Predigt über Römer 14, 7-9, Christoph Fleischer, Welver 2016

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Predigt über Römer 14, 7 – 9, Zürcher Bibel

7 Keiner von uns lebt für sich selbst, und keiner stirbt für sich selbst. 8 Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn.

Ob wir nun leben oder sterben, wir gehören dem Herrn.

9 Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden: dass er Herr sei über Tote und Lebende.

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Foto: Niklas Fleischer (c)

Liebe Gemeinde,

Dieses kleine Stück aus dem 14. Kapitel des Römerbriefs ist kein Auszug aus einer Abhandlung über den Sinn des Lebens und des Sterbens. Es ist eher ein kurzer Text wie ein Gedicht oder Zitat, das einen Sachverhalt untermauern soll.

Trotzdem ist dieser Text am drittletzten Sonntag des Kirchenjahres als Erinnerung an den Tod gedacht. Vor diesem Hintergrund ist steht die Aussage: Der Sinn des Todes ist kein anderer als der Sinn des Lebens.

Die Predigt über dieses Stück aus dem Römerbrief kann aber nicht vom textlichen Zusammenhang absehen. Dazu möchte ich zuerst dazu einige Beobachtungen nennen:

Zunächst erklärt Paulus den Unterschied zwischen Schwachen und Starken im Glauben. Die Starken sind diejenigen, die den Glauben und die Freiheit gleichermaßen haben. Sie brechen mit den herkömmlichen Regeln der jüdischen Religion, lassen sich auf den Kontakt mit Nichtjuden ein, essen verbotenes Fleisch, nehmen an Gastmählern teil, sind, um es kurz zu sagen, in die Gesellschaft integrierte Bürgerinnen und Bürger. Sicherlich unterscheiden sie sich trotzdem als Glaubende von anderen, was sich aber nicht in religiösen Äußerlichkeiten zeigt. Anders die Schwachen. Sie schützen sich selbst, indem sie die überkommenen festen Regeln einhalten, ja vielleicht sogar noch verschärfen. Zwei Beispiele scheinen Grund zum Streit zu sein, die Einhaltung der Speisegebote und das Halten des Sabbats. Dazu heißt es überleitend: „Römer 14, 5 Der eine hält einen Tag für höher als den andern; der andere aber hält alle Tage für gleich. Ein jeder sei in seiner Meinung gewiss. 6 Wer auf den Tag achtet, der tut’s im Blick auf den Herrn; wer isst, der isst im Blick auf den Herrn, denn er dankt Gott; und wer nicht isst, der isst im Blick auf den Herrn nicht und dankt Gott auch. 7 Denn unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.“

Das heißt: Da vor Christus alle gleich sind, sind die Unterschiede zweitrangig. Jeder und jede verdient Respekt.

Paulus ist hier ein wahrer Politiker, denn auch Kirchenführung ist nichts Anderes als Politik. Auch wenn er selbst eine bestimmte Meinung hat, nämlich die der Freiheit, erkennt er beide Meinungen als berechtigt an. Es ist klar, dass es zu Streit kommen kann, wenn man sich auf ein bestimmtes Essen einigen will oder an einem Tag verabredet ist. Aber der Streit ist das eigentliche Übel, nicht die Unterschiedlichkeit.

Es gibt nämlich über allem noch ein höheres Gut: Das Leben und der Tod sind für alle gleich. Das Leben verdankt keiner sich selbst. Der Tod ist ebenfalls eine höhere Macht. Diese Mächte stellen eine Rangordnung dar. Die Streitpunkte sind unter der Vorrangstellung des Lebens überhaupt geringfügig und lächerlich.

Doch ging es zunächst nur um die Starken und die Schwachen und nach unserem Text, der Schaltstelle kommt die eigentlich praktische Ermahnung: Niemand hat den anderen Menschen zu richten und zu verurteilen, da jeder selbst dem Urteil Gottes untersteht. Niemand darf sich demgegenüber zum Richter machen, denn er stellt sich damit an Gottes Stelle, dem allgemeinen Richter. Und die Schlussfolgerung ist, dass jeder sein eigenes Leben selbst zu verantworten hat. Letztlich richtet sich die Ermahnung an die Starken, sie mögen nicht zu mehr Streit beitragen und mögliche Anlässe des Ärgers so gut es geht vermeiden. Währenddessen werden die Schwachen an die evangelische Freiheit erinnert und daran, dass zu strenge religiöse Regeln ohnehin niemanden näher zu Gott bringen, denn es kommt allein auf den Glauben an. Die Speisegebote und die Sonntagsfrage geben Anlass zum Streiten. Der Streit selbst ist das größere Übel, denn er zerstört den einen Bau der Kirche. Toleranz und Verantwortung gehen Hand in Hand. Toleranz ohne Verantwortung artet in Freizügigkeit und Beliebigkeit aus. Verantwortung ohne Toleranz artet in Rechthaberei und Herrschaftsdenken aus. Beides schadet der Gemeinschaft, dem gemeinsamen Leib Christi.

Ich bin mir sicher, dass diese Argumente so grundlegend sind, dass sie auf eine christliche Gemeinde immer zutreffen. Ich selbst wähle zwei Beispiele: Das erste ist die Frage, ob die Kirchensteuerchristen oder sogar die Ausgetretenen weniger wert sind und haben, als die, die ihrer Frömmigkeit etwas sicherer sind. Obwohl man meinen müsste, dass der regelmäßige Genuss der religiösen Angebote aus den Menschen gute Menschen macht, gibt es auch die Erfahrung, dass solche Menschen genauso entgleisen können wie die Nichtfrommen. Diese wiederum können im praktischen Handeln, etwas im Beruf viel wichtiger Dinge leisten, als das durch einen regelmäßigen Kirchenbesuch je erreicht werden kann. Ich sah einmal eine Ärztin im Krankenhaus. Sie kam ins Wartezimmer der Augenklinik, weil sie eine Patientin abholen wollte, eine ältere Frau aus einem Altenheim, die im Rollstuhl saß. Sie erschien uns vorher schon etwas verwirrt. Zwei Mitarbeiter eines Krankentransportdienstes hatten sie dort abgesetzt und zu ihr gesagt: Wir holen Sie nachher wieder ab. Sie hatte dann jedem, der es hören oder nicht hören wollte halblaut, ohne eine Reaktion abzuwarten, erzählt, dass sie im Krankenhaus ist und dass sie schon sehr viel Schlimmes in ihrem Leben mitgemacht hat. Die Ärztin sagte verständnisvoll: „Kommen sie bitte mit ins Sprechzimmer.“ Sie entgegnete: „Ich bin allein hier, niemand kann den Rollstuhl schieben, fahren Sie mich bitte hin.“ Und die Ärztin nahm den Rollstuhl und fuhr die Frau zum Behandlungsraum. So etwas sind in meinen Augen wirklich gute und fromme Menschen, die jemandem mal eben spontan helfen können.

Die Schaltstelle für Toleranz und Rücksichtnahme ist der Vers: „Leben wir, so leben wir dem Herrn. Sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum: Wir leben oder sterben, sind wir des Herrn.“ (Römer 14,8)

Paulus sagt, dass die „Schwachen“ eine Waffe haben und sich als Tyrannen aufspielen können. Anders Nygren, ein schwedischer Theologe schreibt: „Im Richten über andere findet der Schwache eine Entschädigung für seine Schwäche.“ (Anders Nygren, S. 316). Für mich ist es der schwache Glaube der, der wirklich schwach ist, manchmal unentschieden, unbewusst, nicht klar im Handeln, zwischen Alternativen wechselnd. Das ist bei Paulus eher die Stärke, da sie in der Freiheit mündet.

Anders Nygren schreibt ebenfalls: „Der Grundsatz für das Handeln des Christen, er sei schwach oder stark, ist stets derselbe, nämlich der, dass sein Tun im Herrn geschieht, oder, was dasselbe ist, dass es in der Liebe geschieht.“ (Anders Nygren, S. 317)

So gut wie in diesem Satz vom Sterben die Rede ist, so ist eben noch vielmehr vom Leben die Reden. Im Glauben muss von beidem geredet werden. Es geht hier gar nicht so sehr um den Tod an sich. Aber sicherlich kann man das, worum es geht, vom Tod her erklären.

Dazu ein anderes Beispiel: Ich hörte im Radio vor einigen Jahren, dass sich die Beerdigungsunternehmer beklagen. Zu der Zeit wurde ja aus den Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse das Sterbegeld in Höhe von 500 Euro gestrichen. Übrigens hat das besonders viele alte Menschen gekränkt. Sie sagen oft eher resigniert und traurig, als freudig und bewusst: Ich möchte anonym beerdigt werden, damit ich keinem zur Last falle. Sie können auch für mehr nicht mehr aus eigener Kraft sorgen, dass müssten dann wirklich schon die Angehörigen drauflegen. Doch interessant ist, dass das nicht geschah: Die Kosten für die Beerdigungen sind im Durchschnitt tatsächlich um die 500 Euro gefallen, die als Kassenleistung ausgefallen sind. Tatsächlich sind eben auch die Angehörigen immer weniger bereit oder in der Lage, eine normal teure Beerdigung zu halten. Es wird am Sarg oder an der Grabstelle gespart. So wenig oder so viel, wie Geld da ist, sind heute Menschenleben wert, schließe ich daraus.

Der Wert des Lebens, wie er von Gott und von Christus bestimmt wird ist dagegen unendlich höher. Dieser Wert kann sich umgekehrt gesagt natürlich nicht an diesen Äußerlichkeiten messen. Derjenige, der in einem Staatsbegräbnis beerdigt wird, ist vor Gott nicht mehr und weniger wert als die Urne in der anonymen Grabstelle. Keine menschliche Geste, keine Äußerlichkeit an sich, auch nach außen hin gezeigte oder vielleicht sogar vorgetäuschter Glaube gilt mehr als die freie Entscheidung Gottes selbst, dass er sich unser aller in Christus erbarmen möchte. So schließe ich mit dem letzten Satz des Predigttextes: Darum ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei. (Römer 14,9).

Amen.

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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