Was Menschen gemeinsam leisten können, Rezension Konrad Schrieder, Hamm 2019

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Klaus Schmidt: Sie bauten die ersten Tempel. Das rätselhafte Heiligtum am Göbekli Tepe, in: C. H. Beck Paperback, Bd. 6239, Verlag C. H. Beck, München 2016, ISBN 978-3-406-68806-5, 288 S., € 19,95.

Nach der bisherigen Geschichtsschreibung dürfte es das frühsteinzeitliche Heiligtum am Euphrat eigentlich gar nicht geben, denn über einen Kultus der Jäger und Sammler vor 12000 Jahren war bislang nichts bekannt. Eher durch Zufall tauchten bei einem Tel in der Nähe der Stadt Urfa auf Äckern Reste von Steilstelen auf, die die Aufmerksamkeit der Archäologen auf sich zogen. Klaus Schmidt (1953-2014) berichtet in seinem Buch über die Ausgrabungen, die von 1995 bis 2006 vier Bereiche mit Resten von über 200 T-förmigen Stelen und mehreren Opferschalen zutage förderten. Mit Liebe zum Detail beschreibt er die einzelnen Fundstücke, die mit Reliefs wilder Tiere, aber auch mit tierköpfigen Menschengestalten überzogen sind. Immer wieder tauchen Rundplastiken von Köpfen und Raubtieren auf, deren Bedeutung sich noch nicht erschlossen hat. Für die archäologische Forschung eröffnet sich damit absolutes Neuland, zu dem es nur durch Vergleiche mit zeitgeschichtlichen Artefakten etwa in Frankreich oder Stonehenge Annährungen geben kann. Dabei zeigt sich, dass die damalige Population im sogenannten fruchtbaren Halbmond des Nahen Ostens eine ganz eigene Art des Kultus und seiner Darstellungen hervorgebracht hat. Anhand der reichhaltigen Farbbebilderung kann der Leser immer wieder die Beschreibungen in den Texten nach- und mitvollziehen.

Dass eine so gewaltige Anlage im Laufe der Zeit gewachsen ist, leuchtet unmittelbar ein. Das zeigt sich an den Eigenarten der verschiedenen Bereiche bis hin zum jungsteinzeitlichen Löwenpfeilergebäude. Dabei erhärtet sich die These, dass in dieser Epoche nicht immer auch notwendig Tongefäße gefertigt wurden und dass sogar von einem Mesolithikum gesprochen werden muss. Den Darstellungen wird eine kultische Bedeutung zugeschrieben, weshalb sie sich als Hieroglyphen verstehen lassen, nicht aber im herkömmlichen Sinne, da ihnen noch der phonetische Gehalt fehlt. Einzelne Ähnlichkeiten zum phönikischen Konsonantenalphabet sind eher zufälliger Art. Die bildlichen Darstellungen entfalten vielmehr eine unmittelbare machtvolle Wirkung, die Furcht weckt (222). Damit haben die Stelen eine Affinität zu den altorientalischen Mazzeben. Der Leser fühlt sich an biblische Texte wie die Jakobsleiter Gen. 28 oder das Bilderverbot oder das Verbot von Mazzeben in den Büchern der Könige erinnert.

Welche Bedeutung aber hatte das Heiligtum? Schmidt hält die aus den Fruchtbarkeitskulten abgeleitete These des Ethnologen und Kulturhistorikers Hans-Peter Duerr für schlüssig, dass der archaische Mensch das Leben liebte und rituell feierte. Dieses elementare Lebensgefühl wandelte sich erst mit der Sesshaftwerdung, die eine vom Tod geprägte Lebenshaltung zur Folge hatte (237 f.). Dafür würde auch sprechen, dass das Heiligtum nach dem 8. Jahrtausend v. Chr. seine Bedeutung als Kultort verlor, als sich die spätsteinzeitlichen Menschen in der Gegend als Bauern niederließen und die Stätte schließlich verfüllten und damit die Vergangenheit bestatteten (255).

Eine Deutung ergibt sich jedoch mit Sicherheit aus dem Befund vor Ort. Für den Transport der teilweise bis zu 50 Tonnen schweren aus dem Kalkstein gehauenen Stelen war eine große Anzahl von Menschen erforderlich, vielleicht bis zu jeweils 700. Nach Schätzungen könnten steinzeitliche Siedlungen im Umkreis von 200 Kilometern durchaus ein solches Potential bereitgehalten haben. Damit handelt es sich um das älteste bekannte Zentralheiligtum der Menschheit. Solche Amphiktyonien sind aus Babylonien und Sumer bekannt, und auch Martin Noth nahm sie seinerzeit für die zwölf Stämme Israels an. Für die Religionsgeschichte des Alten Testaments hält der Fund und seine Auswertung jedenfalls einen nicht zu unterschätzenden Ertrag bereit.

Klaus Schmidt legt hier keinen ausführlichen wissenschaftlichen Forschungsbericht vor. Er nimmt vielmehr den Leser mit auf eine einzigartige Entdeckungsreise. Das angehängt Glossar erklärt die verwendete archäölogische Terminologie und Personen-, Orts- und Sachregister erleichtern die Handhabbarkeit. Dabei ordnet er die Funde ausführlich in die orientalische und globale Kultur- und Zeitgschichte ein, setzt sich aber auch kritisch mit modernen Deutungsversuchen auseinander. Ein Buch, das sich auch für einen breiteren Leserkreis öffnet und erschließt und das trotz seiner aufwendigen Gestaltung zu einem moderaten Preis erworben werden kann. Reza Aslan nimmt in seinem Buch: Gott. Eine Geschichte des Menschen ausdrücklich auf den Göbekli Tepe und daraus resultierenden Gottesvorstellungen Bezug. Man darf gespannt sein, was in Zukunft an weiteren Veröffentlichungen folgen wird.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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