Predigt Christvesper 2022 in der Markuskirche, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2022

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Krippe Franz Sales Haus, Essen, Detail

„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.“ (Lukas 2,14)

Liebe Heilig-Abend-Gemeinde,

„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“ (1) singt die Menge der himmlischen Heerscharen, lobt und preist Gott für die Geburt des Heilands der Welt. Zu Weihnachten gehört das Gloria, das Einstimmen in den Lobgesang der Engel, das Emporheben der Herzen, die Anbetung, die Freude, das Staunen. Ich will mir diese Weihnachtsfreude, dass Gott in Jesus zur Welt kommt, nicht nehmen lassen – trotz allem. Zu Weihnachten gehört das Gloria, aber auch das Kyrie: Weihnachten wirkt tiefer, wenn wir es nicht nur als oberflächliche Idylle erleben, sondern auch in die Abgründe blicken.

Weihnachten ist ein menschliches Fest

Weihnachten ist ein menschliches Fest, das einen göttlichen Ursprung hat. Die menschliche Sehnsucht nach Frieden findet im Weihnachtsfest eine Verdichtung und Zuspitzung, als hätte sich der himmlische Friedensgruß „Frieden auf Erden“ ins menschliche Gedächtnis verheißungsvoll eingenistet. Die Spannung – dass kein Frieden auf Erden ist – bleibt und ist Teil des Festes: das Schon-Jetzt – wir feiern Weihnachten und das Noch-Nicht: Frieden auf Erden.

Weihnachten ist ein Familienfest

Was heißt das für uns, die wir heute Weihnachten feiern? Weihnachten ist bekanntlich heute ein Familienfest. Schon das Narrativ der Heilige Familie facht, seit im frühen 4. Jahrhundert nach Christus Weihnachten zunächst schlicht im Gottesdienst zum Lob Gottes gefeiert wurde, die Familienidylle und die damit verbundenen Komplikationen an.

In der Regel freuen wir uns auf diese besondere intensive Zeit mit der Familie, auch wenn die Vorbereitung jede Menge Stress macht und wir fürchten, wieder nicht das richtige Geschenk besorgt zu haben für die Person, die doch so sehr auf unseren Liebesbeweis hofft. Ein wenig Enttäuschung ist schon im Fest eingepreist, aber wir müssen uns schon ordentlich zusammenreißen, dass es auch richtig schön wird und das Fest nicht kippt. Ach, immer diese Ambivalenzen, kann es nicht einfach mal nur schön sein?

Wer nicht bedürftig ist, braucht Weihnachten nicht

Je älter ich werde, desto mehr liebe und fürchte ich Weihnachten. Ich liebe es mit der Familie zusammen zu sein, ich fürchte aber auch bei aller festlichen Kleidung mein Nacktsein, diese besondere Verletzlichkeit über den Weihnachtstagen: das Festgelegt-Sein auf bestimmte Rollen, das Aufbrechen von schmerzhaften Brüchen meines Lebens, aber auch das Gefühl des Überfordert-Seins, dass ich mehr bei den anderen bin und mich gar nicht mehr recht spüre.

Es tut mir gut, mich dann an die Weihnachtsbotschaft zu erinnern. Mein Frieden ist mir durch Gott geschenkt und nicht von meinen Stimmungen oder Bemühungen abhängig. Der Frieden, den mir Gott schenkt, ist durch nichts gefährdet. Daher entfaltet die Weihnachtsbotschaft ihre größte Kraft und Freude bei denen, die bedürftig sind. Wer nicht bedürftig ist, braucht Weihnachten nicht – und wer Gottes nicht bedürftig ist, versteht den Sinn des christlichen Weihnachtsfestes nicht.

Ich nehme wahr: Meine Verletzlichkeit, mein Nackt-Sein über die Weihnachtstage korrespondiert mit der Verletzlichkeit des hilfsbedürftigen Kind Gottes in der Krippe und darf sein, ist vielleicht sogar fruchtbar und heilsam, da ich mit meinen Bedürfnissen in Berührung komme. Wenn Gott schon (zunächst) hart am Holz der Krippe aufschlägt, schutzbedürftig wird, wieviel mehr darf ich menschlich sein mit allem was dazugehört, besonders der Sehnsucht nach Liebe und Geborgenheit. Wie sehr darf ich aber auch Vertrauen wie ein Kind und gewiss sein: Ich bin angenommen.

Weihnachten heißt einander Frieden wünschen

Ach, ihr Lieben, wir wissen es doch: Es geht an Weihnachten nicht um Perfektion, nicht um das Abspalten von Gefühlen, nicht um einen romantisch-kitschigen Familienfrieden, sondern um Annahme, um Sein-Dürfen, dass wir uns einander in die Augen schauen und einander Frieden wünschen, ja wieder miteinander Frieden schließen, unser Verhältnis erneuern oder zumindest die Kraft spüren, die wir einander schenken, dass wir zusammenstehen, dass wir zusammen gehören, selbst wenn uns wesensmäßig Welten oder in echt hunderte von Kilometern trennen. Weinachten ist immer wieder Aufbruch, Erneuerung hin zu Versöhnung und Frieden, auch mit der eigenen Lebensgeschichte, vielleicht sogar ein Einstimmen in das, was unverfügbar ist, was wir gar nicht annehmen wollen, was aber so viel Kraft bindet und ein bejahendes Leben verhindert.

Jedenfalls gehen diese manchmal für nicht mehr möglich gehaltenen Wunder von Gott mithilfe des Festes aus. So hält Gott uns die Hand hin, dass Frieden werde.

Weihnachten reicht in die Gemeinschaft der Völker hinein

Der Frieden aber, den Gott uns an Weihnachten hinhält, geht weit über die Familie hinaus, reicht in die Gesellschaft und in die Gemeinschaft der Völker hinein.

Kennen Sie die Erzählungen von Weihnachtsfesten an der Front im ersten Weltkrieg, wo belgische, englische und deutsche Soldaten ihre Waffen in den Schützengräben liegen ließen und stattdessen Zigaretten, Baguette und Wein miteinander teilten? Nach den Weihnachtstagen wurden ganze Einheiten von ihren Befehlshabern von der Front abberufen, denn sie wollten nicht mehr töten. Die Kampfesideologie und das sinnlose Töten wurden durch die menschlichen Begegnungen unterlaufen. Ja, Gott „stürzt die Mächtigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.“ (Magnificat)

Werden die Waffen schweigen?

Das orthodoxe Weihnachtsfest naht am 6. Januar. Werden da die Waffen auf beiden Seiten in der Ukraine schweigen? Wird unser westliches Weihnachtsfest und das orthodoxe Weihnachtsfest mit dem göttlichen Friedensgruß: „Frieden auf Erden“ noch Widerstand bei den Soldatinnen und Soldaten gegen das sinnlose Töten mobilisieren und die verstockten Herzen der Herrschenden zur Waffenruhe bewegen? Zu einer Waffenruhe, die den Boden bereitet zu ernsthaften Friedensverhandlungen aller beteiligten Kriegsparteien?

Dieses Weihnachtsfest führt uns mehr denn je vor Augen, wie zerrissen Europa ist. Weggucken und Wegducken helfen da nicht. Einzig und allein hilft dem anderen Frieden zu wünschen. Ist das nicht zusammengefasst die Botschaft, die Jesus von Nazareth gelebt hat?

Wir können heute und über den Weihnachtsfestkreis hinaus, uns mit unseren Gebeten und unserer Haltung für Frieden(sverhandlungen) einsetzen.

Lasst uns trotz und in allem kräftig und freudig feiern und einstimmen in das Lob der Engel:

„Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden.“

Amen

1 Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden

Sprachlich und vom antiken Denken her ist das einfach ein Gruß, gewiss ein besonderer Gruß, ein performativer Sprechakt, der bewirkt, was er aussagt und den Frieden auf Erden bringt. Gott kommt in guter Absicht und wünscht der Erde nichts sehnlicher als Frieden. Mit der Erde ist mehr als die Menschenwelt gemeint, Frieden auf Erden kommt zu der gesamten Schöpfung. Himmel und Erde werden spirituell unterschieden und sind aufeinander bezogen. Das können wir – selbst wenn wir dem antiken Weltbild und seinem Denken nicht mehr angehören – verstehen, beten wir doch mit Jesus im Vater unser: „Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden.“  Auch wenn der Himmel nicht in irgendwelchen Schichten des Weltalls zu lokalisieren ist und auch der himmlische Vater nicht mit Rauschebart über den Wolken thront, haben wir mit unserem „schwachen Glauben“ Zugang zu der Wahrheit des Himmels und der göttlichen Wirklichkeit.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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