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Georg Wögerbauer: Flugversuche, Wie ich meine persönlichen Vögel um Fliegen bringe, Orac im Verlag Kremayr & Scherian, Wien 2020, gebunden, 184 Seiten, ISBN: 978-3-7015-0619-4, Preis: 22,00 Euro (D,A)
Georg Wögerbauer ist Allgemeinmediziner und Psychotherapeut und praktiziert in Wien. Seine Arbeit im Schwerpunkt Psychotherapie geht über die Einzelberatung hinaus in den Bereich von Vorträgen und Seminaren zum Themen der bewussten Lebensgestaltung. Dazu leitet er zusammen mit seiner Frau das Projekt „Gesundheit im Waldviertel“. Der praktische Hintergrund ist in diesem Buch nicht nur unverkennbar, sondern auch prägend, ohne dass es eine Anleitung zur Selbstdiagnose und Selbsttherapie darstellt.
Ein weiterer Schwerpunkt Wögerbauers ist die Lyrik. In diesem Buch werden 35 kleine Aufsätze zu psychotherapeutischen Themen jeweils um eines oder mehrere Gedichte ergänzt, in denen das Flugmotiv allerdings explizit kaum vorkommt. Es ist den Prosatexten vorbehalten.
Ohne dass das Buch ausdrücklich in Kapitel aufgeteilt wird, sehe ich hier zwei etwas gleich große Hauptteile. Der erste Teil ist eine Art psychologische Charakterkunde, in denen neurotische Persönlichkeitsanteile mit dem Bild des Vogels verknüpft und ausgearbeitet werden. Jede Leserin bzw. jeder Leser wird den Satz „Ich habe einen Vogel“ schon einmal gesagt oder gehört haben („Du hast…“). Das Buch arbeitet mit diesem Motiv und lädt dazu ein, ruhig von mehreren Vögeln, also Marotten zu sprechen und sich dieses, ans pathologisch grenzende Verhalten zunächst zuzugestehen. Niemand ist besser oder schlechter, bloß weil er oder sie einen oder mehrere Vögel hat. Problematisch ist wohl eher, entweder seine Vögel nicht zu kennen oder sie nicht zum Fliegen bringen zu können oder zu wollen.
Im zweiten Teil tauchen die Vögel nur noch sporadisch auf und werden bewusst durch das Flugmotiv ergänzt. Tragende Begriffe sind jetzt lebensbezogene Themen wie Abschiedlichkeit, Verbundenheit, Sicherheit, Tagträume, Aufbrüche, Flügel der Seele und Erfahrungen der Heilung. Diese Begriffe zeigen, dass das Motiv des Vogels aus eher psychologischer Tradition nicht den Blick auf das ganzheitliche Denken verstellen sollte.
Das Manuskript des Buches ist während eines Urlaubs (!) auf der griechischen Insel Kreta entstanden. Das letzte Kapitel ist dem Abschiedsabend mit dem griechischen Vermieterehepaar Georgia und Nektarios gewidmet. Der Einladung, im Dorf ein Stück Land zu übernehmen, ist der Autor dann wohl eher nicht gefolgt, jedenfalls wird dieser Gedanke zwar berichtet, aber nicht vertieft.
Ich finde die autobiografischen Teile des Buches durchaus unterhaltsam, zeigen sie doch auch die Verbindung des Themas „Flugversuche“ zur psychotherapeutischen Arbeit auf. Trotzdem meine ich beobachtet zu haben, dass der Autor im zweiten Teil weggeht von einer systematischen „Vogel“-Lehre hin zu einer episodischen Flugversuchserzählung. Der Spagat zwischen klarer fachlicher Orientierung und narrativer Vermittlung ist nicht immer einfach zu leisten. Trotzdem lädt die Lektüre des Buches gerade im ersten Teil zur Selbstbeobachtung und auch Selbsttherapie ein und ist so sicher auch als Ergänzung zur fachlichen Psychotherapie gedacht. Insofern ist das Buch sehr zu begrüßen.