Michael Opoczynski: Aussortiert und Abkassiert, Altwerden in Deutschland, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2016, ISBN: 978-3-579-08630-9, 255 Seiten, Preis: 19,99 Euro
„Altern in Würde“ – so lautete das diesjährige Motto der „Woche für das Leben“ vom 9. bis 16. April 2016. Das Buch von Michael Opoczynski scheint zu diesem Thema sehr gut zu passen, indem es schon im Titel auf Widersprüche und Missstände dieser Altersgruppe, der älter werdenden Menschen, insbesondere der Senioren, hinweist. Der inzwischen gängige Begriff Senioren wird von ihm allerdings gemieden und tritt zugunsten des Wortes Alte oder Ältere zurück. Damit ist schon eine inhaltliche Position angedeutet, dahingehend, dass das Alter nicht schöngeredet werden sollte.
Der Autor ist Politik- und Wirtschaftsredakteur und war auch als Pressesprecher in der Politik tätig. Seinen Beruf als Journalist übt er auch im Ruhestand aus. Jetzt, da er schon selbst alt geworden ist, ist er bestrebt, die Lebensphase, das Alter, von der gesellschaftspolitischen und ökonomischen Seite zu betrachten.
Im Klartext: Menschen werden „in Rente geschickt, nicht gebeten“ und „zum Auslaufmodell erklärt“ (S. 11). Er fragt: Warum ist diese Lebensphase zum Problemfall geworden, obwohl doch jeder und jede einmal alt werden wird, alt werden will?
Die Kapitel dieses Buches spielen entwickeln verschiedene Themen, die auf diese Frage eine Antwort zu geben versuchen. Das ist meines Erachtens nicht widerspruchsfrei gelungen. So wird im ersten Kapitel die „ökonomische Diskriminierung“ erklärt. Menschen, die sich selbst keinesfalls zum alten Eisen zählen und der Gesellschaft auch noch dienen können, ehrenamtlich oder beruflich, werden per Definition aussortiert, aber nicht, weil sie zu dumm wären, ihre Aufgaben erwartungsgerecht zu erfüllen. Dem widerspricht meines Erachtens die Erklärung des zweiten Kapitels dahingehend, dass ältere Menschen vorzugsweise Opfer von Betrügern und Kleinkriminellen werden. Dies kann doch nur darin liegen, dass ältere Menschen einfach anfälliger sind für Nepper und Bauernfänger und auf deren Tricks hereinfallen, was durchaus dann wieder die kognitiven Fähigkeiten älterer Menschen und deren Wahrnehmung in Frage stellt. Allerdings wird man dabei nicht spitzfindig sein müssen, denn beide Themen haben ihr Recht (d. Rez.).
Die Kapitel des Buches sind jeweils durch ein Stichwort bezeichnet, dass ein Problemthema der Altersphase fokussiert: (Kapitelüberschriften). Am Ende jedes Kapitels findet sich eine kurze Zusammenfassung, mit grauem Hintergrund abgesetzt, die sich vom übrigen Text unterscheidet. Ganz zum Schluss werden die Ergebnisse des Buches noch einmal zusammengefasst. Diese Übersichtlichkeit macht das Buch zu einem guten Praxisbuch.
Wichtig scheint die Beobachtung zu sein, dass sich das Alter, so es denn ganz und gesund gelebt werden kann, in zwei Phasen aufteilt, einer frühen und meist noch recht aktiven Phase etwa bis zum 80. Geburtstag und eine späte Phase, wobei sich nach meiner Beobachtung der Beginn der späten Phase zum Teil noch bis 85 und darüber hinaus verschiebt, je nach Gesundheitszustand. Besonders die letzte Phase ist oft von erheblichen Beschwerden und Einschränkungen gekennzeichnet. Verständlich, wenn es da im Blick auf die Gesellschaft heißt: „Alle wollen alt werden, aber niemand will alt sein.“ (S. 223).
Der Ausgangspunkt für die Frage nach der Würde und der Diskriminierung, die ihr widerspricht ist: „Alte werden benachteiligt, diskriminiert, schlecht behandelt – und zwar ganz direkt und offensiv, manchmal aber auch scheinrational, angeblich ökonomisch begründet, scheinbar mit Zahlen unterfüttert. Alt ist als Ersatzwort genommen für schwach. Für arm. Für nicht leistungsfähig. Für dümmlich. Altersdiskriminierung gibt es schon lange. Sie durchdringt die moderne Gesellschaft.“ (S. 25). Verbraucherzentralen haben festgestellt, dass alte Menschen in der Regel keine Kredite erhalten. Wer nicht viel auf der hohen Kante hat, für den wird es im Alter finanziell eng. Ältere Menschen sind als Ehrenamtliche begehrt, gleichzeitig setzt man sie nach einer festen Altersgrenze vor die Tür. Das gilt auch in den Kirchen, wo meist 75 die Altersgrenze für das Presbyterium ist. In einigen Landeskirchen endet das Presbyteramt auch schon mit 70. Auch einige politische Ämter wie das Bürgermeisteramt sind in den meisten Bundesländern mit einer ähnlichen Altersgrenze versehen.
Das gesellschaftliche Ansehen älterer Menschen ist zum Teil sogar im konventionellen gesellschaftlichen Umfeld respektlos geworden. Diesem Trend schließen sich Trickbetrügereien an. Da gibt es spezielle Tricks, mit denen ältere Menschen gezielt ausgenommen werden, nachdem man sie vorher angerufen hat („Enkeltrick“). Einsamkeit und Gutgläubigkeit werden brutal ausgenutzt. Dem Autor geht es hier gar nicht in erster Linie darum, dass ältere Menschen öfter auf Kriminelle hereinfallen, sondern dass die Gesellschaft diesen Zustand quasi als naturgegeben akzeptiert. So sind sie eben, die Alten, so sagt man. Es gibt Statistiken und Aufklärungen, aber kaum einen besseren Schutz.
Bei der Pflege scheint der Unterschied von arm und reich voll durchzuschlagen. Es ist da schon einzusehen, dass gute Pflege auch mehr Geld kosten wird. Ob allerdings Heime nun zum Teil mit „kriminell betriebener Profitmaximierung“ (vgl. S. 87) funktionieren, sollte man bezweifeln, da die Kontrollen und die Gesetzgebung gerade in den letzten Jahren immer besser geworden sind. Hier schürt meines Erachtens Michael Opoczynski zu Unrecht die verbreitete Angst vor der stationären Altenpflege.
Trotzdem ist das Buch eine wichtige Mahnung, Diskriminierungsstrukturen in der Gesellschaft gegenüber Älteren wichtiger zu nehmen als bisher. Auf die meisten Menschen kommt das Alter zu. Michael Opoczynski schreibt: „Das Wort ‚alt’ muss seinen negativen Beiklang verlieren. Das verlangt von Jung (und Alt) einen neuen Blick, ein anderes Miteinander. Schluss mit verdeckter oder gar offener Diskriminierung.“ (S. 248). Es wird deutlich, dass die ökonomisch ausgerichtete Gesellschaft auch in den Alten eine Zielgruppe sieht. Zu Recht aber sieht der Autor alte Menschen nicht als eine homogene Gruppe. Klar ist: Die Alten gehören einfach dazu. So steht am Schluss eines politisch gut durchdachten Buches auch mal wieder ein Appell: „Gebt den Alten den Respekt zurück. Dann werden auch die Alten der Gesellschaft etwas zurückgeben. Lasst die Alten arbeiten, wenn sie es können und wollen. Hört ihre Meinung, fragt nach ihren Erinnerungen und dokumentiert sie. Das alles erfordert einen Wandel in den Köpfen derer, die ein falsches Bild vom Alter haben.“ (S. 251).
Fazit: Das Buch im Ganzen und in einem Zug zu lesen, mag etwas bedrückend sein. Man sollte sich dann nach Bedarf einzelne Kapitel vornehmen. Es ist klar, dass die Gesellschaft vor eklatanten Missständen die Augen nicht verschließen darf, nicht nur weil die meisten irgendwann einmal alt werden, oder es sogar schon sind, sondern weil jeder Mensch Anspruch auf ein Leben in Würde hat.