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Heinrich Theodor Grütter, Magdalena Drexl, Axel Heimsoth, Reinhild Stephan-Maaser (Hg.): Der geteilte Himmel, Reformation und religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr, Ruhr-Museum, Klartext-Verlag, Essen 2017, 431 Seiten, gebunden, ISBN 978-3-8375-1751-4, Preis: 24,95 Euro
Eine Bemerkung vorweg: Kauft das Buch nicht gebraucht! Denn es wiegt knapp 2 kg und kostet dann entsprechend Porto. Bestellt es portofrei oder nehmt es einfach im Laden oder auf der Ausstellung mit. Ja, wenn es einmal in den Ferien so richtig regnet, dann ist es doch einfach ideal, sich ins Auto oder besser in den Zug zu setzen und das Freilicht-Technik-Museum Zollverein in Essen anzufahren. Die Ausstellung befindet sich in einem Gebäude ganz am Anfang des Zechengeländes, in der sogenannten Kohlenwäsche (Ruhrmuseum). Wenn Ihr nicht dazu kommt, dorthin zu fahren, lest im Buch den Abschnitt über die „Gestaltung der Ausstellung“ von Bernhard Denkinger. Der Ausstellungsraum erinnert vom Grundriss her an eine gotische Halle. Eine Abbildung zeigt in einem 3-D-Modell die aufwändige Gestaltung des Ausstellungsraums mit einer leicht gekrümmten, hängenden Deckenkonstruktion, die den Himmel über der Ruhr symbolisieren soll. Es handelt sich jeweils um von verschiedenen Seiten begehbare Ausstellungsinseln, die ein authentisches mediales Erlebnis vermitteln wollen.
Die Lektüre des Katalogs kann den Besuch zwar nicht ersetzen, aber ergänzen, oder immerhin vor- oder nachbereiten. Noch bis zum 31. Oktober ist es Zeit, nach Essen zu fahren, und die Bilder vor Ort zu sehen. Der Anfangsartikel von Heinrich Theodor Grütter erläutert den Grundgedanken der Ausstellung (siehe Titel). Trotz seines Titels würde ich den Fokus der Ausstellung nicht als religiös, sondern als politisch oder historisch bezeichnen. Es geht in kleinen Schritten durch die Epochen der letzten 600 Jahre.
Das erste Kapitel zeigt das Spätmittelalter und geht auf die Zeit vor der Reformation ein, danach geht es dann mit der neuen Lehre los. Die ersten vier Abschnitte sind unterschiedlichen Aspekten der Reformationsgeschichte gewidmet: 1. „Seelenheil. Frömmigkeit im Spätmittelalter“, 2. „Umbrüche. Die neue Lehre.“, 3. „Reformation. Verläufe Ausprägungen“ und 4. „Verflechtungen. Landesherrschaft und Religionspolitik“. Hier kann man sehen, dass die Reformation trotz ihrer Erfolge für die einzelnen Menschen und für die Entwicklung insgesamt durch die darauffolgenden Kriege auch zu viel Leid und Zerstörung beigetragen hat.
Ein Paukenschlag der Entwicklung der Reformation in Deutschland war die Hinrichtung zweier Reformatoren in Köln, Adolph Clarenbach und Peter Fliestedens bei Köln im Jahr 1529. Welche Bedeutung für die Gemeinden an Rhein und Ruhr die Reformation hat, lässt sich an der Verwendung des ursprünglich reformatorischen Abendmahlsgeschirrs erkennen. Immerhin war die Austeilung des Abendmahls in beiderlei Gestalt, in Brot und Wein, eine der Grundposition der Reformatoren, wenn auch wohl in hussitisch-böhmischer Tradition. Interessant ist die Geschichte des Erzbistums Köln, die mit Hermann von Wied (von 1515 bis 1547) und Gerhard Truchseß von Waldburg (1577 – 1583) zwei Erzbischöfe hatte, die der Reformation zuneigten und entweder den evangelischen Glauben (Hermann) oder Glaubensfreiheit (Gerhard) einführen wollten (Vgl. S. 98 und 99). Beide wurde abgesetzt, da sie zum evangelischen Glauben übertraten.
Religiöse Vielfalt zeigt sich nicht nur in den unterschiedlichen Gestalten reformatorischen Wirkens, sondern auch in den Konfessionen, dies sich herausbildeten. Schon früh gab es nicht nur Lutheraner, sondern auch bald Reformierte und später auch Täufergemeinden und Mennoniten, neben den Gebieten, die traditionell katholisch geblieben sind.
Die nächsten drei Abschnitte widmen sich der Entwicklung in der Aufklärung und Neuzeit. Dargestellt werden unterschiedliche Formen von „Individualisierung“, danach zunehmende Konflikte zwischen Kirche und Staat, so wie das karitative Engagement der Kirche in der frühen Industriegesellschaft.
Die letzten drei Bereiche sind der Vielfalt gewidmet in den „Religiösen Milieus der Industriegesellschaft“, „Neue Herausforderungen nach 1945“ in der Folge des 2. Weltkriegs, „Vertriebene, Gastarbeiter und Spätaussiedler“ und zuletzt „Religiöse Vielfalt heute“. In der Folge werden die Ausstellungsbereiche 11 -20 mit Querschnittsthemen behandelt. Dort werden auch Beispiele der Umnutzung von Kirchen gezeigt, wie etwa die ehemalige katholische Marienkirche als Foyer eines Konzertsaals, des Anneliese Brust Musikforums Ruhr, einer Begräbnisstätte in Bochum-Wattenscheid, Kolumbarium St. Pius und einer DITIP-Moschee im Gebäude einer ehemaligen Neuapostolischen Kirche in Dortmund-Huckarde. Allerdings ist auch der Abriss einer Kirche erwähnt.
Die religiöse Vielfalt wird besonders in Abschnitt 17 deutlich, der „Häusern des Gebets gewidmet ist.“ Der Katalog zeigt wie gewohnt nur eine kleine Auswahl der verschiedenen Kirchen, Synagogen, Moscheen und des Hindu-Tempels in Hamm-Uentrop. Der Abschnitt 10.3 ist Beispielen des interreligiösen Dialogs gewidmet wie dem „Abrahamsfest“ in Marl und dem interreligiösen Kalender der Ev. Kirche von Westfalen.
Dass sich die religiöse Vielfalt an Rhein und Ruhr in Klangwelten darstellt ist wohl kein Geheimnis. So heißt es im Abschnitt 20. „Klangwelten“: „Die religiöse Vielfalt der Gegenwart spiegelt sich auch in einer Fülle ‚neuer‘, nicht zu den christlichen Traditionen gehörender Töne und Geräusche. In den unterschiedlichen Gebetshäusern der Region […] ertönen unterschiedliche Formen geistlicher Musik: Männer- und Gospelchöre, Mantras, Orgelmusik, Glockengeläut, Muezzinrufe und liturgische Gesänge.“ (S. 387).
Ich denke, dass die Besucherinnen und Besucher die Ausstellung mit dem Gefühl verlassen, dass es eine religiöse Vielfalt im Ruhrgebiet gibt, die zum Frieden, zum Dialog und zur Toleranz einlädt. Die Reformationsgeschichte ist so als ein Weg zu Toleranz und Freiheit zu sehen, auch wenn dies im Einzelnen bitter erkämpft werden musste.
Westfalen bitte vormerken: Kirchentag in Dortmund 2019 über Fronleichnam