Weihnachtspredigt 2017: Liebe erlöst, Joachim Wehrenbrecht, Herzogenrath 2017

„Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Johannes 3,16

Werl, Forum der Volker

Liebe Heilig-Abend-Gemeinde,

Liebe erlöst

Aus Liebe hat Gott seinen einzig geborenen Sohn in die Welt gesandt. Was steckt hinter der uns fremd gewordenen Vorstellung? In alten Übersetzungen heißt es sogar: Gott hat seinen eingeborenen Sohn gegeben. Das Apostolische Glaubensbekenntnis formuliert: „Ich glaube an Gott, den Vater, … und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn.“

Dahinter steht die Glaubensvorstellung, dass Gott nicht allein ist, sondern von Anfang an, vor aller Schöpfung, Gott der Vater und der Sohn eine göttliche Einheit bilden. Sie sind weder erschaffen noch gezeugt, sondern präexistent –  ohne Anfang und Ende. Gott ist schon vor der Schöpfung oder wie wir heute sagen würden – vor dem Urknall da – ebenso wie der Geist Gottes.

In immer neuen Bildern spricht der Glaube von dieser Welt Gottes, die wir mit unseren naturwissenschaftlichen Methoden nicht erfassen können.

Das Weihnachtsfest ist ein Lichterfest, unsere Lichter und Kerzen sind ein Abglanz von dem unerschaffenen Licht, das Gott selbst ist. „Licht von unerschaffenem Lichte“ – das ist das Christuslicht, das die Welt erhellt.

Gottes Liebe zu seiner gefährdeten Schöpfung ist so groß, dass er in seinem einzig geborenen Sohn zur Welt kommt – Weihnachten.

Weihnachten feiern wir die Menschwerdung Gottes. Gott wird uns gleich, um uns zu erlösen. Seine Liebe sucht uns auf. Das verlorene Paradies kehrt mit Jesus in die Welt zurück. Die Sehnsucht nach Frieden, nach Licht, Wärme und Geborgen-Sein findet in dieser heillosen Welt einen Ort und umspannt die Welt.

Die Künstlerin Beate Heinen hat zum Weihnachtsfest 2017 ein Bild gemalt, das Sie vorn auf den Liedblättern sehen. In den Wochen und Tagen vor Weihnachten geht mir ihr Kind nicht mehr aus dem Sinn. Sie malt ein Kind, das die Arme weit öffnet. (Link: https://goo.gl/images/ygEvKU)

Was für ein Urvertrauen spricht aus dieser Geste? Ich bin offen für diese Welt, für alle Erfahrungen, die sie für mich bereit hält. Wer als Kind Urvertrauen mit auf dem Weg bekommen hat durch die Liebe, Wärme und Geborgenheit einer festen Bezugsperson, der ist immer wieder bereit, sich für neue Erfahrungen und Begegnungen zu öffnen. Wer Urvertrauen mit der Muttermilch eingesogen hat, der weiß intuitiv, dass in ihm eine Quelle von Lebenslust und Lebenswillen sprudelt, die nie versiegt. Vielleicht ist der Zugang zu dieser Quelle verloren gegangen durch vergebliche Mühe, Enttäuschung, Gewalterfahrung, durch Liebesleid oder durch den Lebenskampf, aber die Quelle ist da. Sie ist der beste Schutz vor äußerer und innerer Bedrohung. Sie ist Urquell für Kreativität und Bejahung des Lebens. Weihnachten kann an dieser Erfahrung rühren und mich wieder mit mir selbst und den anderen in Beziehung bringen. Voraussetzung dafür ist, offen zu sein für die innere Welt, für das eigene Spüren und Wahrnehmen, für das Schöne und Schwere, für Trauer und Freude.

Und die, die sich selbst eine Last sind, unruhig und nervös, gekleidet mit Unsicherheit und der Angst zu versagen, die dürfen in dieser Nacht glauben, dass Ihnen in besonderer Weise Gottes Liebe gilt, vielleicht gelingt ja auch ein Stück Selbstannahme in dieser Nacht.

Das Kind auf dem Bild sagt: Ich öffne mich für dich. Wie weit wir uns selbst öffnen, die verschränkten und verschlossenen Arme ein wenig aus der Verkrampfung lösen, die Schutzhaltung, die von Zeit zu Zeit überlebenswichtig ist, ein wenig lösen, dass bestimmen wir selbst. In dieser Nacht sind schon viele Wunder geschehen.

Wer sich öffnet spürt das Leben, bleibt nicht länger gefangen in Konventionen, kann von erstarrten Ritualen und Zwängen, die oft nur Aggressionen und Lebensangst besänftigen wollen, lassen und ist wieder zur Liebe fähig. Allerdings fürchten wir uns davor, weil wir ahnen, wenn ich mich öffne, mache ich mich verletzlich.

Das ist wohl wahr.

Weihnachten lockt uns aber dazu und in der Tat war es hin und wieder in diesen Tagen zu spüren trotz der Hektik und Anspannung, die dieses Fest mit sich bringt. Da wurde erzählt und gelacht auf Weihnachtsfeiern, da winkte uns ein Verkehrsteilnehmer zu und gewährte uns Vorfahrt, da lächelte uns die Verkäuferin an und wünschte uns ein frohes Fest, da wurden Karten und Grüße hin-und hergeschickt, da gab es den Moment in einer Aufführung oder Konzert, wo die Augen feucht wurden.

Die Heilige Nacht will uns transformieren, das Beste in uns wecken, wir sollen und wir dürfen uns der Liebe vergewissern, dem Geheimnis des Lebens auf der Spur sein, die Verbundenheit mit unseren Lieben spüren und Kraft tanken. Wer sich öffnet, kann natürlich auch seinen Schmerz spüren, das Unversöhntsein, den abgebrochenen Kontakt zu den Kindern, den Zugang, den wir trotz vieler Versuche nicht zu unseren Eltern finden, die tiefen Wunden, die das Leben geschlagen hat. Schlimmer noch als nichts zu spüren ist Leere, ewige Gleichgültigkeit, wabernder Gefühlsnebel.

Da ist einer, der seine Arme ausbreitet: Weihnachten. Gott steigt herab aus dem Himmel hinein in unsere Not: Liebe erlöst.

Origines, ein christlicher Denker der frühen Kirche, dachte die Schöpfung sei aus der überfließenden Liebe Gottes entstanden und die Neuschöpfung beginnt mit der Geburt des Menschensohnes.

Liebe weckt Frieden

Veränderungen beginnen immer mit Widerspruch. Menschen stehen auf und widersprechen den Mächtigen, die mit der Welt zocken, die mit Vernichtung drohen, die ihre Völker klein halten und die Würde aller Geschöpfe mit Füßen treten. Wir haben im zu Ende gehenden Jahr viele Popanze erlebt, die den Frieden aufs Spiel setzten, ihren  Allmachtsphantasien und ihren Größenwahn auslebten. Aber es gab und gibt auch Widerspruch: Menschen die aufgeschreckt, aufgewacht sind, die Komfortzone verlassen, auf die Straße gehen und für ihre politischen Ziele kämpfen und dabei Gefahr an Leib und Leben nicht scheuen.

Opfer haben sich zu Wort gemeldet, sexuelle Gewalt gebrandmarkt. Versöhnung gelingt nicht im Verschweigen, sondern beginnt mit Aufdecken der Wahrheit, nur so sind Aussöhnung und positive Veränderungen möglich.

Jesus hat widersprochen, mächtigen religiösen Institutionen wie Menschen, die ihn vereinnahmen wollten. Jesus ist der neue Mensch Gottes. In ihm ist Gott präsent. Sein Widerspruch geschah um des Lebens willen.

Vertun wir uns nicht, die für viele mit billiger Träumerei daher schwebende Friedenstaube ist auch gefüllt mit Leidenschaft, ja auch mit dem Geist des Zorns erfüllt, der auf Veränderungen drängt und Zeichen setzt wie einst Jesus, als er die Tische der Zöllner und Händler umwarf und mit einer Peitsche Menschen aus dem Tempel vertrieb.

Das passt so gar nicht zu unserer heimeligen Weihnachtsvorstellung von einem harmonischen, friedlichen Fest, von dem „holden Knaben mit lockigem Haar.“  Der König der Welt kam in einem Stall zur Welt. Seine einzige Macht war und ist die Macht der Liebe. Sie wurde nicht gebrochen – auch nicht in den ausgestreckten Armen am Kreuz.

Die Person-Werdung fängt entwicklungspsychologisch nicht mit dem Ja an, sondern mit dem Nein. Nicht als Widerspruch aus Trotz, sondern mit dem Nein, das sich distanziert von symbiotischer Vereinnahmung, das die eigenen Gefühle, Bedürfnisse und Wünsche achtet. Wir haben in der Regel Angst vor dem Nein, weil wir den Liebesentzug fürchten. Wenn ich sage, was ich denke, wenn ich für mich einstehe, wenn ich nicht mehr allen Erwartungen schon im Voraus entspreche und es nicht mehr allen Recht mache und mich nicht mehr innerlich zerreiße und überfordere, dann und erst dann werde ich zum Gegenüber, werde Ich erkennbar, streitbar und liebenswert.

Die Heilige Nacht enthält auch das Geheimnis des Neins. Die Würde des Menschen liegt nicht im Funktionieren, sie liegt nicht im Leistungsanspruch an sich selbst oder die andere einem über das Maß überstülpen.

Die Menschwerdung Gottes enthält die Einladung, dass ich mir Würde schenken lasse. Die Würde enthält das Nein, den Widerspruch um des Lebens willen. Veränderungen sind möglich. Liebe weckt Frieden.

Liebe gebiert Zukunft

Die Geburt eines Kindes ist etwas Besonderes. Eine Lehrerin aus der Roda-Schule erzählte mir nach dem Weihnachtsgottesdienst mit der Schule freudestrahlend: „Gestern ist mein fünftes Enkelkind geboren.“ Wir umarmten uns spontan. Mein Freund ist vor kurzem zum dritten Mal Vater geworden. Jedes Kind ist eine Verheißung.

Das Weihnachtsfest erhält einen besonderen Glanz, wenn ein Neugeborenes mit dabei ist. Weihnachten ist die Neugeburt des Lebens. Wir alle werden von diesem Wunder heimgesucht. Wenn Äußeres und Inneres zusammenfallen ahnen wir, was eine religiöse Erfahrung ist. Die Frohe Botschaft: „Euch ist heute der Heiland geboren“ will im Hören, Schauen und Schmecken Gestalt in uns gewinnen. Ein Kind verspricht Zukunft und zieht uns aus dem Fixiert-Sein auf das Vergangene und die Mühen des hier und heute in eine heilvolle Zukunft. Gottes Kind zieht uns in die Ewigkeit. Wir sind nicht verloren, sondern uns wird  Zukunft geschenkt, die nicht vergeht, die nicht dem Zeitlichen unterworfen ist.

Das ist die Gewissheit der Kinder Gottes und pure Weihnachtsfreude.

Mitten in der Zeit berührt uns Ewigkeit. Wer für diese religiöse Erfahrung offen ist, dem begegnet sie mitten im Fest: mitten in der Freude, mitten in der Trauer, im Miteinander mit den Menschen, mit denen wir uns in besonderer Weise verbunden fühlen oder die wir schmerzlich vermissen.

Als erneuerte Menschen gehen wir aus dem Weihnachtsfest heraus, bereit zu lieben und Liebe zu empfangen. Liebe gebiert Zukunft.

Weihnachten erzählt die Geschichte, dass Gottes Liebe zu uns überfließt. Wir sind Teil dieser Erzählung.

„Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben haben.“ Joh.3,16

Liebe erlöst, weckt Frieden, gebiert Zukunft.

Amen

 

 

 

 

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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