Gespräch
Das Telefon klingelt bei mir im Amt missionarischer Dienste. Eine Dame stellte sich telefonisch als Frau X vor.
„Können Sie mir etwas über die Santo Daime Kirche – im benachbarten Holland sagen?“, hörte ich eine weibliche Stimme im Hörer. „Ja, – ich hab da mal was gelesen…,“ meinte ich und versuchte, mich zu erinnern.
„Ist das brasilianische Getränk, Ayahuasca genannt, eine Droge oder ein Sakrament?“, fragte sie mit gehobener, eindringlicher Stimme.
„Nein, .ähh, …ich glaube nicht,“ gab ich offen zu.“
„Also: Nicht,“ formulierte die Dame finalisierend.
Sie fuhr fort: „Dann können sie also mir nicht wirklich Auskunft geben“, sagte sie am anderen Ende.
„Nein, kann ich ehrlich gesagt nicht.“
„Ich lese Ihnen vor, was ich hier gerade an meinem Bildschirm lese“, sagte die Dame und zitierte: „Ohne jemals selbst diese Substanz probiert zu haben, könne man keine Auskunft geben. Das wäre so, als reden Blinde über Gemälde, Gehörlose über Musik, usw.“
Ich musste ihr innerlich Recht geben.
„Können sie das in Erfahrung bringen?“, fragte die Dame.
Hatte ich nun wirklich noch eine Wahl? „Bitte gedulden sie sich,“ sagte ich, „da muss ich mir erst selber Klarheit verschaffen.“ Können sie mich nächsten Monat wieder anrufen?“, fragte ich zurück. Wir verabredeten Termin und Uhrzeit, und legten auf.
Recherche
Was, wie, wo stattfindet, konnte ich im Internet lesen und in eingestellten Videos ansehen. Die genaue Recherche gehört zur weltanschaulichen Aufklärung.
„Da geht es aber sehr gesittet und geordnet zu“, dachte ich, als ich entsprechende Videoaufzeichnungen im Youtube- Kanal des Internets sah. Komplett erstaunt – und völlig überrascht stellte ich bei den Recherchen fest, dass der Gottesdienst der Santo Daime Kirche, an einem Samstag- Abend in der Martin-Luther- Kirche, Amsterdam -Süd, also in einer protestantischen Kirche der Niederlande stattfindet. Am Sonntag – Morgen findet dann in dieser Kirche der übliche evangelische Sonntags- Gottesdienst statt.
Um selber herauszufinden, was an diesem Ayahuasca – Trank wirklich dran war, musste ich mich in die benachbarten Niederlande aufmachen.
Religionsfreiheit wird, – wenige Kilometer vom Ruhrgebiet im benachbarten Holland – erweitert verstanden. In den Räumen der Kirche angekommen, wurde ich darauf angesprochen, dass ich für ggf. auftretende Komplikationen selbst die Verantwortung trage. Bei ungewöhnlichen Veränderungen jeder Art, konnte ich mit qualifizierter Hilfe aus dem Presbyterium (auch Fiskal genannt) rechnen.
Der Mensch ist mehr als eine rechtliche Person. Der Mensch ist eine spirituelle Persönlichkeit
Religionsfreiheit meint oder schätzt in den Niederlanden das ganze Menschenenrecht.
Eine spirituelle Person hat das Recht auch eine spirituelle Erfahrung zu machen…Die protestantische Kirche der Niederlande steht, ob es ihr bewusst ist oder nicht, auch für eine Erweiterung dieses Demokratieverständnisses.
An einen Gourmet-Trank erinnerte der Geschmack von Ayahuaska (Daime, wie der Trank in der Kirche heißt), nicht. Es kostet Überwindung, das dunkle, bittere Gebräu zu trinken.
Das Abendmahl wird zu Beginn des Gottesdienstes gereicht.
…die Wirkung setzte nach ca. 20 – 30 Minuten ein.
Begleitet vom gemeinschaftlich gesprochenen Vater Unser, dem apostolischen Glaubensbekenntnis und einer großen Zahl von christlichen Liedern mit ansprechenden Rhythmus, folgte ich den Liedern und Gebeten.
Am liebsten wäre ich aufgestanden, um zu loszutanzen…
Ein freundlicher Presbyter stand plötzlich neben mir. Ihm war aufgefallen, dass ich als Neuling in diesem Gottesdienst, die Freude kaum an mich halten konnte.
In Englisch gab er mir leise zu verstehen, dass der Gottesdienst unter dem Titel „Konzentration“ gefeiert wird. Die Freude im eigenen Herzen sollte, so der Presbyter, auch dort gehütet, und mit gemeinsamen Gebeten und Liedern weiter gefeiert werden.
Der Trank garantiert nicht zwangsläufig ausschließlich Glücks- Erfahrungen. Ich sitze auf meinem Stuhl Gottesdienst zwischen „Himmel und Hölle.“ Wenige Gottesdienstteilnehmer übergeben sich nach Einnahme des Getränks. Sie sitzen würgend über einem Plastikeimer gebeugt. Dieses Szenario gehört zur gottesdienstlichen Liturgie wie die rhythmischen Lieder und die Gebete. Wohlergehen und Unwohl-Sein werden zusammen gefeiert.
Zum verabredeten Zeitpunkt rief ich besagte Dame an. „Hallo, Guten Tag,“ sagte ich, „wir haben uns den heutigen Vormittag eingetragen.“ „Hallo“, sagte sie erfreut, dass ich mich telefonisch meldete. „Nun,“ fragte sie höflich – „haben Sie etwas herausgefunden? Spricht man von einer Droge oder einem Sakrament?“ – Haben sie den Gottesdienst in Holland besucht?“
„Ja,- ich spreche also für mich.“ „In meinem Falle ist der Trank zum Sakrament geworden, weil ich das Ayahuasca in einer für mich gewohnten kirchlichen Umgebung einnahm, von christlicher Gebets- und Liedtradition begleitet. Für mich stimmen „Set und Setting“, ergänzte ich.
„Darf ich vorsichtig fragen, welche Erfahrung haben sie mit dem Trank gemacht haben?“ schloss sie ihre nächste Frage an. „Ja, für mich, darf ich meiner christlichen Prägung folgen: Je mehr sich in mir in die Weite des Bewusstseins klärt (auch Verklärung genannt) und ich die intensive Zugehörigkeit zu diesem Planeten entdecke…,desto mehr entdecke ich zwangsläufig auf der anderen Seite: Die Bereiche der Schmerzen, Folter und der gnadenlosen Unterdrückung.“
„Was meinen sie einerseits mit Verklärung – und was andererseits mit Unterdrückung?“, fragte mich die Stimme am Telefon. „Nun, jeder mag den Ausdruck Verklärung für sich anders definieren. Ich spüre mehr eine tiefe Zugehörigkeit in und mit allen Wesen auf diesem Planeten.„Darf ich Sie fragen“, leitete Frau X, ein „ob sich etwas in ihrer beruflichen Tätigkeit ihre Einstellung als Weltanschauungsbeauftragter verändert hat?“
Weniger Ausgrenzen würde ich sagen. Mehr schauen, wo sich Möglichkeiten der Kooperation zeigen. Weil wir lebendige Wesen sind, die zu diesem Planeten gehören.“
Das war vor drei Jahren . Mittlerweile bin ich im Ruhestand. Zeit für Staunen und Danken. Gelernt habe ich, dass ich keinerlei Auskunft geben kann, wenn ich keine Erfahrung damit gemacht habe.
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Vielen Dank für die zusätzlichen und ergänzenden Informationen aus Geschichte und Gegenwart. Danke auch für Hinweise zum respektvollen Umgang mit den genannten Sakramenten zum Ende Ihres Berichtes.
Sie nennen den überblickbaren Rahmen von 5000 Jahren Menscheitsgeschichte und bringen für mich damit zum Ausdruck, dass der Rausch und seine Mittel, so alt sind, wie die Menschheit. „Hätte „Ötzi“, der in den Südtiroler Alpen Anfang der neunziger Jahre gefundene „Gletschermann“, die italienisch – österreichische Grenze nicht schon vor mehr als 5000 Jahren, sondern in unseren Tagen passiert, – er hätte außer einem Wetterumsturz auch die Drogenfahndung fürchten müssen. In den Taschen des tiefkühlkonservierten Steinzeitmenschen wurden halluzinogene Pilze gefunden, deren Wirkstoffe heute auf dem Betäubungsmittelgesetz stehen. Hätte unser Gletschermann den Zollkontrolleuren freimütig gestanden, dass er die Pilze regelmäßig konsumiere und einen größeren Vorrat zu Hause hätte,er wäre nach erfolgter Höhlendurchsuchung einem Haftrichter vorgeführt worden.Auf seine Einwendung, dass er auf die Pflanze angewiesen sei- aus medizinischen Gründen oder um spirituellen Kontakt mit dem „Geist der Vegetation“zu halten- hätte man ihn in eine Psychiatrie überwiesen und mit legalen Drogen vollgestopft – aus Ötzi wäre ein „Fall“ geworden, eines jener Opfer, zu deren Rettung die Drogenkrieger ausgezogen sind. Ihre grundlegende Idee, einer drogenfreien Gesellschaft, so zeigt der kleine Rückblick in die Steinzeit, war nicht erst seit den Zeiten der Puritaner falsch, sie widerspricht den Grundtatsachen der menschlichen Zivilisation.“
aus: Mathias Bröckers, Die Drogenlüge- Warum Drogenverbote den Terrorismus fördern und der Gesundheit schaden.
So wie die „Santo Daime“ Kirche in Brasilien ihren Lianentrank (Banisteria caapii ), hat auch die „Christian Peyote Church“ ihr Sakrament in der Kraftpflanze, dem Peyote Kaktus (Lophophora williamsii ) der mittelamerikanischen Region, seit Jahrtausenden in Gebrauch. So wie das Yboga der Schwarzafrikaner, der Psylocybin-Pilz der mexikanischen Tolteken, das Charras indischer Yogis, der Getreidepilz ( Claviceps purpurea) des Trankes der Eleusinischen Mysterienkulte, das Ganja der Rastafaris, das Bilsenkraut-Bier der Germanen scheint überhaupt jedem Kulturkreis eine „heilige“ Kraftpflanze in uralten schamanischen oder religiösen Kulten, als deren Mittelpunkt, eine nicht unwesentliche Bedeutung immer schon gehabt zu haben.
Man geht davon aus, dass ihre Entdeckung, möglicherweise bei der Nahrungssuche, und Verwendung überhaupt der erste Kontakt mit dem Ominösen, dem Übernatürlich-oder Göttlichem der frühen Menschen gewesen ist. Funde von Pflanzenresten gehen bis ins Neolithikum zurück und finden sich auf vielen alten Darstellungen in Verbindung mit den religiösen-schamanischen Kulten. Auch der Rig-Veda, erwähnt schon vor 5000 Jahren das Soma-Trankopfer zur Erbauung der Götter.
Diese Kultische Verwendung war durch komplizierte Reinigungsrituale wie Schwitzhütten, Fastenzeiten Tabus wie zB. das Verbot des Salzessens vor einem “ Mitote“=Peyotezeremonie der Hopi Indianer, unter wissender Begleitung, passendem Set und Setting, sowie der Ausgerichtetheit der Teilnehmer auf die magisch -religiöse Extase im Kontext ihres Glaubens, vor Missbrauch gut abgesichert. So ist der Gebrauch dieser „Pflanzen-Sakramente“ (und die getrockneten Peyotescheiben werden tatsächlich mit der Hostie gleichgesetzt) auch nicht mit der heutigen Missbrauchsituation unserer Spaß und Konsumgesellschaft zu vergleichen. Mit gehörigem Respekt und Ehrfurcht wurde diese „Jenseitsreise“ angetreten. Auch sind diese ,als Halluzinogene eingestuften Pflanzen als Öffner des Bewusstseins zu umfassenderer Wahrnehmung zu sehen, und nicht als „Downer“ wie die gänzlich konträren Opiate zb. welche im Unterschied dazu auch erheblichen Suchtfaktor besitzen .Halluzinogene machen nicht körperlich abhängig….bergen jedoch andere Risiken für unstabile Charaktere . Wer sich ihnen jedoch mit Respekt zu nähern vermag, kann unvergleichliche Aspekte der Realität erfahren.