Die folgenden Notizen gehen auf einen Aufsatz von Ingeborg Schüßler zurück (Literatur siehe unten), der sich mit der Schrift Martin Heideggers „Beiträge zur Philosophie (Zum Ereignis) befasst.
Peter Trawny geht in seinem kleinen Buch über die „Beiträge“ Heideggers (Adyton) nur kurz auf die Sätze Heideggers zur Gottesfrage ein. Der Abschnitt ist überschrieben mit „Herrschaft III, Der Gott und sein Volk“ (Adyton, S. 91-94).
Die Rede vom „letzten Gott“ bezeichnet demnach die Abkehr von der „Verchristlichung“ als Möglichkeit philosophischen Denkens (ebd., S.90). Trawny stellt fest, dass dem entsprechend die christlichen Kernbegriffe wie „Seele“ und „Erlösung“ fast gänzlich fehlen. Ebenso vermisst er die sonst übliche Rationalisierung des Göttlichen (genannt Metaphysik). Stattdessen überwiegen Figuren des Entzuges oder der „Verborgenheit“, einem bei Hölderlin entlehnten Begriff (ebd., S. 92). Die Rede ist von der Grenze, vom „Letzten“, von einer „Eschatologie des Seins“ (ebd., S. 92). Vom christlichen Gottesbegriff bleiben lediglich die Modelle der Einheit Gottes und die Rede von seinem Volk.
Da hier augenscheinlich nicht direkt vom christlichen Gott die Rede ist, könnte hier auch Heideggers persönliche Idee vom „Nationalsozialismus“ durchscheinen. So heißt es immerhin, die „Deutschen“ seien das „Volk des Ereignisses“ (ebd., S. 93). Dann müsste man fragen: Ist sogar der politische Aufstieg des Nationalsozialismus das Ereignis, das den „letzten Gott“ verkörpert? Doch genau dieser Identifikation von Philosophie mit Tagesgeschehen weicht Heidegger augenscheinlich aus (vgl. ebd. S. 78ff). Und wenn Heidegger dies gemeint hätte, hätte er es als NSDAP-Mitglied explizit aussprechen können oder in dessen Sinn sogar müssen, aber stattdessen lässt er das Buch „Vom Ereignis“ unveröffentlicht.
Der Umgang Heideggers mit dem gesellschaftlichen Kontext scheint immer auf das Implizite, auf Begriffe und Andeutungen beschränkt. Er ideologisiert nicht und lässt sich nicht explizit zur politischen Philosophie herab. Von einem Widerstand gegen eine herrschende Ideologie ist allerdings auch nicht explizit die Rede, wie sie parallel dazu im Bereich der Theologie etwa von Dietrich Bonhoeffer formuliert wird. (Vgl. Link). Müsste man also feststellen, dass Heideggers Position zwischen Widerstand gegen und Engagement für den Nationalsozialismus befindet? Oder sollte man eher von einer Abstinenz in beide Richtungen sprechen?
Peter Trawny verbindet in „Martin Heidegger, Eine kritische Einführung“ (Trawny, S. 136ff) Heideggers Text nicht mit einer einfachen Gleichsetzung mit geschichtlichen Ereignissen. Der Text Heideggers zeige eher auf die Frage des „Letzten“ hin als „Eschatologie des Seins“: „In der ‚seinsgeschichtlichen‘ Epoche der ‚Seinsverlassenheit‘ kann die ‚Eröffnung eines ganz anderen Zeitraumes‘ (GA 65, 405) nur von einem ‚Gott‘ ausgehen.“ (Trawny, S. 136)
Es könnte hier auch eine Nähe zur dialektischen Theologie nach Karl Barth und Rudolf Bultmann gesehen werden, der ebenfalls das existenziale Denken und Ereignishafte anhaftet, die sich metaphysischen Gotteskonstrukten verweigert und stattdessen auf den biblischen, lebendigen Gott verweist, der sich im Glaubensereignis der Kreuzigung Jesu offenbart. (Dazu siehe auch den Aufsatz: Phänomenologie und Theologie (1927) in Martin Heidegger: Wegmarken, Frankfurt/Main 1976, S. 45-78)
Ingeborg Schüßler sieht in „Blick-Allmacht-Wink“ drei Abschnitte der Gottesbezeichnung. Zuerst wird Gott also als Blick gesehen, ein Blick der jemanden treffen kann oder eben nicht. Dieser Gottesbegriff der griechischen Mythologie scheint den Charakter der Unverfügbarkeit zu verkörpern.
Dieser eher lebensbezogene Gottesbegriff entwickelte sich zum „Gott der ontologischen Metaphysik“ (Schüßler, S. 244), der später in der christlichen Religion zum allmächtigen Schöpfergott wurde. Dieser wird nun bei Heidegger in der dritten Phase zum „letzten Gott“: „In der Tat ist der ‚letzte Gott‘ – gemäß Heidegger – weder der Blickende, noch der höchste Grund des Seienden, noch der Allmächtige, sondern der Winkende.“ (Schüßler, S. 245)
Und wie immer, wenn Heidegger zu Wort kommt, ist die Rede vom Sein, vom Nichts und vom Entzug. Heideggers Gott ist „der ganz Andere“ (Schüßler, S. 248, Zitat Heideggers ohne Anmerkung). Später zeigt sich, dass das Göttliche doch wesentlich als An-Wesen, als Parusie (hier auf Griechisch) bezeichnet wird: „So wäre jede Wesung des Seins in sich selbst schon göttlich. Und wenn sie ins Volle ihres Wesens kommt, dann ist das jeweils der Gott selbst.“ (Schüßler, S. 253)
Der christliche Gottesbegriff stellt die Allmacht und die Erschaffung des Seienden aus dem Nichts in eine Beziehung zueinander. Mit dem Gott der Allmacht kommt nach Heidegger „die Mache […] als Grundzug des Seins zur eigentlichen Herrschaft. Die Mache wird Machenschaft […]“ (Schüßler, S. 260)
Darauf folgt, in der letzten Phase sozusagen, was mit Nietzsche als der „Tod Gottes“ bezeichnet wird. Das göttliche Wesen ist schwach geworden, „es bleibt aus, ist gewesen – und zwar gewesen im ab-gründigen, tiefsten Entzug seiner selbst.“ (Schüßler, S. 263)
Vor der Frage, ob Gott in der einen Negativität endet, entscheidet sich Heidegger daher, vom „letzten Gott“ zu sprechen, dessen Wesen der Wink ist. Das Bild des Winks und des Winkens, Heidegger vielleicht bekannt vom Bahnfahren, vermittelt ein Bild der Nähe und der Vertrautheit mit der des voneinander Entfernens.
Zum Schluss ist im Artikel von Ingeborg Schüßler vom Ereignis die Rede. Der letzte Gott ist in der „zu sich selbst zurückkehrenden Ab-senz“ (Schüßler, S. 268). Vom Ende ist die Rede und immer wieder auch vom Anfang.
Francesco Lanzi zeigt in seiner Dissertation, dass der Gott des Ereignisses und der „letzte Gott“ bei Heidegger nicht identisch gedacht sind. Auf der Ebene des Seins bezeichnet der „Vorbeigang des letzten Gottes“ ein Übergang: „Die Verweigerung macht das Sichverbergen und somit die Wahrheit des Seins aus. Das Sein stellt sich wegen seiner Grundverschiedenheit vom Seienden und vom Dasein als die ‚Befremdung selbst‘ und so als befremdlich dar. In dieser Befremdung liegt aber zugleich der Vorbeigang des letzten Gottes.“ (Lanzi, S. 107)
Mein Fazit ist, dass es richtig ist, die Ausdrucksweise vom letzten Gott und die Frage nach dem Sein miteinander in Verbindung zu bringen. Die Abwesenheit Gottes ist keine Distanz, sondern ein Wink, der Nähe und Ferne zugleich signalisiert. Übertragen auf die Frage nach dem Kontext lässt sich diese Ausdrucksweise vielleicht noch am ehesten mit einer Art von innerer Emigration vergleichen, die sich von schlichter Parteinahme genauso distanziert wie vom Widerstand. Heideggers Flucht in eine rein philosophische Sprache lässt sich als Distanzierung zu jeder Art von politischer Stellungnahme deuten. Vielleicht ist von daher auch die psychische Krise erklärlich, die Heidegger ereilt hat, als er vom Professorenamt auch nach seiner Entnazifizierung ausgeschlossen bleibt und er in den Ruhestand versetzt wird. Diese Notizen entnehme ich z. B. dem Briefwechsel der Brüder Martin und Fritz Heidegger. (C.F.)
Zum Schüßler-Aufsatz: die griechischen bzw. antiken Götter finde ich treffend charakterisiert, da sie dem Bereich des Seienden nicht entkommen. Sie sind „schaubar“ i.S. von sichtbar, erscheinen in menschlicher Gestalt und in der Geschichte, sind aber keinesfalls mit dem Sein identisch. Man könnte auch sagen, sie stehen in der ontologischen Differenz. Wodurch aber unterscheiden sie sich dann vom Menschen? Allenfalls durch ihre (teilweise) Unsterblichkeit.
Mit der „Entwindung aus dem Gewinde“ löst sich die Gottesvorstellung aus der ontologischen Differenz in Richtung auf das Sein. Der metaphysische Gott ist kein Seiender, sondern Sein. Das hat zur Folge, daß Gott nicht mehr „gesehen“ werden kann, d.h., daß er sich unserer sinnlichen Wahrnehmung entzieht. Eine reine Gottesvorstellung ohne sinnliche Wahrnehmung wäre aber eine intuitive Schau Gottes, die wir als endliche Wesen mit einer diskursiven Erkenntnis nicht haben.
Die Metapher vom winkenden Gott ist ein interessantes Bild, das Heideggers existentialistischem Ansatz geschuldet sein dürfte. Gerade dieser Ansatz führt aber nicht zur Lösung des Problems, da er die Subjekt-Objekt-Thematik ausblendet. Als erkennendes Subjekt erkenne ich mich selbst als erkennendes Subjekt (cognoscens in actu, Rahner: Bei-sich-Sein). Ich erkenne aber auch das Objekt meines Erkennens, das zwar in mir als Formalobjekt vorhanden ist, aber außerhalb von mir selbständig ist. Um ein Objekt zu erfassen, muß ich zu ihm „zurückkehren“ (conversio ad phantasma), um meine Vorstellung von seinem Sein konkretisieren und es als bestimmtes Seiendes abgrenzen zu können. Bei Gott geht das nicht. Deshalb gilt immer nur die Bewegung (motus), der Vorgriff über den Horizont, der meine endliche Erkenntnis eingrenzt. Das Wissen um das reine Sein (actus purus) ist das Wissen um das Unendliche und Unbegrenzte, ohne daß wir das je erreichen könnten. Wir sind an Raum und Zeit gebunden. Die Zeit mag am ehesten eine Ahnung von der Unendlichkeit geben, aber unsere Vorstellung davon kommt eher der Negation von Zeit gleich. Unser Streben (appetitus) geht von der Potenz in den Akt. So wie wir die reine Potenz (materia prima) nicht erreichen können, so auch nicht den actus purus. Wir liegen irgendwo dazwischen auf dem Weg. Unser Erkennen ist prozeßhaft, im Wissen darum, daß es ein letztes Ziel (finis ultima) geben muß, daß es keinen progressus ad infinitum geben kann. Das ist in wenigen Strichen der Kern der thomistischen Erkenntnismetaphysik, der Rahner weitgehend folgt. (K. S.)
Literatur:
Francesco Lanzi: Das Sein in Heideggers Beiträgen zur Philosophie (Vom Ereignis), Dissertation, PDF-Datei vom 18.02.2014, abgerufen am 1.12.2017: kups.ub.uni-koeln.de/5503/1/Dissertation.pdf (Lanzi)
Ingeborg Schüßler: Blick – Allmacht – Wink, Zur Gottesfrage bei M. Heidegger, in: Auslegungen, Von Parmenides bis zu den Schwarzen Heften, Hrsg. Von Harald Seubert, Klaus Neugebauer, Verlag Karl Alber, München 2017 (Schüßler)
Peter Trawny: Adyton, Heideggers esoterische Philosophie, Matthes & Seitz, Berlin 2010 (Adyton)
Peter Trawny: Martin Heidegger, Eine kritische Einführung, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main 2016 (Trawny)
Martin Heidegger, GA 65, Beiträge zur Philosophie (Vom Ereignis), Hrsg. Von Friedrich-Wilhelm von Herrmann, Frankfurt/Main 1989.