Two Spirits, Rezension von Marlies Blauth, Meerbusch 2013

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Zu: Danièlle Weiss: Die vergessene Königin. Leben in Transidentität, Pomaska-Brand Verlag, Schalksmühle 2013, ISBN 978-3-943304-15-2, Preis: 12,80 Euro

20130902-112125.jpgEs ist, als hätten wir einen Brief erhalten, von Danièlle, die uns schreibt, dass es ihr gut geht. Vieles hat sie erlebt (gibt es das? sich etwas erleben? – das würde es noch besser treffen), vor allem in den letzten Jahren. Aus Harald wurde Danièlle, oder anders: Die Suche nach der vergessenen Königin war endlich erfolgreich, Danièlle hat sie gefunden, hat sich selbst gefunden. In welch schönem neuen Licht steht diese Umschreibung sich selbst finden, die früher einmal – waren es die 1980er? – zum geflügelten Wort wurde, fast zur lästigen Wort-Fliege mutierte, weil sie doch immer so viel am Ich herumpsychologisierte und oft tatenlos auf Sehnsüchte blickte.

Danièlle ist da anders; sie erzählt uns, natürlich, auch vom Ich und dessen Sehnsüchten. Aber im Zentrum stehen mehrere Botschaften für uns.

Hallo, ich heiße Danièlle,
und ich bin transsexuell –
so beginnt also ihr Schreiben an uns, und schnell erkennen wir: Dieser – gängige – Begriff stimmt so recht nicht, „transident“ ist viel plausibler, denn hier geht es doch primär um Identität, weniger um Sexualität. Vielleicht haben wir uns auch eine möglichst glatte Metamorphose eines Mannes zur Frau vorgestellt, aber männliche Facetten bleiben, und da handelt es sich jetzt nicht um ungeliebte, ungewollte organische Reste: Jeder Mensch besitzt ja männliche und weibliche Seiten, was bekanntlich auch die Entwicklungsgeschichte (Ontogenese), die Hormonproduktion und so weiter betrifft; individuell können die Anteile eben sehr unterschiedlich sein. Wir lernen, dass es in Mythologie, Biologie und Soziologie mehr Sowohl-als-auch-Individuen gibt als wir bisher dachten (allerdings: Was dachten wir eigentlich? Vermutlich dachten wir kaum darüber nach) – es gab beispielsweise in nordamerikanischen Indianerstämmen die „Two-Spirits“; dass deren Schicksal unter europäisiertem Einfluss ein besonders trauriges war, sei hier in respektvoller Erinnerung erwähnt – oder die Hijras in Indien, die seit ein paar Jahren auch formaljuristisch als drittes Geschlecht anerkannt werden. Wir sehen: Wir wissen zu wenig, stecken in den Kategorien unserer Alltäglichkeit fest und müssten unsere Wissenslücken dringend auffüllen. Danièlle zeigt uns das, angenehmerweise, ohne Schulmeisterei.

Es zu wagen, tatkräftig Entscheidungen zu treffen und damit letztlich auf der „Gewinnerseite“ zu stehen, ist eine weitere Botschaft an uns. Auch wenn das Leben ein Jammertal sein kann – dafür genügt bekanntlich oft die Einsicht, „anders“ zu sein –, wenn der Navigator für den Lebensweg außer Betrieb ist und man sich verzagt vortasten muss, so gibt es eben doch auch die Möglichkeit, sich neu zu orientieren. Ein langer Aufenthalt in Asien fokussierte die Suche, Yoga und Veda öffneten den Blick. „Es findet sich alles, was ein Leben so benötigt, das Gute wie das Schlechte (oder das, was wir gerade im Moment dafür halten)“ – mit dieser Gelassenheit geht Danièlle ihren neuen Weg, der natürlich auch nicht nur bequeme Chaussee ist: Hormonbehandlungen, Operationen, Bürokratie, immer wieder Lernen – und sei es das: eine Frau zu sein.

Die Polarität männlich-weiblich bleibt vage, muss vage bleiben, weil jeder aus einer anderen Matrix hervorgeht und seine eigenen Erfahrungen mitbringt. Danièlles Beobachtung aber, dass unsere Gegenwart einer Vermännlichung unterliegt (sie selbst nennt es Androgynisierung), stimmt: „Die sogenannte Emanzipation wird immer nur in jene Bereiche Einzug halten, die Männer für sich selbst nicht weiter beanspruchen, ja, die ihnen sogar lästig werden“, konstatiert sie. Wo Karrieren winken, gelten die Regeln der Männer, ganz klar. Berufsbezogene Umtriebigkeit ist allemal eindrücklicher als ein Leben, das einfach durch innere Ruhe und Fröhlichkeit ausgezeichnet ist. Die Autorin zeigt uns aber gerade, wie entschieden wichtig die Übereinstimmung mit sich und der Welt ist.

Alles, was sie uns erzählt hat, unterschreibt sie mit Danièlle la Belle – „wie schön sich das heute reimt“, staunt sie zu uns herüber. Auf Harald, nein, da konnte sie sich keinen Reim machen – das war ein Wikingerkönig, ein Krieger. Die neue Königin Danièlle braucht nicht zu kämpfen: Sie ist gekrönt mit Glück.

An solch schönen Kronen sollten wir alle mitschmieden.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

Ein Gedanke zu „Two Spirits, Rezension von Marlies Blauth, Meerbusch 2013“

  1. Lieber Christoph Fleischer, als Autorin des oben rezensierten Buches möchte ich an dieser Stelle nicht nur meinen Dank an Marlies Blauth aussprechen, für die Empathie, mit welcher sie die Botschaft meines Buchberichtes aufgenommen und in schönen eigenen Sprachbildern wiedergespiegelt hat. Auch Dir möchte ich danken, für die offene Aufnahme meines Themas in deinen tollen Blog.Ich sehe das als Zeichen der Offenheit und Aufgeschlossenheit einem Randthema gegenüber, welches mir das Gefühl gibt, dass auch oftmalig vorherrschende Ressentiments und Vorurteile von allen Beteiligten in Verständnis und einem toleranten Miteinander sich aufzulösen vermögen, so denn der Wille dazu da ist. Nun, dass du und Marlies euch in so positiver Weise, sozusagen vom Christlichen Verständnis aus,dem Thema Transidentität genähert habt, sehe ich als eine weitere Grenzüberschreitung, hin zu vermehrter Akzeptanz, was wohl als der größte Erfolg meines Buches von mir gewertet wird. Danke!

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