Notiz – ein Brief zum Gedenken an Dorothee Sölle, Christoph Fleischer, Werl 2012

Lieber …,

Dorothee Sölle, ich hatte nur so eine Ahnung, dass es „Christen für den Sozialismus“ geben könne, als Juso und Christ. Viel erfahren habe ich als Jugendlicher davon noch nicht. Doch während des Studiums wurde mir durch das Bekanntwerden ihrer Texte deutlich, dass eine solche Haltung nicht nur möglich, sozusagen tolerabel, sondern ein deutlicher Antrieb für das Engagement sein müsse. Sie selbst hat dies immer auch mit einer Lektüre Dietrich Bonhoeffers verbunden, dessen Vorstellung vom religionslosen Christentum mir damals schon ziemlich revolutionär erschien. Ich traf sie bei einer privaten Fete in der WG, in der ich auf dem Hamburger Kirchentag 1981 untergekommen war. Zu einem Gespräch kam es allerdings kaum, da sie sich schon zu dem Zeitpunkt sehr für die Meinung der Besucherinnen interessierte und diese sehr deutlich bestärkte. Sie wollte von uns wissen, was sie unserer Meinung nach auf der Demonstration der großen Friedenskundgebung sagen sollte. Einige von unseren Gedanken habe ich dann am nächsten Tag auch in ihre Rede wiedergefunden. Dann habe ich Sie meines Wissens nur noch einmal gehört, auf einem späteren Kirchentag. Sie war mir aber sehr präsent durch die Zeitschrift „Junge Kirche“, die ich damals regelmäßig las. Ihre Rede auf der Weltkirchenkonferenz 1983 fand ich sehr wichtig. Sie stellte sich vor als jemand, der aus einem der reichsten Länder der Welt kommt. Und warum war das so schlimm? Die Wahrnehmung ihrer Texte und Rede verblasste. Ich kann mich nur noch erinnern, dass ich ihre Gedichte sehr schätzte und auch immer mal wieder eines dieser Texte las oder in eine Predigt eingebaut habe. In ihrer Verkündigung sah ich Glauben und Handeln miteinander verknüpft, aber nicht als religiöse Selbstrechtfertigung, sondern als selbstverständlicher Impuls. Dabei war sie immer eine Vertreterin großer Freiheit, die jedem und jeder selbst die Möglichkeit gab, zu entscheiden, wie, wann und in welcher Form sein Engagement erfolgte. Ihre Aktionen waren selbstredend gewaltfrei. Zum östlichen „Sozialismus“ wahrte sie deutliche Distanz, lobte eher die Friedensbewegung in der DDR. Ihr feministisches Engagement habe ich nicht mehr so zur Kenntnis genommen, bis mich im Jahr 2003 während eine Seminars an der Wuppertaler Kiho über Bultmann die Nachricht ihres Todes traf. Mir wurde bewusst, das hiermit zugleich die ganze Person Dorothee Sölle zu erinnern sei und dass ich schon zu der Generation gehöre, die das alles noch persönlich erlebt hat (Die Friedensbewegung usw.). Ich nahm ihren Tod zum Anlass, der ich schon mehrere Bücher von ihr hatte, die Sammlung zu erweitern und vor allem die frühen Schriften gründlich zu lesen. Da erschien sie mir aus heutiger Sicht auf einmal weniger eine Vertreterin der politischen Theologie, die sie ja zweifelsohne war, als eben eine Pädagogin, die bemüht war, die Glaubensimpulse des Christentums eben nichtsprachlich verfremdet, sondern in das Denken der Moderne hinein zu übersetzen. Sie ist eigentlich eine der wenigen der damaligen modernen Theologie, die gezeigt haben, dass sich der christliche Glaube sehr wohl säkular ausdrücken lässt, wenn dies nicht gar die eigentlich angemessene Art und Weise ist, in der Gegenwart als Christ oder Christin zu leben, und dazu gehört eben auch das politische Engagement. Sie hat die Kirche für die Menschen geöffnet und hat in ihrer Praxis gezeigt, dass es nur in Vielfalt geht. Außerdem war sie eine Mystikerin und hat gezeigt, dass politisch aktive Christen sehr wohl fromm sein können.

Christoph Fleischer

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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