Manipulation statt Schicksal? Recherche mit einem Artikel von Lars Jaeger, Christoph Fleischer, Welver 2019

In der Rubrik „Horizonte“ des Philosophie-Magazins 03/2019 reflektiert der emeritierte Schriftsteller und Rechtsphilosoph Bernhard Schlink den „Abschied vom Schicksal“. Das Verschwinden des „Schicksals“ sei ein schleichender Prozess, der sich schon früh in die Entwicklung moderner Naturwissenschaft und ihrer Anwendung in Medizin und Technik eingewoben hat. Gerade die Medizin hat es ja geradezu zur Aufgabe gemacht, die „Macht des Schicksals“ zu überwinden. Die Menschen wollen heute nicht mehr vom Tod überrascht werden, sondern können sich damit abfinden, wenn sie mit einem „Sanften Tod“ rechnen dürfen. Für die Kirchen scheint der Rückzug des Schicksals ein besonderes Problem zu sein, so Bernhard Schlink, da sie das Wirken Gottes hinter der Unverfügbarkeit der Natur vermuten. Je berechenbarer die Natur, umso weniger wirkt dann Gott, jedenfalls in der Form einer Schicksalsgöttin.

Passend ist dann natürlich auch das Fazit: „Wir nehmen Abschied vom Schicksal, und sein Erbe sind nicht Ängste und Gottesglauben und Tabus. Das Erbe des Schicksals ist Freiheit. Die Freiheit, in die das Schicksal entlässt, muss verantwortet werden, und sie kann mehr verantwortet werden, als sie gegenwärtig wird, vom Beginn des Lebens bis zum Ende, von der Reproduktionsmedizin bis zum selbstbestimmten Tod.“ (PhM 3/19, S. 37).

Das hier von der Theologie ein Veto erklingen muss ist, klar, aber es sollte nicht gegen Freiheit und Verantwortung eines selbstbestimmten Lebens sprechen, sondern darauf hinweisen, dass ein Schicksalsglaube nichts mit dem lebendigen Gott nach der Verkündigung der Bibel zu tun hat, sondern eher ein antikes Erbe ist. Der lebendige Gott, so wie ihn etwa der Theologe Jürgen Moltmann versteht, geht mit den Menschen in eine durchaus offene und ungewisse Zukunft.

Die Argumente Bernhard Schlinks stoßen m. E. an eine andere Grenze, nämlich die trotz der Verdrängung des Schicksals durchaus begrenzten Verfügbarkeit des Menschen über Leben und Tod. Das hat nichts mit den schicksalhaften Eintreten zu tun, sondern mit dem Respekt über Leben und Tod. Ein guter Tod ist kein gewaltsam herbeigeführter, auch nicht auf eigenen Wunsch, aber auch kein aus Profitgier künstlich verlängertes Siechtum. Dietrich Bonhoeffer schrieb 1943: „Ich glaube, daß Gott kein zeitloses Fatum (Schicksal, C.F.) ist, sondern daß er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet.“

Dass die Beschäftigung mit Naturwissenschaft selbst in die Frage der Verantwortung führt, zeigt der philosophisch-naturwissenschaftliche Autor Lars Jäger („Supermacht Wissenschaft, 2017) im folgenden Text am Beispiel der Genmanipulation. Wenn ich Zukunft alles möglich gemacht wird, was theoretisch möglich ist, wird sich der Begriff des Schicksals anders neu stellen, nämlich so, dass sich Menschen zum Schicksal machen werden. Dann wird es Gerichte geben müssen , die wir am heuten Tag (20.03.2019) ein Gericht in San Francisco, dass eine Verbindung hergestellt hat mit der Krebserkrankung eines Menschen und der Anwendung von Glyphosat in der Landwirtschaft (https://www.tagesschau.de/wirtschaft/boerse/bayer-glyphosat-101.html, eingesehen am 20.03.2019).

Lars Jaeger schreibt:

Durchbruch zum Editieren des menschlichen Genoms? – Ein neues, noch mächtigeres CRISPR-Tool

Von Lars Jaeger

Anders als noch vor zwei Jahren assoziieren heute nicht mehr viele Menschen mit dem Begriff „CRISPR“ so etwas wie einen Müsliriegel. Auch wenn wenige wissen, dass sich dahinter der schwierig verständliche Fachbegriff „clustered regularly interspaced short palindromic repeats“ verbirgt, was zunächst nichts anderes beschreibt als bestimmte Abschnitte sich wiederholender DNA-Stücke im Erbgut von Bakterien, so muss nicht mehr erklärt werden, dass es sich dabei auch um ein mächtiges Tool für das Editieren von Genen verbirgt. Was vor wenigen Jahren noch ein kaum Aufmerksamkeit erregendes Randgebiet der Bakteriophagen-Forschung war und nur einen sehr kleinen Zirkel von hoch spezialisierten Biologen bewegte, hat sich längst zu einem der bedeutendsten wissenschaftlichen und technologischen Durchbrüche dieses Jahrhunderts entwickelt, mit einem gewaltigen revolutionären Potential für Anwendungen in Medizin und Humangenetik. Und unlängst hat die neue Gentechnologie einmal mehr gezeigt, dass sie noch für einige weitere Überraschungen gut ist.

Die Entdeckung von CRISPR geht auf die Erforschung von Phagen in den 1980er Jahren zurück. Phagen sind Viren, die Bakterien anfallen. Einmal mit ihnen infiziert, ist es den Bakterien möglich, Teile der viralen Fremd-DNA in ihre eigene DNA zu integrieren, und zwar in Form wiederkehrender kurzer Palindrome, die von anderen Sequenzen unterbrochen wurden (ein Palindrom ist eine Zeichensequenz, die sich von vorne genauso liest wie von hinten, wie beispielsweise der Name „Anna“). Den Namen „CRISPR“ schlugen die Phagenforscher Francisco Mojica und Ruud Jansen im Jahr 2001 vor, als sie nach weiteren unterbrochenen palindromischen Wiederholungen in Gensequenzen suchten, wie sie bei zahlreichen Phagen bereits entdeckt worden waren. Der eingegliederte DNA-Teil dient den Bakterien zur Wiedererkennung: Sobald es Viren mit dieser DNA erneut angreifen, identifizierten die Bakterienzellen diese DNA und können so Strategien zum Schutz entwickeln. Zu diesem Zweck gesellt sich zur CRISPR-DNA ein weiteres Enzym, ein so genanntes „Cas“ („CRISPR-associated“) – Protein. Mit diesem lässt sich die erkannte Gensequenz aufschneiden und damit der Virus unschädlich machen. Von solchen Cas-Proteinen hat Mutter Natur eine ganze Reihe entwickelt, mit jeweils sehr verschiedenen Graden von Effizienz, wenn es darum geht, den Genstrang aufzutrennen. Als besonders nützlich hat sich eine Version erwiesen, die als „Cas9“ bezeichnet wird.

Um das Jahr 2012 herum erkannten die Geningenieure, dass sich der zusammengesetzte CRISPR/Cas9-Komplex auch jenseits der Bakterienwelt sehr gut zum Zwecke der Manipulation von Genen (etwas harmloser auch als „Editieren“ von Genen bezeichnet) eignet. Dabei funktioniert er wie Legobaustein-Finder und Schere zugleich: Man stattet ihn einfach mit einer Sequenz aus, die genau komplementär zu der gewünschten DNA-Zielsequenz ist, woraufhin der Enzymkomplex die gewünschte Zielsequenz in der DNA findet und genau dort aufschneidet. Damit lässt sich an dieser Stelle eine beliebige gewünschte Gensequenz einbauen oder eine andere ersatzlos entfernen. Diese Methode lässt sich so bei nahezu allen Lebewesen zum schnellen und genauen Schneiden und Spleissen ihrer DNA einsetzen, bei Pflanzen, Tieren, Bakterien sowie zuletzt auch beim Menschen. Innerhalb von kürzester Zeit hat CRISPR die Biologie transformiert und ganz neue Wege zur Behandlung von Krankheiten eröffnet.

Nun ist in den letzten Monaten auch in der populären Presse sehr viel geschrieben worden zu CRISPR, oft verknüpft mit der Sorge, dass die Gentechnologie mit dieser Technologie einen mächtigen Hebel erhält, der ihre Möglichkeiten wie Probleme noch einmal enorm vergrössern wird, da es mit ihr sehr viel einfacher wird, Gene von Lebewesen zu verändern, modifizierte DNA in die Keimbahn von Lebewesen einzubringen und damit deren Eigenschaften dauerhaft zu beeinflussen. Die internationalen Schlagzeilen bestimmte die neue Methode schliesslich im November 2018, als die Geburt der ersten mit CRISPR genmanipulierten Babys in China gemeldet wurde.

Was sich allerdings noch gar nicht auf dem Radarschirm der meisten Menschen befindet ist, dass die Möglichkeiten dieser neuen Gentechnologie noch bei weitem nicht ausgereizt zu sein scheinen. So ist im Februar 2019 im renommierten Wissenschaftsmagazin Natureein Artikel erschienen, der einen neuen Enzymkomplex vorstellt, der sehr ähnlich wie Cas9 funktioniert, aber etwa 40% kleiner ist, (E. Nogales, J. Doudna et al., CasX enzymes comprise a distinct family of RNA-guided genome editors, Nature, 4 Februar). Geringere Grösse ist ein gewaltiger Vorteil, wenn man versucht, einen entsprechenden Gen-Editor in eine Zelle zu bringen. Und CasX, wie der neue Komplex getauft wurde, könnte sich gerade für den Einsatz beim Menschen als besonders mächtig herausstellen, da das menschliche Immunsystem es leichter akzeptieren sollte. So befürchten Ärzte, dass Cas9 bei Patienten, die mit CRISPR-Therapien behandelt werden, eine Immunreaktion auslösen kann. Bei CasX sollten solche Problem nicht auftreten, da die Bakterien, bei denen es entdeckt wurde, im menschlichen Körper nicht vorkommen.

Die Geningenieure sind längst auf den Zug aufgesprungen. „Wir wollen nicht nur die nächste molekulare Schere entdecken. Wir wollen das nächste Schweizer Taschenmesser bauen.“, sagt Jennifer Doudna, eine der Entdeckerinnen von Cas9 und Pionierin der CRISPR-Technologie, die auch massgeblich an der Entdeckung von CasX beteiligt war (und Co-Autorin der Nature-Studie ist). CasX könnte ein entscheidender Schritt hin zum sicheren Editieren des menschlichen Genoms sein. Ein kleiner, kaum beachteter Schritt in der Forschung könnte sich als gewaltiger Schritt für die Menschheit erweisen, und zwar in eine sehr unheimliche Richtung.

 

Lars Jaeger hat Physik, Mathematik, Philosophie und Geschichte studiert und mehrere Jahre in der Quantenphysik sowie Chaostheorie geforscht. Er lebt in der Nähe von Zürich, wo er – als umtriebiger Querdenker – zwei eigene Unternehmen aufgebaut hat, die institutionelle Finanzanleger beraten, und zugleich regelmäßige Blogs zum Thema Wissenschaft und Zeitgeschehen unterhält. Überdies unterrichtet er unter anderem an der European Business School im Rheingau. Die Begeisterung für die Naturwissenschaften und die Philosophie hat ihn nie losgelassen. Sein Denken und Schreiben kreist immer wieder um die Einflüsse der Naturwissenschaften auf unser Denken und Leben. Seine letzten Bücher „DieNaturwissenschaften. Eine Biographie“ (2015) und „Wissenschaft und Spiritualität“ (2016) sind bei Springer Spektrum erschienen. Im August 2017 erschien „Supermacht Wissenschaft“ beim Gütersloher Verlagshaus und sein neuestes Buch „Die zweite Quantenrevolution“ erschien im August 2018 bei Springer.
Mit Erlaubnis des Autors und

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