Vom Schutzengel, Predigt über Apostelgeschichte 12, Christoph Fleischer, Welver 2018

Apostelgeschichte 12, 1-11 (Lutherbibel):

1Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde, sie zu misshandeln.

2Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.

3Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort und nahm auch Petrus gefangen.

Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote.

4Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen. Denn er gedachte, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen.

5So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.

6Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis. 7Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.

8Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und er tat es. Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!

9Und er ging hinaus und folgte ihm und wusste nicht, dass ihm das wahrhaftig geschehe durch den Engel, sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen.

10Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald verließ ihn der Engel.

11Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und mich aus der Hand des Herodes errettet hat und von allem, was das jüdische Volk erwartete.

Liebe Gemeinde,

zu Beginn fällt mir die Werbung ein, die ich immer wieder im Autoradio höre. Ich möchte hier keine Werbung machen, aber es ist schon interessant, den Wortlaut der Werbung zur Kenntnis zu nehmen. Wer ist „so zuverlässig wie ein Schutzengel?“ Klar, das wissen wir alle, es ist die Versicherung.

Die Formulierung ist geschickt. Die Versicherung misst sich keine übernatürlichen Fähigkeiten an. Die Versicherung selbst ist kein Engel. Die Versicherung ist lediglich so zuverlässig wie ein Schutzengel. Sie verbindet also mit dem Begriff des Schutzengels keinen göttlichen Boten, sondern sie vergleicht sich mit dessen Zuverlässigkeit. Damit ist sie auf der menschlichen Seite. Schutzengel ist eine menschliche Vorstellung von einer Zuverlässigkeit, die das menschliche Vermögen übersteigt.

Ich werde zum Schluss der Predigt auf die Rolle des Engels zurückkommen.

Fragen zum Text:

Zunächst möchte ich einige Fragen zum Text sammeln:

Was ist die Aufgabe des Engels in dieser Geschichte? Wer speziell ist der „Engel des Herrn“?

Dann frage ich nach Herodes. Wieso verfolgt dieser König die frühe christliche Gemeinde? Welche Bedrohung geht von der Gemeinde aus? Warum die Feindseligkeit?

Die Geschichte schildert die Bedrohung und ihre Konsequenzen. Ein Jünger Jesu wird getötet, der andere festgenommen. Einer stirbt, der andere bleibt leben. Stellt sich hier die Frage nach der Bedeutung des Leidens? Aus persönlicher Sicht fragt sie: womit habe ich das verdient?

Ich gehe davon aus, dass die Wunder der Bibel keine reale Bedeutung haben, sondern auf eine geistige Wirklichkeit hinweisen. Die Wunder sind Bilder für die Gegenwart Gottes. Die Frage lautet also: Welches Ziel hat die Rettung des Petrus durch Gott?

Nicht zu vergessen ist die Rolle der christlichen Gemeinde: Welche Bedeutung hat das kollektive Gebet der Gemeinde für den Apostel Petrus?

Einleitende Beoachtungen:

Ich hoffe, dass in der folgenden Auslegung einige dieser Fragen beantwortet werden. Was mir zunächst auffällt, ist die Bedeutung der Gewalt der Obrigkeit gegen die christliche Gemeinde. Die Gemeinde, hier speziell in Jerusalem, scheint von Anfang an mit der Bedrohung leben zu müssen.

Ich gehe einfach mal die Apostelgeschichte durch und mir fällt auf, wie oft dort von Verfolgung, Gefangennahme, Verurteilung und gar Tötung die Rede ist. Schon recht früh nach der Pfingstgeschichte werden die Aposteln Petrus und Johannes festgenommen. Auch in dieser Geschichte werden die Gefangenen von einem Engel aus der Haft befreit. Nach einer erneuten Verhaftung werden sie befreit, nach dem sich ein Mitglied des Hohen Rates, Gamaliel, öffentlich für sie eingesetzt hat.

Doch die Verfolgung scheint immer mal wieder aufzukommen, denn schon bald wird der erste Heidenapostel Stephanus nach einer seiner Predigten gesteinigt. Welcher konkrete Grund dafür vorliegt, ist gar nicht recht ersichtlich. Unterschwellig scheint ein Konflikt gegen die Juden vorzuliegen, was aber mit Vorsicht anzusehen ist, da die frühe christliche Gemeinde auch ein Teil des Judentums war.

In unserem Kapitel wird die Hinrichtung des Jakobus, des Bruders von Johannes berichtet. Er ist damit der erste Märtyrer des Jüngerkreises.

In der weiteren Schilderung der Apostelgeschichte kommt keine weitere Hinrichtung oder Tötung mehr vor, aber Paulus, um den hauptsächlich geht, ist regelmäßig im Gefängnis und es gelingt immer wieder zu fliehen. Die Apostelgeschichte endet mit seiner Gefangennahme durch einen römischen Prokurator und sein Gefangenentransport nach Rom. Dass Paulus und Petrus in Rom als Märtyrer umkommen werden, wird in der Apostelgeschichte nicht berichtet.

Es gibt zwei Grundbewegungen, die in der Apostelgeschichte geschildert werden. Die eine ist die fortgesetzte Erweiterung der christlichen Gemeinde, der großartige Erfolg der christlichen Botschaft in Jerusalem und darüber hinaus. Die fortgesetzten Gründungen neuer Gemeinden im römischen Reich ist das spätere Thema der Mission des Paulus. Dabei wird die Verbindung zu Jerusalemer Gemeinde nicht abbrechen. Hierfür sorgt eine Kollekte.

Die zweite Grundbewegung liegt in der Frage nach dem, der hier handelt: der Hauptakteur dabei kein Mensch oder Apostel ist, aber auch erstaunlicherweise nicht der auferstandene Christus, sondern Gott selbst. Die Kirche des lebendigen Gottes ist und bleibt trotz und in aller Bedrohung in Gottes Hand und wird von Gott beschützt und aus Gefahr gerettet. Die Verbindung der Gemeinde im Gebet wird das Handeln Gottes unterstützen.

Dies wird der Bibeltext zeigen, wenn wir ihn uns nun erneut ansehen:

Es wird zu Beginn nicht recht deutlich, wieso der neue König Herodes Agrippa I. gegen die judenchristliche Gemeinde in Jerusalem vorgeht. Es handelt sich um den Enkel des Herodes, der in der Weihnachtsgeschichte des Matthäus erwähnt wird. Dieser Enkel hat als Günstling des römischen Kaisers Claudius in Jerusalem die Rolle eines Statthalters übernommen und darf sich König über ganz Judäa nennen.

Der Apostel Jakobus, der hier durch das Schwert getötet wird, ist neben Simon Petrus, Andreas und Johannes, seinem Bruder, einer der ersten Jünger Jesu und stammt aus Galiläa. Er war Fischer am See Genezareth. Er leitete mit Petrus zusammen die juden-christliche Gemeinde in Jerusalem. Sein späterer Nachfolger heißt ebenfalls Jakobus und ist ein leiblicher Bruder Jesu.

Die Staatsgewalt des Herodes:

Eine Festnahme des Getöteten wird nicht erzählt, auch kein Prozess. Das Ganze ist kaum mehr als eine Notiz. Es soll deutlich werden, wieso auch Petrus gefangen genommen wird. Es heißt, der König tue dies, um den Juden gefallen zu wollen. Ich würde das Wort eher wörtlich als Judäer übersetzen, da Herodes ja nicht der König aller Juden war, sondern der Judäer in und um Jerusalem. Vielleicht sind die Hohenpriester gemeint, die etwas gegen die Judenchristen haben. Sie waren wie in der Passion Jesu noch eine bestimmende Macht in Jerusalem. Herodes hat Angst vor ihnen, da sie in der Lage wären, die Stimmung der Volkes im Tempel zu beeinflussen.

Nun wird ausführlicher die Gefangennahme des Petrus geschildert, aber ohne über einen Prozess zu berichten.

Hier heißt es, Herodes nehme Petrus gefangen, um den Juden zu gefallen. Ich finde diesen Ausdruck missverständlich. Man sollte es zumindest historisch ausdrücken und anstelle von Juden, von Judäern sprechen. Die frühe christliche Gemeinde ist Teil des Judentums, aber sie stammt wie Jesus zum großen Teil nicht aus Judäa, sondern aus anderen Provinzen und auch schon viele aus den griechisch sprechenden Provinzen haben sich ihr angeschlossen. Es hat sicher auch judäische Christen gegeben, aber das Christentum ist eine viel weitere Bewegung. Vielleicht geht es hier darum, dem König Herodes zu unterstellen, es wollen sich den Judäern gegenüber anbiedern, indem er die christliche Gemeinde verfolgt. Er selbst ist in Rom aufgewachsen und zur Schule gegangen. Schon sein Großvater, Herodes der Große stammte aus Idumäa und war damit wie auch Jesus kein judäischer Jude.

Wenn ich Deutschland lebende Türken zu ihren Familien in die Türkei fahren, werden sie dort liebevoll nur die Deutschen genannt. In Deutschland, wo sie integriert sind, heißen sie oft, trotz ihrer Staatsangehörigkeit nur Türken. Eine solche Gesellschaft, in der es mehrere Volksgruppen gibt, nennt man Parallelgesellschaft. Das Judentum ist auch später immer mal wieder in solchen Parallelgesellschaften zu Hause.

Die Befreiung des Petrus:

Nun zu Petrus: Obwohl er schon einige Tage inhaftiert ist, bleibt die Gemeinde Jesu ununterbrochen im Gebet zusammen. Vielleicht kann man dieses Gebet aus heutiger Sicht mit einer Art Mahnwache vergleichen.

Im Folgenden wird die wunderbare Befreiung geschildert, durch den „Engel des Herrn“. Wichtig ist hier auf die Übertreibungen zu achten. Der Gefangene wird nämlich doppelt bewacht. Er schläft und wird dann von dem Engel geweckt. Der persönliche Engel Gottes greift also direkt in das Geschehen ein. Die Fesseln werden gelöst, ohne dass die Wächter es merken. Petrus passiert in Gemeinschaft des Engels die noch schlafenden Wachposten und tritt ins Freie. In diesem Moment ist der Engel verschwunden. Petrus geht zur betenden Gemeinde und deutet seine Befreiung als Gotteswunder.

Eine Episode, die nicht zu unserem Predigttext gehört, geht noch genauer auf das Haus ein, in der die Gemeinde betet. Es ist das Haus von Maria, der Mutter des Jüngers Johannes, der auch Johannes Markus heißt. Die Gemeinde hat durch das laute Beten vom Anklopfen des Petrus nichts mitbekommen. Niemand hat also mit der Befreiung des Petrus gerechnet. Dadurch wirkt die Befreiung des Petrus wie eine Art Auferstehung und erinnert an die Ostergeschichte.

Deutung:

Aus heutiger Sicht könnte man in der Rolle des Engels einen Angehörigen des Gefängnisses oder der königlichen Wache sehen, der schon heimlich zur Gemeinde gehörte. Wenn man Texte über Engel liest, dann hört es sich für unsere Ohren doch eher so an, als wäre ein Mensch in der Lage, die Rolle Gottes in dieser Situation zu übernehmen. In der Bibel ist es wichtig, dass der Engel eine Gestalt ist, die mit Gott in Verbindung steht. Das Wunder geschieht dadurch, dass Gott durch eine konkrete Person in das Geschehen eingreift, die anonym bleibt und nach dem Ereignis verschwindet.

Ich schließe mit einem Gedicht von Wilhelm Willms:

der engel (Wilhelm Willms, Kleinschreibung im Original)

welcher engel wird uns sagen
daß das leben weitergeht
welcher engel wird wohl kommen
der den stein vom grabe hebt

wirst du für mich
werd ich für dich
der engel sein

welcher engel wird uns zeigen

wie das leben zu bestehen
welcher engel schenkt uns augen
die im keim die frucht schon sehn

wirst du für mich
werd ich für dich
der engel sein

welcher engel öffnet ohren
die geheimnisse verstehn
welcher engel leiht uns flügel
unsern himmel einzusehn

wirst du für mich
werd ich für dich
der engel sein

(Klaus Vellguth, Berthold Weckmann: Welcher Engel leiht uns Flügel, In Erinnerung an Wilhelm Willms, Butzon & Bercker 2005, S. 190, konsequente Kleinschreibung!)

Predigt über Markus 1, 32 – 39, Christoph Fleischer, Welver 2017

Am 19. Sonntag nach Trinitatis 2017.

Die Predigt wird gehalten am Vorabend, den 21.10.2017, in Lohne und am Sonntagmorgen, den 22.10.2017, in Bad Sassendorf, sowie am 20. Sonntag nach Trinitatis, 29.10.2017 in Meiningsen.

Markus 1, 32 – 39 (Lutherbibel)

32 Am Abend aber, da die Sonne untergegangen war,

brachten sie zu ihm alle Kranken und Besessenen.

33 Und die ganze Stadt war versammelt vor der Tür.

34 Und er heilte viele, die an mancherlei Krankheiten litten,

und trieb viele Dämonen aus

und ließ die Dämonen nicht reden; denn sie kannten ihn.

35 Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus.

Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.

36 Und Simon und die bei ihm waren, eilten ihm nach.

37 Und da sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm:

Jedermann sucht dich.

38 Und er sprach zu ihnen:

Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Orte,

dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.

39 Und er kam und predigte in ihren Synagogen

in ganz Galiläa und trieb die Dämonen aus.

Foto: Niklas Fleischer (c), Markt in Elburg, NL

Liebe Gemeinde,

Wie in einem Film, so möchte man meinen, werden in den Evangelien die einzelnen Erzählungen aneinandergereiht. Aus den einzelnen Episoden ergibt sich das Bild, das wir dadurch von Jesus von Nazareth bekommen können. Dabei gibt es Geschichten, die eher eine einzelne Person in den Mittelpunkt rücken, wie bei einer Heilung oder Austreibung von bösen Geistern oder es gibt Textabschnitte, die eher den Erzählfaden im Ganzen im Blick haben. „Predigt über Markus 1, 32 – 39, Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

Rezension zu Robert Eisenman (1997), Christoph Fleischer, Welver 2017

Titel: Jakobus der Bruder von Jesus, C. Bertelsmann, München 1998.

Robert Eisenman hat 1989 ein Buch mit Übersetzungen der für ihn historisch wichtigsten Qumramtexte herausgegeben und nannte diese Zusammenstellung provokativ „Jesus und die Urchristen – die Qumranrollen entschlüsselt“. Dieses Buch habe ich jetzt zufällig im Bücherkasten der Gemeinde Welver wiedergefunden. Die Texte aus Qumran sind messianisch und passen insofern zur Botschaft des Neuen Testaments. Doch anstelle den Zusammenhang zu beweisen, blieb nur die Verschwörungstheorie der Autoren des Bandes „Verschlusssache Jesus“. Ein paar Jahre später nahm er einen neuen Anlauf und erklärte die von ihm ermittelten Zusammenhänge zwischen Messianismus, den Zeloten, Jesus und den Quellen des Neuen Testaments. Ich persönlich bin durch die Lektüre von Daniel Boyarin dazu gekommen, mir einen Text von Eisenman neu anzuschauen und bin richtig froh. Die Hauptsache ist nicht, ob das alles richtig ist, was nach 2000 Jahren ohnehin niemand sicher sagen kann, sondern wie die historischen Verhältnisse sich aus der Sicht der Quellen darstellen. Die einzige Kritik, die ich habe ist, dass er manche Texte des Neuen Testaments antisemitisch nennt, obwohl eigentlich deutlich sein müsste, dass die junge Christenheit sich immer noch als Teil des Judentums sieht und dies wohl auch noch unangefochten war. Toll ist auch auf Bibelstellen gestoßen zu werden, die man sonst überlesen hat. Sei es der Besuch der herodianischen Prinzessin Berenike bei Paulus (Apostelgeschichte 24,23 – 25,32), Sei es dass Galiläa im Matthäusevangelium als Symbol des Heidentums gesehen wird (Matthäus 4,15) und dass die Zerstörung Jerusalems in den Evangelien sicher bezeugt ist (Markus 13). Das Buch ist gründlich begründet und gewissenhaft belegt, trotzdem jedoch allgemeinverständlich geschrieben.