Genesis 8, 1 – 12 (Gute Nachricht Bibel)
1 Da dachte Gott an Noach und an all die Tiere, die bei ihm in der Arche waren. Er ließ einen Wind über die Erde wehen, sodass das Wasser fiel. 2 Er ließ die Quellen der Tiefe versiegen und schloss die Schleusen des Himmels, sodass es zu regnen aufhörte. 3 So fiel das Wasser nach hundertfünfzig Tagen. 4 Am 17. Tag des 7. Monats setzte die Arche auf einem Gipfel des Araratgebirges auf. 5 Das Wasser fiel ständig weiter, bis am 1. Tag des 10. Monats die Berggipfel sichtbar wurden. 6 Nach vierzig Tagen öffnete Noach die Dachluke, die er gemacht hatte, 7 und ließ einen Raben hinaus. Der flog so lange hin und her, bis die Erde trocken war. 8 Noach ließ auch eine Taube fliegen, um zu erfahren, ob das Wasser von der Erde abgeflossen war. 9 Sie fand aber keine Stelle, wo sie sich niederlassen konnte; denn die ganze Erde war noch von Wasser bedeckt. Deshalb kehrte sie zur Arche zurück. Noach streckte die Hand aus und holte sie wieder herein. 10 Er wartete noch einmal sieben Tage, dann ließ er die Taube zum zweiten Mal fliegen. 11 Sie kam gegen Abend zurück und hielt einen frischen Ölbaumzweig im Schnabel. Da wusste Noach, dass das Wasser abgeflossen war. 12 Er wartete noch einmal sieben Tage, dann ließ er die Taube zum dritten Mal fliegen. Diesmal kehrte sie nicht mehr zurück.
Liebe Gemeinde,
der Gott Israels war ursprünglich ein Stammesgott, der aus der Verbindung von Stämmen zu einem lockeren Heeresverband und später zu einer Nation hervorging. Dazu gehörten dann die örtlichen Heiligtümer. Erst in einem späteren Entwicklungsstadium des israelitischen Glaubens wurde die Gotteserfahrung von einer Religion der Vereinheitlichung und Zentralisierung in einem Land zu einer universellen, im Prinzip weltweiten Gottesvorstellung. Diese Gottesvorstellung ist dann auch die unsere. Sie ist durch das Neue Testament in das Christentum übergegangen.
In der Entstehung der Bibel wurden neuere Teile immer vorangestellt. So bildet gerade diese Erzählung als die Urgeschichte den Anfang der Bibel. Und das ist praktisch. Der Anfang der Bibel wird dadurch zum ersten Teil der Bibel, zu dem Abschnitt, in dem die Leserinnen und Leser die Hauptperson dieser Erzählung kennenlernen – und diese Hauptperson ist Gott.
Es ist daher interessant, die Teile der Urgeschichte wie auch den heutigen Predigttext gerade von der Frage her zu lesen: Wer ist Gott? Wie ist Gott gedacht? Was wird von Gott erzählt? Wir können uns dann am Ende der Predigt fragen, inwiefern wir diese Gottesvorstellung der Bibel übernehmen und inwiefern wir schon ein wenig davon entfernt sind oder sie weiter entwickelt haben.
Dabei mache ich zwischendurch von einem kleinen Trick Gebrauch, indem ich die Stimme Gottes in den jeweiligen Menschen verlege. Es gibt bei aller Rede von Gott immer einen Menschen, der die Stimme Gottes vernimmt, hört, liest oder so ähnlich. In unserer Geschichte ist das Noah, der ja ohnehin schon die ganze Zeit über als fromm bezeichnet worden ist. Fromm heißt hier: Noah steht mit Gott im Kontakt. Der Bau der Arche ist ja nicht seine eigene Idee, sondern die Idee der Stimme Gottes in ihm. Zuerst warnt sie vor der Flut und ermahnt zur Umkehr von allerlei unguten Wegen. Dann ist die Arche das schwimmende Haus der Rettung für Menschen und Tiere.
Die Erde ist voll Wasser gelaufen, und zwar so extrem, dass sogar die Gipfel der Erde vom Wasser bedeckt sind, was wir später noch hören werden. Zuerst heißt es:
1 Da dachte Gott an Noach und an all die Tiere, die bei ihm in der Arche waren. Er ließ einen Wind über die Erde wehen, sodass das Wasser fiel. 2 Er ließ die Quellen der Tiefe versiegen und schloss die Schleusen des Himmels, sodass es zu regnen aufhörte. 3 So fiel das Wasser nach hundertfünfzig Tagen.
In der Sprache des Textes muss man das Gedenken Gottes und die Ereignisse zusammen betrachten. Von außen bewirkt Gott alles, was geschieht. Gott lässt es regnen und Gott lässt die Flut versiegen. Dass die Flut mehr ist als eine Überschwemmung, habe ich schon angedeutet. Das sieht man an dieser Stelle, da ja nicht nur vom Regen, also den Schleusen des Himmels gesprochen wird, sondern auch von den Quellen der Tiefe. Das Wasser der Sintflut kommt also sowohl von oben als auch von unten aus den Quellen und Brunnen. Die Erde ist wie am ersten Schöpfungstag vollständig mit Wasser bedeckt. Und doch hört die Flut quasi schon in dem Moment auf, als der Regen nicht mehr auf die Erde fällt und vom Himmel her Trockenheit eintritt. In dieser Hinsicht auf die Rolle Gottes ist, wie gesagt, Gott der „Bewirker“ vom Naturgeschehen. Es ist nicht die Frage, warum Gott eine Flut zulässt, sondern warum er sie schickt. Doch die philosophischen Probleme dieser Frage müssen hier nicht hineingelesen werden. Denn fragen wir nach der Stimme Gottes in Noah, dann können wir uns etwa ein Gespräch Noahs mit seinen Angehörigen vorstellen, wie Kinder im Auto auf der Urlaubsfahrt fragen: Wann ist die Fahrt zu Ende? Wann sind wir angekommen? Sagt Noah: Ich bin mir ganz sicher, dass Gott an uns denkt. Gott wird uns bewahren und unsere Geduld belohnen.
Gott ist die Kraft dafür/oder: die uns in eine ungewisse Zukunft hineingehen und hoffen lässt auf Ereignisse und Lebensumstände, die aus einer Katastrophe herausführen. Gott will das Heil und das Leben für diese Erde, für Menschen und Tiere. Hier steht nicht das Geschehen als Wirken Gottes im Vordergrund, sondern der Wille Gottes, der geschehen soll, im Himmel wie auf Erden. Menschen, die mit Gott in Verbindung stehen, können andere trösten, indem sie auf den Willen Gottes verweisen.
Beides, Willen und Wirken Gottes stehen in einer Verbindung in der Zeit. Das Handeln Gottes ist ein Handeln in der Zeit, in der wir Menschen leben. Religion besteht darin, einen Kalender zu haben und an bestimmten Tagen an das Handeln Gottes besonders zu denken. Die Geschichte sagt daher genau, wie lange die einzelnen Zeitabschnitte der Sintflut gedauert haben, auch in einem konkreten Sinn, an welchem Zeitpunkt eine Änderung eingetreten ist. Die Geschichte besteht dann aus der Abfolge solcher Zeitpunkte. Die Flut dauerte insgesamt ein Kalenderjahr.
4 Am 17. Tag des 7. Monats setzte die Arche auf einem Gipfel des Araratgebirges auf. 5 Das Wasser fiel ständig weiter, bis am 1. Tag des 10. Monats die Berggipfel sichtbar wurden. 6 Nach vierzig Tagen öffnete Noach die Dachluke, die er gemacht hatte, 7 und ließ einen Raben hinaus. Der flog so lange hin und her, bis die Erde trocken war.
Die Erwähnung des Berggipfels lässt Zeit und Raum konkret werden und verbinden. So kann man beispielsweise an einem bestimmten Ort an einem festgelegten Tag des Jahres eines Ereignisses gedenken, so wie wir Christinnen und Christen am Karfreitag an die Kreuzigung Jesu denken. In diesem Fall geht es allerdings auch darum zu sagen, dass die Flut so hoch war, dass sie die Berggipfel einschloss. Der Ararat war mit etwa 5000 Meter der in der Region höchste bekannte Berg. Das Sichtbarwerden der niedrigen Berggipfel wird dann noch einmal gesondert erwähnt und ein Abfließen der Flut damit erklärt. Auch hierzu wird erneut ein Datum genannt. Dies alles wird erzählt, um die Frage nach dem Ende der Flut einzuführen. Es gibt also in einer Katastrophe eine Art Zwischenzeit. Diese Zeit ist noch in der Katastrophe selbst, die aber sozusagen dabei ist, sich aufzulösen und zu verschwinden. Die Rettung ist noch nicht greifbar, aber schon denkbar und vielleicht in Grundzügen sichtbar. Übrigens ist die Anwesenheit Gottes in dieser Katastrophe ziemlich minimal. Gott denkt an Noah und beendet den Regen, das ist schon alles. Der Rest in dieser Geschichte, die auf die Rettung der Arche hofft, geschieht durch Noah. Noah setzt geschickt Boten ein, um sich das Ende der Flut anzeigen zu lassen. Dabei steht die Rabengeschichte unabhängig von der Taubengeschichte. Der Rabe kehrt nicht wieder zurück, und damit ist schon wie beim letzten Flug der Taube das Ende der Flut bereits angedeutet. Nur da sich die Katastrophe noch einige Zeit hinzieht, wirkt die Taubengeschichte noch als Verstärkung. Beiden Geschichten gemeinsam ist, dass sie eine Gepflogenheit von Seeleuten aufgreift aus der Zeit, als es noch keinen Kompass gab. Man führte Vögel mit im Schiff und ließ sie in Küstennähe fliegen. dann konnte man an der Richtung des Fluges erkennen, wohin es zum Ufer führte. Wenn man diesen Brauch bedenkt, dann ist die Erwähnung des Hin- und Herfliegens an dieser Stelle wohl auch so zu deuten, dass die Flut zwar schon zu Ende geht, aber noch nicht vom rettenden Ufer gesprochen werden kann.
Wenn man, wie vorhin gesagt, in der Bibel das geschichtliche Denken durch das Handeln Gottes angeregt sieht, so muss man an dieser Stelle sagen, dass die Schöpfung auch ihr geschichtliches Eigenleben hat. Das Handeln des Menschen, wie hier Noahs, ist auch selbstverantwortlich. Man darf sich also nicht nur durch religiöse Gefühle leiten lassen, die wohl insgesamt das Ende der Flut verkünden, sondern soll genauso den Verstand anstrengen und sich selbst um Erkenntnisse bemühen. Getadelt wird Noah jedenfalls nicht deswegen. Der Flug der Vögel ist auch ein Symbol der Freiheit, in die Menschen nach der Erzählung der Bibel durch Gott gesetzt worden sind.
Die zum Schluss folgende Taubenprobe ist eine geschlossene Geschichte, die es bis in die moderne Kunst hinein geschafft hat, in einem Bild von Picasso, das auch zum Symbol der Friedensbewegung geworden ist.
8 Noach ließ auch eine Taube fliegen, um zu erfahren, ob das Wasser von der Erde abgeflossen war. 9 Sie fand aber keine Stelle, wo sie sich niederlassen konnte; denn die ganze Erde war noch von Wasser bedeckt. Deshalb kehrte sie zur Arche zurück. Noach streckte die Hand aus und holte sie wieder herein. 10 Er wartete noch einmal sieben Tage, dann ließ er die Taube zum zweiten Mal fliegen. 11 Sie kam gegen Abend zurück und hielt einen frischen Ölbaumzweig im Schnabel. Da wusste Noach, dass das Wasser abgeflossen war. 12 Er wartete noch einmal sieben Tage, dann ließ er die Taube zum dritten Mal fliegen. Diesmal kehrte sie nicht mehr zurück.
Fragt man sich zum dritten Mal nach der Stimme Gottes in dieser Geschichte, so muss man hier das Bild der Taube vor Augen haben, die einen grünen Zweig im Schnabel trägt. Schon der erste Taubenflug ist von einer interessanten Bemerkung flankiert, dass nämlich Noah seine Hand ausstreckt und sich die Taube darauf setzt. Man könnte im Bild der Erzählung sagen: Noah hat die lange Zeit der Flut auf der Arche genutzt, um eine Taube zu dressieren, sie sozusagen zum Urbild der Brieftaube gemacht. Man kann diesen Vogel aussenden und er kommt zurück. Der Taubenvater streckt die Hand aus, und der Vogel lässt sich darauf nieder. Dazu kommt nun die zweite Eigenschaft der Brieftaube, dass sie eine Botschaft transportieren kann. Hier ist es kein Brief, sondern das Blatt eines Olivenbaums, das die Taube im Schnabel trägt. Das grüne Blatt ist das Zeichen des Leben und der Rettung noch während der Katastrophe. Vielleicht kann man doch am besten das Ziel der biblischen Religion in dieser Bewahrung des Lebens erkennen, erst in der Arche und später auf dem Zug durch das rote Meer. Auch Jesu Auferstehung ist das Zeichen des Lebens über den Tod hinaus. In der Kunst gibt es nicht selten ein Kreuz mit einem Blatt oder ein Kreuz als Baum mit Blättern oder auch auf vielen Antependien ist die Taube als Symbol mit dem Olivenblatt abgebildet.
Die Erzählung von der Katastrophe hat gewiss ihre dunklen Zeiten und muss Fragen aufwerfen. Wir Christen sollten uns aber gerade dadurch fragen lassen, welchem Gottesbild wir folgen wollen. Ist es das Gottesbild des blinden Schicksals oder des strafenden oder gar rächenden Gottes – oder ist es die Vorstellung, dass Gott an die Menschen denkt in der Not, dass er die Rettung für Mensch und Natur will und die Zeichen des Lebens gibt, die auch von Menschen selbst gesetzt werden können und sollen. So steht Gott nicht neben dem Leben, sondern ist mittendrin in Botschaften und Symbolen, in Handlungen und Erfahrungen. Gottes Wille geschieht, wie im Himmel, so auf Erden. Amen.