Pfarrerausbildung und Gemeindemission im Widerstand, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013

Zu:

– Dietrich Bonhoeffer: Die Finkenwalder Rundbriefe, Briefe und Texte von Dietrich Bonhoeffer und seinen Predigtseminaristen 1935 – 1946, Hrsg. von Eberhard Bethge, Dr. Ilse Tödt, Otto Berendts, Dietrich Bonhoeffer Werke Ergänzungsband, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2013, 712 Seiten, ISBN 978-3-579-01903-1, Preis: 78,00 Euro

und

– Bonhoeffer in Finkenwalde – Briefe, Predigten, Texte aus dem Kirchenkampf gegen das NS-Regime 1935 – 1942, Studienausgabe miit Hintergrunddokumenten und Erläuterungen, hrsg. von Karl Martin mit L.-Maximilian Rathke, Fenestra Verlag, Wiesbaden-Berlin 2012, 988 Seiten, ISBN 978-3-9813498-8-7, Preis: 39,00 Euro

Beide Bücher dokumentieren den Textbestand der Finkenwalder Rundbriefe mitsamt des damals beigegebenen Materials, wie z. B. der Predigtmeditationen und anderer Hinweise,

Die Finkenwalder Rundbriefe von Dietrich Bonhoeffer

annähernd gleich. Unterschiede ergeben sich in der Abfolge und in der Einordnung zusätzlicher Texte aus dem Archiv-Bestand der Staatsbibliothek zu Berlin. Eine Untersuchung der Editionsgeschichte kann im Rahmen der Rezension nicht geleistet werden, jedoch enthält die Studienausgabe dazu Tabellen und Nachweise im Anhang. Da beide Bücher einen gleichen Textbestand zum Hauptinhalt haben, lohnt sich jedoch ein Vergleich der Ausgaben.

Die Ausgabe der „Finkenwalder Rundbriefe“ als Ergänzungsband im Rahmen der Dietrich Bonhoeffer Werke (abgekürzt DBW) beinhaltet hauptsächlich das sich auf diese Rundbriefe beziehende Material. Im Anhang finden sich die Teilnehmerlisten der Kurse und ein ausführliches Personenverzeichnis mit einigen zusätzlichen biographischen Notizen, dazu die für einen Band in der Reihe üblichen Verzeichnisse und Register. Eine weitere Beigabe ist der Aufsatz von Otto Berendts „Bericht eines Zeitzeugen“, der zuletzt feststellt, dass es eine Distanz zwischen Bonhoeffer und den Seminaristen gibt, zumindest darin, dass er sie (überwiegend) nicht hat teilhaben lassen an seiner konspirativen Tendenz gegenüber dem NS-Staat. Diese Distanz wird in anderer Form auch im Textbestand der Rundbriefe und deren Beilagen deutlich, da nur wenige Texte von Bonhoeffer selbst, sondern in der Hauptsache von Albrecht Schönherr für das erste Jahr stammen und von Eberhard Bethge für das zweite und die folgenden Jahre. Da die Dietrich Bonhoeffer Werke in den Hauptbänden ausschließlich solche Texte enthielten, die von Bonhoeffer selbst stammen, waren die meisten Rundbriefe bislang nicht veröffentlicht worden. Im Blick auf Bonhoeffer selbst ist von der Lektüre der Rundbriefe her festzustellen, dass er durch die Leitung des Predigerseminars der Bekennenden Kirche in Finkenwalde eine herausragende Person im Kirchenkampf geworden war und vor allem in den Regionen Pommern und Berlin, aber auch darüber hinaus exponiert und  bekannt war. Er gehörte schon von diesem Amt her zu den „Dahlemern“, die von der Verfassung der Bekennenden Kirche (BK) her eine Abtrennung von der Reichskirche erkannten und Kompromisse nicht dulden wollten. Faktisch blieb die kirchliche Struktur durch diese kaum fünf bis sechs Jahre (vor dem 2. Weltkrieg) in der Gemengelage zwischen den Institutionen der Reichskirche und dem Unabhängigkeitsanspruch der BK. Doch die Bestrebungen der Leitung der Bekennenden Kirche richteten sich darauf, die Gemeinden von der Bibel her in Auslegungen der Bekenntnisse auszurichten, so wie sie praktisch inhaltlich von der Barmer Theologischen Erklärung her zusammengefasst worden waren. Bonhoeffer wurde als ein bekannter Vertreter dieser Linie daher zu zahlreichen Vortragsreisen eingeladen und veröffentlichte einige Texte in den BK-nahen Zeitschriften, die beachtet und diskutiert wurden. Als eine weitere kirchliche Aufgabe der Predigerseminare neben der Ausbildung der Kandidaten stellte sich die regelmäßige Gemeindemission (Volksmission) heraus, eine Woche in ausgewählten Gemeinden, wohl auch um vor Ort Praxiserfahrung zu sammeln, aber auch um die BK-Gemeinden in Stettin und der Region zu unterstützen. Diese Art von Volksmission diente nicht einer inneren Spaltung von Kirche in fromm und weniger fromm, sondern der Unterstützung der BK-Pfarrer und BK-Gemeinden vor Ort. Es war allerdings keine BK-Propaganda, sondern eine gezielt vorbereitete Gemeindeaufbauarbeit in Richtung auf Bibelkenntnis und Gottesdienstteilnahme. Die ausgesuchten Gemeinden wurden „durchbesucht“, d. h. seelsorgerlich betreut. Aus der zeitgeschichtlichen Distanz ist es erstaunlich, wie einerseits das Seminar trotz seiner Schließung in anderer Form weiterarbeitete und die Kontakte zu den Ehemaligen pflegte, dann aber andererseits die Pfarrer zum Beginn des 2. Weltkriegs 1939 größtenteils zur Kriegsteilnahme wechselten. Viele Pfarrer wurden zum Wehrdienst einberufen oder kamen dieser Einberufung durch freiwillige Meldung zuvor. Kurz gesagt: Cover_FR_NEU.inddDer Krieg löste den Kirchenkampf auf. Dass dann auch schon in den ersten Kriegstagen die ersten Gefallenen zu betrauern waren, gehörte zum damaligen Geschehen und wurde entsprechend in den Rundbriefen vermerkt.

Der Dokumentarband der Briefe von Karl Martin unterscheidet sich in kleineren Details vom DBW-Ergänzungsband. Der Textbestand selbst ist jedoch kaum unterschiedlich, sondern allenfalls die Entscheidungen zur Einordnung. Interessant ist die ca. 80-seitige Einführung, die deutlich macht, dass in der damaligen Struktur der Kirchenspaltung eine Differenzierung zwischen den Gemeindepfarrern und einem Predigtpfarramt entstand, wobei die BK-Pfarrer oft zusätzlich und neben den parochialen Strukturen arbeiteten bzw. im Wechsel mit den Ortspfarrern predigten. Interessant ist auch ein Blick auf die sogenannte Disputation zur „Predigt des Gesetzes“ vom 18. – 20.12.1936 im Predigerseminar Finkenwalde, die eine sehr wichtige Rolle des späteren Dogmatikers und Lutherforschers Gerhard Ebeling aufzeigt. War dies lediglich eine Seminarübung, die zum Teil sogar in Abwesenheit Dietrich Bonhoeffers erfolgte, oder ging es darum, einen Widerspruch der Seminaristen gegen Bonhoeffers Theologie von der „teuren Gnade“ (vgl. Dietrich Bonhoeffer, Nachfolge, 1937) zu artikulieren? Interessant ist dabei, dass der Text „Das Gebot Gottes“ nicht sicher als Korreferat der Disputation im Sinn Bonhoeffers identifiziert werden kann, vorgetragen von Gerhard Krause, obwohl Gerhard Ebeling auf Anfrage diese Version noch in den neunziger Jahren aus dem Gedächtnis bestätigte. Der Text erinnert eigentlich auch nur im Anfangsteil an Bonhoeffers Argumentation und bezieht sich im Schlussteil auf die weitestgehend bekannte Position Karl Barths aus dem Buch „Evangelium und Gesetz“ (Kaiser-Verlag München 1935).

Für solche Leserinnen und Leser, die nicht über einen großen Bestand von Kirchenkampf – oder Bonhoeffer-Literatur verfügen, ist der Materialteil der Studienausgabe interessant, da er wichtige Dokumente der Bekennenden Kirche z. B. „Barmen“ und „Dahlem“ enthält, sowie Beschlüsse der Bekenntnissynode der altpreußischen Union und Dokumente zur Gründung des Predigerseminars in Finkenwalde. Abgerundet wird das Buch nach einem umfangreichen Anhang durch ein kleines Kapitel, das die 2012 neu eingerichtete Gedenkstätte auf dem Grundstück in Finkenwalde bei Stettin vorstellt, einen Garten der Stille und Meditation. Das Bild auf dem Cover stellt die dort gezeigte Skulptur dar. Dokumentarische Texte und Zitate Bonhoeffers werden ebenfalls dokumentiert. Die Bedeutung von Stille und Meditation gehört mit zu der Konzeption des Predigerseminars, die auf Bonhoeffer direkt zurückgeht. Eine festgelegte Zeiteinheit im Tagesablauf des Seminars diente der Meditation eines bestimmten Textes, der dabei nicht wissenschaftlich bearbeitet werden durfte. Dadurch waren Stille und Meditation im Konzept Bonhoeffers zur Quelle der Gedanken im Predigerseminar geworden, angelehnt an die Arbeiten der Mystik, denn nur durch Stille und Meditation kommt das eigene Selbst im Zusammenhang der Bibelauslegung zum Klingen.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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