Gründonnerstag 2020, Emanuel Behnert, Lippetal 2020

 

Brot und Wein. Nehmt und esst. Mein Leib… Nehmt und trinkt. Mein Blut im Kelch des neuen und ewigen Bundes. Zum Mahl geladen. Und doch ist die Mahlgemeinschaft so weiträumig geworden. Und jeder irgendwie für sich. Kaum einer hat sich schon daran gewöhnt, dass wir dennoch, oder vielleicht gerade deswegen alle miteinander auf vielfältige Weise verbunden sind.

So, wie es schon in einer sehr alten Erzählung überliefert ist. Schon lange, bevor sie die Geschichte erzählten, kannten die Menschen die Angst vor dem, was ihr Leben und ihre Familien bedrohen könnte. Manche sagen, es war die Angst davor, dass sie ihr Vieh verlieren könnten und damit ihre Lebensgrundlage. Manche sagen, sie fürchteten Dämonen. So saßen sie zusammen in den Familien, die sie schützen wollten, und versuchten sich zu wehren gegen die Angst mit dem puren Leben. Ein Tier wurde geschlachtet, sein Blut an die Pfosten der Behausung gestrichen gegen die Angst und gegen das Verderben.

So, wie es Haschem, der EWIGE gefordert hat, zur Rettung aller, die sich trotz allem und gegen alles, vielleicht ja sogar gerade wegen allem zu IHM bekannten und treu an IHM festhielten.

Als sie ganz verstreut lebten im Exil in Babylonien, erzählten sie zu ihrem Fest eine große Geschichte, eine der größten Geschichten Israels. Sie erzählten von Sklaverei in Ägypten und davon, wie Gott sie nach Hause führte. Sie erzählten von großer Angst und großer Hoffnung. Sie gaben mit dieser Geschichte ihrer eigenen Angst und ihrer eigenen Hoffnung im Exil ein Gesicht und eine Stimme. Wer mag, kann diese Geschichte gerne zuhause nachlesen. Im Internet, oder vielleicht in der Konfirmations – oder gar Familienbibel. Sie steht im 2. Buch Mose im 12. Kapitel.

„Nehmt und esst. Mein Leib… Nehmt und trinkt. Mein Blut im Kelch des neuen und ewigen Bundes.“ – Der Angst und der Hoffnung eine Stimme geben. Das Fest, auf das wir zugehen, mit allem, was dazu gehört macht es möglich. Das Dunkel wird nicht ausgeklammert und verschwiegen. Aber es wird auch vollkommen zurecht auf einen immer wiederkehrenden und dennoch einmaligen Sonnenaufgang hingewiesen.

Alle Jahre erzählten sie vom Pessach Gottes. Sie erzählen die Geschichte in kleinen Hütten und großen Villen, in Kibbuzim und Ghettos, in New York und Rom. Die traditionelle Frage: Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten? (Ma nischtana haLajla hase mikol haLejlot?) klingt immer noch jedes Jahr an vielen Orten der Welt. Menschen denken an die große Angst und die große Hoffnung. Manchmal hören sie nur Worte, manchmal trifft es sie ins Herz, mitten in ihr eigenes Leben. Pessach. Das Fest der ungesäuerten Brote.

Brot, das etwa so schmeckt wie unsere Hostien beim Abendmahl. Immer und immer wieder nahmen sie sie zu sich. Und erinnerten sich. Sie waren in Häusern versammelt, Reiche und Arme, und mussten erst begreifen, dass sie hier eine Gemeinde waren, und Rücksicht aufeinander nehmen lernen. Sie standen in dunklen, kalten Kirchen und nahmen voller Angst vor Höllenqualen das ungesäuerte Brot zwischen die Zähne. Sie tanzten in bunten Kleidern unter freiem Himmel und tranken den Wein.

Sie waren zu dritt in brandenburgischen Dorfkirchen und zu Tausenden beim Kirchentag. Und heute sitzen sie mitunter allein, oder im Kreis weniger lieber Menschen isoliert in ihren Wohnungen, in ihren Gärten, auf ihren Balkons. Mitunter einsam. Aber dennoch nicht allein gelassen. Denn der Gedanke an die Nacht voller Angst und voller Hoffnung war und ist immer dabei. Manchmal war der Raum voll mit jahrhundertealten Ängsten und jahrhundertealten Hoffnungen. Manchmal hörten sie nur Worte, schmeckten nur Brot und Trauben. Eine gute Tradition. Manchmal war sie viel mehr. Da öffnete sich der Raum für ihr eigenes Leben. Und in diesem Leben, in und aus dieser Tradition heraus fanden plötzlich auch andere ihren Platz. Diejenigen, denen man sonst aus dem Weg ging. Diejenigen, die sich selbst zurückzogen, aus welchen Gründen auch immer. Diejenigen, die gerade in ihrem Leben auf besondere Weise mit Not und Angst zu kämpfen hatten, die das Gefühl der Stigmatisierung nicht loswurden.

Am Tisch, bei Brot und Wein rückten alle zusammen. Und jeder bekam – zumindest vorübergehend, aber immer mit einem nachhaltig positiven Eindruck das Gefühl, doch willkommen zu sein, doch dazu zu gehören. Liebe Schwestern und Brüder! Wie viele schöne Mahlfeiern habe ich in diesem Sinn vor allem in Bethel und im Bereich der LWL – Kliniken in Lippstadt gefeiert. Und wie ansteckend war mitunter die Freude derer, die plötzlich für sich annehmen konnten und durften: Ich gehöre auch mit dazu. Auch ich bin eingeladen. „Nehmt und esst. Mein Leib. Nehmt und trinkt. Mein Blut im Kelch des neuen Bundes.“

„Jeder unter uns darf kommen, dass er Teil an dir gewinnt. Alle sind wir angenommen, wie wir hier versammelt sind: froh und traurig, stark und schwach, matt im Glauben, oder wach. (Detlev Block; BG 600,2)

Und: „als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.“ (MK. 14,26) So heißt es in den heutigen Losungen der Herrenhuther Brüdergemeinde.

Mitten im Dunkel der Angst ein Hoffnungslied anstimmen. Bestimmt gehört da unendlich viel Kraft dazu. Und bestimmt werden die Klänge des Lobgesangs nicht die letzten in der Dunkelheit dieser Nacht sein. „HERR, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“, heißt es wenig später auch. Aber auch: „Dein Wille geschehe. / Meinen Geist befehle ich in DEINE Hände.“ Der Lobgesang, angestimmt trotz allem und gegen alles mitten in dunkelster Nacht: er klingt nach. Auch wenn es scheinbar noch finsterer zu werden scheint.

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, der bewahre und behüte Euch. Er sei mit Euch, in allem, was Euch widerfährt. Er stärke Euch, Euern Blick zu heben hin auf den Sonnenaufgang eines neuen Morgens, der niemand verborgen sein wird. Amen.

 

Anmerkungen: Bild: Hendrik Korthaus, Gehörlosenseelsorger EKvW, Dorsten, Kopiervorlage erteilt; Teilen der Gedanken liegen Textgedanken aus: „Platz am Tisch“, Claudia Neuguth, Pastoralblätter 4 / 2020 S. 279ff zugrunde.

Meditationen in der Karwoche von Emanuel Behnert, Lippetal 2020

Dienstag in der Karwoche 2020; Dienstag nach Palmarum

Ein Bild, das zum Nachdenken einlädt, um sich zu besinnen, zum ruhigwerden. Ein Bild, das eigentlich keiner weiteren Worte bedarf. Gottes Segen mit jedem Betrachter, mit jeder Betrachterin.

 

Danke Bishop Kerstin McNiesh; (altkatholische Kirche Amerika) eingestellt am  06.04.2020 auf Facebook. Kopierechte wurden mündlich erteilt.

Mittwoch in der Karwoche

Gnade sei mit uns und Friede, von GOTT unserem Vater und unserem HERRN Jesus Christus. Amen.

 

Liebe Schwestern und Brüder,

sie sind auf dem Weg nach Jerusalem. Sie sind auf dem Weg zu einem der höchsten Feste, die die Menschen in dieser Zeit, in dieser Region, in dieser religiösen Kultur kennen. Sie sind auf dem Weg zum Pessachfest. Aber sie sind auch auf dem Weg hin zum Kreuz. Auch wenn dies nur EINEM wirklich bewusst wird. Die Hälfte der Wegstrecke haben sie geschafft. Auch, wenn die Strecke des Lebens, die zu diesem Ziel geführt hat, viel länger gedauert hat. Wie viele Begegnungen. Wie viele Emotionen, die es anzunehmen und auszuhalten gab. Und immer wieder auch diese eine. Die Angst. Wievielmal aber auch die Dankbarkeit für Begegnungen und entspannende Momente, die aufgerichtet haben. Die dafür gesorgt haben, dass die Angst nicht dauerhaft der Sieger bleibt.

Eine Angst, die manch einen von uns in diesen Tagen sicher auch immer wieder gefangen nimmt. Weil der Weg nach Ostern hin so ganz anders ist, als wir das sonst gewohnt sind. Das Kreuz, von dem auch sonst öffentlich nur selten die Rede (gewesen) ist, ist in diesen Tagen auf ganz eigene Weise doch immer wieder greifbar. Und anders, als bislang bekannt, an allen Orten sichtbar. Überall dort, wo sich vermummte und behandschuhte Menschen aus dem Weg gehen und einen Riesenbogen umeinander machen. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es in größeren Kaufhäusern, von denen ja nur noch die Wichtigsten geöffnet haben, so still gewesen ist. Eine greifbare Angst und ein Kreuz in ganz neuem Erscheinungsbild.

Mitten in diese alles lähmende Angst hinein ist mir ein Text von Paulo Coelho, einem brasilianischen Bestsellerautor begegnet, in dem er schreibt: „Ein Patient sagte zu seinem Arzt: „Angst beherrscht mein Leben, und sie hat mir alle Freude genommen.“

„Hier in meiner Praxis lebt eine Maus, die an meinen Büchern knabbert“, entgegnete der Arzt. „Mach ich zu viel Aufhebens von der Maus, wird sie sich vor mir verstecken, und ich werde nichts anderes mehr tun, als sie zu jagen.

Stattdessen habe ich meine wertvollsten Bücher an einen sicheren Platz gestellt und erlaube ihr, an den anderen zu knabbern. So bleibt sie eine einfache Maus und wird nicht zu einem Monster. Richten Sie Ihre Angst auf einige wenige Dinge, dann bleibt Ihnen Mut für das, was (wirklich) wichtig ist.“ (Paulo Coelho: „Der Wanderer“; Zürich 1998)

Vergessen wir also bei aller Schwere des Augenblicks, bei aller angstmachenden  Unverständlichkeit der Zeit, bei jedem Schicksalsschlag, den wir in diesen Tagen oft vermeintlich allein tragen müssen nicht, dass das Kreuz, egal, wie es aussehen mag, nicht die letzte Station auf dem Weg nach Jerusalem, auf dem Weg hin zu Ostern ist.

Und so lade ich Sie und Euch ein, wenn es Ihnen möglich ist einzustimmen in Verse des 71. Psalms, in dem es heißt: „HERR, ich traue auf dich, lass mich nimmermehr zuschanden werden. Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir heraus, neige deine Ohren zu mir und hilf mir! Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen kann, / der du zugesagt hast, mir zu helfen; denn du bist mein Fels und meine Burg. Denn du bist meine Zuversicht, HERR, mein Gott, meine Hoffnung von meiner Jugend an. Auf dich habe ich mich verlassen vom Mutterleib an; / du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen. Dich rühme ich immerdar. Mein Mund soll verkündigen deine Gerechtigkeit, täglich deine Wohltaten, die ich nicht zählen kann. Ich gehe einher in der Kraft Gottes des HERRN; ich preise deine Gerechtigkeit allein. Gott, du hast mich von Jugend auf gelehrt, und noch jetzt verkündige ich deine Wunder.“

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle menschliche Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.

Bleiben Sie Gott befohlen und gesund. Ihr Emanuel Behnert.