Religiöse Aspekte im Philosophie Magazin 2/2020, notiert von Christoph Fleischer, Welver 2020

Zu: Philosophie Magazin 2/2020, Philosophie Magazin Verlag, Berlin, Preis: 7,90 Euro

Bei Platon taucht in den Dialogen, die er von Sokrates berichtet, hin und wieder das Wort daimonion auf, was mit „Gottheit“ übersetzt werden muss, zugleich aber als innere Stimme angesehen wird. In einem Kurzartikel des hier behandelten Heftes des Philosophie Magazins („Maschinengeflüster“, S. 9) wird eine Art Headset vorgestellt, das vorgeblich in der Lage ist, die Gedanken unserer inneren Stimme zu lesen und auch dieser Stimme zu antworten.

Obwohl das Instrument dabei eher an die Quelle der Sprache denkt, finde ich bezeichnend, dass der Autor die innere Stimme mit Gott identifiziert. Ich denke, dass es eine interessante Vorgabe wäre, die biblischen Texte einmal von dieser Vorgabe her zu interpretieren. Besonders wäre dabei an den beispielhaften Dialog Moses’ mit Gott zu denken, der sehr oft in den fünf Büchern Mose angesprochen wird.

 

Ein Artikel, der mehr auf eine gesellschaftliche Realität eingeht, ist ein Text über den steigenden Drogenkonsum in den USA von Jack Fereday, einem Redakteur des französischen Philosophiemagazins (S. 16 – 23).

Todesfälle durch Medikamente, eine auffällig hohe Selbstmordrate, aber auch Opiate als Einstiegsdroge zur Flucht aus der Realität – diesen Themen liegen Fragen zugrunde, die sich dieser Situation stellen.

Schon Emile Durkheim stellte in seinem Buch „Der Selbstmord“ (1897) als eine Hauptursache dafür die „schwache Verbundenheit“ heraus. Charles Taylor beobachtet die Auslöschung des Dialogs mit anderen. 

Ein Ort, in dem der Autor recherchierte ist Huntington, Hauptstadt der Drogenabhängigkeit in den USA. Was hilft, ist, „etwas zu finden, was größer ist als man selbst“, eine Formel, die auch an die 12 Schritte der AA erinnert. 

In diesem Zusammenhang wird die prekäre soziale Situation auch mit industrieller Umstrukturierung in Verbindung gebracht. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass eine Kirche ohne Gemeinde dasteht, dann aber als „Café für Einsame“ neu eröffnet wird.

 

Ein kurzer Artikel weist auf die Verbindung zwischen Religion und Kapitalismus hin. (Lea Wintterlin, S. 33). Die Rede ist von einem sündhaft teuren Turnschuh, genannt „jesus shoe“, in dessen Sohle sich „geweihtes Wasser aus dem Jordan“ befindet. Man läuft also quasi auf dem Wasser. Nach Giorgio Agamben gibt es vergleichbare Strukturen zwischen Religion und Kapitalismus.

 

Ein wichtiger und recht umfangreicher Teil ist das Dossier, auf dem auch das Cover hinweist: „Warum ist es so schwer sich zu ändern?“ (S. 46 – 65). In der Einleitung von Svenja Flaßpöhler wird in einem Nebengedanken auf das Konzept der Postmoderne namens „Performativität“ hingewiesen. Identität ist demnach einer Theateraufführung vergleichbar; von einem existentiellen Kern ist nicht mehr die Rede.

So ist der Wunsch sich zu ändern in diesem Lebenskonzept immer angelegt. Peter Sloterdijk, der den Leitgedanken dafür geliefert hat, zeigt hierbei die Nähe zur Religion auf, die nicht nur im Christentum das Konzept der Askese verfolgt.

Noch einmal am Ende des Heftes in der Rubrik der Buchbesprechungen finde ich eine Erinnerung an eine östliche Religion, den Daoismus. Eines der Grundbücher dieser chinesischen Religion ist das Buch „Zhuangzi“, als Neuübersetzung erschienen, hier vorgestellt von Gerd Scobel. Das Stichwort des Buches „Gelassenheit“ hat in der Philosophie eine Rolle gespielt. Hier ist auch kurz von Martin Heidegger u. a. als Leser dieses Buches die Rede (damals hatte es noch den Titel: „Das wahre Buch vom südlichen Blütenland“).

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Hier ist das Promo-Video der Redaktion, spannend, weil man auch die Gesichter sieht, die hinter der Ausgabe stehen: https://youtu.be/WjcOGgk-NN8

 

Das Leben bejahen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019,

Zu:

Christoph Quarch: Das große Ja, Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens, Legenda Q, Daun 2019, 3. Auflage, zuerst im Kailash-Verlag, München 2012, gebunden, 224 Seiten, ISBN: 978-3-948206-00-0, Preis: 19,90 Euro

Link: www.legenda-Q.de

Christoph Quarch, geboren 1964 in Düsseldorf, NRW, ist Philosoph, Autor und Hochschuldozent. Einer seiner Tätigkeiten ist auch die Durchführung von „Philosophiereisen“ z. B.   zu philosophischen Stätten der Antike. Man merkt diesem Buch an, dass er eine Lehre im Dialog mit Hörerinnen und Hörern vermittelt und deren Zeit- und Lebensfragen aufgreift. „Das Leben bejahen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019,“ weiterlesen

Fragen nach Welt-Anschauung, Rezension von Konrad Schrieder, Hamm 2019

 

Zu:

Antonia Bräutigam: Zwischen Offenbarung und metaphysischer Losigkeit. Philosophisch-theologische Lektüre literarischer Jenseitsreisen, in: Edition Moderne Postmoderne, Transcript Verlag, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4683-2, 446 S., € 49,99.

Der Mythos als vorwissenschaftliche Erzählform hat ausgedient. In der Philosophie hat der Logos längst die archaischen Stilmittel ersetzt, derer sich noch Parmenides und Platon bedienten, um die Welt zu erklären.

Von Aristoteles bis weit in die Neuzeit hinein hat die Metaphysik mit ihrer präzisen Begrifflichkeit, aber auch die Kritik daran diese zentrale Rolle übernommen. Das Zeitalter der Moderne und Postmoderne ist durch eine fortschreitende Ausdifferenzierung gekennzeichnet, deren Merkmale Pluralismus und Individualismus sind. Die allgemeingültige Evidenz vernunftgeleiteter Antworten wird zunehmend durch die individuelle Suche nach Sinn in Frage gestellt.

Der klassische Gegensatz von Metaphysik und Mythos beginnt zu verschwimmen. In ihrer Dissertation versteht Antonia Bräutigam Metaphysik demnach nicht im Sinn einer methodisch geleiteten Wissenschaft, sondern allgemein als Versuch, im Seienden das dahinterliegende Sein zu erfassen (120) und Weltanschauung zu formulieren.

Der Mythos eignet sich darin als „neutrales Darstellungsmittel“, um die eigene unübersichtliche Lebenswirklichkeit, verbunden mit dem Bewusstsein um die Endlichkeit auf eine Metaebene zu heben und dadurch zu thematisieren (146 f.). Damit verbindet sich durchaus ein religiöses Interesse im Sinne einer soteriologischen Fragestellung (389-398). Die Affinität zu einem Umgang mit existentialistischen Grenzerfahrungen liegt auf der Hand. Die Metaebene führt diese ad absurdum, so dass die Gefahr des Nihilismus überwunden wird.

Die Autorin analysiert zeitgenössische literarische Werke von Clive Staple Lewis, Dostojewski, Franz Werfel, David Lindsay, Hermann Kasack, Thomas Mann und Samuel Beckett und ordnet sie zeitgeschichtlich ein und untersucht sie mithilfe eines Fragerasters, inwieweit sie sich zwischen den Polen von thematisch-strukturgebend im traditionellen religiösen und metaphysisch-kollektiven Sinn und von unthematisch-partiell-säkular im Sinne einer Privatmetaphysik bewegen (117 f.). Was die Erzählungen in ihrer Unterschiedlichkeit miteinander verbindet ist, dass es sich dabei um „Jenseitsreisen“ handelt, die Wirklichkeit erzählen, nicht im Sinne eines nachtodlichen Geschehens, sondern eines Perspektivwechsels. So können Erfahrungen einfließen und Offenbarung transportieren (vgl. 387). Metaphysik ist hier die Voraussetzung dafür, dass Jenseitsreisen unternommen werden, dass Fragen gestellt werden, um zu einem Verständnis von Welt zu gelangen (373). In Samuel Becketts Werk „Der Verwaiser“ sieht sich der Leser freilich in einer Welt gefangen, in der es nicht möglich ist, einen jenseitigen Standpunkt einzunehmen, um die bestehende Ordnung zu hinterfragen – ein Zustand metaphysischer Losigkeit (ebd.).

Bräutigams Untersuchung ist interdisziplinär angelegt zwischen Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaften. Das macht ihren besonderen Reiz aus. Der Mensch wird in seiner anthropologischen Grundbefindlichkeit als Fragender verstanden, der nach Welt-Anschauung strebt – ein Ausgangspunkt, den Heidegger und Rahner ausführlich entfaltet haben. Bereits der unthematischen Anschauung kommt eine religiöse Dimension zu, sofern sie auf Reflexion beruht und so dem Fragenden seine Stellung innerhalb des Ganzen offenbart. Die Tiefe des Denkhintergrundes in der analysierten Literatur scheint besonders geeignet, den modernen Menschen mit seinen Fragen und Erfahrungen zum Transzendieren auf das Allgemeine hin anzuregen. Damit ist der Bezug zum traditionellen Mythos hergestellt. Dass der Mensch in der Moderne dies mehr oder weniger bewusst als Einzelner tut, mag Kennzeichen unserer Zeit sein, aber er darf sich dennoch in der Gemeinschaft der Fragenden wissen.

Notwendigkeit einer neuen Religion, Hinweis auf Christoph Quarch

Der Philosoph Christoph Quarch, von dem ich erst kürzlich ein Buch über Platon angezeigt habe, weist in seinem Silvestergruß auf die Notwendigkeit eines neuen Verständnisses von Religion hin und bezieht sich dabei auch auf Martin Heideggers Rede vom „letzten“ Gott.

Religion wird hier wörtlich verstanden als Rückbindung an das Sein, das nun mit Platon als Lebendigkeit gedeutet wird. Diesen Text antichristlich zu verstehen, greift zu kurz, denn zu den Referenzen gehört auch der Theologe Paul Tillich, dessen Theologie ohnehin noch nicht gänzlich zur Kenntnis genommen worden ist. Neben der integralen Theologie sollte die religionsphilosophisch geprägte als zukunftsweisend angesehen werden.

Ich teile hier gern den Link zum Aufsatz mit der Erlaubnis des Autors:

Christoph Quarch: Wurzeln im heiligen Sein dieser Welt

Platon ist überraschend aktuell, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2018


Zu: Christoph Quarch: Platon und die Folgen, J. B. Metzler im Springer Verlag, Deutschland, Stuttgart 2018, gebunden, 186 Seiten, ebook inside, ISBN: 978-3-476-04635-2, Preis: 19,99 Euro

Christoph Quarch setzt in diesem Buch der Reihe „N. N. Und die Folgen“ Platon wieder auf die Tagesordnung. Der Autor ist freiberuflich wissenschaftlich und journalistisch tätiger Philosoph und Theologe, auch Lehrbeauftragter an verschiedenen Hochschulen (siehe Klappentext, Infos auch unter https://christophquarch.de/presse/vita/ ).  

In der Einleitung zeigt er, dass die Verurteilung Platons im 19. und 20. Jahrhundert vor allem auf Fehlinterpretationen beruht. Er rückt Platon von Aristoteles ab, der als sein Schüler das Platonbild maßgeblich prägte. Ein besserer Kontext der platonischen Dialoge seien die Fragestellungen der sogenannten Vorsokratiker, so Christoph Quarch. Platon als Lehrer einer dialogischen Philosophie sei heute wieder neu zu hören und passe in die gegenwärtige philosophische Landschaft.

Jedes Kapitel des Buches von der Einleitung abgesehen bezieht sich auf ein dialogisches Buch Platons und zieht zu dessen Verständnis den werkimmanenten Kontext heran.

Das erste Buch, das der Autor behandelt, ist im Werkaufbau Platons eines der letzten: NOMOI (Im Text stehen griechische Worte in lateinischer Kleinschrift) . In diesem Buch, einem Trialog, diskutieren drei Philosophen während einer Wanderung auf Kreta über die mögliche Verfassung einer POLIS, ein Kreter, ein Spartaner und ein Athener.

Christoph Quarch zitiert zuerst aus der Rede des Atheners, der nach der Grundlage fragt, die für ihn Gott ist. Die Gottheit wird mit PSYCHE gleichgesetzt. Sie ist „… der Grund des Erscheinens und des Seins von allem Seienden.“ PSYCHE ist zugleich der Atem des Lebens und damit für Platon der Begriff für Lebendigkeit. Lebendigkeit ist für Platon eine Gottheit. Und so folgert er, dass Platon in dieser Rede des Atheners eine Metaphysik der Lebendigkeit entwirft. Im Blick auf die Wirkungsgeschichte Platons ist hier von Heidegger die Rede, der sich von der Metaphysik des Aristoteles abgrenzt, der seine Lehre eher an der TECHNE als an der PSYCHE, der Lebendigkeit orientiert.

Die Überschriften der anderen Kapitel zeigen, welches Thema sie behandeln wie: „Das Wunder des Werdens“, „Vom Sinn des Lebens“ und das „Ringen um Gerechtigkeit“, immer jeweils mit der Lektüre eines dialogischen Werks von Platon verbunden.

Aus theologischer Sicht ist auch neben allen Kapiteln vor allem das letzte interessant: „Theos. Die Versöhnung von Mythos und Logos und das Denken der Zukunft.“

Auch wenn das Buch nicht strukturell den Philosophen Platon und seiner Wirkungsgeschichte trennt, sondern beides ineinanderfügt, ist es doch ein wegweisender Brückenschlag zwischen der Wiege der europäischen Kultur und dem Denken der Gegenwart.