Pfingstpredigt Apostelgeschichte 2,1-13, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Gott geht unter die Haut

Liebe Pfingstgemeinde,

es ist schrecklich, wenn der Heilige Geist auf dich fällt. Das erste, was der Heilige Geist auslöst ist Entsetzen und Verwirrung. Es ist als wenn du gepackt wirst von einer fremden Macht, die dich rüttelt und durchschüttelt. Dein Geist und dein Körper werden ergriffen. Es geschieht dir urplötzlich und du kannst dich nicht wehren.

Ein Schauder überfällt dich, du schwankst zwischen Anziehung und Abwehr. Es ist als wenn du in das Kraftfeld eines starken Magneten hineingezogen wirst. Diese Kraft ist unheimlich.

Du fühlst dich durchschaut. Du bist beschämt und gleichzeitig erregt. Du bist äußerst gespannt. Du bist ganz Ohr. Dein Herz ist ein weites Feld. Du weißt, ohne es in Sprache fassen zu können: Jetzt geht Gott dir unter dir Haut. Du bist ein offenes Buch. Du erkennst dich wie du dich noch nie erkannt hast, wie dich keiner kennt. Offen und verletzlich wie eine Wunde bist du in diesem Kraftfeld.

Sich zu wehren hat keinen Zweck. Du strampelst und willst davon loskommen und kommst nicht los. Wie eine mächtige Flutwelle, der du zu entkommen suchst, zieht dich diese Kraft ins Meer zurück. Du drohst zu ertrinken. Irgendwann überlässt du dich diesem Geschehen. Du gehst nicht unter. Du verlierst nicht dein Ich.

Du spürst einen Frieden und eine große Ruhe mitten im Sturm. Jede Zelle deines Körpers, jeder Winkel deines Geistes, jede Angst deiner Seele wird davon durchflutet.

Du bist ganz Ohr, ganz Auge, ganz Herz.

Du hörst Worte und verstehst. Es muss dir niemand was erklären. Alle Fragen lösen sich auf. Alle Zweifel sind hinweggefegt. Du hörst Menschen reden in einer Sprache, die nicht zu ihnen gehört.

Es gleicht einem Traum, dass die Fremden deine Sprache sprechen. Du kannst dir das nicht erklären. Du staunst. Du verstehst alles. Du fühlst dich verstanden – auch ohne, dass du dich erklärst.

Dein ganzes Leben zieht an dir vorbei. Du verstehst wie alles gekommen ist. Deine Erinnerungen erschrecken dich nicht mehr. Die Last der Vergangenheit drückt dich nicht mehr. Die Angst vor der Zukunft hat sich aufgelöst. Du bist ganz gegenwärtig und im Frieden mit dir und der Welt. Du fühlst dich mit allen verbunden.

Egal woher sie kommen, egal welche Sprache sie sprechen, egal wie sie aufgewachsen sind, egal wie sie aussehen, egal welche Werte ihnen wichtig sind, egal wie gebildet, arm oder reich sie sind.

Wie im Traum siehst du die anderen. Du siehst das Schöne an ihnen. Du siehst auch ihre Fehler und ihre Verletzungen, ihre Schuld. Doch das trennt dich nicht von ihnen.

Auch dich siehst du. Du siehst deine Narben und Falten. Du siehst dich bis auf den Grund und erschrickst nicht mehr vor dir. Du siehst, was du kannst, wer du bist und eine große Freude durchströmt dich.

Dein Herz ist leicht. Es pulsiert. Du bist voller Leben. Du bist außer dir und gerade so in deiner Mitte.

Dein Herz ist verbunden mit denen, die dir fremd sind, die dir immer Furcht eingejagt haben.

Immer dachtest du, ich muss mich aufgeben, ich muss anders werden, ich muss mich für das, was ich bin klein machen. Ich muss meine Schwächen verstecken. Ich darf mich nicht so zeigen wie ich bin, sonst gehe ich unter. Jetzt weiß dein Herz, wie bedürftig du bist, wie schön du bist und, dass es das Größte ist, der Wahrheit ins Gesicht zu schauen: Gottes bedürftig zu sein.

Das macht dich nicht klein, sondern wesentlich. Du kannst gar nicht genug bekommen von diesem Kraftfeld. Jetzt hast du Angst, es wieder zu verlieren oder das alles nur Einbildung war. Einige flüstern schon. „Sie sind voll des süßen Weins. Wenn der Rausch erst einmal vorbei ist, werden sie alle in der harten Realität aufschlagen.“

Nein, du kannst es nicht verleugnen. Zu stark war für dich dieses Erfasst- und Ergriffenwerden von der Heiligen Macht.

Das wirst du niemals vergessen. Du willst mehr davon, weißt aber, dass dir das entzogen ist.

Waren da nicht Frauen und Männer, die erzählt haben, dass sie dem lebendigen Gott begegnet sind in Jesus Christus?

Davon will ich mehr hören. Ich will mit diesen Menschen Gemeinschaft haben.

Sie beten. Ich will auch beten. Sie brechen das Brot. Ich will auch davon essen. Sie erzählen sich Geschichten von Jesus und fragen, was das für ihr Leben bedeutet. Ich will auch hören und fragen. Sie sagen, sie sind offen für den Heiligen Geist. Ich will auch für sein Wirken offen sein.

Amen.

Corona – Philosophie, Rezensionen, Teil 1, Christoph Fleischer, Welver 2020,

Zu: Philosophie Magazin, Nr. 03/2020, April/Mai 2020, Philomagazin Verlag Berlin, Preis: 7,90 Euro und Philosophie Magazin, Nr. 04/2020, Juni/Juli 2020, Philomagazin Verlag Berlin, Preis: 7,90 Euro

Da ich die Rezension des vorletzten Heftes irgendwie vergessen habe, besteht hier Gelegenheit, die letzten zwei Magazine, die während der Corona Krise erschienen sind, auf dieses Thema hin ein wenig abzuklopfen. Es gibt daher keinen allgemeinen Überblick, sondern nur eine gezielte Auswahl. Im Internet gibt es zum jeweiligen Heft eine ausführliche Vorschau: https://philomag.de/nr-3-2020/ und https://philomag.de/nr-4-2020/
Es ist schon interessant, welche Flut von inhaltlichen Reaktionen jetzt durch die Corona–Krise angeregt worden sind.
Als zweiten Teil plane ich eine Rezension über das entsprechende Reclam-Heft, das inhaltlich sehr gründlich ist. Auch im Transcript-Verlag wird im Juni ein Buch über die Corona–Krise erscheinen.

 

Schon in der Anfang März erschienenen Ausgabe 03/2020 finden sich die ersten Notizen zur Corona-Pandemie als eines philosophischen Themas. In der Artikelsammlung unter dem Stichwort Arena notiert Dominik Erhard auf S. 10: „Der Bote als Erreger“. Schon im November 2019 hatte der Arzt Li Wenliang aus Wuhan/China auf den Erreger Covid-19 aufmerksam gemacht. Er wurde unter Druck gesetzt und sollte in Zukunft auf „Panikmache“ verzichten. Das wird als Zeichen eines autoritären Regimes vermerkt: „Da es offiziell keine Fehler geben darf, wird der Überbringer einer schlechten Nachricht selbst als zu tilgendes Übel behandelt.“ (PhM 03/2020, S. 10) Die Verantwortung wird umgekehrt. Wer sich als verantwortlich Handelnder zeigt, wird als Verursacher verantwortlich gemacht. Dieses Sündenbockprinzip markiert der Autor als Schwäche autoritärer Regime. (Ich bin mir nicht sicher, ob eine Verzögerung im Umgang mit der Pandemie nicht auch inzwischen weit stärker betroffenen Staaten wie USA, Spanien oder Frankreich zu beobachten war. d. Rez.) „Corona – Philosophie, Rezensionen, Teil 1, Christoph Fleischer, Welver 2020,“ weiterlesen

Predigtgedanken zu Exaudi 2020, Emanuel Behnert, Lippetal 2020

Gnade sei mit uns und Friede, von Gott unserem Vater und unserem HERRN Jesus Christus. Amen.

Foto: Niklas Fleischer (c)

Liebe Schwestern und Brüder!

Beim Nachdenken über die Texte des heutigen Sonntags denke ich auch immer wieder über die aktuelle Situation meines eigenen Lebens nach. „Der Herr ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der Herr ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“

Eingangsworte des 27. Psalms, denen – fast verzweifelt wiederholte Bitten folgen – die darum beten Gehör zu finden. Und Antwort zu bekommen. Licht und Heil.

Aber in mir ist es unendlich finster. Und ich kann es nicht ändern. Zwei Wochen ist es her, seit sie, mit der alles Licht und Heil gewesen ist, ausgezogen ist. Zwei Wochen sind es nun, die ich in einer eigenen Dunkelheit verbringe. Es gelingt nur selten, Freude zu finden am Sonnenschein. Und der bewölkte Himmel scheint nur für das zu stehen, was ich im tiefsten Inneren im Moment empfinde.

Sie haben sich zum Grillen verabredet. Alle aus der Familie, zu der ich vor meiner Scheidung auch einmal dazu gehört habe. Bei meinem Sohn. Durch Zufall habe ich es erfahren. Ich gehöre nicht mehr dazu. – Schon am Tag wird das Helle dunkel. Und das Heil bleibt aus.

Mitten im Leben steht er. Und merkt plötzlich, dass er weniger und weniger wird. Darmkrebs. Operation. Chemotherapie. Nichts ist mehr so, wie es vor kurzem noch gewesen ist. Und es fällt ihm zunehmend schwer einzustimmen in die Grundmelodie des 27. Psalms. Eher klingt doch an: „HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und antworte mir!“

Ein Mensch in Not, der dennoch um die Gegenwart Gottes weiß. Der aber SEIN Schweigen in seiner Situation nicht aushält. Auch dann nicht, wenn er ahnt, dass ER ein anderes Zeitmaß haben mag als wir. —- Ich kann das verstehen. Meine Mutter hat mich, uns Geschwister, oft durch „Sprachlosigkeit“ bestraft. Wenn sie nicht wollte, hat sie mit uns oft über viele Tage hinweg nicht gesprochen. Ein Trauma, das mich – zusammen mit anderen Erfahrungen aus der Kindheit – bis heute beschäftigt und begleitet.

Wie gut tut es, immer wieder einmal am Tag eine menschliche Stimme zu hören. Begegnung zu haben mit einem Menschen vis á vis. Von Angesicht zu Angesicht. Einer, der meine Hand nimmt, mich berührt. Sanft. Und ohne Vorbehalt, oder Erwartung. Unendliche Erfahrungen aus dem Hospizdienst tuen sich hier auf. Wenn der sentimentale Körperkontakt „nur“ noch die einzige Kommunikationsbasis zu dem ist der gehen muss. Wenn das „Sei mir gnädig“! übergroß wird. Im Leben und im Sterben. Auch dann, wenn wir erkennen müssen, dass jeder Abschied, jede Trennung, ein eigenes Sterben ist.

Ich lese weiter im Lektionar. In der Perikopenordnung. Und da heißt es im ersten Satz des eigentlichen Predigttextes: „Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR…“ SEINE Zeit. Nicht meine. Nur ER weiß, wie sie aussehen wird. Eine neue Zeit. Ich will darauf vertrauen, dass sie ganz anders ist, als das, was ich derzeit in meiner Zeit erlebe. Ja, da gilt nicht mehr die Angst um das Versagen. Sondern die Zusage: Schön, dass es Dich gibt. Du bist angenommen. Da gilt nicht mehr die Angst um das Auskommen morgen, sondern SEINE Zusage: Du hast die vollkommene Fülle des Lebens. Da gilt nicht mehr die Furcht vor der Schuld und eventuellen Schulden. Sondern: Du hast Gnade gefunden vor mir und damit auch vor den Menschen. Du bist mein geliebtes Kind, an dem ich Wohlgefallen habe. Amen.

 

 

Predigt Rogate 2020, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Predigt Matthäus 6, 5-15

„…und bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.“

 

Liebe Gemeinde,

Hand aufs Herz – haben Sie in den letzten Wochen während die Herzogenrather Kirchenglocken angesichts der Pandemie jeden Abend um 19:30 Uhr zum Gebet aufgerufen haben das eine oder andere Mal ein stilles Gebet gesprochen? Von einigen habe ich gehört, dass sie sich jeden Abend um 19:30 Uhr zum Gebet – eine jede und ein jeder für sich – verabredet haben. Es stärkt und motiviert, wenn wir wissen, wir sind mit anderen zur selben Zeit im Gebet verbunden. Und für viele mag das Läuten, wenn sie es je nach Windrichtung gehört haben, zumindest ein kurzes Innehalten – vielleicht verbunden mit einem Stoßseufzer oder ein kurzes: „Herr, erbarme dich“ verbunden gewesen sein.

Aber all die, die auf das Läuten zum Gebet geachtet haben und sich dadurch als Gemeinschaft – trotz des Abstandsgebot und der ausgesetzten Gottesdienste – erlebt haben, ist eines gemein. Sie haben hingehört und sich – und sei es nur für einen kurzen Moment – auf Gott hin ausgerichtet. Andere haben davon gehört, dass die christlichen Kirchen zu einem Gebet aufrufen und auch wenn sie sich nicht beteiligt haben, fanden sie einen Glockenaufruf zum Gebet angesichts der Pandemie und den damit verbundenen Ängsten und Sorgen angemessen. Wer wollte, konnte hören, sich mit anderen verbunden wissen und wahrnehmen, dass Menschen stellvertretend für die Erkrankten, die Helferinnen und Helfer und die um ihre Toten Trauernden eintreten.

Wiederum gab es andere, die sich in ihrer Abendruhe gestört fühlten, weil ein zusätzliches Läuten im öffentlichen Raum erschallte. Wir haben als Gemeinde von einem Mitbürger eine Beschwerde erhalten, der das Läuten als echte Störung und Minderung seiner Lebensqualität empfand.

Angesichts der Äußerung Jesu zum öffentlichen Gebet – „wenn du aber betest, so geh in dein Kämmerlein und schließe die Tür zu“ (V.6) – könnte der Eindruck entstehen, dass Jesus ein öffentliches Gebet und damit auch ein Glockenläuten zum Gebet ablehnt. Drückt sich also in der Beschwerde – und diese ist ja in der jüngsten Vergangenheit aufs Gesamte gesehen in unserer pluralistischen Gesellschaft landauf und landab nicht neu, nicht der Geist Jesu aus, der das Gebet in den verborgenen Raum verlegen will?

Gerade wo wir wissen, wie schädlich für die Gesundheit Lärm sein kann – unabhängig wie subjektiv das Läuten der Glocken empfunden wird – stellt sich diese Frage für uns um so dringender: Ist es noch zeitgemäß zu unseren Gottesdiensten und zum Gebet vernehmbar und manchmal auch sehr lange mit lautem und mächtigem Glockengeläut zu läuten?

Noch scheint es so zu sein, dass das Läuten von einer großen Mehrheit akzeptiert und getragen wird. Viele Menschen sehen und empfinden darin eine Fortsetzung und ein eingebettet sein in die abendländische christliche Kultur. Anders fällt das Urteil schon aus, wenn die Muslime zu ihrem Freitagsgebet öffentlich aufrufen. Für den Ruf des Muezzin gibt es nur eingeschränkte Genehmigungen.

Wenn ich die Worte Jesu richtig einordne, wendet er sich gegen jede Zurschaustellung des Gebets. Das Gebet, sagt Jesus, ist etwas, was sich jeder Machtdemonstration und letztlich auch jeder Öffentlichkeit entzieht, da seine Kräfte im Verborgenen wirken.

Das bedeutet für unseren Kontext, dass wir als Gemeinden vor Ort auf die Beschwerden sensibel eingehen sollten und – wie wir es auch schon getan haben – nach Lösungen schauen, die einen Konflikt wegen des Läutens befrieden. Zumindest sollten wir uns die Frage stellen, ob die Beschwerde angemessen ist. Ein Beleidigtes – wir machen es aber, weil es immer schon so war – ist hier nicht angemessen. Eben so wenig ein Vorschnelles und zuvorkommendes Einschränken des Läutens.

Denn anders als zur Zeit Jesus ist unser Alltag nicht durch viele religiöse Rituale geprägt und strukturiert. Die Religion ist in unseren Breitengraden fast ausschließlich in das Private abgewandert und prägt das öffentliche Leben nicht mehr selbstverständlich. Es gilt der Konsens: Religion ist Privatsache. Das lässt sich soziologisch darlegen. Es gibt kaum ein größeres Tabu als über seinen Glauben im Alltag zu sprechen.

Liebe Gemeinde, als evangelischer Christ freue ich mich über jedes Zeichen des Glaubens – und sei es noch so unscheinbar wie manch verwittertes Wegkreuz im öffentlichen Raum. Auch unsere Kirchengebäude – selbst, wenn sie entwidmet sind – sind Zeugen einer anderen Welt. Sie weisen auf das Verborgene hin.

Auch deshalb liebe ich das Kirchengeläut, weil es hörbar die Menschen erinnert, Gott mit Lob, Dank und Bitte zu begegnen. Ich glaube, dass diese sinnlichen Zeichen einer pluralistischen Gesellschaft gut zu Gesichte stehen, weil sie Trost und Halt spenden in einer sich schnell verändernden Gesellschaft.

Natürlich ist das Gebet kein Selbstzweck, es steht jeder Verzweckung entgegen – wie Jesus seine Jüngerinnen und Jünger zurecht lehrt. Das Gebet ist immer auf Gemeinschaft angelegt. Das Beten allein im stillen Kämmerlein – so nötig und wichtig auch diese Gebetskultur ist – birgt die Gefahr, in sich zu verkümmern.

Es hat mich schon sehr verwundert, dass ein Kollege aus dem Kirchenkreis ernsthaft meinte, dass das Gebet im stillen Kämmerlein jetzt das Gebot der Stunde sei und den Gottesdienst vollständig ersetzen würde. Eben nicht.

Nein, beide Gebetsformen sind wie Ein- und Ausatmen. Die eine Gebetsform lebt von der anderen und umgekehrt. Mein persönliches Gebet lebt und wird oft genug, wenn mir die Worte versagen, vom Gebet in der gottesdienstlichen Gemeinschaft getragen. Und anders herum werde ich durch das gemeinsame Beten angeregt zum persönlichen Gebet.

Beten ist zutiefst ein kommunikativer Akt und führt aus der Vereinzelung heraus. Daher lehrt Jesus seine Jüngerinnen und Jünger, wenn ihr betet, so sprecht: Vater unser…

Das Grundgebet der Christenheit ist ein Gemeinschaftsgebet: Es heißt nicht: „Mein Vater“, sondern „Unser Vater“.

Jeder kommunikative Akt weist über sich hinaus. Daher können die Religionen gar nicht anders als äußerlich sicht- und erkennbar werden. Darum läuten wir auch die Glocken. Wir rufen zum Gebet – und beim „Vater unser“ – läutet die Vater-Unser-Glocke. Der öffentliche Raum wird so weit die Glocken tragen in das Gebet mit hineingenommen. Wir dürfen uns freuen, dass wir in einem Land leben, wo wir unseren Glauben leben dürfen, nicht nur im stillen Kämmerlein, sondern öffentlich. Das Läuten ist eine Einladung mitzubeten. Nur wer sich im Gebet übt, wird aus der Kraft des Gebets sein Leben führen können. Das ist unser Zeugnis und unser Geschenk für die Welt. Daran lasst uns festhalten.

Amen

 

 

Ganzheitliche Theologie, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2020

Zu:

Richard Rohr: Alles trägt den einen Namen, Die Wiederentdeckung des universellen Christus, aus dem Englischen von Andreas Ebert, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2019, gebunden, 318 Seiten, Preis: 24,00 Euro

Richard Rohr (geb. 1943) ist Theologe eines franziskanischen Ordens, der für seine ganzheitliche Sicht bekannt ist.

Der anschauliche Impuls Rohrs zu Beginn des Buches ist die Vision einer Frau in der Londoner U-Bahn. Diese Frau heißt Caryll Hauslanders und hat die Vision, dass ihr in jedem Menschen Christus begegnet. „Christus ist überall“. In ihm hat jede Art von Leben Sinn und steht mit allen anderen Lebensformen in einer festen Verbindung.“ (S. 16).

Das Buch versteht sich als religiöse Entdeckungsreise dieser Vergegenwärtigung Christi in allen Lebensformen.

Die Kapitel des Buches stellen hierdurch eine Art Theologie dar, die diese Gegenwart Gottes (in Christus) in der Welt aufzeichnet. Manchmal fragt man sich beim Lesen, ob manche Aspekte nicht einfach eine moderne Form von katholischer Theologie sind.

Die Wege zu dieser Spiritualität, die Richard Rohr aufzeichnet, sind Wege, die aus den konfessionellen Streitereien herausführen, einfach weil der Glaube als eine Art von Leben in der Welt dargestellt wird.

Ich gebe statt einer ausführlichen Inhaltsangabe ein kleines Beispiel, das, wie ich finde, ein wenig zum Schmunzeln ist:

Die Widmung hat mich schon gewundert. Richard Rohr widmet das Buch seinem kürzlich verstorbenen Labrador, der Hündin Venus, die über fünfzehn Jahre alt wurde.

Die Gegenwart der Hündin hat, so schreibt er später, eine spirituelle Dimension.

Was das bedeutet, wird schlagartig deutlich, wenn man den Abschnitt über das Abendmahl liest. Warum glaubt die katholische Gemeinde an die Präsenz Christi in der Oblate, was heißt hier Realpräsenz Christi?

Nach Richard Rohr muss diese Aussage nicht nur von Christus, sondern auch vom Menschen her verstanden werden. Hierdurch steht in seiner Theologie die Anthropologie immer in einer Korrespondenz dazu. In diesem Zusammenhang ist von der Hündin Venus die Rede. Sie ist ein Symbol für diese Präsenz, was ich im Folgenden erläutern möchte.

Ich fasse den entsprechenden Abschnitt kurz zusammen: Denken wir einmal an einen Hund oder eine Hündin. Ihr rudelorientiertes Verhalten macht Hunde zu einem Symbol der Präsenz. Und so ist es selbstverständlich, dass Richard Rohr über seine Hündin schreibt, die mit ihm in der Nacht zu einem Krankenbesuch aufbricht. Ein kurzes Zitat soll dies dann weiter verdeutlichen: „Sie stand für mich Modell, wie ich vor Gott da sein könnte, und wie wohl Gott mir gegenüber da sein muss: „… wie die Hände einer Dienerin auf die Hand ihrer Herrin gerichtet ist.“ (Psalm 152,2). Die Augen meiner Venus waren stets auf mich gerichtet.“ (S. 168)

Dieses Beispiel klingt für Menschen, die nicht mit Hunden zusammenleben etwas skurril, aber ich finde es treffend. So verspricht es ja auch Gott dem Mose: „Ich werde da sein.“ Und bezeichnet dies als seinen Namen. Als Christinnen und Christen ist dieses Gottesbild zugleich unser Vorbild, und es ist unser Wunsch für Gott und andere da zu sein. (d. Rez.)