Es muss am Anfang deutlich gesagt werden, dass die eigene Wahrheit nicht aufgegeben wird, wenn man in der anderen Religion etwas Eigenes erkennt. Der Wahrheitsanspruch der eigenen Religion ist oft etwas ganz Unverwechselbares und gehört zur eigenen Prägung. Deshalb muss man allerdings nicht darauf verzichten, sich in einen interreligiösen Austausch zu begeben. Wer den eigenen Wahrheitsanspruch benutzt, um den Dialog zu verweigern, ist Fundamentalist. Der Dialog ist wie jede Kommunikation manchmal auch ganz gut geeignet, etwas mehr über die eigene Religion zu erfahren. Zu Beginn möchte ich daher die Sicht des traditionellen Christentums zum Islam darstellen, auch wenn dies zunächst nicht nach Dialog klingt. Der zweite Abschnitt greift nun kurz einige Informationen auf, die Stellung des Islams in Bezug auf das Christentum darstellen. Danach möchte ich die Frage nach Gott behandeln: Ist „Allah“ der Gott der Bibel? Danach Jesus. Zum Schluss muss es dann direkt um die Frage der Beziehung der beiden Religionen gehen. Dafür frage ich zuerst: Kommt der Islam in der Bibel vor? Dann stelle ich eine biblische Geschichte vor, die die Deutung der Beziehung zwischen Islam und Christentum als Geschwister unterstützen kann. Ich nenne sie: Die verschiedenen Kinder eines Vaters.
Aus der Sicht des traditionellen Christentums in theologisch kirchlicher Sicht ist eine erneute Offenbarung nach Jesus Christus überflüssig. So gesehen ist der Islam eine Abspaltung, genannt Häresie oder Sekte. Der Wahrheitsanspruch einer erneuten Offenbarung ist aus traditioneller Sicht zu bestreiten. Eine Bestätigung der christlichen Lehre und Überlieferung ist nicht nötig, da sie aus sich heraus wahr ist. Die Bibel ist ausschließliche Offenbarungsquelle. Eine andere Perspektive ergibt sich im Blick auf die Entwicklung der christlichen Lehr- und Religionsgeschichte. Die Auslegungsgeschichte zeigt, dass der christliche Glaube immer wieder neue Interpretationen benötigt, vor allem dann, wenn dies vor einem jeweils anderen kulturellen Hintergrund geschieht. Insofern gehört der Islam zweifellos zur Auslegungsgeschichte des Christentums hinzu, zumindest in den Bereichen, in denen Inhalte der Bibel oder der Kirchen angesprochen sind, was den jeweiligen Wahrheitsanspruch allerdings nicht berührt. Erst nach dem Verzicht auf einen exklusiven Wahrheitsanspruch kommt es zu einem interreligiösen Dialog. Sonst ist der Andere im Dialog immer irgendwo im Irrtum, egal in welcher Hinsicht, weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Anknüpfungspunkte zum Dialog wie Ethik, Menschenbild, Zukunftsvision sind von dieser Art der Wahrheitsfrage unabhängig. Der interreligiöse Dialog bedient sich allgemeiner d.h. nicht-religiöser Begegnungs-Punkte und Erfahrungswissens und stellt die Wahrheitsansprüche anderer Religionen nicht durch Exklusivitäts-Behauptungen in Frage. Alle sind Geschwister einer Menschheitsfamilie, das genügt für den Dialog. Doch kann man weitergehen, zum Beispiel in der Betrachtung der Beziehung von Islam und Christentum? Sind diese beiden Religionen aufgrund ihrer besonderen Geschichte in einem weiterreichenden Verhältnis, das man etwa als Geschwister einer Glaubensfamilie bezeichnen kann?
So betrachten wir nun das Verhältnis des Islams zum Christentum. Die fünf Säulen des Islam, Fasten, Pilgern, fünf Tagesgebete, Armensteuer und Glaubensbekenntnis deuten auf Anhieb nicht auf eine enge Beziehung zum Christentum, so wie wir es kennen Eine Ausnahme nennt der Koran, Sure 3, 113-115. Hier werden Gebete erwähnt, bei denen Christen sich niederwerfen. Der Koran lobt hier eine Kirche, die der Trinitätslehre nicht folgt und ähnliche religiöse Riten pflegt, die wir vom heutigen Islam kennen. Jedoch Taufe und Konfirmation gibt es im Islam nicht, die Bibel selbst wird nicht gelesen. Die Versammlungen in der Moschee erinnern schon ein wenig an christliche, eher evangelische Gottesdienste, wenn auch mit der völlig anderen Gebetshaltung des Niederwerfens, an die allenfalls das Niederknien in der katholischen Kirche ein wenig erinnert. Interessant ist die Moschee, der Versammlungsraum zum Gebet. Der traditionelle Baustil einer Moschee, überall im Islam gleich, ist ursprünglich byzantinischen Ursprungs und orientiert sich an Felsendom in Jerusalem. Dessen riesige Kuppel ist auf der Länge von 240 m mit Aussagen des Korans zu Jesus und Maria beschriftet. Der Felsendom wurde im Jahr 690 n. Chr. errichtet und ist eines der ältesten Bauwerke des Islam überhaupt. Die Nähe von Christentum und Islam, wie sie sich hier darstellt, ist keine nachträgliche Interpretation, sondern stammt aus der Gründerzeit und geht also auf Mohammed selbst zurück. Es heißt, Mohammed habe die Bibel nicht gelesen. Die Suren des Korans wurden auswendig zitiert. Die Anspielungen des Korans auf die Bibel und ihre Gestalten sind aus dem Gedächtnis zitiert und entstammen einer langjährigen Beschäftigung Mohammeds mit dem Christentum.
Ist „Allah“ der Gott der Bibel? Die Frage, ob der Gott des Islam der Gott der Bibel ist, ist zunächst nicht einfach zu beantworten. Die christliche Trinitätslehre wird im Koran abgelehnt. Es ist jedoch vom heiligen Geist die Rede. Gottes Offenbarungen werden übermittelt und durch den Menschen Mohammed empfangen und verkündigt, das Modell der biblischen Prophetie. Die Namen der biblischen Propheten werden im Koran genannt. Auch Jesus gilt als Prophet. Bekannt ist im Koran zum Beispiel, dass Jesus auf Gewalt verzichtet hat (Sure 19,32). Im Koran ist allerdings weniger von einem Gott die Rede, der ein bestimmtes Volk oder eine Gruppe auswählt, von den Gläubigen allgemein abgesehen. Von Gott ist die Rede als dem universellen Schöpfer und Verwalter der Erde. Vielleicht kann man sogar sagen, dass sich das Gottesbild vom Judentum als dem auserwählten Volk über das Christentum bis hin zum Islam immer mehr auf die Seite des Schöpfers verschiebt. Die Verheißung des Lebens nach dem Tod und der Zukunft des Paradieses orientieren sich an der biblischen Überlieferung und gehören so gesehen auch zur biblischen Vorstellung, dass Gott der Ewige ist, der den Seinen das Heil verspricht. Andererseits fehlt die Vorstellung des christlichen Gottesbildes, die auf dem beruht, was zur Geburt und Kreuzigung Jesu gehört. Der christliche Gott ist Mensch geworden und hat in Jesus das menschliche Leiden geteilt. Zusätzlich kann man sagen: der Satz: „Ich glaube an den einen Gott“ ist die den Christen und Muslimen gemeinsame Gottesvorstellung. So lautet zum Beispiel das Ergebnis einer christlich iranischen Konsultation. Der Islam bestreitet zusätzlich, dass Gott sich in den Gestalten Vater, Sohn und Geist zeigt und hält dies für eine Drei-Götter-Lehre. Das Christentum dagegen bestreitet den Anspruch einer endgültigen Offenbarung durch Gott an Mohammed. Die Lehre Mohammeds könnte dagegen als eine Art Reformation angesehen werden. Mit der Behauptung einer exklusiven, ausschließlichen Wahrheit kommen die Religionen im Dialog nicht weiter. Konsultationen im Dialog bestehen darin, sich auf die Suche nach Gemeinsamkeiten machen.
Jesus. Auch für Christ_innen ist die Verkündigung des Korans über Jesus interessant. Sieht man einmal von der für die christliche Betrachtung abwegigen Leugnung der Kreuzigung ab (Sure 4, 155f) und betrachtet die im Koran genannten Aussagen Jesu über Gott, so liegen die Parallelen zu den Schilderungen der Evangelien offen zu Tage. Das im Einzelnen zu beschreiben würde hier zu weit führen. Der Islam ist in der Beschreibung der Lehre des irdischen Jesus sehr nah an der biblischen Überlieferung. Im Handeln Jesu, auch in den Wundern, sieht er Beweise des Heiligen Geistes, den dieser von Gott erhalten hat. Interessant wäre die Frage, ob der Name Gottes al-Rahman, der Barmherzige, mit der Überlieferung über Jesus im Koran zusammenhängt. So gehört zum Beispiel die Sure genannt Maria zu den so genannten Rahmansuren, so bezeichnete, da dort dieser Gottesname überwiegt. Eine interessante Parallele zeigt auch die Sure 55,1 – 4: „Der Barmherzige/ Er lehrte den Koran/ Er schuf den Menschen/ Lehrte ihn das Verstehen – oder: die klare Rede.“ Da mit dem Wort Koran hier noch nicht die spätere Sammlung der Suren gemeint sein kann, geht die deutsche Koran-Forscherin Angelika Neuwirth davon aus, dass mit Koran hier Wort im Sinne von Logos gemeint ist. Hört man gezielt auf Johannes 1,1 – 5, so zeigen sich die Parallelen: „Am Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott… Alle Dinge sind durch es geschaffen… In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen…“ Hier ist das Wort die durch den Koran gegebene gottmenschliche Kraft, die „in die Welt eindringt und in ihr wirkt“ (Angelika Neuwirth, Der Koran… S. 163). Auf die wichtige Bedeutung des Wortes al-Rahman hat kürzlich Mouhanad Khorchide, islamischer Professor in Münster, hingewiesen. Auch für Jesus war die Barmherzigkeit Gottes ein Grundmotiv. Mit diesem Wort Barmherzigkeit ist eine gute Brücke zwischen Christentum und Islam gegeben. Zu glauben bedeutet, die Barmherzigkeit Gottes dankbar anzunehmen und im eigenen Leben zu praktizieren.
Kommt der Islam in der Bibel vor? In der islamischen Literatur wird diese Frage so ausgedrückt, ob die Sendung Mohammed angekündigt wird. In Sure 61,6 wird gesagt, Jesus habe ACHMAD (arab. der Lobenswerte, Hochgepriesene) angekündigt, ein Name Mohammeds. Wer wird in der Bibel als Nachfolger Jesu verheißen? Dabei wird wohl kaum Petrus gemeint sein, der später für den Jüngerkreis zuständig war. Eher ist ans Johannesevangelium zu denken, in dem Jesus sagt, das nach ihm der Tröster, der Paraklet kommen wird (Johannes 16,7). Die Kirche sieht dieses Wort Tröster in der Gabe des Heiligen Geistes angesprochen. Doch wird hier etwa eine historische Entwicklung der Wahrheit verwechselt mit einer religiösen Anschauung? Könnte Jesus in den Worten des Johannesevangeliums auch einen anderen Nachfolger gemeint haben? Es ist zumindest ein biblisch-christliches Muster, das darin besteht, die Erscheinung eines Propheten als Erfüllung einer vorhergegangene Verheißung anzusehen. Man denke nur an die Weihnachtslesungen aus dem Alten Testaments, die auf die Ankündigung der Geburt Jesu hinweisen sollen. Ein anderes Beispiel, das im Zusammenhang der Ablehnung der Trinitätslehre angeführt wird (hier: Sure 5, 118) ist der Ausspruch Jesu „mir steht es nicht zu“. Dieser Ausspruch findet sich fast wörtlich in Matthäus 19, 23, wo Jesus sagt, ihm stehe es nicht zu, für den Vater zu entscheiden, wer mit ihm im Gottesreich am Tisch sitzen wird. Es ist in der Tat richtig, dass Jesus der Entscheidung Gottes, den er den Vater nennt, nicht vorgreifen will und sich insofern nicht selbst an seine Stelle setzt. Es gibt also im Koran Aussagen über oder sogar von Jesus, die einerseits sogar der islamischen Religion entsprechen. Ebenso finden sich Aussagen zur Zeit nach Jesus Christus, die der Islam auf sich selbst beziehen kann.
Die verschiedenen Kinder eines Vaters. Interessant ist vielleicht eine typologische Auslegung des Gleichnisses Jesu vom verlorenen Sohn (Lukas 15, 11 – 32). Das Wort „typologisch“ meint, die Rollen im betreffenden Bibeltext so zu deuten, das mit Ihnen bestimmte Typen gemeint sind. Diese Deutungsmethode war in der christlichen Kirche um die Zeit Mohammeds sehr verbreitet.
Ich erzähle das Gleichnis in einer Kurzfassung:
Ein Vater hat zwei Söhne. Der jüngere nimmt das Erbteil, geht außer Landes und verarmt. Er geht zurück zu seinem Vater, um sich ihm als Tagelöhner anzubieten. Dieser jedoch verzeiht ihm und schließt ihn in die Arme. Das Wiedersehen wird gefeiert. Der ältere Sohn, wohl schon als Erbe eingesetzt, ärgert sich über diese Feier. Doch der Vater sagt zu ihm: du gehörst zu mir und was dein ist, das ist mein. Dein Bruder war verloren und ist wieder gefunden.
Typologisch ausgelegt sagt man, dem älteren Sohn entspreche das Judentum als der ältere Zweig der gleichen Religion und das Christentum sei der jüngere Sohn in Bezug auf Gott den Vater. Die Beziehung zu Gott verdankt sich der ältere Sohn der Zugehörigkeit zur Familie und der Abstammung, während der jüngere durch die Entscheidung des Vaters, also durch die Vergebung wieder in die Verbindung aufgenommen wird. Doch diese Auslegung meinte den historischen Sinn, also das, was Jesus oder die Evangelien gemeint haben können. Die aktuelle Auslegung kann sich von dieser Vorgabe lösen und allgemein darauf beziehen, wer als Kind zu diesem einen Vater gehört. Wenn diese Auslegung auf dem Islam angewandt wird, dann ist das Christentum der ältere und der Islam der jüngere Sohn, der von Gott selbst in den Bund eingeladen wird.
Für Jesus ist das Gottesbild des Vaters nicht auf eine Abstammung bezogen, sondern bedeutet Ursprung oder Schöpfer. Insofern sind alle Menschen Gotteskinder und Gott geht ihnen allen mit offenen Armen entgegen, wenn sie sich an die Beziehung zu ihm erinnern. Jeder Mensch ist in die Beziehung zu Gott eingeladen und dort hin führen verschiedene Wege. Die Religionen des eigenen Vaters sind Gotteskinder, Brüder und Schwestern. Sie sind auch verschieden, und kommen auf verschiedenen Wegen zu Gott und gehören doch zusammen in dem gemeinsamen Haus der Erde. So gesehen ist die Verkündigung Jesu in diesem Gleichnis vom verlorenen Sohn eine Aufforderung zum Dialog und nicht dazu, das Trennende zu betonen, sondern das Verbindende und das Gemeinsame. Die Verbindung zu Gott und die Religion, die Rückbindung an den Ursprung des Lebens und den Grund des Seins, sollten unser gemeinsames Anliegen sein.
Literaturhinweise: Kommuniqué über das 8. Kolloquium des Päpstlichen Rates für den Interreligiösen Dialog und der Organisation für Islamische Kultur und Beziehungen Quelle: http://www.zenit.org/article-25998?l=german
Mouhanad Khorchide: Islam ist Barmherzigkeit, Grundzüge einer modernen Religion. Herder Freiburg 2012
Angelika Neuwirth: Der Koran als Text der Spätantike, Ein europäischer Zugang, Verlag der Weltreligionen, Berlin 2010