Rachegelüste, Predigt von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Predigt 1. Petrus 2,21-25                                                                    25. April 2020

Christus „der, als er geschmäht wurde, die Schmähung nicht erwiderte, nicht drohte als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet.“ (23)

Liebe Gemeinde,

in seinem neuesten Roman „Das zweite Schwert“ erzählt Peter Handke eine Rachegeschichte. Eines Tages überkommt den Ich-Erzähler das dringende Bedürfnis, sich an einer Kritikerin zu rächen. Die Kritikerin hatte ihn und seine Mutter in einem Magazin auf das Schärfste verunglimpft. Wie so oft hatte er die Kritik hinuntergeschluckt, er hatte sich geärgert, aber es nicht weiter in sich brodeln lassen. Jetzt aber verspürt er den dringenden Wunsch, diese Kritikerin zu töten. Dafür bricht er auf, macht sich auf den Weg. Da er nicht anders kann als wahrnehmen, was er auf dem Weg sieht, werden seine Sinne immer wieder von der Schönheit der Natur betört. Auch begegnet er Menschen, kommt mit ihnen ins Gespräch und erkennt sehr klar, was diese Menschen mit ihren kleinen und großen Schwächen besonders „schön“ macht.

Der Roman ist eine Maigeschichte. Die Natur sprießt, grünt und entfaltet ihre Farbenpracht. Unbewusst irrt der Protagonist durch die Landschaft, kommt an einer Klosterruine vorbei und achtet auf kleine Zeichen auf dem Weg. Immer wieder mahnt ihn eine innere Stimme, sich an der Kritikerin zu rächen und sie endlich schnurstracks aufzusuchen. Doch er wird unterwegs vom prallen Leben auf andere Wege geführt. Zum Schluss befindet er sich in einem großen Saal. Die Tische sind gedeckt. Es herrscht eine vitalisierende und freudige Atmosphäre, die Menschen wenden sich einander zu und erzählen sich ihre Geschichten. Was soll er erzählen? Was bewegt ihn zutiefst?

Dann erkennt er unter den Menschen auch seine Kritikerin. Als er richtig hinschaut, sieht er, dass sie sich in einer Talkrunde mit anderen ihrer Zunft unterhält. Aber sie sitzt nicht an einem Tisch, sondern ist nur auf einer Leinwand zu sehen. Er kann gar nicht zu ihr, um sie zur Rede zu stellen. Sie ist nicht dabei. Sie gehört nicht dazu. Sie ist nicht zum Fest eingeladen. Da dämmert es ihm, dass es das Schlimmste ist, nicht dazu zu gehören. Er muss sich gar nicht mehr an ihr rächen. Ein Gefühl der Erleichterung, nicht zum Mörder geworden zu sein, überschwemmt ihn. Freude durchströmt ihn.

Manch ein Literaturkritiker sieht in Handkes neuestem Werk eine fromme Legende. Schön wär´s.

Ja, in gewissen Sinn ist es eine Ostergeschichte. Die Rache ist überwunden. Sie hat nicht das letzte Wort. Das Leben ist stärker und schöner als die böse Tat. Der Ausgang ist glücklich. Es hat sich gefügt.

In unserem heutigen Predigttext geht es um das österliche Vorbild, das Christus uns gegeben hat. Eindringlich mahnt der Schreiber des 1. Petrusbriefes, dass wir in unserem Verhalten Christus nachfolgen sollen. Wir sollen mit unserem Leben auf den Wegen gehen, die Christus schon für uns gegangen ist.

Es mag Lebenssituationen geben, wo es unter Umständen der bessere Weg ist, üble Rede und Kränkungen auszuhalten, damit es nicht noch schlimmer wird.

Niemand soll allein sein mit den Verletzungen, die sie oder er erfahren hat. Sie dürfen, ja müssen zur Sprache kommen, wenn Heilung geschehen soll. Als Weg empfiehlt der heutige Predigttext, alles Gott zu überlassen. Vom Licht der Auferstehung schaut der Schreiber zurück auf das Kreuz und erinnert daran, dass Christus „nicht drohte, als er litt, es aber dem anheimstellte, der gerecht richtet.“ (23)

Seine Botschaft an die unterdrückte Gemeinde (!) kleidet der 1. Petrusbrief hier in einen frühchristlichen Hymnus, einem Lied aus der Liturgie des Gottesdienstes. Dieses Lied verwebt Texte des Propheten Jesaja mit dem Leben Christi und schreibt sie weiter. Der Weg der Gemeinde nach Ostern soll sich an Christus orientieren. Nur wenn sich der Weg an Christus orientiert, wird es ein Weg sein, die Sünde abzulegen, sie im Geist Christi zu überwinden und ein österliches Leben in Gerechtigkeit zu führen.

Ein frommer Wunsch? Nein, kein frommer Wunsch. Christus ist dafür gestorben. Gott hat Christus von den Toten auferweckt und damit seinen Weg bestätigt. Es ist nicht der Weg der Gewalt und der Rache. Es ist der Weg der Liebe, der Wahrheit und der Gerechtigkeit.

Und dann sind wir wieder mitten in unserem Leben, werden überspült von Wut und Rachegelüsten, wollen endlich die Kränkungen, die uns das Leben zugefügt hat, hinter uns lassen, endlich die Scham überwinden und für unser Recht einstehen. Für unser Recht einstehen, leben dürfen mit unseren Wünschen und Sehnsüchten, unserer Art die Welt zu sehen, unseren elementaren Bedürfnissen, das ist – wir ahnen und wissen es – überlebenswichtig. Doch wie kann das geschehen?

Oft genug stehen wir vor Dilemmata. Das Leben lässt sich nicht in Gut und Böse einteilen, in Entweder/Oder. Binäres Denken führt nicht weiter und führt immer zur Ausgrenzung. Wir erliegen immer wieder dieser Versuchung, schneller als uns lieb ist. Mit dem ewigen Richten richten wir uns selbst. Gott das Zurecht-Richten zu überlassen fällt uns schwer.

Da hilft mir so ein literarischer Text, der auch nur die vielen Erzählungen und Geschichten weiterschreibt, die unser Leben ausmachen.

Es ist ein sonderbarer Text von Peter Handke, da er gut ausgeht. Da ist in der neueren Literatur eher verpönt und daher selten. Er erzählt sehr lebensnah davon, wie der Mensch ist, wie er gepackt werden kann von Rachegelüsten. Er erzählt aber auch von Lösungen, die sich einstellen, ohne dass sie bewusst angestrebt werden. So stelle ich mir das Reich Gottes vor.

Wichtig ist mir seine Botschaft, sich auf den Weg zu machen, aufzubrechen, sich im wahrsten Sinne des Wortes unterwegs wieder zu finden. Die Augen zu öffnen für die Schöpfung, für die Begegnungen am Rande, für das liebevolle Anschauen und Wahrnehmen der Anderen ohne zu werten. Das Leben geschieht leise, nicht laut. Ostern ist ein leises Fest. Ostern ist ein Fest der neuen Augen. Ostern ist ein Fest, die Welt mit dem Herzen zu greifen. Ostern transzendiert alles. Ostern öffnet uns den Sinn für den Sinn.

Wichtig ist mir die Botschaft des 1. Petrusbriefes, dass wir uns an Christus  erinnern, „der nicht drohte, als er litt“ und auch nach seiner Auferstehung nicht mit der Kraft des Schwertes dreinschlug, sondern der leisen Kraft der Liebe vertraute.

Weil wir die Sehnsucht haben nach einer neuen Welt in Frieden und Gerechtigkeit, sind wir hier nie ganz zu Haus und bleiben unruhig, bis unser Herz Ruhe findet in Gott (frei nach Augustinus). Das ist mitunter ein streitbarer Weg, vor allen Dingen aber ist es ein offener Weg. Eine Blaupause gibt es für uns Menschen nicht. Aber die Hoffnung, die wir bekennen, wenn wir das Brot brechen und den Wein der Verwandlung austeilen:

„Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit.“

Amen

 

 

 

Autor: christoph.fleischer

Christoph Fleischer, evangelischer Pfarrer in Westfalen, Mitglied in der Gesellschaft für evangelische Theologie und in der Dietrich Bonhoeffer Gesellschaft.

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