Zu: Jörg Alt (Hg.): Entweltlichung oder Einmischung – wie viel Kirche braucht die Gesellschaft? Jahrbuch der Akademie Caritas-Pirckheimer-Haus cph, Echter Verlag Würzburg 2013, ISBN 978-3-429-03579-2, Preis: 16,80 Euro (Info: www.cph-nuernberg.de)
Am 25.11.2011 regte der damalige Papst Benedikt XVI. eine kirchlich-katholische Diskussion über „Entweltlichung“ an. Diese Diskussion wurde auf einem Forum des Katholikentages 2012 in Mannheim weitergeführt und anschließend in dieser, um einige Beiträge erweiterten Dokumentation herausgegeben. Dabei fällt sowohl die kirchliche, als auch die politische Seite auf. Nicht nur katholische Vertreter, sondern auch der Evangelische Landesbischof Bayerns Prof. Heinrich Bedford-Strohm erläutern ihre Positionen. Politikerinnen und Politiker aller Parteien einschließlich der Linken und der Piraten (zumeist in kirchlichen Gremien engagiert) zeigen die verschiedenen Standpunkte zum Verhältnis von Staat und Kirche auf. Ein weiteres Kapitel gilt Christinnen und Christen, die sich gesellschaftlich engagieren. Zuletzt kommen Menschen zu Wort, die aus Sicht der weltweiten Kirche oder aus anderen Gründen einen „Blick von außen“ auf die Rolle der Kirchen in Deutschland werfen können. Sie erinnern z. B. an den Anspruch von Verantwortung und Vorbild.
Fakt ist, dass die Geschichte der Moderne von der Entmachtung der Kirche geprägt ist. Ebenso ist es richtig, dass die Gründer der Bundesrepublik Deutschland keine völlige Religionsneutralität wollten. Sowohl seitens der Gesellschaft, als auch der Kirchen ist jeweils der andere Teil nicht wegzudenken. Kein Kirchenstaat und keine Staatskirche, aber auch kein religionsfeindlicher, laizistischer Staat ist gewollt. Kirche wirkt als Institution und durch die einzelnen Christinnen und Christen in der Gesellschaft und prägt sie mit. Sicherlich kommt sie in den sozialen Bereichen, der Bildung und dem Gesundheitssystem eher vor als in der Wirtschaft und in der Politik allgemein. Aber ist dies alles streng zu trennen? So wie es keine Religion gibt, die in einem politikfreien Raum existiert, so muss auch die Öffentlichkeit in den Fragen der Ökonomie, Ökologie und der Globalisierung Antworten der Religion akzeptieren. Wenn auch mit der Bergpredigt nicht regiert werden kann, so kann es auch nicht ohne sie. Heute fordert niemand mehr, dass Christen zugleich Sozialisten sein müssen, doch muss die Gesellschaft andererseits die öffentliche Rolle der Kirchen gerade in den kritische Positionen akzeptieren.
Verlieren die Kirchen Mitglieder, weil die Kirchen zu wenig oder weil sie zu viel Profil zeigen? Gibt es nicht auch Themen, die in der Politik aller Parteien am Rande liegen bleiben, weil sie im Tagesgeschäft unattraktiv sind? Kirche ist also nach wie vor zu politischem Engagement gefordert.
Andererseits wirft gerade dies auch Fragen auf: Wo bestimmt die Kirche die notwendige Balance zwischen Öffentlichkeit und Innerlichkeit? Wie stellt die Kirche bei allem Engagement klar, dass jeder Mensch unabhängig von seiner, möglicherweise sogar extremen politischen Meinung, von Gott geliebt und geachtet ist? Wie kann die Leitung einer Kirche dafür Verantwortung tragen, dass Politik als Streit und Freund-Feind-Denken in die kirchliche Gemeinschaft hineingetragen werden, wo das Evangelium doch versöhnt und nicht spaltet? Der gleiche Papst Benedikt XVI. der vor Kirchenvertretern von „Entweltlichung“ sprach, erinnert die Politikerinnen und Politiker im Bundestag an das Gebet Salomos um ein „hörendes Herz“ (Anmerkung: www.bundestag.de Stichwort: Rede Papst Benedikts XVI. im Deutschen Bundestag am 22. September 2011).
Es gibt Erfahrungen, die im politischen Alltagsgeschäft nicht nur unverzichtbar sind, sondern auch unterzugehen drohen, wo falsche Verbal-Rhetorik von fehlenden Profilen ablenkt und die fehlende Sensibilität für die Nöte der Menschen zu fatalen Fehlentwicklungen führt, wo Parteien genau das anderen vorwerfen, was sie bei sich selbst dann beschönigen oder verschleiern möchten. Andererseits wagt es die Politik nicht, den Menschen zu sagen, dass das Ende des Raubbaus an Natur und Globus auch den Wohlstand spürbar verringern wird. Nicht Wachstum sichert die Zukunft der Erde, sondern das gemeinsame Wirken für das Wohl der Menschen. Andererseits sind auch die Religionen noch nicht bereit, sich an Stelle gegenseitiger Verurteilungen der Lehren zu gemeinsamen Wirken für den Frieden aller Menschen zusammenzuschließen. Der Friede Gottes ist höher als alle Vernunft, also allemal vernünftiger als das sinnlose Machtstreben und die scheinbare Sicherung des Wohlstands.
Die Rezension führte von einer allgemeinen Beschreibung des Inhalts zu einer Positionsfindung des Rezensenten. Wenn das Buch dies auch bei anderen Leserinnen und Lesern bewirkt, hat es wohl seinen Zweck erfüllt.