die neugewonnene Freiheit und Individualität des Menschen der Renaissance, der sich in den freien Menschen der Antike wiedererkannte.“ (Ds. S 39)

Die Arbeit von Konrad Oberhuber ist zeitlos aktuell. In der eher unbedeutenden Industrie- und Wirtschaftsmetropole Mailand findet sich neben dem „Abendmahl“ von Leonardo da Vinci kaum ein bedeutendes Werk der frühen Neuzeit. Eine Ausnahme ist da der sogenannte „Karton“, eine gigantische Vorzeichnung für das og. Fresko.

Der Karton „misst 2745 = 7950 mm und ist aus etwa 210 Papierstücken zusammengesetzt“. Diese Vorlage des Freskos ist schmaler als das Originalfresko, da sie auf die Figuren fokussiert, die sich insgesamt im Mittelteil des (gemalten) Gebäudes befinden. Gebäudeskizzen sind zwar auch enthalten, aber nicht als geschlossene Abbildung.

Die Bilder wurden vom Karton mit einer Durchstechmethode auf das Original übertragen, aber auch in einer gewissen Freiheit. Die Vorlage ist nicht immer mit dem Original identisch.

Im gesamten Buch wird das oben beschriebene Ergebnis detailliert dargestellt und dabei immer wieder der Karton mit dem Original und anderen Werken verglichen. Dazu zählen neben Vorentwürfen auch das zuvor entstandene Fresko, die sogenannte „Disputa“, ein ebenso großes Wandgemälde, das in den vatikanischen Museen der „Schule von Athen“ genau korrespondiert.

Es soll eine theologische Diskussion über das Abendmahl darstellen und zeigt die christliche Religion aufgeteilt in Himmel und Erde.

Mich wundert ja immer, wieso die Diskussionen um Luthers Reformation und gerade der Streit zwischen dem Vatikan und den Fürsten in der Kunst der Renaissance kaum Widerhall findet, doch taucht ganz am Ende der Ausführungen Oberhubers ein Motiv auf, zu dem Luther später Stellung beziehen wird: Im Jahr 1512 (gerade 5 Jahre vor der reformatorischen Entdeckung) wird in Rom ein Dogma beschlossen, die „Unsterblichkeit der Seele“, basierend auf der platonischen Philosophie.

Während bei Raffael noch Platonismus und Aristotelismus zur Einheit zu finden scheint, überwiegen in der damaligen Gegenwart die Gegensätze. Der Aristoteliker Pomponazzi „Über die Unsterblichkeit der Seele“, widerlegte die päpstliche Doktrin, und zeigte so schon den Weg in die Neuzeit auf in ihrer „Herauslösung aus dem einheitlichen religiösen Weltbild des Mittelalters.“ (S. 114).

Hier tritt nach Rudolf Oberhuber Rudolf Steiner auf den Plan und erinnert an eine die Vielzahl einzelner Bestrebungen vereinende philosophische Debatte, wobei Steiner m. W. einen interreligiösen Dialog verfolgt, der auch den Buddhismus und den Hinduismus einbezieht und damit die Debatte eher weitet als neu christlich verengt.

Implizit wird hier also schon der Blick auf die Wirkungsgeschichte Raffaels frei, obwohl es ja zunächst um die Entstehung gehen sollte. Aber diese Entstehung war eben nicht nur die Meisterleistung eines künstlerischen Genies, sondern auch eine gute inhaltliche-philosophische Zeitansage. Im Gegensatz zur „Disputa“ ist der Himmel in der „Schule von Athen“ offen, soweit man es aus dem Gebäude heraus sehen kann. Hier ist eine lebendige Diskussion im Gang, in der dogmatische Festlegungen kaum nützlich zu sein scheinen. Aber ob dieser Hinweis von Papst Julius dem II. und Leo X., seinem Nachfolger, verstanden wurde, müssen wir nicht beurteilen.