Offenes Buch, Gedanken zu Paul Klee von Markus Chmielorz, Dortmund 2020

 

Kopie aus einer öffentlichen PDF-Datei. Katalog: paulklee1879klee.pdf

Ein virtueller Besuch im Guggenheim Museum, New York

https://www.guggenheim.org/artwork/2170

Ein Mensch, der für uns ein offenes Buch ist, ist uns vertraut. Wir glauben, sie*ihn durchschauen zu können. Das, was unser Gegenüber denkt, fühlt, wie sie*er handelt, scheint uns vorhersagbar und verlässlich. Die Buchmetaphorik begleitet uns seit der Erfindung der Schrift durch die Menschheitsgeschichte. Bleiben Bücher über ein Menschenleben hinaus, können wir die Einladung annehmen, von hier und heute aus die Welt ihrer Verfasser*innen und diese selbst zu rekonstruieren.

Paul Klee malt sein „Offenes Buch“ im Jahr 1930. Ein kleines, fast quadratisches Format, Wasserlack, Lack über Weiß, auf Papier, aufgelegt auf Leinwand. Er trägt Schichten unterschiedlicher Materialität übereinander auf, Fließendes auf festem, papiernem Untergrund auf weichem Leinen.

1930 unterrichtet Paul Klee in seinem vorletzten Jahr am Staatlichen Bauhaus in Weimar. Nach der Weltwirtschaftskrise im Jahr zuvor wird die NSDAP bei der Wahl zum 5. Deutschen Reichstag zur zweitstärksten Partei und steigert ihr Ergebnis von 2,6 Prozent auf 18,3 Prozent. Es ist die Ära der Präsidialkabinette, die die Weimarer Demokratie nach und nach in eine existenzielle Krise und in die nationalsozialistische Terror- und Gewaltherrschaft führen. In der Weltbühne schreibt Carl von Ossietzky, Journalist, Schriftsteller, Pazifist und späterer Friedensnobelpreisträger: „Der Aufstieg in die Stratosphäre beginnt. Das deutsche Bürgertum hat für seine Entrechtung und Erniedrigung, für den Faschismus Adolf Hitlers optiert.“

Vom Zentrum nach außen, von der Mitte an den Rand: Das Öffnen des Buches erzählt von einer Bewegung, die Gegensätze miteinander vereinbart. Aus Ruhe wird Bewegung, aus Innehalten ein Streben nach allen Seiten. Die Leser*innen dieses Buchs sind noch ganz am Anfang. Ein dunkler Balken am im rechten Sechstel des Bildes zeigt an, das noch etwas kommen wird, das wir von hier aus noch nicht erkennen können. Diese Seiten des Buchs sind geschlossen. Dort geht es nicht weiter. Die Grenze ist markiert. Die Bewegung nach rechts -die in unserer Kultur den Fortschritt anzeigt, wirkt eigenartig gehemmt. Ist da nicht eine geknickte Seite, die die Bewegung nach außen wieder zurücknimmt? Und da, in der Mitte, wirkt diese Seite nicht wie ausgeschnitten? Und aller Physik zum Trotz eröffnet der Künstler durch schwarzen Farbauftrag einen unbestimmten Raum der Tiefe. Aus Zweidimensionalem wird Dreidimensionales. Und die wenigen Linien, mit denen Klee auf dem „Ausgeschnittenen“ geometrische Formen entstehen lässt, wirken sie nicht wie die Kunst des Papierfaltens, die Organisches, Ornamentales vor unserem Auge wachsen lässt? Und über dem allen ein bewegter Strom von farbigen Partikeln, gleich einem Sandsturm, der darüber hinwegfegt.

Paul Klee nimmt uns mit in einen Raum der vereinbarten Gegensätze. Und dort, wo die schwarze Farbfläche -schwarz ist physikalisch die Abwesenheit von sichtbarem Licht- im Zentrum des Bildes zum Ort der Verdichtung wird, verweist sie auf alles das, was hier und jetzt im Jahr 1930 genauso schon anwesend ist, wie im Jahr 2020. Das macht für mich die Faszination dieses Bildes aus. Ein Paradox auf Papier und Leinwand, entstanden aus Farbe. Die größte Offenheit entsteht dort, wo Abwesenheit ist. Für einen Moment noch ist dieser Raum der Tiefe, der durch Schwärze und Abwesenheit entsteht, verbunden mit etwas Tröstendem. Doch wir wissen nicht, was kommt. Die Zukunft bleibt offen … und ungewiss.

Foto: Paul Klee, 1879-1940, Wikipedia

Neuer Beitrag auf der Seite www.kauf-eine-kirche.de.

hier ist der Link: http://www.kauf-eine-kirche.de/2020/01/23/kirchbau-visionen-de-hinweis-von-christoph-fleischer-welver-2020/

Felix Hemmers studiert Innenarchitektur im schönen Detmold. Bei einem studentischen Projekt vor etwa einem Jahr ist er zum ersten Mal mit der Thematik der Kirchenumnutzung in Kontakt gekommen. Damals wurde die Rheinkirche in Duisburg an einen Architekten verkauft und die Studierenden haben Entwürfe für eine Umnutzung als Kolumbarium entwickelt.

Felix Hemmers schreibt in einer Email:

Mir ist das Problem der vielen leerstehenden Kirchen bewusst geworden. Kirchen sind für mich ganz besondere Orte, die ein einzigartiges Gefühl von Ruhe, Bewusst-Werden und Dankbarkeit vermitteln. Diese Räume müssen erhalten und der Bevölkerung zugänglich gemacht werden, auch wenn das in vielen Fällen in der ursprünglichen Funktion nicht mehr möglich ist.

Draus ist ein Projekt geworden: www.kirchbau-visionen.de.

 

 

Einfache spirituelle Übungen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019

Zu:

Anselm Grün: Rituale der Stille, 33 Impulskarten, Vier-Türme-Verlag, Abtei Münsterschwarzach 2019, 34 farbige Karten im Schmuck-Karton mit Magnetverschluss, ISBN 978-3-7365-0163-8, Preis: 18,00 Euro

Link: https://www.vier-tuerme-verlag.de/autoren/g/gruen-anselm/2518/rituale-der-stille

 

Wenn ich den Titel dieses Kartensets bei einem Buchhändler im Internet oder im Second-Hand-Buchversand eingebe, so finde ich etliche Varianten dieses Sets unter gleichem Titel von Anselm Grün. Das hier besprochene ist die aktuelle, völlig neu bearbeitete Neuauflage.

Pater Anselm Grün, geboren 1945, ist bei weitem das populärste Mitglied der Abtei Münsterschwarzach. Die Anzahl der von ihm verfassten Bücher wird mit ca. 400 angegeben. Früher war er im Hauptberuf der Cellerar der Abtei, das meint der wirtschaftliche Leiter des Hauses.

Anselm Grün ist populär, weil er keinen Elfenbeinturm der Religion predigt, sondern eine Religion des Lebens, die mit der säkularen Existenz vereinbar ist.

Das Kartenset ist für mich ein Buch über Spiritualität. 33 Karten bieten 33 inhaltliche Impulse, die in keiner Gliederung zu lesen sind. Jede Karte steht für sich und kann doch mit jeder anderen kombiniert werden. Es ist am einfachsten, den Zufall entscheiden zu lassen und sich für jeden Tag eine neue Karte zu ziehen und nach den dort genannten Worten zu verfahren.

Manche Karten sind mehr auf den Inhalt bezogen wie die Vorstellung eines Raumes im Inneren, die Ruhe eines Sonntags, ein Ort völliger Stille, das Hören Gottes im Gebet.

Explizite religiöse Gewohnheiten wie Gebet, Kirche, Bibel oder das Anzünden einer Kerze stehen daneben und dominieren den Eindruck der Karten nicht. Dadurch erweckt Anselm Grün für mich den Eindruck, dass die kirchliche Religion und die Spiritualität des Alltags zusammengehören.

Das machen auch die kleineren Übungsvorschläge deutlich:  der Klang einer Klangschale, die man ausklingen lässt, führt in die Stille. Es hilft dazu auch, ein Mandala auszumalen. Genauso gut ist es auf den Friedhof zu gehen oder in der Natur einen ruhigen Ort aufzusuchen.

Dies wird ergänzt durch einfache Übungen der Meditation: Folge deinem Atem, beginne dabei Kraft zu spüren, setze Pausen im Alltag, beispielsweise bevor du eine Tür öffnest. Folge deinen Gedanken ohne sie festzuhalten. Lerne zuzuhören und zu schweigen.

Manche Impulse beziehen sich auf die innere Haltung, wie eine Reise zu sich selbst, der innere Raum, die Gegenwart Gottes in mir selbst, Zustimmung zum Leben allgemein, Loslassen gewohnter Einstellungen.

Zwei Karten geben Gelegenheit, etwas zu notieren, eigene Gedanken oder Grüße für andere.

Es gibt kaum eine bessere Darstellung mystischen Denkens auch gerade in seiner Einladung zur Subjektivität ohne Egoismus. Die Religion, das Wort Gottes oder das Gebet sind nicht als exklusive Haltung zu deuten, sondern als ergänzendes Lebensangebot für jeden Lebensalltag. Es gibt keine Frage der Anknüpfung mehr, weil das ganze Leben zur Religion geworden ist, und die Religion zum Leben.