Rezension zu: Nicole Rinder: Der Tod bringt mich nicht um – Warum ich Bestatterin geworden bin, Patmos Verlag 2017, ISBN 978-3-8436-0944-9, Preis: 18,00 Euro
„Für mich gibt es ein Leben vor und ein Leben nach dem 7. November 1999. In den frühen Morgenstunden dieses Herbsttages starb mein Sohn Leon – Paul. Er wurde nur vier Tage alt.“ (S.9)
Mit diesen Worten beginnt – nach einer kurzen Vorstellung ihrer selbst – das sehr lesenswerte Buch von Nicole Rinder, in dem sie ihren Weg von der (Zahn)Arzthelferin hin zur Bestatterin und Trauerbegleiterin beschreibt. Am Anfang dieses, das ganze Leben verändernden Weges, steht die sehr persönliche Betroffenheit der Autorin, die vier Wochen vor dem eigentlichen Geburtstermin erfährt, dass ihr Kind schwer krank – und sicher nicht lange lebensfähig sein wird. (S.15)
Aus dem Traum, den viele Eltern im Hinblick auf ihre Kinder träumen, wird zuerst ein Alptraum, aus dem aber für die Autorin, ihren Partner und ihre Familien die Chance erwächst, Abschied schon vor der Ankunft bewusst zu gestalten. Mit allem, was gefühlsmäßig mit dazu gehört. Das Hin-und-hergeworfen zwischen Hoffen und Bangen, zwischen Freude und vollkommener Angst. Sehr sensibel beschreibt die Autorin – auch im weiteren Buchverlauf – immer wieder das Auf und Ab ihrer Gefühle im jeweiligen Augenblick, ohne dabei, die Gefühle der Menschen, die ihr begegnen, die mit ihr, mit denen sie auf dem Weg ist, aus den Augen zu verlieren.
Nicole Rinder hat ein bewegendes Buch geschrieben, dass von der Einladung lebt, eigene Gefühle zuzulassen, gerade in einer Zeit, die dafür keine Zeit mehr hat, bzw. sich keine Zeit mehr dafür nimmt und die das in keiner Weise mehr in der Erziehung oder Tradition vermittelt. Davon zeugt alleine schon die Überschrift ihres 3. Kapitels: „Mut zur Trauer. Dem Leben eine neue Richtung geben.“ Eine Aufforderung, die sie – vielleicht aus dem eigenen Erleben und der eigenen Erfahrung erwachsen – nun im Umgang mit den ihr anvertrauten Klienten in einem renommierten Bestattungshaus in München zu leben und zu vermitteln versucht.
Liebevoll und sensibel beschreibt sie immer wieder besondere Begegnungen mit Menschen in Situationen des Abschiednehmens und der Trauer, ohne jemals die Grenzen der Diskretion, Schweigepflicht, oder des Datenschutzes zu verletzen. Anhand mancher Beispiele zeigt sie die vielfältigen, kreativen Möglichkeiten auf, mit denen ein „endgültiges“ Abschiednehmen durchaus auch so gestaltet werden kann, dass es einen neuen Weg zurück in das eigene – veränderte – Leben eröffnen und möglich machen kann.
Durchaus verschweigt sie dabei aber nicht die Belastungen, die mit der Arbeit als Bestatterin und Trauerbegleiterin verbunden sind. Und der Notwendigkeit, sich ggf. zeitweise abzugrenzen, um nicht dauerhaft Schaden zu nehmen. Das trifft für sie bei bestimmten Schlüsselerlebnissen zu, die sie zurückverweisen auf ihren Anfang in diesem Beruf, den Verlust ihres Kindes. Auch wenn über dem Gesamtweg ihres Lebens immer wieder ein großes „Ja“ durch die Erzählungen hindurchscheint.
Ein durch und durch lesenswertes Buch, das vor allem auch Menschen, die selber trauern, die sich vielleicht im Prozess der Trauer gefangen fühlen, trösten und ihnen neue Perspektiven aufzeigen kann. Es eröffnet auf vielfältige Weise kreative Möglichkeiten im Umgang mit einem Thema, in dem man Kreativität kaum vermuten würde. Kreativität, die durchaus Wege zurück ins Leben weist.