Gerd Kracht, Mitarbeiter der Homepage www.der-schwache-glaube.de, ist am 15. Mai 2015 an einem Herzinfarkt im Alter von 62 Jahren plötzlich gestorben. Im Jahr 2004 sind wir uns im Kreis der Studierendenpfarrer wiederbegegnet, wobei mir das „wieder“ dieser Begegnung gar nicht so bewusst war wie ihm. Immerhin konnten wir an gemeinsame Erinnerungen an die Studienzeit in Münster anknüpfen, wo er, der ältere von uns beiden, bei der KSG und ich bei der ESG tätig war. Sein letzter Beitrag über das Buch „Jeder Mensch ist ein Mystiker, Impulse von seelischer Ganzwerdung“ von Abraham H. Maslow hat irgendwie schon mit der Zeit in Münster zu tun, da der Herausgeber und Mitverleger des Peter Hammer Verlages, Erhard Doubrava auch in Münster war (http://www.der-schwache-glaube.de/?p=2898). Gerd schrieb mir in einer Email: „Ich erinnere mich an ein Erlebnis, dem Jugendtreffen der Taizé Freunde. 15.000 in Notre Dame mit Frère Roger. Eigentlich waren wir schon immer Mystiker, besonders wissen wir das, wenn wir diese Ereignisse ins Bewusstsein zurückholen.“ Ich selbst habe Frère Roger in meinem ersten Semester in Münster erlebt. „Gerd Kracht, Nachruf, mit zehn Worten von Angelus Silesius, Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen
Kategorie: Aufsatz
Der „Fall“ Heidegger, zweiter Kommentar, Das „geistige“ Programm Heideggers und seine Verwicklung in den Nationalsozialismus, Christoph Fleischer, Welver 2015
Was wiegt mehr, antisemitische Gedanken in den „schwarzen Heften“, Tagebuchnotizen Martin Heideggers aus der Zeit um 1942, oder bereinigte Manuskripte, herausgegeben im Band „Holzwege“ 1950 kurz vor dem Ende des Lehrverbots mit dem Eintritt in die Pensionierung (Informationen dazu: Sidonie Kellerer: Heideggers verbogene Wahrheiten und die „schwarzen Hefte“, Philosophiemagazin Sonderausgabe 03, S. 71)? Differenziertere Urteile bezogen auf biografische Daten Heideggers wären da schon interessanter.
Was wiegt mehr, der Kontaktabbruch zu seinem Lehrer Edmund Husserl, wie Heidegger selbst wohnhaft in Freiburg und das Löschen der Widmung in Heideggers Werk „Sein und Zeit“ einerseits oder der Rücktritt vom Rektorat 1934 schon nach einem Jahr andererseits? Was wiegt mehr, die Parteimitgliedschaft Heideggers in der NSDAP bis 1945 einerseits und Beginn der Vorlesungen ohne Hitlergruß andererseits?
Die Beobachtungen von Jacques Taminiaux, Übersetzer Heideggers ins Französische scheinen weiterführender. Er sagt in Bezug auf Heideggers Fundamentalontologie in „Sein und Zeit“: „Die Blindheit bestand nicht nur in der Übertragung dessen, was in der Fundamentalontologie auf das einzelne Seiende begrenzt war, auf das Dasein eines Volkes.“ (Ebd. S. 67) Die Frage, wie eine solche Übertragung überhaupt möglich wäre, sollte beantwortet werden. War „Sein und Zeit“ mit seinem Fokus auf das Existenzielle nicht gerade die Immunisierung gegen jede erneute Metaphysik? Jacques Derrida hat in seinem Buch „Vom Geist, Heidegger und die Frage“ die Entwicklung der Lehre Heideggers ein wenig unter die Lupe genommen, was im Weiteren noch zur Sprache kommen wird. Vorab schon einmal ein Zitat zum Zusammenhang von Metaphysik, Nationalsozialismus und „Geist“: „Man kann nicht einfach sagen, dass Heidegger in der Rektoratsrede ein Risiko eingeht. Wenn deren Programm diabolische Züge annimmt, so deshalb, weil es – nichts dabei ist dem Zufall zuzuschreiben – das Schlimmste in sich vereint, kapitalisiert, zwei Übel zugleich: es bürgt für den Nazismus und enthält einen Gestus, der noch ein metaphysischer Gestus ist. … die Metaphysik kehrt stets zurück, wie ein Gespenst, wie ein wiederkehrender Geist…“ (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 995, Suhrkamp Verlag Frankfurt/Main 1992, S. 50) „Der „Fall“ Heidegger, zweiter Kommentar, Das „geistige“ Programm Heideggers und seine Verwicklung in den Nationalsozialismus, Christoph Fleischer, Welver 2015“ weiterlesen
Der „Fall“ Heidegger, erster Kommentar, Fragen, Markus Chmielorz, Dortmund 2015
Auf Wittgenstein geht der Satz zurück: „Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ (Ludwig Wittgenstein: Tractatus logico-philosophicus. URL: http://tractatus-online.appspot.com/Tractatus/jonathan/D.html – abgerufen am 23.05.2015)
Die Schriftstellerin Sabine Scho hat einmal darauf geantwortet: „Ich zähle noch an den Blessuren.“ (Sabine Scho, ohne Titel, in: Katalog Zeta-Ausbildungsgruppe, hg. v. L. Kossolapow, Münster/Lengerich 1995, S. 76)
1945 lag Deutschland in Schutt und Asche, nicht nur buchstäblich. Noch heute zählen Menschen an dem, was während der nationalsozialistischen Diktatur der Fall war: Dass Menschen Menschen, nur weil sie Jüdinnen und Juden, Kommunist_innen, Sozialdemokrat_innen, Zeugen Jehovas, Lesben oder Schwule waren, aus der Gesellschaft ausgeschlossen, an den Rand gedrängt, verfolgt und umgebracht haben.
Heideggers „Schwarze Hefte“ also. Eine aktuelle Debatte, nicht zufällig 70 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft, die Grund genug ist für eine Selbstreflexion. Ein Anlass zu erhellen, worauf die Diskussion zielt und worauf sie sich begründet.
Meine Beschäftigung mit Heidegger geht zurück auf Vattimo und den „schwachen Glauben“. Worauf also sich berufen, wenn es darum geht, nach Religionskritik und Aufklärung gute Gründe für einen post-metaphysischen Glauben zu finden. Der erste Gedanke: Worauf ließe sich ein „schwacher Glaube“ alternativ begründen, wenn nicht auf Heidegger? Doch langsam, denn es wollen die vielen Stränge der Erzählung vom „schwachen Glauben“ einzeln aufgenommen werden.
An einem Sonntagmorgen sendet der Deutschlandfunk einen katholischen Gottesdienst: „Ich glaube an Gott, den Vater, den allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde …“ Wie ist das möglich, diese Sätze heute auszusprechen und vernunftbegabt gute Gründe dafür zu finden?
Ich gebe Auskunft darüber, wozu es gut ist, dass kenosis (Leerwerden, Entäußerung) für mich im Hinblick auf postmetaphysische Religion so bedeutsam ist. und weshalb ich anstelle dieses Glaubensbekenntnisses eine Zeichenfolge [ ] ins Spiel gebracht habe, als einen Hinweis auf einen unbegrifflichen Zwischen-Raum des Nicht-Kontingenten und Un-verfügbaren.
Ist also dieses Glaubensbekenntnis nur etwas für Narren? Für die Toren unter uns, die noch an die Allmacht Gottes glauben angesichts der Schrecken? Oder: Wenn denn des Narren Mund Wahrheit kundtun würde, welche Wahrheit genau wäre das dann?
Wie also geht postmetaphysisches Denken? Vattimo hat Heidegger befragt (der hat Nietzsche befragt), Derrida hat ebenfalls Heidegger befragt: eine Frage der geistigen Väter also, die ebenso eine Frage der Religionen ist. Ein Blick zurück in die Geschichte der Religionsphilosophie, um eine Antwort darauf zu finden, wem die Elternschaft für den „schwachen Glauben“ zugeschrieben werden kann. Wie genau lassen sich die Bedingungen der Möglichkeit des „schwachen Glaubens“ erzählen? Die Bedingungen der Möglichkeit einer postmetaphysischen Religion, die sich auf die Schriften beruft, die von Jesus Christus erzählen? Die Bedingungen der Möglichkeit von Erfahrungen, die anders sind, als unsere Alltagserfahrungen? Die Bedingungen der Möglichkeit einer anastasis (Aufstehen, Erwachen), ohne den Tod zu leugnen?
Auch 70 Jahre nach dem Ende der nationalsozialistischen Gewalt, die immer noch eingeschrieben ist in die Körper der Nachfahren, wird mir zu viel über die Täter_innen gesprochen und zu wenig über die Opfer. Das wäre schon so etwas, wie ein Programm:
- Welche alternativen Begründungen postmetaphysischen Denkens sind möglich ohne Heidegger?
- Wie setze ich einen Autor und sein Werk ins Verhältnis? (Argumentieren ad hominem und/oder Michel Foucaults Ansatz des „maskierten Philosophen“.)
- Wie geht Dekonstruktion von Texten, deren Autor Martin Heidegger ist?
- Welche Tiefenstruktur ließe sich herausarbeiten? Und inwieweit affirmiert oder kritisiert diese Tiefenstruktur seinen Antisemitismus?
Walter Benjamin, Biografische Notiz, Markus Chmielorz, Dortmund 2015
Der Faschismus hat Europa mit Gewalt, Mord und Krieg überzogen. Menschen haben Nachbar_innen, Freund_innen, Kolleg_innen denunziert, verraten, ausgeliefert – weil sie Jüd_innen waren oder Kommunist_innen, weil sie Lesben und Schwule waren oder psychisch krank.
Foto: Coll de Rumpisó, Blick nach Portbou (c) Markus Chmielorz 2015
In Portbou, dem kleinen katalanischen Grenzort zu Frankreich laufen Ende der 1930er und Anfang der 1940er Jahre die Flüchlingsrouten zusammen: Erst in die eine Richtung, nach Norden, auf der Flucht vor dem Franco-Regime, dann in die andere Richtung, nach Süden auf der Flucht vor der Barbarei des Nationalsozialismus.
Am 26. September 1940 stirbt der Philosoph Walter Benjamin in einer Pension in Portbou, ein Selbstmord aufgrund einer Überdosis Morphium oder doch Mord, bleibt heute ungeklärt. Er war zuvor mit Lisa Fittko aus dem französischen Banyuls-sur-Mer auf einer alten Route über den Coll de Rumpisó in die Freiheit aufgebrochen. Doch in Spanien angekommen, stellte sich sein Transitvisum als nutzlos heraus. Benjamin konnte nicht weiter durch Spanien nach Portugal reisen, um von dort in die USA zu gelangen, noch konnte er zurück nach Frankreich.
„Methode dieser Arbeit: literarische Montage. Ich habe nichts zu sagen. Nur zu zeigen. ich werde nichts wertvolles entwenden und mir keine geistvollen Formulierungen aneignen. Aber die Lumpen, den Abfall: die will ich nicht inventarisieren, sondern sie auf die einzig mögliche Weise zu ihrem Rechte kommen lassen: sie verwenden.“ (Walter Benjamin, Passagen-Werk, Suhrkamp, Frankfurt/Main 1982)
Der Erzähler gräbt unter den Füßen und legt die verschütteten Bedeutungen frei. Er hält uns den Spiegel vor, sei er auch noch so brüchig. Sein Passagenwerk, zugleich assoziativ und erzählerisch wie scharf analysierend und kritisch, folgt auch der Spur der „verdrängten ökonomischen Bewusstseinsinhalten eines Kollektivs“ und ist damit heute aktueller denn je.
Walter Benjamin in Portbou mit einer Beschreibung der Ruta Walter Benjamin
https://walterbenjaminportbou.org/en/
Christian Morgensterns Religion, Teil 1, Schloss der Phantasie, Christoph Fleischer, Werl 2014
Am 31.3.2014 jährte sich der 100. Todestag von Christian Morgenstern. Zu diesem Anlass hat der Urachhaus-Verlag die posthum erschienene Biografie von Michael Bauer neu herausgegeben.
Michael Bauer, Christian Morgenstern, Leben und Werk, erschienen im Verlag Urachhaus Stuttgart 1985, Neuausgabe 2014, ISBN 978-3-8251-7893-2
Diese Biografie besteht aus einem auf Michael Bauer zurückgehenden Kerntext und einer von Margareta Morgenstern 1933 hinzugefügten Bearbeitung.
Am 6. Mai 1871 ist Christian Morgenstern in München geboren und starb bereits mit 42 Jahren. Die Lebensdaten lassen sich leicht merken, da das Geburtsjahr 1871 und das Todesjahr 1914 die kriegsfreie Zeit in Deutschland umrahmen. Im Jahr 1892 nahm er in Breslau das Studium der Nationalökonomie auf. Aufgrund persönlicher Verwicklungen und der angegriffenen Gesundheit Morgensterns ließ sich das Studium nicht mit einem Abschluss beenden. Inzwischen hatte er bereits Gedichte und Prosatexte verfasst und begann 1894, in Berlin als Journalist zu arbeiten. „Christian Morgensterns Religion, Teil 1, Schloss der Phantasie, Christoph Fleischer, Werl 2014“ weiterlesen
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