Bericht: Dürer war hier. Eine Reise wird Legende, Joachim Leberecht, Aachen 2021

 

18.07.21 – 24.10.21

Suermondt-Ludwig-Museum, Aachen

500 Jahre später – Dürer

 zum Anfassen

190 Exponate

Die Räume sind bordeauxrot, dunkelgrün und dunkelblaugrau gestrichen. Es herrscht geschäftiges Treiben. Überall sind Handwerker, die der Ausstellung den letzten Schliff geben. Die Beleuchtung jedes Bildes wird digital ausgemessen, für die letzten Bilder, die noch aufgehängt werden müssen, werden Striche an die Wand gemalt. „Erst gestern Abend ist der berühmte Hieronymus (1521) von Albrecht Dürer aus Lissabon eingetroffen. In letzter Sekunde. Corona hätte uns beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht, doch der Direktor des Museum Nacional de Arte Antiga aus Lissabon durfte durch diplomatisches Geschick persönlich als Kurier das Bild nach Aachen bringen“, erzählt Peter van den Brink, Direktor und einer der Kuratoren der Ausstellung des Suermondt-Ludwig-Museums in Aachen. Über sieben Jahre lang hat er mit seinem Team die große Dürer-Ausstellung über Dürers niederländische Reise 1520/1521, die ihn auch anlässlich der Krönung Kaiser Karls des V. für drei Wochen nach Aachen führte, vorbereitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen. Neben 20 Kupferstichen Dürers aus dem eigenen Haus werden 170 Leihgaben aus aller Welt, von namhaften Museen ebenso wie aus privaten Sammlungen, ausgestellt.

 

Bildnis der zwanzigjährigen Katharina

Gefragt nach seinem persönlichen Lieblingsbild, führt Peter van den Brink eine kleine Schar Interessierter zu einer auf den ersten Blick eher unscheinbaren Zeichnung Dürers. Es ist ein Porträt der zwanzigjährigen Katharina, eine zarte, rötlichbraun schimmernde Silberstiftzeichnung. Van den Brink ist ganz in seinem Element, er erklärt die Technik der Silberstiftzeichnung, bezeichnet Dürer als großen Künstler – wenn nicht den größten überhaupt –, der es versteht, die Gefühle der Porträtierten durch genaue Wiedergabe der Augen und der Mundpartie darzustellen. Ihn selbst berühre der leicht verschämte und zurückhaltende Ausdruck Katharinas. Darüber hinaus haben wir es hier mit dem ersten Gesichtsporträt einer jungen schwarzen Frau in Europa zu tun. Dürer lernte die junge Frau in Antwerpen kennen, wo er während seiner Reise mit seiner Frau Agnes wohnte. In die Kunstgeschichte ist das Bild unter dem Titel: „Die Mohrin“ eingegangen.

Foto: Bildnis Katharina

 

Das „schreib püchle“

Foto: schreib püchle

Grundlage für die Ausstellungskonzeption ist das „schreib püchle“, das der geschäftstüchtige Albrecht Dürer während seiner Reise in die Niederlande und ins Rheinland mit sich führte. Glücklicherweise sind neben akribisch aufgeführten Ausgaben und Einnahmen durch den Verkauf von Zeichnungen auch Treffen mit anderen Künstlern und Auftraggebern, Freunden und Personen des öffentlichen Lebens verzeichnet. Es ist im eigentlichen Sinn kein Reisetagebuch – die Ausstellungsmacher sprechen lieber von einem Rechnungsbuch – aber es ist bis heute eine Fundgrube für die Dürerforschung. Das Original ist bis auf eine Seite verloren gegangen, doch gibt es zwei Abschriften aus dem 16. Jahrhundert, die erhalten geblieben sind. Eine Abschrift aus dem Jahr 1550 befindet sich im Nürnberger Dürer-Archiv. Einige Seiten dieser Abschrift sind als digitale Version mit Übersetzung ins heutige Deutsch und Englisch in der Ausstellung aufbereitet worden. Insgesamt wäre eine stärkere multimediale Aufarbeitung und Vermittlung der Exponate wünschenswert: Besonders fehlt ein Audioguide als „Sehhilfe“, da doch vielen Besucherinnen und Besuchern die Bildsprache des 16. Jahrhunderts fremd sein dürfte. Peter van den Brink als ausgewiesener Kenner der Kunst des 16. Jahrhunderts hätte hier mit seinem Team noch mehr „Übersetzungsarbeit“ leisten können. Das Begleitheft zur Ausstellung enthält zwar detaillierte Einführungen zu allen Bildern, umfasst jedoch 170. Seiten und ist damit schlicht eine Überforderung für den Museumsgast.

 

Dürer und Erasmus von Rotterdam

Während seiner Reise traf Dürer den humanistischen Theologen Erasmus von Rotterdam und porträtierte ihn. Erasmus soll auf das Porträt erpicht gewesen sein – so van den Brink – doch zu seinem Unwillen hat er es nie ausgearbeitet aus Dürers´-Werkstatt zurückerhalten. Der Einfluss Erasmus und der sich ausbreitende Humanismus auf Dürer wird in der Ausstellung gut in Szene gesetzt. Dürers bekanntem Kupferstich Hieronymus im Gehäus (1514) hängt sein epochales Bild Derhl. Hieronymus im Studierzimmer (1521) gegenüber. Gleichzeitig zeigt die Ausstellung weitere Hieronymus-Bilder von niederländischen Künstlern, die sich von Dürers´ Hieronymusdarstellung inspirieren ließen. Dürers Bild, während seiner Reise in Antwerpen gemalt, zeigt Hieronymus im Halbporträt mit der Konzentration auf Gesicht und eine auf einen Totenschädel weisende linke Hand. Dieses biblisch-humanistische Memento-Mori (Ps 90,12) ist auf den Eintrittskarten und den Ausstellungsplakaten in Ausschnitten zu sehen.

Foto: dürer karl V. aachen

 

Dürer und Luther

Peter van den Brink weist darauf hin, dass in Dürers Rechnungsbuch die „Lutherklage“ enthalten war, wohl als Interpolation von Jacobus Probst, Präses eines kleinen Augustinerkonvents in Antwerpen, wie es Jeroen Stumpel in seinem Essay „Luther in Dürers Tagebuch“ nachzuweisen versucht (Ausstellungskatalog: Dürer war hier S. 121ff).

Albrecht Dürer wollte Luther persönlich aufsuchen, um einen Kupferstich von ihm zu machen. Dazu ist es vor seiner Abreise in die Niederlande 1520 nicht gekommen. In einem Brief an Spalatin schrieb Dürer über seine Wertschätzung Luthers: „Vnd hilf mir got, das jch zw doctor martinus luther kum, …., der mir aws grossen engsten geholfen hat.“ (nach Stumpel a.a.O. S. 125)

Dürer hat sich sehr für Luther und die Reformation interessiert. Er selbst war im Besitz mehrerer Schriften Luthers. Luthers Haltung zur Passion und sein „Sermon von der Betrachtung der heiligen Leiden Christi“(1519) waren ihm vertraut. (Siehe auch Dana E. Cowen in: Ausstellungskatalog, S.371ff)

Wie schon das Heironymusbild (1521) zeigt, führt der geistige Einfluss der Reformbewegungen zu einer neuen künstlerischen Produktivität mit traditionellen Bildmotiven. Da lässt sich besonders eindrucksvoll an den ausgestellten Zeichnungen Die Kreuzigung Christi 1521 und der „Querformatigen Passion“ ablesen.

 

Foto: Auschnitt aus Die Kreuzigung Christi (1521)

 

Der dicke Dürer

Die Kuratorinnen und Kuratoren nennen den Ausstellungskatalog liebevoll den „dicken Dürer“. Bei 680 Seiten und einem Gewicht von 4,5 kg wird da niemand widersprechen. Ursprünglich sollte der Katalog auf 500 Seiten begrenzt sein, doch Dank der Verschiebung der Ausstellung wegen der Pandemie und der daraus folgenden intensiven Homeoffice Arbeit – wie Peter van den Brink als Herausgeber humorvoll zum Besten gibt – wurde umso gründlicher am Ausstellungskatalog gearbeitet. 26 Essays namhafter Dürerkennerrinnen und -kenner führen in das Werk Dürers ein und machen dem in ausgezeichneter Bildqualität im Michael Imhof Verlag erschienenen Werk: „Dürer war hier“ und besonders dem Untertitel: „Eine Reise wird Legende“ alle Ehre.

Foto: Ausstellungskatalog

Joachim Leberecht (Text und Fotos)

Anmerkungen:

1  Jeroen Stumpel: Luther in Dürers Tagebuch,

in: Dürer war hier. Eine Reise wird Legende, Ausstellungskatalog, (Hg) Peter van den Brink, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2021, S.121ff

2  zitiert nach, siehe Anmerkung 1, S. 125

Welche Zukunft steht uns bevor? Rezension, Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu:

Corinna Griesbach: Das Prinzip der Mittelmäßigkeit, Science-Fiction-Roman, AndroSF 63, Verlag: p.machinery, Murnau 2017, Softcover, 257 Seiten, ISBN: 978-3-95765-094-8, Preis: 11,90 Euro (print)

Die Herausgeberin der Literaturzeitschrift „Haller“ aus Monschau Corinna Griesbach hat ihren ersten Roman veröffentlicht.

Zunächst: Die Lektüre des Buches hat mir keine schlüssige Erzählung vermittelt. So wird das Buch mit zwei Zeitungsmeldungen eingeleitet, indem Mütter mit und ohne Suizid ihre Kinder umbringen, wohl um die Frage anzudeuten, dass es vielleicht Gründe gibt, in dieser unserer Welt nicht mehr leben zu wollen. Dass dann auf der nächsten Seite berichtet wird, in einer Stadt stehe nach einer Hochwasser-Katastrophe meterhoher Schlamm und in Australien hätten Buschbrände ganze Städte beseitigt, hat mich dann schon nicht gewundert. Gewundert hat mich eher, dass man dann doch auf Überlebende trifft. Es gibt also ein Leben nach der Katastrophe. Und das ist die Zukunft. „Welche Zukunft steht uns bevor? Rezension, Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen