Predigt über Lukas 14, 25 – 33 am 5. Sonntag nach Trinitatis, Christoph Fleischer, Werl 2013

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Übersetzung Bibel in gerechter Sprache:

Viele Menschen waren mit ihm unterwegs. Da wandte er sich um und sagte zu ihnen: „Wer von euch zu mir kommt und nicht Vater und Mutter, Frau und Kinder, Brüder und Schwestern hintan setzt, ja auch das eigene Leben, kann nicht mein Jünger sein. Wer nicht das eigene Kreuz trägt und mir nachfolgt, kann nicht meine Jüngerin und mein Jünger sein. Denn wer von euch einen Turm bauen will, setzt sich doch zuerst hin und berechnet die Kosten, ob die finanziellen Mittel ausreichen bis zur Fertigstellung? Andernfalls, wenn das Fundament gelegt ist, der Turm aber nicht fertiggestellt werden kann, fangen alle, die das sehen, zu spotten an und sagen: ‚Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und konnte es nicht vollenden.‘ Welches Staatsoberhaupt, das gegen ein anderes Krieg führen will, wird sich nicht erst hinsetzen und überlegen, ob es mit 10000 Leuten diesem Oberhaupt entgegentreten kann, das über 20000 verfügt? Wenn nicht, schickt man rechtzeitig eine Gesandtschaft und bittet um Frieden. Niemand von euch, die nicht allem, was sie haben, den Abschied geben, kann meine Jüngerin oder mein Jünger sein. Das Salz ist nun etwas Gutes; wenn aber sogar das Salz fade wird, womit soll man es würzen? Es taugt nichts mehr, weder für die Erde, noch für den Misthaufen; darum werfen sie es hinaus. Wer Ohren hat zu hören, der höre!“

(Bibel in gerechter Sprache, Taschenausgabe, Hrsg. von Ulrike Bail u._a., Gütersloher Verlagshaus 2011, S. 1479f)

 

Liebe Gemeinde,

wo bleiben unsere Gedanken hängen? Denken sie jetzt noch an den Anfang des Textes oder steht ihnen das Bild vom Hausbau oder des Kriegsherrn vor Augen, denen sorgfältige Vorbereitung fehlt, um ein Werk zu vollenden? Ist gar die Kritik an einem verlorenen Krieg darin versteckt und ginge es also nur indirekt um die Jüngerschaft? Der letzte Vers, der alles zusammenfasst, zeigt, dass zumindest so wie wir diesen Text gehört haben, der Anfang das Thema bildet. Es geht darum, dass Jüngerschaft wichtiger ist als das, was eigentlich für uns am wichtigsten ist, das eigene Leben und die Beziehungen zur Familie.

Als ich vor knapp 30 Jahren meine 2. Prüfung zum Pfarrer machte, bekam ich diesen Text zur Vorbereitung der Examenspredigt. Ich dachte: O, je, das ist eine Botschaft an uns, die zukünftigen Kleriker. Die Arbeit in der Kirche als Pfarrerin oder Pfarrer kann nur funktionieren, wenn wir eigene private Interessen zurückstellen. Doch als Predigttext richtet sich der Text ja gar nicht an die Kleriker, sondern an die Gemeinde, also an alle. Wie geht also die Christenheit mit der Frage dieses Anspruches Jesu um, alles andere um des Glaubens und der Jüngerschaft willen zurückzulassen?

Die erste Lösung des Problems lag mir damals klar vor Augen, da es ein Kloster in der Nachbarschaft gab. Ich ging dorthin und interviewte ein Nonne und las in der Regel des Heiligen Benedikt. Da steht klar und deutlich zum Eigentum: „Keiner darf sich herausnehmen, ohne Erlaubnis des Abtes etwas zu verschenken oder anzunehmen oder etwas als Eigentum zu besitzen, durchaus nichts: kein Buch, keine Schreibtafel, keinen Griffel, überhaupt gar nichts; sie haben ja nicht einmal das Recht, über ihren Leib und ihren Willen frei zu verfügen.“ (Die Regel des Heiligen Benedikt, Hrsg. von P._B. Steidle OSB, Beuroner Kunstverlag Beuron 1980, 33,_2 – 4)

Diese völlige Übereignung des eigenen Lebens und der eigenen Person in die Hand des Ordens ist ein neuer, von der alten Familie unabhängiger Lebensabschnitt. Eine Ehe gibt dort es nicht, auch nicht bei freieren Orden. Dieses Lebensmodell in der Kirche bedeutete eine Trennung und Aufteilung. Das, was Jesus unter Jüngerschaft verstand, galt nur für die Orden und die Kleriker, wovon ja bis heute das Zölibat zeugt. Für die anderen Christinnen und Christen ist klar, dass sie sich in ihrem bürgerlichen Dasein befinden und das, was die Bibel vorschreibt oder verkündigt, nur so weit vollziehen, wie es ihnen möglich ist oder sinnvoll erscheint. In diesem Modell ist nicht  jeder ein Christ im Sinne der Jüngerschaft Jesu. Man gehört zur Kirche und nimmt Anteil an ihren Segnungen, ist aber selbst kein Jünger in der Nachfolge Jesu.

Das änderte sich mit der Reformation. Klöster wurden aufgelöst und jeder Getaufte ist seitdem gleichwertiger Teil der Gemeinde, damit auch als Jünger Jesu angesehen. Das meint das „Priestertum aller Gläubigen“. Was zunächst als Erleichterung erscheint, da auch Kleriker seitdem heiraten dürfen, ist eigentlich auch eine Verschärfung des Anspruches.

Was sich allerdings auch dank Martin Luther herausbildete, war so etwas wie eine zeitliche Aufteilung. Der Alltag unterstand anderen Regeln als der Sonntag, als die Religion. Die Folgen haben wir heute vor Augen. Die Alltagswelt hat sich durchgesetzt und die Sonntagskirche an den Rand gedrängt. Dabei ist der Anspruch Jesu heute auch besonders für die Alltagswelt aktuell.

Dazu gehört in der Welt auch der Einsatz für die Armen, dem sich engegierte Chrstinnen und Christen verschrieben haben, wozu auch die Nonne Ita Ford aus Brooklyn, New York, gehört. Sie ist von Chile, wo sie in einem Orden und mit den Armen lebte, nach El Salvador gegangen, um den Armen dort im Widerstand beizustehen. Sie schreibt von dort in einem Brief an ihre Patentochter Jennifer, die sechzehn Jahre geworden ist und in New York lebt:

„…Viel hängt von dir selber ab, und was du entscheidest, hat mit deinem Leben zu tun. … Gestern stand ich auf der Straße und sah einen Sechzehnjährigen, der ein paar Stunden vorher getötet worden war. Ich kenne eine Menge Kinder, sogar jüngere, die tot sind (Kommentar: Man muss nur an das heutige Syrien denken). Es ist eine furchtbare Zeit in El Salvador für Jugendliche. So viel Idealismus und Engagement werden hier kaputtgemacht. Die Ursachen, warum so viele Leute getötet werden, sind ziemlich kompliziert, aber es gibt ein paar klare, einfache Gründe. Einer ist, daß viele Leute etwas gefunden haben, wofür es sich lohnt zu leben, sich zu opfern, zu kämpfen oder sogar zu sterben! Ob ihr Leben sechzehn Jahre oder sechzig oder neunzig dauert, für sie hat ihr Leben einen Sinn. In mancher Hinsicht sind die gut dran. In Brooklyn (New York) passiert nicht das gleiche wie in El Salvador. Aber ein paar Dinge bleiben wahr, wo immer man ist und in welchem Alter auch immer. Was ich sagen möchte, ist, ich hoffe, du kommst dahin, das zu finden, was dem Leben für dich einen tiefen Sinn gibt. Etwas das wert ist, dafür zu leben, vielleicht sogar zu sterben, etwas, das dir Kraft gibt und dich begeistert und dich befähigt weiterzugehen. Ich kann dir nicht sagen, was das sein könnte, du mußt es selber finden, dich dafür entscheiden und es lieben. Ich kann dir nur Mut machen, danach Ausschau zu halten und dich bei der Sache unterstützen.“ (Dorothee Sölle, Fulbert Steffensky: Nicht nur Ja und Amen, Von Christen im Widerstand, Rowohlt Hamburg 1983, S. 64f.)

Wir kommen also hier in den Worten der Nonne Ita Ford an eine Stelle, wo das, was im Predigttext Jüngerschaft bedeutet, auch für das allgemeine Leben von Bedeutung zu sein scheint. Es muss etwas geben, wofür bereit sind, uns hundertprozentig einzusetzen. Diese Nonne lässt hier erstaunlicherweise sogar offen, ob das etwas wie der christliche Glaube ist, weil sie weiß, dass der Glaube nur ein Angebot sein kann. Im Prinzip ist ihr also wichtig, dass es etwas gibt, wovon ihre Patentochter absolut überzeugt ist und was sie als ihren Lebensinhalt ansieht. Das gibt ihr Halt und Orientierung und sie weiß, wofür sich das Leben lohnt. Ich denke, wir würden hier wohl kaum in der Kirche sein, wenn uns dieses Angebot nicht an Gott und an Jesus erinnern würde. So ist es ja im Bibeltext auch, wenn man hinsieht. Viele Menschen gehen mit Jesus, sie sind einfach dabei. Und jetzt wendet er sich an diese und gibt ihrer Nachfolge eine konkrete Bedeutung. Es ist der Lebensinhalt.

Hier muss man aber dazu sagen, dass wir Menschen nichts geben können, was wir nicht zuvor erhalten haben. Wenn sich unser Lebensinhalt auf den Glauben bezieht, dann weil wir darin eine gute Erfahrung gemacht haben, eine, die uns etwas bedeutet, die uns wichtig geworden ist. Solches können wir auch kaum von anderen übernehmen, auch nicht in Form von Verkündigung, sondern es muss unserer Erfahrung entsprechen.

Ich kannte einen Jungen, der war ein Außenseiter in der Klasse und wurde von den Mitschülern gemobbt. In seiner Freizeit ging er aber zur Gemeindejugend und hatte dort die christliche Botschaft gehört. Er hörte dort die Zusage: Wir sind in Jesus von Gott geliebte Menschen und jeder ist so wie er ist genau richtig, was auch andere sagen mögen. Das ist die Botschaft, die er dort immer wieder gehört und schließlich beherzigt hat. Obwohl er von bewusst gläubigen Eltern erzogen wurde, war das etwas, das ihm seine Eltern so nicht geben konnten, was die Gemeinschaft der Jugendgruppe ihm gab. In der Schule hörte das Mobbing nicht sofort auf, aber er hatte eine Einstellung dem gegenüber, die ihn selbstbewusst machte. Aus diesem Beispiel wird klar, dass die christliche Botschaft nicht auf ein Neben- oder ein Abstellgleis gehört. Sie hat mit wichtigen Erfahrungen unseres Lebens direkt zu tun. Sie ist nicht zuerst ein Auftrag, sondern eine Zusage, die wir im Grunde schon mit der Taufe erhalten haben: „Du bist ein von Gott gewollter Mensch, ein Geschöpf Gottes und du bist wichtig, so wie du bist, mit deinen eigenen Qualitäten und Fähigkeiten.“ Wenn du dafür dankbar bist, dann müsstest du irgendwann erkennen, dass dann auch Menschen füreinander einstehen.

Dies alles setzt allerdings voraus, dass wir das, was hier von Jesus in der Bibel gesagt wird, auf uns wirken lassen und für uns gelten lassen, sie wie es ist, ohne Abstriche oder Einwände. Und genau das ist in unserer Kirche und Gesellschaft anders geworden.

Das hat schon Dietrich Bonhoeffer in seinem Buch „Nachfolge“ beschrieben, aus dem ich einen Abschnitt vorlesen möchte:

„Wir würden sagen: Der Ruf Jesu ist zwar ‚unbedingt ernstzunehmen‘, aber der wahre Gehorsam gegen ihn besteht darin, dass ich nun gerade in meinem Beruf, in meiner Familie bleibe und ihm dort diene, und zwar in wahrer innerer Freiheit. Jesus würde also rufen: Heraus! – wir verstehen ihn aber, wie er es eigentlich meint: Bleib drinnen! Oder Jesus würde sagen: Sorget nicht; wir aber würden verstehen: Natürlich müssen wir sorgen und arbeiten für die Unsern und für uns. Alles andere wäre ja unverantwortlich. Aber innerlich sollen wir freilich von solcher Sorge frei sein. … wie ist solche Verkehrung möglich? Was ist geschehen, dass sich das Wort Jesu sich solches Spiel gefallen lassen muss, dass es so dem Spott der Welt ausgeliefert wird?“ Dietrich Bonhoeffer: Nachfolge, Chr. Kaiser Verlag München 1937, 11. Auflage 1982, S. 55)

Dietrich Bonhoeffer weist zu recht drauf hin, dass die Botschaft der Kirche inhaltlich der biblischen Botschaft entsprechen sollte und nicht auf fatale Weise ins Gegenteil verkehrt werden darf. Dadurch stellt die Kirche dann nämlich den Kern ihrer eigenen Verkündigung in Frage uns bringt die Botschaft heraus: Die Bibel hat eine wichtige Botschaft für uns, die sich im Alltag nicht durchhalten lässt. Wer so mit der eigenen Verkündigung verfährt, muss sich über die weit verbreitete Entfremdung nicht wundern. Die alternative muss allerdings natürlich nicht darin liegen, dass man behauptet, man müsse alles wörtlich verstehen und sich damit als weltfremd zeigt. So sehr Bonhoeffer also mit der Beobachtung recht hat, dass sich der Inhalt der Botschaft durch eigenmächtige Interpretation verändert, ja sogar ins Gegenteil verkehrt, genauso ist doch auch klar, dass es nicht darum geht, in ein Kloster einzutreten oder Kleriker zu werden.

Das Wort Jesu muss also schon interpretiert und ausgelegt werden, wenn wir denn als Christinnen und Christen mit unserem Leben Botschafterinnen des Glaubens und Priester der Kirche sind. Das, was die Nonne Ita Ford gesagt hat, ist schon ein Teil der Antwort, es geht darum, dass Wort der Bibel so zu verstehen, dass es uns unbedingt angeht und keine Beiläufigkeit erlaubt. Es muss also beides gleichzeitig richtig sein, entschieden im Glauben und entschieden in der Welt zu leben, ohne dass dies zu einem Widerspruch von vornherein wird. Es gibt ein Beispiel für eine solche unbedingte Haltung, dass auch aus der Verkündigung Jesu ist und sich auf etwas anderes bezieht, auf die Ehe. Dort heißt es, dass ein Mann Vater und Mutter verlassen muss, um mit seiner Frau zu leben und für diese gilt dasselbe auch.

Es geht um die Unbedingtheit und Konsequenz, die der Glaube an Jesus Christus für uns bedeutet. Man kann die Verfügung, den Besitz aufzugeben, nicht dadurch erledigen, dass man so tut, als hätte man ihn nicht. Ehrlicher ist, dieses als ständige Differenz zu erleben und zu sagen, ich kann den Anforderungen des Evangeliums nicht in allen Punkten gerecht werden, aber es ist wichtig, dass mir der Glaube im Prinzip klar ist und mir deutlich ist, dass es darum geht, die Liebe Gottes in all seinen Geschöpfen zu bestätigen und zu verkündigen. In einzelnen ethischen Entscheidungen wird es auch immer mal eine Chance geben, dies auch in aller Konsequenz deutlich zu machen, wenn es dennoch nicht in allen Punkten möglich ist. Ich gebe zu, dass das auch ein Kompromiss ist, aber kein so fauler wie der, den Bonhoeffer ankreidet. Es ist tatsächlich auch ein Stück Erwachsenwerdens aus dem Schatten der Familie herauszutreten und Verantwortung für eine eigene Einstellung zum Leben zu übernehmen, zu der man dann auch mit aller Konsequenz steht. Wenn wir dieses lernen und vollziehen, haben wir schon einiges von dem verstanden, was Jesus denen gesagt hat, die mit ihm gekommen sind. Wir sind für unser ganzes Leben gefordert, denn das Leben ist uns dazu geschenkt, es dankbar und bewusst anzunehmen und im Sinn der Liebe Gottes etwas daraus zu machen. Darauf ist die Verheißung der Zukunft bei Gott gegeben.

Amen.

Gedicht dazu von Marlies Blauth: Aufbruch

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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