Freiligrath, Stimme Westfalens im Widerstand, Rezension mit Auszügen, Christoph Fleischer, Welver 2018

Ferdinand Freiligrath Lesebuch, Zusammengestellt und mit einem Nachwort von Frank Stückemann, Nylands Kleine Westfälische Bibliothek 80, Nyland-Stiftung im Aisthesis Verlag, Köln 2018, Paperback, 155 Seiten, ISBN: 978-3-8498-1320-8, Preis: , www.aisthesis.de


Im Nachwort gibt der Herausgeber Frank Stückemann einen kurzen biografischen Abriss mit einer Werkgeschichte Ferdinand Freiligraths (1810-1876, Wikipedia vom 10.12.2018).

In einem Parforceritt werden die Namen und Lebensdaten von Verwandten, Nachbarn, Zeitgenossen, Mitstreitern und Begleitern Ferdinand Freiligraths aufgeführt, wobei der Name Karl Marx (1818 – 1883) nicht fehlen darf. Marx war eher ein Freund als ein Genosse, hatte Freiligrath doch an der Neuen Rheinischen Zeitung mitgearbeitet, dessen Herausgeber Marx war (Köln, um 1848).

Eine kurze Skizze im Zitat mag für die Rezension genügen: „Freiligraths Lyrik besticht von Anfang an durch radikale Modernität, Abkehr vom Epigonalen, Hinwendung zum starkfarbigen Exotismus mit klangvollen Reimen in der Nachfolge Hugos, aber auch durch Integration der Technik, ‚das Wesen der Räder an den Dampfschiffen‘ (Bettina von Arnim). Manches erinnert inhaltlich an den späteren Karl May (1842 – 1912). Mit Levin Schücking (1814 – 1883), Freund und Lebensgefährte Annette von Droste Hülshoffs gab er den Band „Das malerische und romantische Westfalen“ heraus (1840), so dass er auch als westfälischer Heimatdichter gilt.

Frank Stückemann gibt eine schmale Auswahl der wichtigsten Werke Freiligraths heraus, um gleichzeitig den jeweiligen Kontext im Nachwort zu skizzieren. Ergänzend dazu gibt der Anhang einige ausgewählte Begriffserläuterungen zu den Gedichten.

Freiligrath war zeitweise hochgeehrt und verboten. Engels galt er als „Trompeter der Revolution“. Ein Zitat des ihm politisch nicht wohlgesonnenen Theodor Fontane gibt einen kleinen Einblick in Freiligraths Popularität, auch aus dem englischen Exil heraus: „Wir sind Freiligrath in einer Weise verpflichtet wie vielleicht seit dem Tode Schillers keinem zweiten und erweisen ihm kaum Ehre genug, wenn wir ihn den ‚Bürger‘ unserer Epoche nennen.“ 

Am Ende des Nachworts hebt Frank Stückemann noch die Rolle Freiligraths als Übersetzer „französischer und englischer Lyrik“ hervor.

Ich will im Folgenden einige Auszüge aus Gedichten Freiligraths dokumentieren und diese mit den jeweiligen Stichworten aus den Erläuterungen des Anhangs kommentieren.

Audubon (S. 20 – 22). 

Das Gedicht ist erschienen im Band „Gedichte“ 1838. Der Titel des Gedichts zitiert den Namen von John James Audubon (1780 – 1831) aus New Orleans, eines bekannten amerikanischen Ornithologen. Mit „er“ in „nieder brennt er“ ist der weiße Mann gemeint. Der Name Manitto bezieht sich auf die indianische Gottheit. Ich zitiere die ersten fünf und die letzten sieben Verse.

Mann der Wälder, der Savannen!

Neben roter Indier Speer,

An des Missisippi Tannen

Lehntest du dein Jagdgewehr;

Reichtest Indianergreisen

Deine Pfeife, deinen Krug;

Sahst der Wandertaube Reisen

Und des Adlers stillen Flug;

Lähmtest ihren schnellen Flügel

Mit der Kugel, mit dem Schrot;

Auf der großen Flüsse Spiegel

Durch die Wildnis schwamm dein Boot;

Kühn durchflogst du der Savanna

Gräser, im gestreckten Trab;

Beer′ und Wildpret war das Manna,

So dir Gott zur Speise gab;

In den Wäldern, in der Öde,

Die der Toren Ruhm: Kultur,

Noch nicht überzog mit Fehde,

Freu′test du dich der Natur.

Nieder brennt er eure wilden

Wälder, nimmt von euch Tribut,

Spült von euren Lederschilden

Der erschlagnen Feinde Blut;

Saus′t einher auf Eisenbahnen,

Wo getobt der Roten Kampf;

Bunt von Wimpeln und von Fahnen,

Teilt sein Schiff den Strom durch Dampf.

Kahl und nüchtern jede Stätte!

Wo Manittos hehrer Hauch

Durch des Urwalds Dickicht wehte,

Zieht der Hammerwerke Rauch.

Euer Wild wird ausgerottet,

Siech gemacht wird euer Leib,

Euer großer Geist verspottet,

Und geschändet euer Weib.

Bietet Trotz, ihr Tätowierten,

Eurer Feindin, der Kultur!

Knüpft die Stirnhaut von skalpierten

Weißen an des Gürtels Schnur!

Zürnend ihren Missionären

Aus den Händen schlagt das Buch;

Denn sie wollen euch bekehren,

Zahm, gesittet machen, klug!

Weh′, zu spät! was hilft euch Säbel,

Tomahawk und Lanzenschaft? –

Alles glatt und fashionable!

Doch wo – Tiefe, Frische, Kraft?

O lieb´, solang´ du lieben kannst! (S. 36 und 37) 

Das Gedicht erschien in: Zwischen den Garben: Eine Nachlese, 1849. Anlass war der Tod des Vaters 1829. Ich zitiere die ersten fünf Verse. Die letzten Verse gehen noch näher auf die Erlebnisse der Beerdigung ein und greifen insofern den Grundgedanken redundant auf.

O lieb´, solang´ du lieben kannst! 

O lieb´, solang´ du lieben magst! 

Die Stunde kommt, die Stunde kommt, 

Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Und sorge, dass dein Herze glüht 

Und Liebe hegt und Liebe trägt, 

Solang´ ihm noch ein ander Herz 

In Liebe warm entgegenschlägt!

Und wer dir seine Brust erschließt, 

O tu ihm, was du kannst, zulieb´! 

Und mach´ ihm jede Stunde froh, 

Und mach ihm keine Stunde trüb!

Und hüte deine Zunge wohl, 

Bald ist ein böses Wort gesagt! 

O Gott, es war nicht bös gemeint – 

Der andre aber geht und klagt.

O lieb´, solang´ du lieben kannst! 

O lieb´, solang´ du lieben magst! 

Die Stunde kommt, die Stunde kommt, 

Wo du an Gräbern stehst und klagst!

Die Freiheit! Das Recht! (S. 57 – 58)

Erschienen in: Ein Glaubensbekenntnis, Zeitgedichte, 1844. Von der preußischen Zensur verboten, was wohl gleichzeitig als Werbung funktionierte, da die erste Auflage in Monaten ausverkauft war.

In diesem Band erschien auch die erste Fassung von „Trotz alledem“. Ich dokumentiere die ersten drei Strophen.

O, glaubt nicht, sie ruhe fortan bei den Toten,

O, glaubt nicht, sie meide fortan dies Geschlecht,

Weil mutigen Sprechern das Wort man verboten

Und Nichtdelatoren verweigert das Recht!

Nein, ob ins Exil auch die Eidfesten schritten;

Ob, müde der Willkür, die endlos sie litten,

Sich andre im Kerker die Adern zerschnitten –

Doch lebt noch die Freiheit, und mit ihr das Recht!

– Die Freiheit! das Recht!

Nicht mach‘ uns die einzelne Schlappe verlegen!

Die fördert die Siege des Ganzen erst recht;

Die wirkt, daß wir doppelt uns rühren und regen,

Noch lauter es rufen: Die Freiheit! das Recht!

Denn ewig sind eins diese heiligen Zweie!

Sie halten zusammen in Trutz und in Treue;

Wo das Recht ist, da wohnen von selber schon Freie,

Und immer, wo Freie sind, waltet das Recht!

– Die Freiheit! das Recht!

Und auch das sei ein Trost uns: nie flogen, wie heuer,

Die freudigen Zwei von Gefecht zu Gefecht!

Nie flutete voller ihr Odem und freier,

Durch die Seele selbst brausend dem niedrigsten Knecht!

Sie machen die Runde der Welt und der Lande,

Sie wecken und werben von Strande zu Strande,

Schon sprengten sie kühn des Leibeigenen Bande,

Und sagten zu denen des Negers: Zerbrecht!

– Die Freiheit! das Recht!

Trotz alledem! (variiert) (S. 84 – 85) 

Erschienen in: Neuere politische und soziale Gedichte, 1859. Der Gedicht erinnert an die Teilerfolge der insgesamt gescheiterten Revolution 1848. I Wien wurde der verhasste Minister von Metternich gestürzt. Mit Reichstag ist die Frankfurter Nationalversammlung gemeint. Ich dokumentiere hier die ersten fünf Strophen.

Das war ’ne heiße Märzenzeit,

Trotz Regen, Schnee und alledem!

Nun aber, da es Blüten schneit,

Nun ist es kalt, trotz alledem!

Trotz alledem und alledem –

Trotz Wien, Berlin und alledem –

Ein schnöder scharfer Winterwind

Durchfröstelt uns trotz alledem! 

Das ist der Wind der Reaktion

Mit Meltau, Reif und alledem!

Das ist die Bourgeoisie am Thron –

Der annoch steht, trotz alledem!

Trotz alledem und alledem,

Trotz Blutschuld, Trug und alledem –

Er steht noch und er hudelt uns

Wie früher fast, trotz alledem!

Die Waffen, die der Sieg uns gab,

Der Sieg des Rechts trotz alledem,

Die nimmt man sacht uns wieder ab,

Samt Kraut und Lot und alledem!

Trotz alledem und alledem,

Trotz Parlament und alledem –

Wir werden unsre Büchsen los,

Soldatenwild trotz alledem!

Doch sind wir frisch und wohlgemut,

Und zagen nicht trotz alledem!

In tiefer Brust des Zornes Glut,

Die hält uns warm trotz alledem!

Trotz alledem und alledem,

Es gilt uns gleich trotz alledem!

Wir schütteln uns: Ein garst’ger Wind,

Doch weiter nichts trotz alledem!

Denn ob der Reichstag sich blamiert

Professorhaft, trotz alledem!

Und ob der Teufel reagiert

Mit Huf und Horn und alledem –

Trotz alledem und alledem,

Trotz Dummheit, List und alledem,

Wir wissen doch: die Menschlichkeit

Behält den Sieg trotz alledem!

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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