Zu: Gerd Althoff: „Selig sind, die Verfolgung ausüben“, Päpste und Gewalt im Hochmittelalter, Konrad Theiss Verlag Stuttgart, ISBN 978-3-8062-2751-2, 29,95 Euro, Buchhandelsausgabe der Ausgabe WBG Darmstadt 2013, ISBN 978-3-534-24711-0
Die Rhetorik der Gewalt in der westlichen Zivilisation wird für immer mit den Kreuzzügen der christlichen Kirche in Verbindung gebracht werden. Gerd Althoff zeigt in seinem umfassenden und an historischen Quellen orientierten Buch auf, inwiefern kirchliche Verlautbarungen des 11. Jahrhunderts und danach die Anwendung von Gewalt in einer Weise legitimieren, die es so vorher nicht gegeben hat. Gewalt war bis dahin allein Sache der weltlichen Herrscher, legitimiert und zugleich reguliert durch die Lehre vom gerechten Krieg. Doch die Entwicklung lief aus dem Ruder. Die kirchliche Hierarchie entfernte sich entweder selbst von den christlichen Prinzipien oder wurde ein Spielball der Fürstenhäuser. Erst Papst Gregor VII. führte in einer umfassenden Reform das Prinzip des Gehorsams ein, den er den weltlichen Herrschern abforderte, legitimiert durch seine nunmehr als „Stellvertreter Christi“ bezeichnete Position. Gewalt gegen Abtrünnige galt dadurch von nun an als gerechtfertigt. In diesem Zusammenhang zwang der Papst den deutschen Kaiser Heinrich IV. zum Bußgang nach Canossa, weil dieser zuvor über kirchliche Ämter meinte verfügen zu können. Außerdem konnten willfährige Fürstenhäuser stellvertretend für das Papsttum Krieg führen. Höhepunkt dieser Weichenstellung zugunsten der Gewalt war der erste Kreuzzug im Jahr 1099, den der damalige Papst Urban II. in der berühmten Kreuzzugspredigt begonnen hatte. Bei diesem Kreuzzug war es bei der Einnahme der Stadt Jerusalem zu einem regelrechten Blutbad gekommen, dem überwiegend die jüdische und muslimische Zivilbevölkerung zum Opfer fiel . Die Opferzahlen schwanken zwischen 10.000 und 100.000. Die gemeinsame Ausrichtung auf einen äußeren Feind führte dazu, dass die innere Zerstrittenheit des katholischen Abendlandes vorerst ein Ende fand. Dabei bediente sich die päpstliche „Weltherrschaft“ religiöser Gewalt, indem sie gewaltorientierte Bibeltexte auf die gegenwärtige Situation bezog. War es bei Gregor VII. das Prinzip des „Gehorsam ist besser als Opfer“ aus 1.Samuel Kapitel 15, so war es im Fall des Kreuzzuges der 79. Psalm mit seiner Schilderung, wie der Tempel durch fremde Völker verunreinigt wurde. . Tatsächlich wurde sogar die rituelle Rhetorik des Judentums bemüht, indem man sagte, das Blut der Opfer während dieses Gemetzels hätte den Tempel „gereinigt“.
Im Buch von Gerd Althoff werden noch weitere Beispiele aus dem Hochmittelalter aufgeführt, ferner auch die Folgen dieser mittelalterlichen Weichenstellung zugunsten der Gewalt für das kanonische Kirchenrecht. Das Kapitel über den ersten Kreuzzug zeigt darüber hinaus, dass die Geschichtsschreibung bis in die heutige Zeit versucht, das Massaker von Jerusalem zu verharmlosen oder gar zu rechtfertigen. Gerd Althoff bleibt im Prinzip ganz auf der Ebene der historischen Wissenschaft und verzichtet darauf, die Konsequenzen zu beschreiben, die diese Untersuchung für die Position der christlichen Kirchen heute haben könnte. Deutlich ist, dass Aussagen der kirchlichen Rhetorik von theologischen Autoren untermauert, sowie als rhetorische Ereignisse verhandlungstechnisch vorbereitet wurden. Die Predigt zum Kreuzzug wird also als direkte Aufforderung zum Vollzug der ausgesprochenen päpstlichen Wünsche verstanden. Die Rhetorik der Aufforderung zum Kampf und ihre theologische Begründung tauchen daher auch in den nachträglichen Berichten über den Kreuzzug wieder auf, wie an Berichten der Kreuzzugskämpfer gezeigt werden kann.
Die Kirche des Mittelalters wurde durch diese geschickte Strategie zum Machtfaktor, bediente sich der biblischen Tradition und stellte religiöse Gewalt in den Dienst der Politik. Indirekt stellt Gerd Althoff mit dieser Publikation – im Rahmen des Excellenzclusters zum Thema „Religion und Gewalt“ an der Uni Münster – die Frage, inwieweit sich jede Kirche/Religion von der Ausübung der Gewalt im Interesse des christlichen Glaubens/der Religion distanziert. Oder wird vielleicht heute wieder zum Kampf gegen die Ungläubigen gerüstet?
Ein Gedanke zu „Die Schuld der Kirche gegenüber den Opfern der Gewalt, Rezension von Christoph Fleischer, Werl 2013“