Zu: Norbert Clemens Baumgart, Martin Nitsche (Hg.): Gewalt im Spiegel alttestamentlicher Texte, Erfurter Theologische Schriften, Band 43, Echter Verlag Würzburg 2012, ISBN 978-3-429-03568-6, Preis: 16,00 Euro
Nicht erst seit dem Anschlag auf das World Trade Center 2001 ist von religiös motivierter Gewalt die Rede. Nicht zu Unrecht verweisen Muslime in diesem Zusammenhang auf die Gewalt-Traditionen der Bibel und des Christentums bis hin zu dem von dort entlehnten Begriff des Heiligen Krieges. Zur Tagung der „Alttestamentlichen Arbeitsgemeinschaft“ (ATAG) im September 2011 in Neudietendorf (Kreis Gotha) erläuterten sechs Theologinnen und Theologen katholischer Konfession unterschiedliche Traditionsstränge. Von der Bibel gebilligte Gewalttaten können als Beispiele göttlicher Gewalt gelten, auch wenn sie nicht ursächlich auf Gott zurückgeführt werden können.
Der erste und umfangreichste Artikel von Norbert Clemens Baumgart, Professor für Altes Testament an der Universität Erfurt, führt in die David-Traditionen des 1. Samuelbuches. In der Erzählabsicht wird „Gottes Mitsein“ mit den militärischen Erfolgen Davids verbunden, wobei ein kurzes Lied (1. Samuel 18,7) zeigt, dass David weit größere Kriegs-Erfolge als Saul vorzuweisen hatte. Im Text ist jedoch klar ersichtlich, dass die Gewalt selbst vom Menschen ausgeht und nicht von Gott, der David allerdings als vorbestimmten König schützt. Die geschehene Gewalt kann sich dann allerdings in der erzählten Geschichten fortsetzen und gegebenenfalls verselbständigen. Insofern warnt der biblische Erzähler auch vor der Eigendynamik der Gewalt. Von einer Distanzierung ihr gegenüber kann aber nicht die Rede sein.
Ulrich Berges, Professor für Altes Testament an der Rheinischen Wilhelms Universität Bonn und der wissenschaftliche Mitarbeiter Bernd Obermeyer zeigen Spuren von Gewalt gegen Kinder in den Jesaja-Büchern und den Klageliedern auf. Das inzwischen vollständig durchgesetzte Motiv des Monotheismus bedingt für das Wirklichkeitsverständnis, dass alles geschehene Unheil, hier besonders die gegen Kinder gerichtete Gewalt während der Belagerung Jerusalems, letztlich auf Gott selbst zurückgeführt wird. Dieses Handeln Gottes hat aber in der Perspektive der Texte eine gewisse Zwangsläufigkeit und ist daher nicht von Gott, sondern von „Zion“ zu verantworten. Das total erscheinende Gottesbild beinhaltet einerseits den entsprechenden Schuldkomplex und andererseits die Vorstellung eines gewalttätigen Gottes, die sich als Erziehungsmodell deuten lässt. Kurz gesagt: Ist das Volk gottfern, wird es Opfer von Gewalt. Dadurch kommen aber auch die Opfer von Gewalt in den Blick, insofern sich aus dieser Erkenntnis eine Hoffnungsperspektive entwickeln lässt.
Im letzten Vortrag über Psalm 137 von Ruth Scoralick, Professorin für Altes Testament an der Universität Tübingen, erscheint das Motiv der Gewalt gegen Kinder erneut. Es geht im Psalm 137 um das Gedenken an Zion und das durch die Trauer unterbundene Singen im Exil. Das Feindbild der Großmacht Babel wird zudem auf das Nachbarland Edom ausgeweitet, so dass sich die Feindesvorstellung auf nah und fern generalisiert. In der Vorstellung der Tötung von Kindern durch Gott ist metaphorisch der (un-)mögliche Wunsch der Rückzahlung erfahrener Leiden verbunden. Die gedankliche Gewaltdynamik im Psalm wird als Metapher für die Durchsetzung von Gottesherrschaft gedeutet. Dass darin möglicherweise schon apokalyptische Gewaltvorstellungen angedeutet werden, wird nicht reflektiert.
Um die Vorstellung der Gottesherrschaft geht es auch im Artikel von Thomas R. Elßner, Professor für Altes Testament an der Philosophisch Theologischen Hochschule in Vallendar und Militärgeistlicher in Koblenz. Dass das Thema des Aufsatzes über das Bild Josuas im Buch Jesus Sirach auch einen Blick auf das neutestamentliche Selbstverständnis Jesu erlaubt, wird vom Autor nicht gesehen bzw. offen gelassen. Klar ist jedoch, dass die Bedeutung des Namens Josua (griechisch: Jesus) im Sinn von „Gott rettet“ bzw. „Rettung“ in der Erzählung auf die gewaltsame Erfüllung der Landverheißung bezogen wird. Die Gewaltmaßnahme „Rettung“ wird sogar ausdrücklich als „Krieg des Herrn“ bzw. „Krieg JHWHs“ bezeichnet. Wenn das Buch Jesus Sirach den Namen Jesus derart mit Bedeutung auflädt, zumal Josua als Nachfolger Moses zu den Propheten gerechnet wird, wird der Name Jesus mit einer kriegerischen Durchsetzung einer göttlichen Verheißung verknüpft. Es ist schon erstaunlich, in welchem Maß das Neue Testament diese Vorstellung teilweise aufgreift, aber zum großen Teil eben auch umdeutet, wobei zu fragen wäre, ob Jesus von Nazareth wirklich so pazifistisch war, wie er etwa von der Bergpredigt her erscheint. Diese Art von Deutung alttestamentlicher Texte wird aber von allen Autoren dieses Buches vermieden, wohl um die Texte zunächst in ihrem eigenen zeitlichen Kontext auszulegen und nicht vorschnell auf das christliche Gedankengut zu übertragen.
Es wäre jedoch ausgehend von diesen Untersuchungen zu fragen, inwieweit sich die Gewalttraditionen der Bibel auf das christliche Gottesbild ausgewirkt haben.
Interessant ist in dieser Hinsicht auch das Bild der Bücher Esra und Nehemia, dargestellt durch Maria Häusl, Professorin für biblische Theologie an der Technischen Universität Dresden. Erstaunlicherweise ist es noch nicht einmal der Jahwe-Glaube, der als verbindliches Zugehörigkeitsmerkmal zum auserwählten Volk taugt, das sich aus den Rückkehrern des babylonischen Exils konstituierte. Da „Israel“ inzwischen territorial ausgeweitet war, die Daheimgebliebenen, die Rückkehrer und Menschen einschloss, die im Exil geblieben waren, und dadurch zur Weltreligion wurde, andererseits in Palästina selbst ein Völkergemisch als kanaanäisch bezeichneter Menschen vorfand, wurde das Abstammungskriterium zum Zugehörigkeitsmerkmal. Das Buch Esra tritt für die Zwangsscheidung von exogenen Partnern, von Angehörigen fremder Völker ein. Was mit diesen Menschen geschah, wird vom Text selbst nicht ausdrücklich gesagt. Die Autorin nimmt an, dass diese Urteile faktisch nie vollzogen wurden, sondern dazu dienten, das Zugehörigkeitsmerkmal der Abstammung für die folgenden Generationen festzulegen. Die Lektüre des Buches Esra scheint in mancherlei Hinsicht für das Verständnis des Pentateuch interessant zu sein. Dass die Ausdrücke der Ausgrenzung im Esrabuch nicht direkt mit dem Gottesglauben verbunden sind, verwundert, da andererseits die Heimkehr der Exilierten ausdrücklich vom persischen König ermöglicht wurde, mit dem ausdrücklichen Auftrag, den zerstörten Tempel in Jerusalem für den „Gott des Himmels“ (Esra 1,2) neu zu errichten.
Die Dokumentation der Gewaltbegriffe im Alten Testament wird in diesem Buch offensichtlich als schwieriges Gelände empfunden, denn oft werden die klar dargestellten Sachverhalte nicht deutlich genug in ihren religionsgeschichtlichen Konsequenzen bedacht. In der gesellschaftlichen Diskussion um Gewalt wird allgemein die Intention herausgestellt und gefragt, wozu von Gewalt die Rede ist und um welche Fragen es in Beziehung von Religion und Gewalt geht. Auch werden sonst üblicherweise unterschiedliche Formen von Gewalt differenzierter betrachtet, was in dieser exegetischen Untersuchung deutlicher hätte ausfallen können. Die Arbeit am konkreten Bibeltext hingegen ist manchmal zu vorsichtig und wird dadurch letztlich undeutlich. Dabei geht es ja nicht nur um die zu vermeidende Möglichkeit antijüdischer Argumente, sondern um die Frage, inwieweit die religiöse Gewalttradition der Bibel in der Geschichte des Christentums fortgesetzt wurde. Es ist doch auch kein Geheimnis, dass gewaltfreie oder gewaltkritische Züge der Bibel in der Geschichte des Christentums recht bald, spätestens seit der konstantinischen Wende, in Vergessenheit geraten sind. Trotz dieser kritischen Worte und um so mehr muss die Bereitschaft der katholischen Exegeten betont werden, das Thema Gewalt auf die Tagesordnung der Exegese zu setzen. Die zahlreichen Literaturhinweise in den Anmerkungen laden zur Weiterarbeit ein.