„So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass ER SEINEN eingeborenen Sohn gab, damit jeder, der an IHN glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat.“ (Johannes 3,16
Die Gnade Gottes, unseres Vaters, die Liebe unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft im Heiligen Geist sei mit uns allen. Amen.
Liebe Schwestern und Brüder!
Der letzte Schrei ist getan. Eli, Eli lama asabtani. Mitten im Todeskampf trotz allem ein letztes Gebet. Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen? Festhalten an Glaubensüberzeugungen. Trotz allem und gegen alles. ER, der dem Tod schon zu irdischen Lebzeiten die Stirn geboten und ihm SEIN NEIN entgegen geschleudert hat, ER ist nun selbst allem Anschein nach ein Verlierer im eigenen Todeskampf. ER, der Geschundene geheilt, ihnen eine Lebensperspektive und eine bleibende Würde zurückgegeben hat, ER wird der würdeloseste aller. ER, der Lazarus aus seinem Grab geholt hat, den Jüngling von Nain aus seinen Leichenleinen gewickelt hat, der ein junges Mädchen neu ins Leben gerufen hat, Er selbst muss unter größten Schmerzen den Weg in einen unausweichlichen Tod gehen. Hinein in eine kaum vorstellbare Gottesferne, Gottesfinsternis, vollkommene Entfremdung von Gott. Und dennoch hält ER fest an dem IHM fremd und fern gewordenen Gott. SEINE letzten Worte ein Gebet. Und der Vorhang im Tempel zerreißt. Gott selbst braucht ihn nicht mehr. Denn ER ist mitten unter den Menschen angekommen. Auch wenn sie, wenn wir IHN nicht wahrnehmen. Doch „Von nun an wird er der Welt an allen Orten sein vom Unrecht bedrohtes und verwundetes Menschengesicht zeigen.“ (1) Auch wenn es allzu Viele immer noch nicht wahrnehmen und sich an der Beschreibung des Schriftstellers Reinhold Schneiders offensichtlich nicht viel geändert zu haben scheint. Im Rückblick auf den flandrischen Aufstand 1566 berichtet er, vergriffen sich Soldaten beim Plündern einer Kirche auch an der Kreuzigungsgruppe im Altarraum. Das mittlere der drei Kreuze stürzten sie um, die Kreuze der beiden Übeltäter ließen sie stehen. Augenblicklich wurde die verwüstete Kirche selbst zur Deutung des Geschehens. Die Verbrecher links und rechts blieben in einer gottesleeren Welt sich selbst überlassen. Es gab keine Mitte mehr, der sie sich zuwenden könnten. Auch das „heute“, das dem einen der beiden Erlösung in Aussicht gestellt hätte, musste nun ausbleiben.
Wie viele Menschen gerade in der heutigen Zeit fühlen sich aktuell der Mitte des Lebens beraubt. Egal in welcher Erscheinungsform sie sie beschreiben. Und dennoch bin ich sicher: Diese Mitte kann nie und nimmer wirklich entfernt werden. Selbst dann nicht, wenn wir uns selbst im Weg stehen, sie wahr – sie anzunehmen.
Ein letzter Ruf. Ein letzter Atemzug. Nur noch wenige Äußerungen, in denen Gott am eindringlichsten neu erkannt wird. „Welch ein Mensch!“. Dann tiefes Schweigen. Erinnerungen. Verzweiflung. Dunkelheit, in der der zarte Lichtstrahl eines neuen Morgens noch nicht gesehen wird.
Schweigen so schwer auszuhalten. Etwas mehr als eine Woche ist es her, als ich mich mit einem befreundeten Kollegen traf. Nachmittags um 16 Uhr. Auf einer Bank außerhalb des Dorfes, in dem er groß geworden war. Wir saßen dort, tranken mitgenommenes Bier. Und lauschten der Totenglocke, die Menschen im Dorf verkündete: Ein Mensch aus Eurer Mitte ist heimgekehrt in die Ewigkeit. Es war seine Mutter. Eine halbe Stunde läutete die Glocke. Zwischen uns Nähe. Aber auch Schweigen. Schweigen, das von Minute zu Minute unerträglicher wurde, je länger es dauerte, kaum noch auszuhalten war. Und dennoch gehören Zeiten solchen Schweigens zu unserem Leben. Auch wenn wir verlernt haben mögen, sie anzunehmen, auszuhalten, sie mit Sinn zu füllen.
Vielleicht finden auch deswegen in unserer heutigen Zeit, wenn auch nicht in diesem Jahr, viele Osternachtsgottesdienste schon am Samstagabend statt. Wir haben leider allzu oft verlernt, den Mut aufzubringen, uns in unserem Schweigen an eine scheinbare Leere zu wenden. Und werden so allzu oft der Hoffnung auf eine Gebetserhörung, auf eine Antwort, die leise gegeben wird, beraubt. Ich wünsche uns allen, dass wir den Mut aufbringen können, das auferlegte Schweigen auszuhalten. Darauf zu vertrauen, dass unsere Tränen unseren Blick wieder klarer werden lassen. Damit wir erkennen: Es sind nicht mehr die Nägel, die IHN am Kreuz halten. Die Dornenkrone hat ER abgelegt. Dem Kreuz hält ER trotzdem stand. Und auch, wenn SEINE Augen geschlossen scheinen, SEIN Antlitz ist uns zugewendet. Trotz allem und in allem.
Ich wünsche uns allen eine gesegnete Zeit der Stille auf dem Weg hin zum befreienden Lobgesang am Ostermorgen, der uns nur in wenigen Worten gegeben wird: ER lebt.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem HERRN. Amen.