Brot und Wein. Nehmt und esst. Mein Leib… Nehmt und trinkt. Mein Blut im Kelch des neuen und ewigen Bundes. Zum Mahl geladen. Und doch ist die Mahlgemeinschaft so weiträumig geworden. Und jeder irgendwie für sich. Kaum einer hat sich schon daran gewöhnt, dass wir dennoch, oder vielleicht gerade deswegen alle miteinander auf vielfältige Weise verbunden sind.
So, wie es schon in einer sehr alten Erzählung überliefert ist. Schon lange, bevor sie die Geschichte erzählten, kannten die Menschen die Angst vor dem, was ihr Leben und ihre Familien bedrohen könnte. Manche sagen, es war die Angst davor, dass sie ihr Vieh verlieren könnten und damit ihre Lebensgrundlage. Manche sagen, sie fürchteten Dämonen. So saßen sie zusammen in den Familien, die sie schützen wollten, und versuchten sich zu wehren gegen die Angst mit dem puren Leben. Ein Tier wurde geschlachtet, sein Blut an die Pfosten der Behausung gestrichen gegen die Angst und gegen das Verderben.
So, wie es Haschem, der EWIGE gefordert hat, zur Rettung aller, die sich trotz allem und gegen alles, vielleicht ja sogar gerade wegen allem zu IHM bekannten und treu an IHM festhielten.
Als sie ganz verstreut lebten im Exil in Babylonien, erzählten sie zu ihrem Fest eine große Geschichte, eine der größten Geschichten Israels. Sie erzählten von Sklaverei in Ägypten und davon, wie Gott sie nach Hause führte. Sie erzählten von großer Angst und großer Hoffnung. Sie gaben mit dieser Geschichte ihrer eigenen Angst und ihrer eigenen Hoffnung im Exil ein Gesicht und eine Stimme. Wer mag, kann diese Geschichte gerne zuhause nachlesen. Im Internet, oder vielleicht in der Konfirmations – oder gar Familienbibel. Sie steht im 2. Buch Mose im 12. Kapitel.
„Nehmt und esst. Mein Leib… Nehmt und trinkt. Mein Blut im Kelch des neuen und ewigen Bundes.“ – Der Angst und der Hoffnung eine Stimme geben. Das Fest, auf das wir zugehen, mit allem, was dazu gehört macht es möglich. Das Dunkel wird nicht ausgeklammert und verschwiegen. Aber es wird auch vollkommen zurecht auf einen immer wiederkehrenden und dennoch einmaligen Sonnenaufgang hingewiesen.
Alle Jahre erzählten sie vom Pessach Gottes. Sie erzählen die Geschichte in kleinen Hütten und großen Villen, in Kibbuzim und Ghettos, in New York und Rom. Die traditionelle Frage: Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten? (Ma nischtana haLajla hase mikol haLejlot?) klingt immer noch jedes Jahr an vielen Orten der Welt. Menschen denken an die große Angst und die große Hoffnung. Manchmal hören sie nur Worte, manchmal trifft es sie ins Herz, mitten in ihr eigenes Leben. Pessach. Das Fest der ungesäuerten Brote.
Brot, das etwa so schmeckt wie unsere Hostien beim Abendmahl. Immer und immer wieder nahmen sie sie zu sich. Und erinnerten sich. Sie waren in Häusern versammelt, Reiche und Arme, und mussten erst begreifen, dass sie hier eine Gemeinde waren, und Rücksicht aufeinander nehmen lernen. Sie standen in dunklen, kalten Kirchen und nahmen voller Angst vor Höllenqualen das ungesäuerte Brot zwischen die Zähne. Sie tanzten in bunten Kleidern unter freiem Himmel und tranken den Wein.
Sie waren zu dritt in brandenburgischen Dorfkirchen und zu Tausenden beim Kirchentag. Und heute sitzen sie mitunter allein, oder im Kreis weniger lieber Menschen isoliert in ihren Wohnungen, in ihren Gärten, auf ihren Balkons. Mitunter einsam. Aber dennoch nicht allein gelassen. Denn der Gedanke an die Nacht voller Angst und voller Hoffnung war und ist immer dabei. Manchmal war der Raum voll mit jahrhundertealten Ängsten und jahrhundertealten Hoffnungen. Manchmal hörten sie nur Worte, schmeckten nur Brot und Trauben. Eine gute Tradition. Manchmal war sie viel mehr. Da öffnete sich der Raum für ihr eigenes Leben. Und in diesem Leben, in und aus dieser Tradition heraus fanden plötzlich auch andere ihren Platz. Diejenigen, denen man sonst aus dem Weg ging. Diejenigen, die sich selbst zurückzogen, aus welchen Gründen auch immer. Diejenigen, die gerade in ihrem Leben auf besondere Weise mit Not und Angst zu kämpfen hatten, die das Gefühl der Stigmatisierung nicht loswurden.
Am Tisch, bei Brot und Wein rückten alle zusammen. Und jeder bekam – zumindest vorübergehend, aber immer mit einem nachhaltig positiven Eindruck das Gefühl, doch willkommen zu sein, doch dazu zu gehören. Liebe Schwestern und Brüder! Wie viele schöne Mahlfeiern habe ich in diesem Sinn vor allem in Bethel und im Bereich der LWL – Kliniken in Lippstadt gefeiert. Und wie ansteckend war mitunter die Freude derer, die plötzlich für sich annehmen konnten und durften: Ich gehöre auch mit dazu. Auch ich bin eingeladen. „Nehmt und esst. Mein Leib. Nehmt und trinkt. Mein Blut im Kelch des neuen Bundes.“
„Jeder unter uns darf kommen, dass er Teil an dir gewinnt. Alle sind wir angenommen, wie wir hier versammelt sind: froh und traurig, stark und schwach, matt im Glauben, oder wach. (Detlev Block; BG 600,2)
Und: „als sie den Lobgesang gesungen hatten, gingen sie hinaus an den Ölberg.“ (MK. 14,26) So heißt es in den heutigen Losungen der Herrenhuther Brüdergemeinde.
Mitten im Dunkel der Angst ein Hoffnungslied anstimmen. Bestimmt gehört da unendlich viel Kraft dazu. Und bestimmt werden die Klänge des Lobgesangs nicht die letzten in der Dunkelheit dieser Nacht sein. „HERR, lass diesen Kelch an mir vorübergehen.“, heißt es wenig später auch. Aber auch: „Dein Wille geschehe. / Meinen Geist befehle ich in DEINE Hände.“ Der Lobgesang, angestimmt trotz allem und gegen alles mitten in dunkelster Nacht: er klingt nach. Auch wenn es scheinbar noch finsterer zu werden scheint.
Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle menschliche Vernunft, der bewahre und behüte Euch. Er sei mit Euch, in allem, was Euch widerfährt. Er stärke Euch, Euern Blick zu heben hin auf den Sonnenaufgang eines neuen Morgens, der niemand verborgen sein wird. Amen.
Anmerkungen: Bild: Hendrik Korthaus, Gehörlosenseelsorger EKvW, Dorsten, Kopiervorlage erteilt; Teilen der Gedanken liegen Textgedanken aus: „Platz am Tisch“, Claudia Neuguth, Pastoralblätter 4 / 2020 S. 279ff zugrunde.