Politischer Islam, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019

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Susanne Schröter: Politischer Islam, Stresstest für Deutschland, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, gebunden, 382 Seiten, ISBN: 978-3-579-08299-8, Preis: 25,00 Euro

Link: https://www.randomhouse.de/Buch/Politischer-Islam/Susanne-Schroeter/Guetersloher-Verlagshaus/e562610.rhd

Die Autorin Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität-Frankfurt und arbeitet am Forschungszentrum Globaler Islam. Sie ist Mitglied der deutschen Islamkonferenz.

Das Buch über den aktuellen und politischen Islam richtet sich trotzdem an ein größeres Publikum. Es ist gleichwohl mit über 500 Anmerkungen versehen. Die bearbeitete Literatur wird in einem ausführlichen Literaturverzeichnis dokumentiert.

Sie kommt in einigen Kapiteln auf Deutschland zu sprechen, z. B. wenn sie Einflüsse der Muslimbruderschaft und des türkischen Staates in Deutschland dokumentiert. Der Islam in Deutschland ist gleichwohl in den globalen Kontext eingebettet, so dass Muslime in Deutschland zugleich Anteil haben am weltweiten Islam. Susanne Schröter geht den Konflikten zwischen Musliminnen und Muslimen mit der deutschen Gesellschaft nicht aus dem Weg, greift aber nur deren Instrumentalisierung für einen politischen Islam heraus. Ein besonders brisantes Kapitel ist der Antisemitismus, der unter Musliminnen und Muslimen vorkommen kann, nicht nur als Stellung zur Politik des Staates Israel, sondern auch zurückgehend auf eine lange Geschichte. Das Buch gipfelt in einer Stellungnahme zur aktuellen Islampolitik und in Empfehlungen an die Islamkonferenz. Dass hier gleichwohl keine „PEGIDA“-Position (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes, d. Rez.) vertreten wird, soll an hier einem Beispiel der Lektüre gezeigt werden, dem internationalen muslimischen Terrorismus.

In der vergangenen Woche am 26. Oktober 2019 ist in Nordsyrien nahe der türkischen Grenze der irakische Terrorist Ibrahim Awad Ibrahim al-Badri, auch Abu Bakr al-Baghdadi genannt, in Folge einer amerikanischen Militäraktion mittels Selbsttötung um Leben gekommen. Dazu passt das Kapitel des Buches von Susanne Schröter: „Krieg im Namen des Islam“ (S. 179 – 213).

Die Entstehung des sog. Dschihadismus (abgeleitet von Dschihad, heiliger Krieg, Anstrengung für den Glauben, d. Rez.) verbindet Susanne Schröter mit der Muslimbruderschaft. Attentate wie z. B. gegen den ägyptischen Präsidenten Anwar El Sadat wurden von den Attentätern als religiöse Pflicht angesehen. Aus Saudi-Arabien stammte der Anführer einer solchen Gruppe, Usama bin Laden, der von Pakistan aus operierte, in einer Grenzregion zu Afghanistan, die kaum von staatlicher Kontrolle berührt war.

Nach einigen kleineren Anschläge gelang seiner Organisation „Al-Qaida“ am 11.9.2001 der Anschlag auf das Word Trade Center in New York und das Pentagon in Washington. Susanne Schröter schreibt dazu: „Fast 3000 Menschen starben, doch es waren nicht diese Toten, die einen nachhaltigen Schock auslöste (-n?, d. Rez.), sondern der Umstand, dass es eine kleine entschlossene Gruppe von Dschihadisten so problemlos schaffen konnte, ins Herz der Supermacht vorzudringen.“ (S. 185).

In der darauffolgenden Zeit ereigneten sich um die 187 Anschläge, wie z. B. in Madrid (2004), in London (2005) und in Paris (2015). Inzwischen hat sich die Politik geändert, indem die Anweisung umgesetzt wird, sich unsichtbar zu machen und jeweils allein oder in einer kleineren Gruppe Anschläge im lokalen Umfeld auszulösen. Davon war auch Deutschland betroffen, vor allem im Jahr 2016. „Der schlimmste Anschlag ereignete sich am 19. Dezember 2016 in Berlin. Dort überfiel der vierundzwanzigjährige Tunesier Anis Amri, der im Jahr 2015 als Flüchtling nach Deutschland gelangt war, den Fahrer eines 40 Tonnen schweren Sattelschleppers, der in den Diensten eines polnischen Speditionsunternehmens 25 Tonnen Stahl aus Italien zu Thyssen-Krupp nach Berlin transportierte. Er töte den polnischen Fahrer Lukasz U. und lenke das erbeutete Fahrzeug in die Mitte der Hauptstand der Bundesrepublik Deutschland zum Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche.“ (S. 192f).

Das Jahr 2016 ist als das auf die Fluchtwelle 2015 folgende Jahr mit vielen Anschlägen, aus denen folgt: „Die Bilanz des Jahres 2016 ist erschreckend. Die Sicherheitsorgane verzeichneten fünf durchgeführte und fünf vereitelte dschihadistische Anschläge; in mindestens fünf Fällen hatten sich Täter oder Verdächtige als Geflüchtete ausgegeben.“ (S. 194).

Als Beispiel für die weltanschauliche Begründung dieses Terrorismus aus dem politischen Islam heraus wird eine Botschaft des Berliner Attentäters Anis Amri angeführt. Auch in anderen Fällen gab es immer wieder Videobotschaften. Die Begründung wird angeführt, dass in den Kriegen unter der Beteiligung der USA und anderen westlichen Staaten immer wieder Frauen und Kinder Opfer militärischer Gewalt werden. Der Attentäter schreibt indirekt an seine Mutter: „Mutter bleib standhaft, dein Sohn ist im Dschihad.“ (S. 198)

Susanne Schröter schildert nicht nur die Fakten, sondern sie reflektiert diese auch ausdrücklich: „Die Ansprachen von Kämpfern, die in den Krieg ziehen, um Muslime zu schützen, treffen auf fruchtbaren Boden, weil sie an ein Gefühl von Gerechtigkeit appellieren, für das besonders Jugendliche empfänglich sind. Obgleich dieses Gefühl von Dschihadisten instrumentalisiert wird, verbirgt sich dahinter ein ernst zu nehmendes Moment von Kritik, denn es gibt durchaus eine Doppelbödigkeit westlicher Außenpolitik. Man gab in der Vergangenheit nicht selten vor, die Demokratie zu fördern, während man Despoten stützte, man predigte Frieden und lieferte gleichzeitig Waffen in Konfliktgebiete, man schwadronierte vom Selbstbestimmungsrecht der Völker, marschierte aber völkerrechtswidrig in andere Völker ein, einen Regimewandel herbeizuführen, der ausschließlich den eigenen Interessen diente.“ (S. 199).

Das Buch „Politischer Islam“ ist gründlich recherchiert und dokumentiert die Ereignisse der letzten Jahrzehnte, fokussiert diese auf Deutschland und reflektiert zugleich Politik differenziert, um eine Mahnung für den Weltfrieden zu vermitteln, der nur auf Gerechtigkeit aufbauen kann. So kann man im Dialog der Religionen den Faktor der Politisierung nicht ignorieren, muss aber gleichzeitig national und international für Bedingungen sorgen, die unsererseits nicht weiter Öl in das Feuer des „heiligen“ Krieges gießen.

Weitere Informationen: http://www.ffgi.net/schroeter.html

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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