Zu:
Philosophie Magazin 06/2019, Philomagazin Verlag, Berlin 2019, Preis (neu mit dieser Ausgabe): 7,90 Euro
„Resilienz versus Verletzlichkeit“, diese Alternative ist mit einem Kurztest verbunden. Friedrich Nietzsche steht für Widerstandskraft, Emanuel Lévinas für Sensibilität.
Journalistik statt Reflexion, könnte man auch sagen. Sicherlich wird über den Aufriss hinaus auch wieder differenziert.
Dort wird dann klar, dass man nicht über Resilienz reflektieren möchte, sondern über #MeToo, Grenzziehungen, über den Opferbegriff. „Wer Opfer ist, verdient Mitleid.“ Es geht um die „Grenze des Zumutbaren“.
Eine Seite mit Kurzpositionen der Philosophie von Thomas von Aquin bis Richard Rorty. Dann drei Alternativen: Brauchen wir mehr Rückzugsräume („Safe-Spaces“) in der Öffentlichkeit? Wo beginnt Übergriffigkeit am Arbeitsplatz? Wie lange (noch) wird sexueller Missbrauch bei Prominenten wie Michael Jackson verharmlost?
Der reflektierende Artikel von Andreas Reckwitz (Frankfurt/Oder) und das Interview mit Judith Butler (USA) runden das Dossier ab. Judith Butler reflektiert die Interdependenz von gesellschaftlichen Bedingungen und persönlicher Erfahrung. Nur diese erwecken eine soziale Struktur. Was vorhandene Traumata wachruft, was nicht, lässt sich nicht sicher vorhersagen.
Judith Butler macht einen Unterschied zwischen Redefreiheit und dem bewusst Anstößigen bzw. der Diskriminierung. Immer wieder stellt sie persönliche Erfahrungen vor gesellschaftliche Prozesse.
Ein Artikel, der nicht zum Dossier gehört, ist derjenige von Mathias Ziegler über den CSU-Politiker Erwin Huber. Huber scheint seit seinem Rückzug aus politischen Spitzenpositionen die Frage der Sensibilisierung wiedergefunden zu haben, indem er sich entschied, parallel zu einem Landtagsmandat in München, Philosophie zu studieren.
Die Rede Martin Heideggers über Eigentlichkeit sieht Huber vor dem Hintergrund der täglichen Sorge, was hier nichts als Besorgung bedeutet. Eigentlichkeit heißt für ihn: „Im Bewusstsein der eigenen Endlichkeit sich selbst zu wählen.“
Eine Anmerkung zum Schluss dieser Rezension: In jedem Heft des Philosophiemagazins liegt ein kleines Heftchen bei, das einen Textauszug eines philosophischen Klassikers bietet, der in einem Heftartikel zusätzlich erläutert wird. In diesem Heft kommt Platon mit seinem Buch „Gastmahl“ zu Wort. Platon ist hier das Sprachrohr von Sokrates.
Sokrates berichtet von einer Unterredung mit der Weisen Diotima, die ihm die Vorstellung des Halbgottes Eros verdeutlicht. Eros ist ein Dämon, so nennt man solche Gottwesen.
An dieser Stelle bietet Platon die Definition der Religion. Die Dämonen stellen sich als Zwischenwesen dar, die in der Religion den Kontakt zwischen den Göttern und den Menschen vermitteln, da ein direkter Kontakt zwischen Gott und Mensch nicht denkbar ist.
Ich finde es bezeichnend, dass schon die griechische Philosophie den Kontakt zwischen Gott und Mensch als Aufgabe der Religion bezeichnet.
Im Kontext zum Dossier kommt mir zum Schluss eine Frage: Ich lese hier im Beiheft, dass Sokrates zum Tode verurteilt wurde im Jahr 399 v. Chr. Die Anklagepunkte waren „Gottlosigkeit“ und „Verführung der Jugend“. Der Vorwurf der Gottlosigkeit meint sicher seine Lehre, aber ist Sokrates, der ja auch eine philosophische Schule betrieb schon mit dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs konfrontiert? In welcher Weise soll er die Jugend „verführt“ haben? Da Platon und andere Schüler sehr viel über Platon berichtet haben, steht dieser Vorwurf nicht im Raum. Vielleicht hat Sokrates die jungen Menschen einfach von ihrer Arbeit abgehalten, indem er sie auf dem Marktplatz in seine philosophischen Gespräche verwickelte. Die Frage nach verdeckten Vorwürfen sexueller Gewalt in der Philosophiegeschichte sollte vielleicht auch mal im Philomagazin behandelt werden.