Am 31.3.2014 jährte sich der 100. Todestag von Christian Morgenstern. Zu diesem Anlass hat der Urachhaus-Verlag die posthum erschienene Biografie von Michael Bauer neu herausgegeben.
Michael Bauer, Christian Morgenstern, Leben und Werk, erschienen im Verlag Urachhaus Stuttgart 1985, Neuausgabe 2014, ISBN 978-3-8251-7893-2
Diese Biografie besteht aus einem auf Michael Bauer zurückgehenden Kerntext und einer von Margareta Morgenstern 1933 hinzugefügten Bearbeitung.
Am 6. Mai 1871 ist Christian Morgenstern in München geboren und starb bereits mit 42 Jahren. Die Lebensdaten lassen sich leicht merken, da das Geburtsjahr 1871 und das Todesjahr 1914 die kriegsfreie Zeit in Deutschland umrahmen. Im Jahr 1892 nahm er in Breslau das Studium der Nationalökonomie auf. Aufgrund persönlicher Verwicklungen und der angegriffenen Gesundheit Morgensterns ließ sich das Studium nicht mit einem Abschluss beenden. Inzwischen hatte er bereits Gedichte und Prosatexte verfasst und begann 1894, in Berlin als Journalist zu arbeiten.
1895 schickte er ein Buch an Friedrich Nietzsches Mutter, den Gedichtzyklus „In Phanta´s Schloss“. Sicherlich ist Christian Morgenstern heute eher bekannt durch seine grandiosen Gedichte, die inzwischen von Gerd Fröbe und Lutz Görner vertont worden sind. Auch dass er sich in den letzten Lebensjahren der Anthroposophie zuwandte, ist war damals noch nicht absehbar. Vielmehr verkörpert er den kritisch aufgeklärten Geist der Moderne, die durch die Philosophie Friedrich Nietzsches mehr geprägt war als durch die auf Karl Marx folgenden Klassenkämpfe. Marx und Nietzsche gemeinsam jedoch war die Vision der Erneuerung der Menschheit aus eigener Kraft. Doch hat der (spätere) Satiriker Morgenstern die Utopie der Moderne wirklich bis ins Letzte geteilt? Diese Frage könnte ein Blick auf die erste Veröffentlichung Morgensterns klären helfen.
Das Buch „Christian Morgenstern: In Phanta´s Schloss, Berliner Ausgabe, Erstdruck Berlin 1895, Herausgegeben von Michael Holzinger, Berlin 2013
Schon der Anfang ist ein Paukenschlag: „Längst Gesagtes wieder sagen,/ hab ich endlich gründlich satt. …“ (S. 5) In manchen Versen klingt die Jugendbewegung an, die sich in Liedern wie wie „aus grauer Städte Mauern…“ ausdrückte. Doch der Weg führt nicht in die schlichte Natur der Wälder, sondern in das neue Denken.
Ob die Feuersymbolik der hinter sich zusammenstürzenden Welt in der Vorstellung des Gedichts sich je hätte genauso abspielen sollen, muss wohl bezweifelt werden. Die Natur selbst ist jedoch präsent als Ideengeberin und Offenbarerin. So schreibt Morgenstern vom Sonnenaufgang inspiriert:
„…der breitet die Arme/ nach dir aus,/ dem lösest die Seele du/ in Seufzer/ tiefer Ergriffenheit,/ oh, der betet dich an, wenn beten heißt:/ zu deiner lebenschaffenden Glutenliebe/ ein Ja und Amen jauchzen -/…“.(S. 13)
Der Ausdruck „wenn beten heißt…“ betont die religiöse Bedeutung der Naturerscheinung und wiederholt sich dreimal.
Diese Natur ist ohne Gott. Ihre Mitte ist der Mensch. „Denn Ich, der Mensch,/ bin deine Seele,/ bin dein Herr und Gott,/ wie Ich des ganzen Alls Seele und Gottheit bin./ Mit Mir vergehen/ Namen und Werte.“ (S. 21)
Wie sich die Sonne selbst mit dem Geist des Menschen gleichsetzen ließ, wird jedoch nicht deutlich. Wäre nicht besser vom Leben die Rede?
Gemäß der Lichtsymbolik ist die Nacht, die Dunkelheit der Gegengott. „In der leeren, dröhnenden Halle des Alls/ rauschte der Gott der Finsternis…“ (S. 22f)
Vom Dualismus geprägt steht die Dunkelheit für die Gegenkraft der Natur: „An seiner Seele fraß das Nichts.“ (S. 23)
Gott selbst musste sich als Schöpfer der Macht der Finsternis geschlagen geben: „Tiefer noch zürnte der gramvolle Gott./ Nicht Schöpfer und Herrscher,/ Spielball war er geworden,/ weil er, vom Schmerz bewältigt,/ den heiligen Lebensstoff,/ statt ihn zu formen, zerstört.“ (S. 23)
Das Grundprinzip des Universums, das sowohl mythisch oder unmythisch benannt wird, ist die Liebe. Ihr soll das Hohelied gesungen werden: „Auf allen Sternen ist Liebe!“ (S. 25)
Das Leben jedoch ist davon recht unbeeinflusst, schwingt es doch „Zwischen Weinen und Lachen“ als Pendel der Mond- und Sonnengöttin hin- und her. (S. 27)
Unterdessen ist der Wanderer in den Wald gekommen, um dort „Mutter Erde“ zu begegnen: „Philosophin Mutter Erde/ hat euch klar und schlicht gedacht,/ jeglichem zu Lehr und Acht,/ wie man Teil des Lichtes werde.“ (S. 29)
Zum Schluss begegnet er dem alten Gott mit dem Bart sowie dem jungen Gott Pan, verabschiedet jedoch beide, um die Gottesbilder hinter sich zu lassen: „Ich aber stieg, ein freier, glückseliger Mensch,/ singend wieder empor/ auf meine herrlichen,/ klaren, einsamen Höhen.“ (S. 33)
Die Reise der Phantasie endet am Schreibtisch. Immerhin sind es Vorstellungen, die einigermaßen realistisch sind und an der Naturerfahrung orientiert. Von Nietzsches „Übermensch“ bleibt eigentlich nur die Naturbetrachtung. Gottesbilder sind genauso aufgelöst wie menschliche Größenphantasie.
Zwei Beobachtungen aus der Biographie Christian Bauers ließen sich als Kommentar zum Buch Phanta’s Schloss ergänzen:
Der Kommentar Christian Bauers selbst lautet:
„In ‚Phanta’s Schloss‘ gefällt sich vorläufig noch die mythenbildende Phantasie darin, durch übermütige Vermenschlichungen die Welt in die Heimat des Menschen umzudichten. Die Fremdheit der Dinge, die scheinbare Gleichgültigkeit der Natur gegenüber dem Menschen ist überwunden, wenn ich überall daheim bin.“ (Michael Bauer: Christian Morgenstern, s. o., S. 94)
Ein absolutes Kompliment erhielt Morgenstern von Rainer Maria Rilke, der ihm brieflich mitteilte, das Buch mit großer Begeisterung gelesen zu haben. Rilke übermittelte ihm ein Gedicht, das er selbst in seine Ausgabe hineingeschrieben hat:
„Der Abend bringt ein ‚Ave santa
Maria‘ mit auf seinem Schwung…
Ich las mich in die Dämmerung;
Ein lustig Lieb ist Deine Phanta
Und Ihr seid beide kühn und jung.
Sie führt dich in die blaue Ferne
Und gibt Dir auf den Wolken Rast.
Du Glückskind, wetten will ich fast,
Daß Du die Taschen voller Sterne,
Die Seele voller Jubel hast.
Was stören Dich dann noch die niedern
Gemäuer – Tote Trümmer sinds…
Fühlst auf der Stirn die Hand des Kinds,
Der Phanta, die Dich kränzt mit Liedern,
Du wundersamer Märchenprinz! …
… Und ‚Mütterchen Dämmerung sieht mir mit mildem Lächeln zu“ …
(Michael Bauer: Christian Morgenstern, s. o., S. 96)
(wird fortgesetzt)