Notizen zu Walter Benjamin, Christoph Fleischer, Welver 2019

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Zuerst muss ich zugeben, dass mir Walter Benjamin ein unbeschriebenes Blatt war. Mir war der Name bekannt als Vertreter der Frankfurter Schule, hatte aber weder in der Schulzeit noch später im Studium und danach etwas von ihm gelesen. Erst als zu Beginn meiner Rezensionstätigkeit zunächst für das Deutsche Pfarrerblatt und danach für meine Homepage www.der-schwache-glaube.de das Buch „Kapitalismus als Religion“ auftauchte, kam dieser näher in den Blick. (https://www.kulturverlag-kadmos.de/buch/kapitalismus-als-religion.html).

-Walter Benjamin intorno al 1928 –Walter Benjamin Archiv, Akademie der Künste, Berlin; Info: https://www.globalrights.info/2016/09/on-a-day-this-week-walter-benjamin/

Dieses Buch enthält das genannte Fragment von Walter Benjamin und einige Artikel zur Diskussion seiner Thesen. 

Markus Chmielorz, seit dieser Zeit Mitarbeiter an der Homepage (s.o.), mit dem Interesse, Philosophie und Religion miteinander ins Gespräch zu bringen, hat Walter Benjamin immer wieder ins Gespräch gebracht, so durch einen Reiseeindruck des katalanischen Port-Bou, des Todesorts Benjamins, der auf seiner Flucht in die USA dort zurückgewiesen worden ist und zurück ins besetzte Frankreich hätte fahren müssen.

Inzwischen habe ich einige Beiträge eines Reclam-Heftes gelesen, das auch Benjamins Fragment zum Messianismus enthält (https://www.reclam.de/detail/978-3-15-008775-6/Benjamin__Walter/Sprache_und_Geschichte).

Kürzlich haben wir beide den Dokumentationsband einer Walter Benjamin-Tagung in Berlin rezensiert.

Doch damit wurde klar, dass ich mich noch mehr mit der Biografie Benjamins zu befassen hätte. Abhilfe schuf die kompakte Biografie aus dem Suhrkamp-Verlag, dem Verlag, in dem auch die umfassende Benjamin Ausgabe erschienen ist: Momme Brodersen: Walter Benjamin, Leben, Werk, Wirkung, Suhrkamp Basis Biographie 4, Suhrkamp-Verlag Frankfurt/Main 2005.

Aus der Kurzbiografie zum Stichwort „Leben“ ist mir besonders die Herkunft aus einem großbürgerlichen Wohnhaus im Berliner Westen in Erinnerung. Bezeichnend ist die rege literarische Tätigkeit in seiner späten Kindheit und von der frühen Jugend an bis ins Studium hinein, wobei diese während des ersten Weltkriegs verstummte und erst danach wieder einsetzte. 

Er hatte Kontakt zu wichtigen Vertretern der sogenannten Jugendbewegung, die wohl auch zugleich eine Schüler- und Studentenbewegung war, wie später in den sechziger Jahren und heute in der Klima-Bewegung.

Walter Benjamin entschied sich für das Studium der Philosophie, promovierte über Kunstkritik der Romantik und bemühte sich 1928, seine Arbeit über die Ursprünge des deutschen Trauerspiels in Frankfurt wie auch anderen Universitäten als Habilitation einzureichen. Als sich das als unmöglich herausstellte, war das Berufsziel des Hochschullehrers endgültige passé.

Aus heutiger Perspektive war er Autor, aber auch Übersetzer, Journalist, und Essayist. Er hat schon recht früh geheiratet und sich für die Familie entschieden, ist wenig später doch wieder eigene Wege gegangen. Eine dauerhafte Beziehung wurde nicht daraus, auch wenn es manchmal danach aussah, da er eigentlich ständig unterwegs war und er die Erfahrungen der Reisen auch aufzuschreiben sich bemühte.

Momme Brodersen widerspricht der Auffassung, Benjamin sei erfolglos und relativ unbekannt geblieben. Walter Benjamin war vielmehr ein bekannter Autor, aber seine Reisen kosteten mehr Geld als die Veröffentlichungen einbrachten.

Seiner jüdischen Herkunft wegen musste er 1933 seinen Wohnsitz ins Ausland verlegen und lebte meist in Paris, von wo aus er weiter veröffentlichte. Er stand dem Institut für Sozialforschung nahe, musste seine Manuskriptentwürfe von dort aber immer wieder zurückweisen und korrigieren lassen.

Nach dem zweiten Weltkrieg und dem Tod Benjamins (s.u.) bemühte sich dieses Institut um die Herausgabe seiner Schriften und förderte deren Aufarbeitung. Zur Edition der Schriften Benjamins fügte Theodor W. Adorno einige Geleitworte hinzu wie im Buch von Rolf Tiedemann: Studien zur Philosophie Walter Benjamins, Edition Suhrkamp, Frankfurt/Main 1973, zuerst erschienen 1965 in den „Frankfurter Beiträgen zur Soziologie“.

Adorno liest Benjamin als Vermittler zwischen Philosophie und Soziologie: „Nicht wollte B. die Besinnung über die philosophischen Fragen durch die nach ihrer gesellschaftlichen Genese ersetzen; vielmehr hat er – ein Gedanke von unabsehbarer Tragweite – in der gesellschaftlichen Konkretion den Kern der philosophischen Wahrheit selbst aufgesucht,…“ (s.u. S.7).

Mein erstes Buch mit Texten Walter Benjamins war das Reclam-Heft „Walter Benjamin: Sprache und Geschichte, Philosophische Essays, Philipp Reclam jun., Stuttgart 2010“ (s.o.). Die für Benjamin exemplarischen Texte sind von Rolf Tiedemanns ausgewählt worden. Mit dem Thema Gewalt setzt dich der Text „Zur Kritik der Gewalt“ auseinander. Eine insgesamt pazifistische Position wird hier mit der historischen Notwendigkeit einer Revolution konfrontiert.

Bezeichnend ist ein sehr kurzer Text, das „Theologisch-politische Fragment über den Messias“. Hier ist Erlösung das das Messianische nicht das Ende der Geschichte oder deren Vollendung.

Die schon darin angelegte Kritik des Fortschrittsdenkens wird im Text „Über den Begriff der Geschichte“ wieder aufgegriffen.

Hier muss offen bleiben, ob diese oder ähnliche Texte auch durch das Werk Franz Rosenzweigs motiviert worden sind, dem Walter Benjamin sporadisch persönlich begegnet ist. (Hierzu auch: Caspar Battegay: The Infinite Citation: Walter Benjamin and Franz Rosenzweig, Quelle: Internet academia.edu). Den „Stern der Erlösung“ hat Benjamin erst mit einer Verzögerung zur Kenntnis genommen. In einer Leseprobe von Stéphane Moses (Jerusalem) heißt es: „Schon im Jahre 1965 hatte Gershom Scholem auf den Einfluss des deutsch-jüdischen Philosophen Franz Rosenzweig und dessen Werks „Der Stern der Erlösung“ auf die Gedankenwelt Walter Benjamins hingewiesen.“ (Stéphane Mosés: Walter Benjamin und Franz Rosenzweig, https://link.springer.com/article/10.1007/BF03375978 )

Walter Benjamin war seit der Schulzeit mit dem aus Berlin stammenden und seit 1923 in Jerusalem lebenden Gerhard Gershom Scholem befreundet. Scholem und Rosenzweig kannten sich auch, waren aber uneinig in der Frage der Übersetzung der hebräischen Bibel und jüdischen Gebetstexte ins Deutsche. 

Zwischen Rosenzweig und Scholem steht Walter Benjamin quasi als Schiedsrichter, wobei er mit Kritik nicht spart und Scholem folgendes mitteilt: „Ihnen jedoch ist die deutsche Sprache nicht gleich nahe wie die hebräische und darum sind Sie nicht der berufene Übersetzer des Hohen Lieds, …“ (Michael Brocke: Franz Rosenzweig und Gerhard Gershom Scholem, S 14/15 (http://www.steinheim-institut.de/edocs/bpdf/michael_brocke-franz_rosenzweig_und_gerhard_gershom_scholem.pdf).

Zur Wirkungsgeschichte von Walter Benjamin sei stellvertretend auf die Dokumentation eines Symposions hingewiesen: Juden in der deutschen Literatur, Ein deutsch-israelisches Symposion, Suhrkampverlag 1986. Stéphane Moses schreibt hier über „Brecht und Benjamin als Kafka-Interpreten“ (siehe Text von Markus Chmielorz, http://www.der-schwache-glaube.de/2019/10/01/die-eingeschriebenen-spuren-des-faschismus-kafka-benjamin-und-brecht-1934-markus-chmielorz-dortmund-2019/), Horst Turk: Politische Theologie? Zur „Intention auf die Sprache“ bei Benjamin und Celan sowie Albrecht Schöne: Diese nach jüdischem Vorbild erbaute Arche, Walter Benjamins ‚Deutsche Menschen‘.

Abschließend sei noch ein Blick auf einige greifbare Ausgaben von Originaltexten Walter Benjamins geworfen: 

  • Zu empfehlen ist das Lesebuch, eine Auswahl repräsentativer Texte, zum Teil vollständig: Walter Benjamin: ein Lesebuch, Edition Suhrkamp Leipzig, Suhrkamp-Verlag Frankfurt/Main 1996. Das Buch Einbahnstraße ist z. B. hier dokumentiert. Diese Texte sind wie so manche Veröffentlichungen Benjamins zuerst in Zeitungen erschienen. Der Aufsatz „Theorien des deutschen Faschismus“ ist zuerst als Rezension veröffentlicht worden. Benjamin distanziert sich hier differenziert aber deutlich vom Buch „Krieg und Krieger“, das Ernst Jünger herausgegeben hatte. Die Frage, wieso Kriegsverherrlichung und Faschismus zwei Seiten derselben Medaille sind, wird hier von Benjamin klar beantwortet. Neben Technikglauben und Fortschrittsdenken steht der Wunsch nach nationaler Abschottung und Abgrenzung. Zwei Sätze seine daraus zitiert: „Der Krieg (ist): Die eine, fürchterliche, letzte Chance, ihre Verhältnisse untereinander demjenigen entsprechend zu ordnen, das sie durch ihre Technik zur Natur besitzen. Missglückt die Korrektur, so werden zwar Millionen Menschenkörper von Gas und Eisen zerstückt und zerfressen werden – sie werden es unumgänglich -…“ (ebd. S. 198)
    Andere wichtige Schriften Benjamins im Lesebuch sind: „Kleine Geschichte der Photografie“, „Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“, „Berliner Kindheit um 1900“ und einige Texte zum späten Passagenwerk über Paris, das unvollendet geblieben ist.
  • Walter Benjamin: Über Kinder, Jugend und Erziehung, Mit Abbildern von Kinderbüchern und Spielzeug aus der Sammlung Benjamin, Edition Suhrkamp 391, Suhrkamp-Verlag Frankfurt/Main 1978/5. Auflage 1990
  • Walter Benjamin: Charles Baudelaire, Ein Lyriker im Zeitalter des Hochkapitalismus, Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Rolf Tiedemann, Suhrkamp-Verlag 1955/10. Auflage 2013

Fazit: 

Was ich von Walter Benjamin halte, kann ich gar nicht klar auf einen Punkt bringen. Von der Klarheit seines Freundes Bertold Brecht trennen ihn Welten. Das soll aber keine Abwertung sein, denn an die Stelle von Parolen tritt hier die Differenzierung. Die Verschlingung der Formulierungen bis hin zur Unverständlichkeit, wie man es an der Fortsetzung des Satzes ablesen kann, den ich zitiert habe („Theorien des deutschen Faschismus“ s.o.): „…aber selbst die Habitués chtonischer Schreckensmächte, die ihren Klages im Tornister führen, werden nicht ein Zehntel von dem erfahren, was die Natur ihren weniger neugierigen, nüchternen Kindern verspricht, die an der Technik nicht einen Fetisch des Untergangs, sondern einen Schlüssel zum Glück besitzen.“ (S. 199)

Sein Leben verbrachte Walter Benjamin in ständiger Unruhe, oft auf Reisen, die aber auch immer zu weiterer Literatur Anlass gaben.Trotzdem war er sehr belesen, was doch wenigstens einige Momente der Ruhe und Konzentration voraussetzt. Der Aufsatz zu Franz Kafka etwa setzt eine umfassende Kenntnis der zu Lebzeiten und posthum erschienen Schriften Kafkas voraus. Zu seiner Liebe zur Literatur, auch zum Verfassen von Artikeln schon von der Zeit der Jugendbewegung an, die nur in der Zeit des Ersten Weltkrieges nach außen hin zum Stocken kam, kommt das soziale Engagement, sein Mitgefühl für die Armen, wie sie exemplarisch in der sogenannten Weihnachtsgeschichte, eines Texte aus dem Buch „Berliner Kindheit um 1900“ deutlich wird, mit dem ich diese Besinnung schließen möchte:

„Ein Weihnachtsengel

Mit den Tannenbäumen begann es. Eines Morgens, als wir zur Schule gingen, hafteten an den Straßenecken die grünen Siegel, die die Stadt wie ein großes Weihnachtspaket an hundert Ecken und Kanten zu sichern schienen. Dann barst sie eines schönen Tages dennoch, und Spielzeug, Nüsse, Stroh und Baumschmuck quollen aus ihrem Innern: der Weihnachtsmarkt. Mit ihnen aber quoll noch etwas anderes hervor: die Armut. Wie nämlich Äpfel und Nüsse mit ein wenig Schaumgold neben dem Marzipan sich auf dem Weihnachtsteller zeigen durften, so auch die armen Leute mit Lametta und bunten Kerzen in den besseren Vierteln. Die Reichen aber schickten ihre Kinder vor, um denen der Armen wollene Schäfchen abzukaufen oder Almosen auszuteilen, die sie selbst vor Scham nicht über ihre Hände brachten. Inzwischen stand bereits auf der Veranda der Baum, den meine Mutter insgeheim gekauft und über die Hintertreppe in die Wohnung hatte bringen lassen. Und wunderbarer als alles, was das Kerzenlicht ihm gab, war, wie das nahe Fest in seine Zweige mit jedem Tage dichter sich verspann. In den Höfen begannen die Leierkasten die letzte Frist mit Chorälen zu dehnen. Endlich war sie dennoch verstrichen und einer jener Tage wieder da, an deren frühesten ich mich hier erinnere. …“ (zitiert aus: https://gutenberg.spiegel.de/buch/berliner-kindheit-um-neunzehnhundert-6571/2)

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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