Fragen nach Welt-Anschauung, Rezension von Konrad Schrieder, Hamm 2019

 

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Antonia Bräutigam: Zwischen Offenbarung und metaphysischer Losigkeit. Philosophisch-theologische Lektüre literarischer Jenseitsreisen, in: Edition Moderne Postmoderne, Transcript Verlag, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4683-2, 446 S., € 49,99.

Der Mythos als vorwissenschaftliche Erzählform hat ausgedient. In der Philosophie hat der Logos längst die archaischen Stilmittel ersetzt, derer sich noch Parmenides und Platon bedienten, um die Welt zu erklären.

Von Aristoteles bis weit in die Neuzeit hinein hat die Metaphysik mit ihrer präzisen Begrifflichkeit, aber auch die Kritik daran diese zentrale Rolle übernommen. Das Zeitalter der Moderne und Postmoderne ist durch eine fortschreitende Ausdifferenzierung gekennzeichnet, deren Merkmale Pluralismus und Individualismus sind. Die allgemeingültige Evidenz vernunftgeleiteter Antworten wird zunehmend durch die individuelle Suche nach Sinn in Frage gestellt.

Der klassische Gegensatz von Metaphysik und Mythos beginnt zu verschwimmen. In ihrer Dissertation versteht Antonia Bräutigam Metaphysik demnach nicht im Sinn einer methodisch geleiteten Wissenschaft, sondern allgemein als Versuch, im Seienden das dahinterliegende Sein zu erfassen (120) und Weltanschauung zu formulieren.

Der Mythos eignet sich darin als „neutrales Darstellungsmittel“, um die eigene unübersichtliche Lebenswirklichkeit, verbunden mit dem Bewusstsein um die Endlichkeit auf eine Metaebene zu heben und dadurch zu thematisieren (146 f.). Damit verbindet sich durchaus ein religiöses Interesse im Sinne einer soteriologischen Fragestellung (389-398). Die Affinität zu einem Umgang mit existentialistischen Grenzerfahrungen liegt auf der Hand. Die Metaebene führt diese ad absurdum, so dass die Gefahr des Nihilismus überwunden wird.

Die Autorin analysiert zeitgenössische literarische Werke von Clive Staple Lewis, Dostojewski, Franz Werfel, David Lindsay, Hermann Kasack, Thomas Mann und Samuel Beckett und ordnet sie zeitgeschichtlich ein und untersucht sie mithilfe eines Fragerasters, inwieweit sie sich zwischen den Polen von thematisch-strukturgebend im traditionellen religiösen und metaphysisch-kollektiven Sinn und von unthematisch-partiell-säkular im Sinne einer Privatmetaphysik bewegen (117 f.). Was die Erzählungen in ihrer Unterschiedlichkeit miteinander verbindet ist, dass es sich dabei um „Jenseitsreisen“ handelt, die Wirklichkeit erzählen, nicht im Sinne eines nachtodlichen Geschehens, sondern eines Perspektivwechsels. So können Erfahrungen einfließen und Offenbarung transportieren (vgl. 387). Metaphysik ist hier die Voraussetzung dafür, dass Jenseitsreisen unternommen werden, dass Fragen gestellt werden, um zu einem Verständnis von Welt zu gelangen (373). In Samuel Becketts Werk „Der Verwaiser“ sieht sich der Leser freilich in einer Welt gefangen, in der es nicht möglich ist, einen jenseitigen Standpunkt einzunehmen, um die bestehende Ordnung zu hinterfragen – ein Zustand metaphysischer Losigkeit (ebd.).

Bräutigams Untersuchung ist interdisziplinär angelegt zwischen Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaften. Das macht ihren besonderen Reiz aus. Der Mensch wird in seiner anthropologischen Grundbefindlichkeit als Fragender verstanden, der nach Welt-Anschauung strebt – ein Ausgangspunkt, den Heidegger und Rahner ausführlich entfaltet haben. Bereits der unthematischen Anschauung kommt eine religiöse Dimension zu, sofern sie auf Reflexion beruht und so dem Fragenden seine Stellung innerhalb des Ganzen offenbart. Die Tiefe des Denkhintergrundes in der analysierten Literatur scheint besonders geeignet, den modernen Menschen mit seinen Fragen und Erfahrungen zum Transzendieren auf das Allgemeine hin anzuregen. Damit ist der Bezug zum traditionellen Mythos hergestellt. Dass der Mensch in der Moderne dies mehr oder weniger bewusst als Einzelner tut, mag Kennzeichen unserer Zeit sein, aber er darf sich dennoch in der Gemeinschaft der Fragenden wissen.