Die Worte Jesu am Kreuz – Ich befehle meine Hände in deinen Geist, Predigtreihe Herzogenrath 2020

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Predigt am 4.4.2020 in d. Markuskirche – Predigtreihe über Jesu Worte am Kreuz

Pfarrer Frank Ungerathen*

„Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ (Lk. 23,46)

Evangelien – Lesung: Lk. 23, 44-46

[44] Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, [45] und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei. [46] Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Hl. Geistes sei mit euch allen. Amen

Liebe Gemeinde,

und das Volk stand da und sah zu. Und es standen seine Bekannten von ferne und sahen das alles. Wir stehen von ferne und sehen das alles, seit sechs Wochen sehen wir dem Sterben Jesu zu und hören seine letzten Worte.  Diese ganze Geschichte ist uns vertraut und zugleich voller Abgründe. Geht sie uns an? Geht sie uns so an, dass sie in unser Leben trifft, die Seele berührt und uns verändert? Wir haben Jesu Leidensweg und seine Kreuzigung unzählige Male in Stein gemeißelt, auf Leinwand für unsere Altäre gemalt, in Oratorien besungen.  Wir hören die Geschichte, sehen ihre Darstellung. Berührt sie uns in der Tiefe oder ist sie für uns nur noch ein Bild unserer abendländischen Tradition? Bildungsgut, das man kennen muss, wenn man unsere Kulturgeschichte begreifen will und die Gemälde in den Museen verstehen. Wie nah lassen wir diese Geschichte an uns heran? Lukas hat diese Frage auch.

Und so erzählt er: So  geht es mit Jesus zu Ende. Jesus, der Menschensohn, der Sohn Gottes, vor ein paar Tagen noch mit Gesängen und Palmzweigen umjubelt empfangen – der hängt jetzt zwischen zwei Schwerverbrechern. Erhöht über der Erde. Er schwebt nicht über den Dingen. Der sichere Boden unter seinen Füßen ist ihm wegezogen. Er ist gefangen und festgenagelt an einem Holzbalken. Hoch oben hängt er da und schaut runter auf die Soldaten, auf die Schaulustigen, auf seine Familie und die wenigen Anhänger, die sich dort noch hingetraut hatten.

 

Jesus wird sterben. Er wird zum Vater gehen. Er wird all das tun, wovon unsere Lieder heute Abend singen und in den letzten Wochen gesungen haben. Dietrich Bonhoeffer fragt in einer Meditation zu Karfreitag, „ob es jemals einen Menschen gegeben hat, der so wenig Boden unter den Füßen gehabt hat wie dieser Jesus.

 

Wir können Bonhoeffers Frage leicht beantworten: Jetzt und jeden Tag hängen viele Menschen in der Luft. Wissen nicht mehr ein noch aus. Hängen in ihren Sorgen fest. Verlieren sich in Ängsten.

 

Jesus ist dort oben am Kreuz nicht alleine. Neben ihm hängen nicht nur zwei Verbrecher. Neben ihm hängt die Tochter, die sich aus totaler Verzweiflung aus dem Fenster gestürzt hat. Neben ihm hängt der Krankenpfleger, der jetzt selbst Corona-infiziert mit dem Tod ringt. Neben ihm hängt der Witwer, der nun nach 63 Jahren morgens alleine aufstehen muss. Neben ihm hängt die Großmutter im Pflegeheim, die nicht versteht, warum ihre Kinder und Enkel nicht mehr kommen. – Sie haben den Boden unter den Füßen verloren. Sie wissen nicht ein noch aus. Jede und jeder in einer anderen Situation, doch in derselben absolut gnadenlosen beängstigenden Erfahrung.

 

Ihre Leiden haben ihr Leben eingefangen, ihre Leiden bestimmen jetzt ihren Horizont. Verbunden sind sie darin aber mit Christus. Leiden ist ihm nicht fremd.  Er weiß, was Verlust bedeutet; er kennt alle menschlichen abgründigen menschlichen Regungen. Nichts von dem, was uns Menschen ausmacht, ist ihm fremd. Nicht die Enttäuschung, nicht die Verzweiflung, nicht die Hoffnungslosigkeit, nicht die Tränen, die wir weinen. Was unterscheidet uns von dem Jesus, der da am Kreuz hängt?

…..Nichts.

 

Jesus aber, der dort am Kreuz hängt, hat immer noch die Kraft zu trösten. Er tröstet nicht nur den Verbrecher neben ihm, er tröstet den Hoffnungslosen, er tröstet die mit zerbrochenem Herzen:  „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“. – „Heute wirst Du mit mir im Paradies sein“ – Jesus tröstet, es interessiert ihn nicht, was Du getan hast. Denn er ist nur interessiert an Dir, gibt Dir die Liebe Gottes, des Vaters, einfach weiter – immer noch.

 

Lukas erzählt Jesu Kreuzigung nicht so, dass das Kreuz Vergebung bewirkt. Sondern das Kreuz bringt die Vergebung zum Ausdruck. Die Kreuzesgeschehen bringt uns Zuschauern und Zuhörern die Vergebung nahe. Wer auf Jesu vergebende Liebe sieht, kann in seinem Herzen wissen, dass ihm alle Schuld verziehen ist. Jesu erbarmende Liebe kommt hier am Kreuz zur Vollendung.

 

Lukas schildert dann Jesu Tod. Wie ein Geschichtsschreiber gibt er die Umstände und die Uhrzeit für Jesu Tod an. Mittags hatte es angefangen, dass aus den umliegenden Wüsten ein kriechender Sandsturm die ganze Stadt und die ganze Gegend in einen dunklen Staubnebel eingehüllt hatte.

 

Jesus stirbt nicht mit einem Schrei, sondern betend:Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“  Jesus betet Worte des 31. Psalms, des jüdischen Abendgebetes. Doch Jesus spricht Gott in seiner Weise mit Vater an.  Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ –

 

Im Tod stirbt Jesus in die liebenden Arme seines Vaters hinein. Da kehr er heim zu seinem Vater, den er mit dem kindlich-zärtlichen „Abba = lieber Vater, Papa“ anspricht.

Der Tod – so will es Lukas uns vermitteln – ist für Jesus nichts Schreckliches, sondern nun vollendet sich Jesu auf Gott vertrauende Liebe. – Hier erfüllt sich, was Jesus schon in seiner Jugend im Tempel gesagt hatte: „Wisst ihr nicht, dass ich in dem sein muss, was meinem Vater gehört?“

 

Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.“ Dieses Gebet bringt Jesus durch den Tod wie durch eine Tür in die liebenden Arme seines Vaters hinein. Das ist die Verheißung, die Lukas im Sterben Jesu sieht. Betend werden auch wir nicht ins Nichts fallen, sondern im Sterben gehen auch wir wie durch eine Tür in unsere bleibende Existenz bei Gott heim, in Gottes Friede hinein, in Gottes Liebe hinein –  so sage ich es jedes Mal auf dem Friedhof , wie gestern Vormittag auch.

 

Liebe Gemeinde, das Kreuz als Symbol für Schwachheit wird durch Jesus verwandelt. Es wird zum Zeichen für Hoffnung, für Aufrichtung. Das bodenlose Leid wird begrenzt. Der Leidende bekommt festen Boden unter die Füße.

Wenn wir Jesus Sterben wirklich anschauen, wirklich hinschauen, dann verwandelt es uns, dann bleiben wir nicht unberührt. Dann geht uns Gott auf. Dann öffnet sich uns der Himmel und das Geheimnis göttlicher Liebe wird offenbar.

 

„Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist“.

Vater, in deine Hände befehle ich mein Leben.

Nur bei Dir, Vater, ist mein Leben.

Mein Leben hängt nicht ab von meinem Intellekt, von dem, was ich geleistet habe, von meinem Bankkonto, vom Glück oder Unglück meines kurzen oder langen Lebens. –

Vater, barmherziger, gütiger Vater, Deine Liebe ist mein Leben.

Meine Schmerzen, meine Fragen, meine Krankheit, mein Leid, meine Sorgen,

meine Lebensfreude, meine Lebenslust, meine Hoffnung,

das lasse ich in Deine Hände los.

Berge mich in Deiner Liebe. AMEN

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft und tiefer in uns wirkt als unser Wille und unsere Gefühle, der bewahre unsere Herzen und Sinne, unseren Leib und unseren Verstand im Frieden Jesu. Amen

*Pfarrer Frank Ungerathen ist Pfarrer der Evangelischen Lydia-Gemeinde Herzogenrath im Gemeindebezirk III Kohlscheid.  Sein Schwerpunt in der Gemeinde ist Flüchtlingsarbeit und Meditationsarbeit.

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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