„Gott ist gegenwärtig“, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2025

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Johannes Burkardt: Gerhard Tersteegen, Die Bernières-Louvigny-Übersetzungen, Luther-Verlag Bielefeld 2023, broschiert, 1120 Seiten, ISBN 978-3-7858-0863-4, Preis: 29,90 Euro (print)

Aufbau des Buches

Das genannte Buch hat zwei Teile, die umfangreiche Einleitung in die Beschäftigung Gerhard Tersteegens (1697 – 1769) mit ausgewählten Texten des (damals) bekannten römisch-katholischen französischen Laientheologen Jean de Bernières-Louvigny aus Caen (Normandie, Frankreich, 1602-1659). Die Einleitung hat 184 Seiten und ist der eigentlich informative Teil des Buches. Daraufhin folgt auf ca. 900 Seiten der editorische Teil. Gedruckt kann ein solches Buch nur mit einem kräftigen Druckkostenzuschuss der Evangelischen Kirche von Westfalen zu einem erschwinglichen Preis erscheinen.

Eigenhändiger Text des Übersetzers eingefügt

Während Gerhard Tersteegen im ersten Teil noch der vom Autor gegebenen Einteilung folgt, hat er später stärker in den Aufbau eingegriffen und eine eigenhändige Einleitung hinzugefügt: „Vorrede des Ausgebers. Von dem Unterschied und Fortgang in der Gottseligkeit.“ Mit einem 47 Punkte enthaltenden Inhaltsverzeichnis. In dieser Vorrede vermutetet man nicht zu Unrecht die Darlegung der eigentlichen Motivation zur Herausgabe der Benieres-Louvigny-Auswahl in deutscher Sprache. Dieser Text sollte einmal in Hochdeutsch gefasst werden, denn er enthält das theologisch-mystische Programm Gerhard Tersteegens. (Anm.: Der Text wurde auch in seine eigene Aufsatzsammlung „Weg der Wahrheit“ aufgenommen. Erschienen in Solingen,1768. D. Rez.)

Weitere Inhalte der Bernières-Louvigny Übersetzung

Gerhard Tersteegen, sonst überwiegend als Kirchenlieddichter bekannt, dokumentiert in seiner Übersetzungsarbeit zwei Werke von Bernières-Louvigny, und zwar die „Geistlichen Liebes-Kernen oder kräftige Auszüge aus denen Büchern des Herrn Bernières, genannt Der inwendige Christ mit einigen Zugaben“ und das zweite Hauptwerk: „Das Verborgene Leben in Christo in Gott“ (Titel nicht in der historischen Schreibweise, sondern hochdeutsch, um die Rezension verständlicher zu machen. D. Rez.). Dieser Buchteil hat, ergänzt um eine Konkordanz der Erstausgabe des „Verborgenen Lebens“ mit weiteren Ausgaben, einem Bibelstellenindex und einem Namens- und Ortsindex ca. 900 Seiten.

Editorische Einleitung von Johannes Burkardt

Doch nun zurück zur editorischen Einleitung des Buches von Johannes Burkardt: Die Einleitung umfasst auch einzelne Untersuchungen, Ausblick auf die Entstehung der Werke Bernières-Louvignys, die weitere Verbreitung, aber auch die Ausgestaltung der Übersetzung und bewusster Auswahl und Edition. Tersteegen, so Johannes Burkardt greift durchaus in das ihm vorliegende Werk ein, in dem er auch noch Gedichte hinzufügt. Solche den Inhalt illustrierende Gedichte sind keinesfalls nur von Tersteegen, sondern auch von Johannes Scheffler (Angelus Silesius), womit Tersteegen sich auch als Herausgeber und Übersetzer dazu bekennt, die Arbeit eines Mystikers verbreiten zu wollen und so selbst als Mystiker zu erscheinen.

Tersteegen trägt mit seiner Auswahl aus dem Werk Bernières zur mystischen und konfessionsungebundenen Christlichkeit bei, die sich nur zum Teil in dem von ihm vertretenen Pietismus widerspiegelt.

Der Autor Johannes Burkardt macht sich in der Herausgabe der Tersteegenschen Übersetzungsarbeit darum verdient, dem Mitbegründer des Pietismus Tersteegen sein Hauptverständnis als Mystiker zurückzugeben oder zumindest neu zu betonen.

Ein Beitrag Tersteegens zur Mystik

Schon bald nach seinem Tod wurden die Schriften Bernières-Louvignys im Französischen ediert und vermarktet, besonders von den Ursulinen aus Caen und deren Pater d´Àrgentan.

Doch warum greift Tersteegen diese Texte auf und gibt sich damit eine endlose editorische Mühe? Einer Bekannten, die angesichts „ihrer Sünden“ und negativen Reaktionen aus ihrem Umfeld verzweifelte, riet Tersteegen 1729 zur Lektüre Bernières, „Weil Gott (darin) nicht unbedingt ein Einsiedlerleben verlangt, sondern jeden an den Platz stellt, wo er ihn oder sie braucht“ (vgl. S. 49).

Tersteegen scheint damit die mehr auf moralische Fragen verkürzte kirchliche Lehre unterwandern zu wollen. Dabei kam ihm der Buchhändler und Verleger Böttinger aus Duisburg zu Hilfe, der das von Tersteegen übersetzte „Verborgene Leben“ herausgab, obwohl er im Generalverdacht stand, die Erlaubnis der theologischen Fakultät nicht eingeholt zu haben. (An dieser Stelle war mir als Leser nicht ganz klar, welche Fakultät genau gemeint war und wie das Verfahren der kirchlichen Zensur gedacht war. Oder hätte die Imprimatur des preußischen Staates eingeholt werden müssen, die dazu ein Gutachten einer theologischen Fakultät eingeholt hätte?  D. Rez.).

Gerhard Tersteegen zeigt in seiner ausführlichen Vorrede zur Ausgabe der Schriften Bernières-Louvigny eine klare Konzeption auf: Das wahre Christentum, die Vollkommenheit der ersten Christen gibt es nur bei den Mystikern. Das Wort Mystiker ist im Text Tersteegens nicht selten. 1750 hat er den Text „Handbrieflein von der wahren Mystik“ der Ausgabe hinzugefügt.

Johannes Burkardt erläutert die Konzeption des Buches „Das verborgene Leben“ (unter dieser Kurzfassung des ursprünglichen Titels) ausführlich und weist auf die Spruchsammlung im 3. Teil hin. Hier zeigt sich auch formal eine gewisse Nähe zu Johannes Scheffler (Angelus Silesius), wobei die Zitate in der Fassung Tersteegens nicht als Gedicht gefasst sind. Das geistliche Leben hat für ihn in der Folge Bernières ein klares Konzept: „Einstieg in den Weg der Liebe, Treue zu Gott, inneres Leiden, Gebet, …(usw.) (S. 97).

Was mir als Leser nicht klar geworden ist, ist, ob im Gebrauch dieser Bücher, die Tersteegen herausgibt, an eine gemeinschaftliche Lesung wie etwa in pietistischen Kreisen gedacht ist, und so der Pietismus auch eine gewisse Funktion in christlichem Schrifttum sieht. Der meditative Charakter der Texte Tersteegens spricht dafür. Ein selbständiges geistliches Leben ist mit der Hilfe dieses erbaulichen Schrifttums möglich geworden, über konfessionelle Grenzen hinaus.

Mystik ist überkonfessionell und ökumenisch

Fazit: Christliche Mystik ist in der Fassung Tersteegens überkonfessionell und ökumenisch, da es damals in evangelischen Kreisen sicherlich absolut unüblich war, Werke katholischer Autoren zu übersetzen und herauszugeben. Der mystische Pietismus ist in dieser Form keinesfalls eine christliche Sekte, sondern ein bewusst ökumenisches, die Mystik einbeziehendes Unterfangen, das die Verantwortung des Einzelnen bewusst einbezieht und sogar fordert.

Ein anderer Papst-Nachruf, Eine Predigt, Joachim Leberecht, Herzogenrath 2025

Foto: Annett Klingner (C)

Predigt über 1. Petrus 1,1 am Sonntag nach Ostern, Quasimodogeneti 2025

„Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten.“

 

Liebe Gemeinde,

die Kirche und die Welt gedenken des Todes von Papst Franziskus und nehmen von ihm Abschied. Es geht mir heute nicht darum, die große Aufmerksamkeit, die Papst Franziskus zurecht bekommt zu ergänzen oder gar mir anzumaßen, sein Pontifikat zu beurteilen. Mir geht dieser Papst nicht aus dem Sinn, wenn ich den Wochenspruch von Quasimodogeneti lese (siehe Predigttext), komme ich auf sein zeichenhaftes Wirken und die damit verbundene Hoffnung für die Verlorenen dieser Welt zurück. Ja, Papst Franziskus hat mich beeindruckt, weil er ein Protestmensch gegen die Mächte des Todes war. Laut und deutlich hat er seine Stimme erhoben, zuletzt sicherlich eine gebrochene Stimme, von Krankheit gezeichnet, als er zwei Tage vor seinem Tod J.D. Vance, dem katholischen Vizepräsidenten der Vereinigten Staaten, die Leviten las in Hinblick auf die menschenverachtende Trump-Praxis der Abschiebung von Migranten und Illegalen. Eine verlogene Praxis, da diese Menschen mit ihrer Arbeitskraft einen Teil des Wohlstands der Amerikaner produzieren.

Unsere Welt braucht nichts so sehr wie Menschen, die sich gegen die Todesenergien der Zerstörung von (sozialen) Werten stellen. Der Glaube an die Auferstehung Jesu Christi von den Toten ist und bleibt ein Widerstandshort gegen Ideologien, einem Kapitalismus und einer Politik, die alle sozialen Werte auffrisst und den Menschen zur Sache degradiert. Wenn wir eine lebendige Hoffnung haben, dann lassen wir uns unseren Glauben nicht nehmen, dann treten wir für das Leben ein.

Entkirchlichung

Wir spüren deutlich als Gemeinde, dass wir in entkirchlichten Zeiten leben. Ein Beispiel:

Wenn jüngst von allen angeschriebenen Eltern zur Anmeldung ihrer Kinder zum Konfirmandenunterricht nur ein drittel der Eltern ihre Kinder anmeldet, erleben wir den Abbruch von einer noch vor 25 – 30 Jahren stabilen evangelischen Tradition. Es war selbstverständlich, dass evangelische Kinder zum Konfiunterricht geschickt wurden. Heute werden die Jugendlichen selbst gefragt, ob sie konfirmiert werden wollen. Das muss nicht schlecht sein, aber es braucht doch eine positive Haltung der Eltern zur Konfirmation und dem Kennenlernen von Gemeinde.  Diese Haltung ist weitgehend verschwunden. Dem größten Teil der Eltern ist es scheinbar egal, obgleich sie bei der Taufe versprochen haben, ihr Kind christlich zu erziehen. Aber das ist lange her. Alles, was mit Glauben zu tun hat, ist für die meisten unserer Mitmenschen völlig bedeutungslos geworden. Der sonntägliche Gottesdienstbesuch hat in unseren drei Predigtstätten ebenfalls im letzten Jahrzehnt stark nachgelassen. Längst nicht mehr lassen sich alle Evangelischen kirchlich bestatten. Es ist ihnen und ihren Familien nicht mehr wichtig. Sie sehen darin keinen Mehrwert. Auch einer Kirche anzugehören gilt für immer mehr Menschen in unserer Gesellschaft als obsolet. Das soll keine Bewertung sein, einfach eine nüchterne Beschreibung, was wir als Lydia-Gemeinde erleben.

Glaubens- und Nachfrageschwund

Der schwindende Glaube und die Nachfrage nach unseren Angeboten sind die eigentlichen Probleme, die wir als Kirche haben, nicht wie wir unsere Gebäude und anderen Aufgaben bezahlen können. Das ist sekundär. Der Abbau, Rückbau und Umnutzung von Gebäuden werden uns als Lydia-Gemeinde noch lange beschäftigen. Die Kirche ist aber mehr als eine Ansammlung von Gebäuden und Veranstaltungen. Sie ist eine Hoffnungsgemeinschaft, eine Erzählgemeinschaft, welche Sinn stiftet und einen Schatz hat, den die Welt nicht bieten kann. Von daher stellt sich die Frage, wie wir Hoffnung vermitteln, verkündigen und leben. Wie kommen wir aus einer zunehmend depressiven und erstarrten Haltung heraus?

Zeichenhaftes Wirken von Franziskus

Hier hat der Papst zeichenhaft für alle christliche Kirchen gewirkt. Trotz seines Eingehegt-Seins in einer Weltkirche durch die katholische (Dogmen-)Tradition und gegensätzlichen Strömungen einer Weltkirche, in die Kurie und eine schwerfällige Verwaltung ist es ihm gelungen den wesentlichen Auftrag der Kirche in der Nachfolge Jesu Christi zu leben und die Kirche in Bewegung zu bringen: Barmherzigkeit und Solidarität

Barmherzigkeit ist Solidarität mit den Vergessenen

Wenn wir auch nur ein dunkler Spiegel der Barmherzigkeit Gottes sind, so strahlen wir doch, wenn Barmherzigkeit von Herzen kommt, Hoffnung in die Kirche und in die Welt aus. Wenige Tage vor seinem Tod ermutigte Papst Franziskus Missionare eines Ordens mit den Worten: „Barmherzigkeit ist die größte Umarmung Gottes.“  Das können wir wahrhaft von diesem Papst als Gemeinde lernen. Barmherzigkeit zu leben, nicht weil wir das so gut können, sondern weil wir Gottes Barmherzigkeit in unserem Leben in der Gemeinschaft erfahren und auch gegen den Augenschein glauben, auch, weil der Geist der Barmherzigkeit uns die Augen öffnet über die eigene Befindlichkeit hinaus, hin zu denen, die nicht gesehen werden.

Barmherzigkeit stiftet Hoffnung, investiert in Menschen trotz Enttäuschungen. Barmherzigkeit sucht den Frieden, weil töten unbarmherzig ist. Barmherzigkeit sucht das Lebensrecht aller Kreatur, damit Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörung ein Ende haben.

Lebendige Hoffnung

Wir brauchen eine neue Geburt, eine Wieder-Geburt des Geistes Jesu in uns, dass die Hoffnung wieder in uns lebt und neu entfacht wird. Das ist Auferstehung. Die Auferstehung Jesu von den Toten ist unser Hoffnungskern gegen Verzweiflung, Alternativlosigkeit, Einsamkeit, Gewalt und Krieg, und gegen einen totalitären Kapitalismus, der keine Freiheit bringt, sondern am laufenden Band Verlierer produziert. Wir aber sind Gewinner, weil wir zu Jesus gehören. Wir sind wie neugeborene Kinder, neugierig auf eine Welt, die Gott uns verheißt: sein Reich. Wir sind verliebt in gelingendes Leben. Das gilt auch für uns als Gemeinde. Mag vieles sterben. Mag vieles nicht mehr funktionieren. Mag vieles sich verändern. Mögen wir darunter leiden, aber das ist nicht das Ende. Gott ist verliebt in Neuanfänge. Auch mit uns oder mit denen, die nach uns kommen.

Wie im Himmel, so auf Erden, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021

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Jan-A. Bühner: Jesus und die himmlische Welt, Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2020, Softcover, 488 Seiten, ISBN: 978-3-7720-8725-7, Preis: 98,00 Euro (print)

Dr. Jan-A. Bühner war bis zu seinem Ruhestand Pfarrer, Dekan und Generalsekretär der Deutschen Bibelgesellschaft in Stuttgart. Das vorliegende Buch entstand bereits im Jahr 1983 als Vorlage für eine Habilitation, wurde aber erst 2020 veröffentlicht. Klaus Berger, Prof. em. aus Heidelberg, schreibt in seinem Geleitwort, dass diese Arbeit heute gebraucht wird, um die Ergebnisse der Qumranforschung inhaltlich klarer einordnen zu können. Klaus Berger schreibt: Vor allem sollte der jüdischen Himmelssymbolik Gerechtigkeit widerfahren …. Und Jesus redet schließlich vom „Himmelreich“. (S.14)

Um einen kleinen Eindruck dieser Arbeit zu vermitteln, gebe ich einige Beobachtungen aus dem Anfangsteil wieder, der die Thematik in der Erforschung des Neuen Testaments verortet.

Jesus: dem Himmel zugehörig

Theologiegeschichtlich ist der Himmel seit der Aufklärung unwichtig bzw. rational rein zeitlich gedeutet worden. Es gilt aber als sicher, dass sich Jesus nach dem neutestamentlichen Zeugnis als dem Himmel zugehörig versteht.

Diese Beobachtung des Autors wird in der Übersicht über die Konzepte der Eschatologie in der neutestamentlichen Exegese um und seit 1900 gegeben. Darin wird der Himmel entweder temporal verschoben oder rational erklärt (z. B. nach Bousset, Schweitzer, Bultmann u. a. ).

Der Gott der Mystik wohne nicht im Tempel, sondern im Herzen.

Die durch die neuere Exegese abgelöste religionsgeschichtliche Schule sei wieder neu zu würdigen, da hier die Gegensätze zwischen Eschatologie (Zukunft) und Mystik (Gegenwart) aufgehoben zu sei scheinen. Er schreibt z. B.: „Der Gott der Mystik wohne nicht im Tempel, sondern im Herzen.“ (S. 40)

Auch der bekannte Neutestamentler Ernst Lohmeyer habe auf die Bedeutung der „Zukunftstheologie des 2. Tempels“ für die Jesustradition hingewiesen (vgl.S.45).

Jedenfalls geht die Ausdrucksweise, die Jesus als Erhöhten ansieht, auf Formulierungen der jüdischen Mystik zurück. Hier heißt es, die Aufgabe des Tempels sei die Vermittlung zwischen Himmel und Erde, eine Aufgabe, die später auf Jesus bezogen wird.

Im zweiten Teil des Buches wird die jüdische Literatur der Spätantike herangezogen. Der dritte Teil widmet sich der frühchristlichen Literatur im Neuen Testament und auch darüber hinaus.

„Sohn“ aus dem „Haus des Vaters“

Die Ausdrucksweise vom „Sohn“ aus dem „Haus des Vaters“ wird als jüdische Formulierung vor allem in den Texten von Jesu Taufe herausgestellt. Die Ausdrucksweise vom „Menschensohn als himmlischer Hoherpriester“ zeigt inhaltlich die Verbindung zum jüdischen Kultgeschehen, aber auch schon die Abstraktion und Umwandlung.

Die Eschatologie hat nach Bühner schon in der Person Jesu „präsentifizierende Züge“, da seine Verbindung zum Himmel bzw. zum Vater in den Evangelien seine Wort- und Handlungsmacht verdeutlicht.

An dieser Stelle taucht eine Bemerkung zu Jakobus auf, die die Familie Jesu in den Blick nimmt und in der dieser auch als Zeuge die Bedeutung Jesu ernst nimmt. Jan-A. Bühner schreibt hier: „Das christologische Zeugnis des Jakobus weist ausdrücklich auf den Menschensohn. Der Menschensohn, der zur Rechten der Großen Kraft thront, also zur unmittelbaren Sphäre der Heiligkeit Gottes gehört, überhöht offenbar die Verbindungskraft des Tempels bzw. begründet sie neu, und schafft ein neues ungenealogisches Priestertum.“ (S. 440).

Ein kurzes Nachwort aus dem Jahr 2020 greift einige aktuelle Veröffentlichungen auf, die einzelne Beobachtungen Bühners verstärken, z. B. indem sie auf einen frühjüdischen Baptismus hinweisen. Das Nachwort ist aber m. E. zu kurz. Denn da der Bearbeitungszustand des Buches auf dem Stand von 1983 ist, hätte hier eine ausführlichere Bearbeitung erfolgen sollen, die z. B. auch die Arbeiten von Peter Schäfer einbezieht, dessen frühe Veröffentlichungen schon in der Literaturliste genannt sind. Auch die von Klaus Berger genannte gründlichere Kommentierung einzelner Stellen aus Qumran oder anderer Texte wäre interessant. Die Verbindung und der Dialog zwischen Judentum und Christentum steht immer wieder auf der Tagesordnung und kann gewiss nicht mit den Prädikaten „alt“ und „neu“ passend beschrieben werden.

Vielleicht ist das Zeugnis des Urchristentums „älter“ als man in der Redeweise vom alten und neuen Bund vorspiegelt. Bezeichnend wäre vor diesem Hintergrund die Frage, warum damals diese doch interessante und ausführliche wie wissenschaftlich gründliche Habilitation abgelehnt worden ist. Wurde in der Politik der theologischen Fakultäten dieses Thema bewusst unterdrückt? (Wenn ich zu dieser Frage einen Kommentar erhalte, ergänze ich die Rezension entsprechend. d. Rez.) Ich selbst habe in den späten siebziger Jahren in Münster die Auseinandersetzungen in der Fachbereichspolitik an der Uni Münster miterlebt. Jan-A. Bühner und dem Verlag sind zu danken, dass diese Arbeit nun doch noch veröffentlicht worden ist. Die Debatte um den jüdischen Jesus ist damit wieder neu eröffnet.

Offenbarung als Ausgang der Theologie? Notizen zu Franz Rosenzweig „Atheistische Theologie“, Christoph Fleischer, Welver 2021

Literatur: Franz Rosenzweig: Atheistische Theologie, in: Kleinere Schriften, Schocken Verlag, Jüdischer Buchverlag 1937, später auch als Band III, Franz Rosenzweig, gesammelte Werke.

Durch diesen Aufsatz wird Franz Rosenzweig im Jahr 1914 persönlich mit Martin Buber bekannt. Allerdings hat Buber den Aufsatz unveröffentlicht zurückgeschickt.

Auch die spätere Schriftensammlung „Zweistromland. Kleinere Schriften aus Religion und Philosophie“ (Philo Verlag 1926, jetzt als Reprint bei Amazon), die vollständig in die o. g. Ausgabe aufgeht, enthält den Aufsatz „Atheistische Theologie“ nicht.

Das Wort „Atheistische Theologie“ war bis dahin kaum bekannt, Franz Rosenzweig zeigt jedoch, was damit gemeint ist. Zunächst war mir selbst nicht klar, ob der Autor selbst eine solche „Theologie“ befürwortet oder sich davon abgrenzt, was wohl eher der Fall ist.

In den letzten vier Sätzen des Aufsatzes zeigt Franz Rosenzweig, dass die Zukunft weder im Christentum noch im Judentum in einer „atheistischen Theologie“ liegen kann, ohne damit allerdings die Ergebnisse der philosophischen Religionskritik in Frage zu stellen. Ausweg ist nun der Begriff „Offenbarung“ als „geschichtliche Tat“, die die „Geschichtlichkeit der Geschichte“ in Kraft setzt. (Ich habe das absichtlich so zitiert, um aufzuzeigen, dass diese positive Theologie immer von ihrer Definition abhängig ist.)

Später wird er bis zu seinem Tod im Jahr 1929 die hebräische Bibel ins Deutsche übersetzen. Im Grunde wird es also wie auch bei Rudolf Bultmann zu einem hermeneutischen Ansatz der Bibelauslegung führen, bei dem sich die Schrift mit Blick auf den historischen Kontext selbst auslegt.

Formal gesehen ist eine „atheistische Theologie“ nötig geworden, seitdem in der Theologie wissenschaftliche Voraussetzungen definiert wurden, was seit der Aufklärung der Fall ist. Schlicht gesagt geht es dabei einerseits um die Geschichte der historisch orientierten Exegese (z. B. Leben-Jesu-Forschung), die mit Albert Schweitzer als gescheitert gilt, zumindest soweit sie meinte, ein authentisches Leben Jesu rekonstruieren zu können.

Franz Rosenzweig wechselt in seinem Aufsatz immer wieder von der christlichen Exegese hin zum jüdischen Selbstverständnis, indem er hierbei gemeinsame Tendenzen entdeckt.

Dies soll kurz am Beispiel des Mythos aufgezeigt werden: „… die rationalistische Vermenschlichung der Christusgestalt zum Jesus der Leben-Jesu-Theologie …, wurde in der Judenvolks-Theologie zum Hebel der rationalistischen Vergötterung des Volks“ (S. 284) (Dieser Satz richtet sich vermutlich an Martin Buber, der in seinen Reden über das Judentum betont, das Judentum sei in erster Linie als Religion zu verstehen und nicht als Volk, Staat oder Land, das dieser Vollendung entgegensieht. Die Vision einer Neuansiedlung in Palästina nahm am Ende des 19. Jahrhunderts immer konkretere Formen an.)

So wie einerseits Christus zum Gottesbild wird, wird im Judentum der Gottesbund, religiös gefeiert und zum Glaubensinhalt erklärt (d. meint, dass die religiöse Feier sich selbst erklärt bzw. selbstreflexiv definiert).

Die „Offenbarung“ wird sich als „Mythologie“ erweisen. Der Mythos ist ein Bild der Geschichte und wird benötigt, um die Bedeutung der religiösen Inhalte zu untermauern.

Die „atheistische Theologie“, so Rosenzweig, zeigt, was unter Verzicht auf den Mythos übrigbleibt. Franz Rosenzweig betont aber auch zu Recht, dass das „Über“ – Menschliche (Gottes) dem Menschen gegenüber wie ein Spiegel funktioniert. Vermutlich werden hier wie dort Projektionsinhalte auf Judentum oder Christentum angewandt.

Erst ganz gegen Ende des Aufsatzes erscheint die Mystik als Alternative, wobei Rosenzweig vermutlich auch hier wieder an Martin Buber selbst gedacht hat, der die Mystik der Chassidim erforscht und Beispiele veröffentlicht hat. Rosenzweig zeigt, dass in der Mystik zwar Gott auch an die Menschengestalt gekoppelt wird, dennoch aber unverfügbar und göttlich bleibt und zitiert ein Beispiel der jüdischen Mystik: „Gott spricht: wenn ihr mich nicht bezeugt, so bin ich nicht.“ (S. 289)

Der am Anfang zitierte Schlussabschnitt wird hier mit einem ausführlichen Schachtelsatz eingeleitet, der an die von Sören Kierkegaard bekannte Rede von einer Kluft erinnert, die das religiöse Erleben erst möglich macht. Analogien auf christlicher Seite lassen sich in der dialektischen Theologie Karl Barths finden.

Doch anstelle zwischen Gott und Mensch liegt die Kluft hier zwischen rationalem Glaubensverständnis einschließlich der Differenz zwischen Mystik und Rationalismus und dem Verständnis des Menschen als Empfänger der Offenbarung.

Meines Erachtens hat Martin Buber den Aufsatz zu Recht zurückgewiesen, weil der Schluss letztendlich argumentativ nicht genügend ausgearbeitet worden ist. Mystik lässt sich nicht vorschnell mit dem Gegenteil von Rationalismus gleichsetzen. Andererseits ist der Begriff der Offenbarung doch bei Rosenzweig zu sehr an der Geschichtlichkeit orientiert, sie offenbart also hauptsächlich die Differenz zwischen Gott und Mensch. Die positiven Inhalte der „Offenbarung“ bleiben unter Projektionsverdacht, was Rosenzweig hier nicht erkennt. Hierzu sei einmal auf das Buch „Moses“ von Martin Buber verwiesen, mit der er die Übersetzungsarbeit am Pentateuch quasi auswertet, und einen politischen Anführer entdeckt, dem die religiöse Verbindung wichtig ist. Mose ist für Buber der Erfinder eines Bundesgesetzes, das mit dem Kult ein Volk zusammenführt und bildet.

Es folgt nun die Dokumentation des Textes von Franz Rosenzweig als PDF, entnommen der Ausgabe von 1937 (s.o.).

„Die Wahrheit ist zumutbar“ (Ingeborg Bachmann), Rezension von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Zu: Emmanuel Carrère: Der Widersacher, Matthes & Seitz, Berlin 2018,195 Seiten, Gebunden, Originaltitel: L’Adversaire (Französisch), Übersetzung: Claudia Hamm, ISBN: 978-3-95757-612-5, Preis: 22,00 €

Link: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/der-widersacher.html

„Der Widersacher“ ist ein guter Einstiegsroman in den carrèreschen Kosmos, da er zügig und ohne viele assoziativen Sprünge eine (wahre) Geschichte erzählt.

Zwar schleicht sich Carrères Ich auch schon in diesem Roman ein, ja, es ermöglicht ihm überhaupt das Erzählen – man achte auf den ersten Satz des Romans –, aber die existentielle Dramatik seines Ich-Erzählstils ist hier noch längst nicht so weit entwickelt, wie ich sie in „Ein russischer Roman“ oder in „Das Reich Gottes“ schätzen und lieben gelernt habe.

Den „Widersacher“ in der gewohnt guten und inzwischen ebenso vertrauten Übersetzerin Claudia Hamm in den Händen zu halten, ist ein schönes Gefühl, auch wenn es mich gruselt, dass der vielfache Familienmörder Jean Claude Romand inzwischen wieder auf freien Fuß ist. Carrère versteht es, den Leser immer tiefer in seine Geschichte hineinzuziehen. Er zwingt den Leser, sich zu positionieren und den „Widersacher“ in sich selbst wahr zu nehmen.

Bei aller Rätselhaftigkeit der menschlichen Seele, geht es um die Annäherung einen Menschen in seinen Handlungen zu verstehen. Wohlgemerkt es geht nicht um Verständnis und einer etwaigen Stilisierung des Täters zum Opfer. Dieser Balanceakt gelingt Carrère, auch wenn die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass er dem Täter mit dem Buch eine große Bühne verschafft.

Die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz, die Erschütterung des Vertrauens, die Sehnsucht danach geliebt zu werden, die Frage nach dem Bösen und dem Guten, der Trost und die Vertröstung des Glaubens sind Themen, die bei Carrère nicht nur im „Widersacher“ zur Sprache kommen. Ein Stoff, nichts für schwache Gemüter, aber die Augen verschließen hilft nicht weiter: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ sagt zurecht Ingeborg Bachmann. In diesem Geist ist „Der Widersacher“ geschrieben.