„Die Wahrheit ist zumutbar“ (Ingeborg Bachmann), Rezension von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Zu: Emmanuel Carrère: Der Widersacher, Matthes & Seitz, Berlin 2018,195 Seiten, Gebunden, Originaltitel: L’Adversaire (Französisch), Übersetzung: Claudia Hamm, ISBN: 978-3-95757-612-5, Preis: 22,00 €

Link: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/der-widersacher.html

„Der Widersacher“ ist ein guter Einstiegsroman in den carrèreschen Kosmos, da er zügig und ohne viele assoziativen Sprünge eine (wahre) Geschichte erzählt.

Zwar schleicht sich Carrères Ich auch schon in diesem Roman ein, ja, es ermöglicht ihm überhaupt das Erzählen – man achte auf den ersten Satz des Romans –, aber die existentielle Dramatik seines Ich-Erzählstils ist hier noch längst nicht so weit entwickelt, wie ich sie in „Ein russischer Roman“ oder in „Das Reich Gottes“ schätzen und lieben gelernt habe.

Den „Widersacher“ in der gewohnt guten und inzwischen ebenso vertrauten Übersetzerin Claudia Hamm in den Händen zu halten, ist ein schönes Gefühl, auch wenn es mich gruselt, dass der vielfache Familienmörder Jean Claude Romand inzwischen wieder auf freien Fuß ist. Carrère versteht es, den Leser immer tiefer in seine Geschichte hineinzuziehen. Er zwingt den Leser, sich zu positionieren und den „Widersacher“ in sich selbst wahr zu nehmen.

Bei aller Rätselhaftigkeit der menschlichen Seele, geht es um die Annäherung einen Menschen in seinen Handlungen zu verstehen. Wohlgemerkt es geht nicht um Verständnis und einer etwaigen Stilisierung des Täters zum Opfer. Dieser Balanceakt gelingt Carrère, auch wenn die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass er dem Täter mit dem Buch eine große Bühne verschafft.

Die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz, die Erschütterung des Vertrauens, die Sehnsucht danach geliebt zu werden, die Frage nach dem Bösen und dem Guten, der Trost und die Vertröstung des Glaubens sind Themen, die bei Carrère nicht nur im „Widersacher“ zur Sprache kommen. Ein Stoff, nichts für schwache Gemüter, aber die Augen verschließen hilft nicht weiter: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ sagt zurecht Ingeborg Bachmann. In diesem Geist ist „Der Widersacher“ geschrieben.

 

Sei gesegnet! Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2018

Zu:

Giannina Wedde: In deiner Weite lass mich Atem holen, Segensworte für die Lebensreise, Vier-Türme-Verlag, Münsterschwarzach 2018, gebunden, 203 Seiten, ISBN: 978-3-7365-0136-2, Preis: 19,00 Euro

Nach ihrem Gedichtband „Dorn der Liebe“ (Echter Verlag, 2015) erscheint nun das zweite Buch der Berliner Autorin in religiöser Orientierung. Früher war sie mal als Kabarettistin unterwegs.

Auf meine Frage, ob die Texte einer eignen rituellen Begleitung entspringen, antwortete mir die Autorin per Email:

„Also ich spende keine Segen wie bei Kasualien, oder wie das freie Zeremonienbegleiter machen. Was ich sehr wohl mache, ist auf Anfrage persönliche Segenstexte zu schreiben, für besondere Anlässe wie Taufe, Beerdigung, Eheschliessung oder auch andere Anlässe.

Und da ein Teil meiner Arbeit ja musikalischer Natur ist – ich komponiere Klanggebete – komponiere ich auf Wunsch eben auch Segenslieder für den eigenen Gebrauch oder zum Verschenken an Kinder, Familien, Lebensgefährten etc., spiele und singe diese ein und gebe sie auf einer persönlichen CD an den Empfänger. Ansonsten finde ich eine persönliche Segenspraxis einfach gut und fruchttragend, als Gebetspraxis und als weg der Ausrichtung.“ (Email vom 24.01.2018, siehe auch klanggebet.de). „Sei gesegnet! Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2018“ weiterlesen

Von Natur aus gut, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu: Michael Tomasello: Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral, aus dem Amerikanischen von Jürgen Schröder, Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, gebunden, 283 Seiten, ISBN 978-3-518-58695-2, Preis: 32,00 Euro

Michael Tomasello (geb. 1950) ist Direktor des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Zuletzt erschien von ihm das Buch: „Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens“ (2014). Die Abfolge dieser beiden Aspekte, vom Denken zur Moral, zeigt für Michael Tomasello auch die Abfolge in der menschlichen Entwicklung. „Von Natur aus gut, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen