Rezension als Interview mit Rakì, Christoph Fleischer, Welver 2020

Lieber Herr Rakì,

Ѕibenik ist eine schöne Stadt und, wie überhaupt Dalmatien, sehr reizvoll. Wir sind 1987 zu einer Jugendfreizeit in Vodice gewesen und dabei mit dem Boot an Sibenik vorbei zu den Krk-Wasserfällen gefahren. Ich stand barfuß mitten im Bach unter einem Feigenbaum und dachte, ich sei im Paradies.

Dieses Bild hat für mich das Büchlein wachgerufen. Dafür danke ich Ihnen.

Die Durchweg kurz gehaltenen Sprüche sind aber schon eher sachlich und fragen nach Sprachlogik: Ludwig Wittgenstein schrieb den Satz: „Die Welt ist was der Fall ist.“

Ich denke, dass Ihre Sprüche so ähnlich verstanden werden. Dazwischen steht die Konjunktion. Sie fragt also nach dem Dazwischen, dem Zwischenraum, der Raum läßt und doch zu einer Aussage findet.

Sie bestätigen meine Assoziation zu Nietzsche. In einem kleinen Ausstellungskatalog aus Weimar wird die Arbeit an den Aphorismen in einem Notizbuch dokumentiert. Aphorismen sind so gesehen nah am Alltag.

Die Weisheit verbindet Alltag und Wissen, Gefühl und Logik. Dieser Weg muss weitergehen sorgen Sie mit dem zeitlosen Notizbuch, alphabetisch geordnet.

Liebe Grüße

Christoph Fleischer,

Lieber Herr Fleischer, 

herzlichen Dank für Ihre Worte. 

Die kleine Lebensweisheit für jedermann, kürzest möglich und unabhängig von Kulturraum und Bildungsniveau … und ein gewisser Zauber, der das Herz des Lesenden trifft … Das vor allem war mein Anliegen bei meinen Kleinen Wahrheiten. Auf dass sie das Herz des Menschen erfüllen und sich durch den strengen Alltag mit ihm wagen. Eine kleine Stütze dem Menschen an die Hand geben, einen Ratgeber mit menschlichem Blick … Zeitlos sein, was bedeuten kann: Die Möglichkeit des Überzeitlichen zu schaffen. Ob mein Büchlein in zweihundert Jahren gelesen wird, ist fraglich … – doch möglich. An manchen Tagen, aber ja, schielt es bei einem Regal nach oben, zu den Büchern von Publilius Syrus und La Rochefoucauld. „Ob ich von ihnen aufgenommen werde“, fragt es sich. Und träumt, dass sie ihn warmherzig empfangen. Eines Tages …

Herzlichst,

Rakì 

 

Lieber Herr Rakì,

schmunzelnd muss ich an die Persees denken oder an so manches Goethewort. Heinrich Heine verpackt die Sprichwörter in seine Lyrik, z. B. „den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen“ (Wintermärchen). 

Doch noch eine Frage. Der Buchtitel erinnert mich in einer Hinsicht an das Motto meiner Homepage: Der schwache Glaube: „Das Buch der kleinen Wahrheiten.“ So wie ich den starken Glauben meide, weil er selbstsüchtig macht, so meidest Du die großen Wahrheiten. Doch was genau ist hier der Unterschied zwischen groß und klein? Ich glaube es geht darum, die Referenz nicht von außen zu erfragen, von Gott, dem Volk und anderen Größen, sondern die Referenz im Klang der eignen Worte zu finden und in deren Kontext. Kleine Kritik daran wäre, dass die Einprägsamkeit des Pathos fehlt. Aber es lohnt sich, hier immer wieder nach Resonanz zu fragen.

Ach, fast vergessen: Karl Rauch Verlag, das steht für mich für den kleinen Prinzen. Was hältst Du von de Exupery?

Herzlichen Grüße und Danke für das Interview.

Lieber Herr Fleischer, 

in der kurzen Zeit auf diesem Erdballen, mit den unscharfen Sinnen, die uns gegeben sind … der Abhängigkeit vom Lebensrhythmus … durch das schlagende Herz, den pochenden Puls, die Rippchen, die sich mit der Atmung auf- und abbewegen … Ach, was ist da der Mensch? Zu wie viel Wahrheit ist er im Stande? Vor allem sind seine Wahrheiten klein und bescheiden, und dienen ihm, seine Welt zu ordnen, zu strukturieren, mit ihr zu spielen. Die Wahrheit scheint ein kleines Spiel unseres Geistes; wir glauben an sie, und doch: Sie scheint bei jedermann ein wenig anders, und bald zu verschwinden. In der Jugend habe ich andere Wahrheiten wie im Alter. Und vor der Geburt? Und nach der Geburt? Ach, eine kleine Wahrheit … keine grosse, keine aufdringliche Wahrheit … daran mag ich mich gerne halten. Ein Zuckerbrot für den Geist, keine Peitsche … das macht die Kleinen Wahrheiten süss und bekömmlich. Ob der „Kleine Prinz“ ein Klassiker geworden wäre, hätte er sich „Großer Prinz“ genannt? Vor allem die Bescheidenheit, die Kurzlebigkeit unserer Gedanken, die Zurückhaltung im Allgemeinen … das könnte eine nette Haltung, eine Bedingung für manches Glück und Wohlwollen sein … Und doch: Eine „Grosse Ehre“ mit dem „Kleinen Prinzen“ abgelichtet zu werden (siehe Anhang). Mal schauen, wie viele Jahre wir uns die Hand geben dürfen … bevor der erste von uns im Nichts verschwindet …  

Wärmstens, 

Rakì

Lyrik aus London, Rezension und Interview, Christoph Fleischer Welver 2019

Zu: Lionel Johnson: Gedichte, Zweisprachig, Herausgegeben, übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen versehen von Frank Stückemann, Mattes Verlag, Heidelberg 2019, Softcover, 134 Seiten, ISBN: 978-3-86809-147-2, Preis: 18,00 Euro

Ernest Dowson: Gedichte, Zweisprachig, Herausgegeben, übersetzt, mit einer Einleitung und Anmerkungen von Frank Stückemann, Mattes Verlag, Heidelberg 2015, Softcover, 207 Seiten, ISBN: 978-3-86809-102-1, Preis: 18,00 Euro

Frank Stückemann (geboren 1962) war bis Ende 2017 Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Meiningsen in Soest und arbeitet zurzeit am landeskirchlichen Archiv in Bielefeld. Er promovierte über Johann Moritz Schwager, einem aufklärerischen Pfarrer aus Ostwestfalen, dessen Biografie er verfasste und dessen Predigten, autobiografische Schriften, Reisebeschreibungen und Briefe er herausgegeben hat. Kürzlich hat er Gedichte von Ferdinand Freiligrath herausgegeben, der einige Zeit in Soest gelebt hat.

Nachdem er im Jahr 2018 eine Gedichtauswahl von Paul Verlaine aus dem Französischen ins Deutsche übertragen hat, legt er hier die Übersetzung aus dem Englischen, und im Fall von Lionel Johnson auch aus dem Lateinischen vor. Die Gedichte sind geeignet, die Stimmung im ausgehenden 19. Jahrhundert einzufangen. Ihr einzigartiger Klang lässt sich allerdings im Deutschen nicht direkt wiederholen.

Ich bat Frank Stückemann daher in Form eines Email-Interviews einige Informationen zur diesen beiden Übersetzungen zu geben.

C.F.: Warum ist die Reimform des Englischen nicht ohne weiteres ins Deutsche zu übersetzen bzw. nachzudichten (vgl. Dowson, S. 25 unten)?

F.S.: Der englische Textbestand ist im Verhältnis zu einer deutschen Prosaübersetzung immer ein Drittel weniger. Bei Dichtung in gebundener Sprache mit feststehender Silbenzahl muss im Deutschen also um ein Drittel verknappt werden. Die Stellung des Reims am Versende erfordert deshalb oft syntaktische Umstellungen. Manchmal geht es eben nur durch Eingriff ins Reimschema, welches aber dann auch in sich stimmig und konsequent durchgehalten werden muss. Die Armut der englischen Sprache an weiblichen (zweisilbigen) Reimen gibt es im Deutschen und Französischen nicht. Hier ist ein regelmäßiger Wechsel von männlichen (einsilbigen) und weiblichen Reimen üblich.

 

C.F.: Was macht die besondere Qualität der Lyrik Dowsons aus und worin besteht Johnsons dichterische Stärke?

F.S.: Bei Dowson: kalkulierte Schlichtheit und Natürlichkeit der Sprache, erlesene Metaphern, hintergründige Symbolik, die mehr andeutet als beschreibt. Die leise, aber unabweisbar nachhaltige bis bohrende Stimme der Melancholie, die Labilität einer hinfälligen Schönheit kurz vor dem Kollaps oder der Implosion. Kurze Formen, lakonische Kürze des Ausdrucks.

Bei Johnson: Intellektualität und sprachlicher Manierismus, vor allem im Satzbau. Kommt aus dem Klassizismus (Georgian Style, in der Lyrik: Pope). Hat aber auch Rückgriffe auf die „Metaphysical Poets“ (John Donne). Weniger depressiv als Dowson, erfreut sich an Bildungserlebnissen und am katholischen Ritus.

Beiden gemeinsam: Lateinische Knappheit und Transparenz, die angesichts der ausufernden Weitschweifigkeit ihrer Zeitgenossen (mindestens dreibändiger Roman, Versepen, endlose Balladen etc.) wirklich Eindruck macht.

 

C.F.: Zur Biographie: Beide sind im gleichen Jahr geboren, sind aber nicht zusammen aufgewachsen. Wo haben Sie sich getroffen und warum waren Sie befreundet? Wovon haben beide nach ihrem (abgebrochenem Studium) eigentlich gelegt, von Gedichten?

F.S.: Sie trafen sich in Oxford; Johnson als Stipendiat am New College, Dowson am Queen’s College. Gemeinsame Vorlieben: Trinken und Dichten. Gemeinsame Abneigung: Das Philistertum der englischen Respectability und der anglikanischen Kirche. Johnson wurde von seiner Familie unterstützt, hatte also keine Existenzsorgen. Dowson arbeitete im Familienbetrieb (Trockendock für Schiffe, leider nicht für Alkohol), nach dessen Bankrott als Übersetzer französischer Literatur. Nach dem Bankrott seines Verlegers Smithers 1899 wurde es für ihn finanziell sehr eng.

 

C.F.: Warum sind beide in die katholische Kirche eingetreten? Wurden sie dabei neu getauft?

F.S.: Zum einen aus Nonkonformismus, zum anderen um einer geistig-ästhetisch-spirituellen Gegenwelt willen. Der ganze Schwulst und Bombast der viktorianischen Zeit war ihnen verhasst. Vorangegangen waren ähnliche Tendenzen im Anglokatholizismus (John Henry Newman), im Ästhetizismus (Walter Pater) und in der Arts-and-Crafts-Bewegung der Präraffaeliten (Morris, Hunt, Rossetti etc.); fast alles in Oxford. Wiedergetauft wurden die beiden nicht.

 

C.F.: Habe ich richtig verstanden, dass sich beide Dichter im Lebenswandel nicht nach der kirchlichen Vorgabe gerichtet haben? Wie war denn dann die Beziehung zur Kirche?

F.S.: Die katholische Kirche war ihnen als ästhetisch-liturgischer Erlebnisraum wichtig. Es reizte sie die ostentative Assoziation mit einer Institution, die als Inbegriff moralischer Verkommenheit galt („No Popery!“) Bis 1829 waren Katholiken in Großbritannien Bürger Zweiter Klasse, vor allem in Irland. Fragen des persönlichen Glaubens oder der Moral waren ihnen ziemlich gleichgültig; sie interessierten sich nur für die kulturschaffenden Impulse. Diese fehlten ihnen in der geist- und substanzlos gewordenen anglikanischen Staatskirche. Bei noch gravierenderen Erosionserscheinungen im Protestantismus unserer Tage ein zunehmend aktuelles Thema.

 

C.F.: Was haben Dowson und Johnson mit der in der bürgerlichen Gesellschaft beginnenden Offenheit in Fragen der sexuellen Orientierung zu tun?

F.S.: Der Viktorianismus war (wie übrigens jedwede „bürgerliche Gesellschaft“ und überhaupt jedes Kollektiv) alles andere als offen und liberal. Dichter der vorangegangenen Generation wie Rossetti wurden als „fleshly school of poetry“ verunglimpft, Swinburne sogar ganz bewusst rufmörderisch als „Swinebron“ apostrophiert (war aber als Angehöriger des Hochadels egal).

Der Schauprozess gegen Oscar Wilde war eine öffentliche Hinrichtung. M.a.W.: Diesen Dichtern ging es um das Austesten von gesellschaftlichen Grenzen, versteckten Tabuverletzungen, Herausforderungen des Commonsense. Sie entlarvten gerade durch Entfesselung von Entrüstungsstürmen und verbaler Abwehr die gesellschaftliche Verlogenheit, Repressivität und Heuchelei solcher Exorzismen und gingen dabei ebenso subtil wie subversiv vor. Das macht ihren Reiz aus und stachelt zur Nachahmung an.

 

C.F.: Speziell Lionel Johnson soll laut Wikipedia homosexuell gewesen sein und dies in seinen Gedichten auch angedeutet haben, z. B. in „The dark angel“? Gibt es dazu Beispiele?

F.S.: Ich habe diesen Aspekt bewußt ausgeklammert, weil der den Philistern nur dazu dient, den Dichter unter der Gürtellinie zu treffen, mit dem man sich oberhalb derselben in gar keiner Weise messen kann (ähnliches Beispiel bei uns: Stefan George). Ob er diese Veranlagung rituell sublimiert oder ausgelebt hat, erklärt kein einziges seiner Gedichte.

 

C.F.: Warum hat Lionel Johnson Gedichte in Latein verfasst? Gab es dafür einen praktischen Anlass, z. B. in der Messe, als Gesänge o. ä.?

F.S.: Aus reiner Freude an der sprachlichen Formung und weil ihm dabei kaum einer folgen konnte. Das sagenhafte Niveau stopfte den Spießbürgern schlichtweg das Maul, und dieses elitär-dandyhafte „aristokratische Vergnügen, zu missfallen“ (Baudelaire) bot Anreiz genug.

 

C.F.: Was hat es mit dem „Rymers Club“ in London auf sich, den Lionel Johnson gegründet und Ernest Dowson besucht hat?

F.S.: Es ist die Geburtsstätte der modernen Lyrik in Großbritannien. Johnson und Yeats (immerhin nachmaliger Literaturnobelpreisträger) gründeten ihn, um sich im Kreis von Gesinnungsgenossen rein künstlerischen Fragen nach dem Sprachniveau ohne Börsenteil, Lebensberatung und ähnlichen Debatten zu widmen (Modethemen wechseln, die Dummheit im universellen Lemminghausen  des britischen Empire bleibt wie auch bei uns stets dieselbe). In den beiden Anthologien von The Rhymers‘ Club sind die schönsten Gedichte der beiden zuerst abgedruckt worden.

 

C.F.: Danke für das Interview.

Rezension und Interview mit Franco Rest, Christoph Fleischer, Welver 2019

Franco Rest: Das letzte Fest Gottes, Menschwerdung und Tod, eine andere Sicht auf Menschlichkeit, Sterben und Tod, Steinmann-Verlag, Neuenkirchen bei Soltau 2018, Softcover, 231 Seiten, ISBN 978-3-927043-72-5, Preis: 24,80 Euro

Mit diesem Buch gibt er Erziehungswissenschaftler und Theologe Franco Rest aus Dortmund  (emeritiert, geb. 1942) Rechenschaft über die ihn leitenden Gottesvorstellungen, die sich an der christlichen Botschaft orientieren.

Dabei zeigt sich, dass in der Perspektive des Neuen Testaments Gott ganz zum Menschen wird, Sterben und Tod zulässt und keinesfalls als allmächtiger Weltherrscher über allem Sein thront. Die Menschlichkeit des Christentums ist ganz im sinn des Christushymnus im Philipperbrief seine Bereitschaft, den menschlichen Tod zu sterben. Auferstehung im christlichen Sinn ist ein Ereignis nach dem Tod und über ihn hinaus.

Franco Rest wäre nicht der Mitbegründer der Hospiz-Bewegung, wenn er dieses Gottesbild nicht auch auf die Vorstellungen der Sterbebegleitung anwenden würde. Gerade im ausführlichen Mittelteil wird dieses Thema ausführlich behandelt. 

Der Schlussteil greift gezielt einige Autoren aus der Theologie- und Philosophiegeschichte auf. Novalis, Erasmus von Rotterdam, Sören Kierkegaard, Janusz Korczak und Elija den biblischen Propheten. Erasmus wird als der gründliche Philologe gewürdigt, der einerseits auch die Reformation vorbereitete, andererseits aber eher an Frieden und Humanität interessiert war, als manche fanatischen Glaubenskämpfer.

Was den schlüssigen Gedankengang von der Menschlichkeit Gottes bei der Lektüre oftmals stört, sind apologetisch wirkende Bemerkungen zur Unterscheidung des christlichen Gottesbildes vom Gottesbild des „Islams“ sowie anderer Religionen und Weltanschauungen. Da nach Meinung des Rezensenten dadurch ein absolut notwendiges und wichtiges Buch von einem antiislamischen Ansatz gestört wird, der zu dem Islam auf eine bestimmte öffentlich bekannte Lesart festlegt, habe ich mich um einen Dialog mit dem Autor bemüht, den ich hier in Auszügen dokumentiere:

Christoph Fleischer an Franco Rest (Interview am 30.12.2018)

Ich habe ein Riesenproblem mit dem Buch. Es ist mir zu sehr antiislamisch angelegt.

Franco Rest

Das Buch ist m.E. keineswegs „antiislamisch“, sondern prochristlich. Als solches muss es die Differenzen zum Islam klar benennen (Menschwerdung Gottes, Erlösungstod Jesu etc.). Der Islam ist leider entsprechend als „antichristlich“ einzustufen. 

Aber diese Auseinandersetzung ist ein Nebenschauplatz meines Buches, weshalb es auch kein eigenes Kapitel zum Islam enthält, was ursprünglich geplant war. Ich lebe mit zwei muslimischen Frauen in einer Wohngemeinschaft; sie haben mein Buch gelesen und kommentiert: Jetzt verstünden sie, woher mein Engagement für die Hospizbewegung stamme; jetzt verstünden sie, warum ich keine Probleme mit aggressiven Menschen hätte, ich würde ja offensichtlich in jedem menschlichen Gesicht das Antlitz Gottes wiederfinden; jetzt verstünden sie auch, wie jemand sein Leben in den Dienst des Sterbens bzw. der Sterbenden stellen könne, denn Sterben sei eben durch das Sterben meines Gottes für mich wohl etwas Heiliges geworden. – Vielleicht ist mir nicht gelungen, dieses Anliegen genug zu verdeutlichen. 

Meine Kritik am Islam dient ausschließlich der Verdeutlichung des tiefsten christlichen Anliegens, nämlich aus der Menschwerdung Gottes die alle Menschen (also auch Muslime) umfassende Liebe zu begründen.

Christoph Fleischer 

Okay. – Die Kritik am Islam basiert immer auf der bekannten und verbreiteten Lesart. Dabei kann der muslimische Glaube auch tolerant und säkular praktiziert werden. Aber das ist nicht Problem. Es ist ein durchlaufenden Nebenthema, auf das kein Untertitel hinweist. Das ist den Käufern gegenüber nicht fair.

Franco Rest

Kann man vielleicht so sehen. Jedoch auch der tolerante und säkularisierte Islam verneint kompromisslos die Möglichkeit einer Menschwerdung Gottes und den Tod Gottes als Instrument der Welterlösung. Um mehr ging und geht es nicht.

Christoph Fleischer 

Sie haben recht, theologisch gesehen. Nur will ich das (als Leser, Leserin) überhaupt wissen? Wozu brauche ich zu meinem Selbstverständnis die Apologetik? 

Franco Rest 

Bin auch kein Freund von Apologetik im Sinn einer rechthaberischen Verteidigungsrede. Aber eine Erklärung, warum es gut sein könnte, wenn verstanden werden könnte, worin das Besondere des Christlichen bestünde, damit es tragfähig würde oder gar bliebe für das Zusammenleben der Menschen, könnte doch hilfreich sein. Wenn der besondere Ernst christlich begründeter Menschenrechte darin besteht, dass ihr Selbstbild in der Ebenbildlichkeit zu Gott, in der Selbstentäußerung Gottes durch seine Menschwerdung und in der Dienstbarmachung menschlichen Sterbens für die „Rettung“ der Menschheit begründet werden kann, dann hätte sich die Mühe einer Besinnung doch bereits gelohnt.

Christoph Fleischer 

Vielen Dank, Franco Rest

Franco Rest, anstelle eines Kommentars:

Wollte gerade einen Kommentar schreiben; aber die Kommentarmöglichkeit akzeptiert nicht meine Website: www.francorest.de

Zur Fortsetzung unseres Gedankenaustausches: Zunächst haben Sie leider den Fehler meiner ersten Antwort übernommen, indem ich doppelt verneinte „Vielleicht ist mir nicht gelungen, dieses Anliegen nicht genug zu verdeutlichen“. (Inzwischen korrigiert, C. F.) Also mache ich einen poetischen Versuch zur Verdeutlichung meines nicht ausreichenden Gelingens.

Was ist der Mensch? Und wer bin ich?

So fragen wir uns innerlich.

Oder auch: Was ist das Leben? Was die Welt?

Und: Was ist Wahrheit? Wofür gibt es Geld?

Dann geben wir die Fragen mutig an die Außenwelt,

die uns erstaunt vor neue Fragen stellt.

Zum Beispiel: Was ist mein Begehr?

Oder auch: Wo komm ich her?

Wo gehe ich einst hin?

Auch diese Frage macht, wie man so heute sagt,

auf ihre Weise Sinn.

Und dann wird noch gefragt,

Was ich zu hoffen wagen darf?

Was soll ich tun, was soll ich lassen?

Und all die Denker denken scharf,

und wolln das Sollen als das Müssen fassen,

das unserm Können wohl entspricht.

Wer bin ich? Ja, was kann ich wissen?

So werd‘ ich aus dem Schlaf der Nicht-Nachdenklichkeit gerissen.

Und werde Philosoph – und bin es immer nicht!

Was hilft, damit ich mir mein Glück erhelle?

Indem ich eben diese und manch andre Fragen stelle.

So gehn durch meinen Kopf die dümmsten Sachen.

Auch wenn mein kluger Kopf am Alltag scheitert,

den selbst der Dümmste besser meistert.

Wir werden wenigstens gemeinsam lachen.

(Vgl. Franco Rest, Trotzdemgesänge. Leidgeprüfte Lieder. deutscher lyrik verlag: Aachen 2010,9)

Austausch über Rechtfertigung mit Gerd Kracht, Christoph Fleischer, Werl 2012

Anlass:

Eine Rundmail, die ich täglich abonniere ist ein Zitat von Neal Donald Walsch aus seinen Büchern „Gespräche mit Gott“ (Quelle: www.gespraechemitgott.org).
Am 1.10.2012 bekam ich den folgenden Spruch zugeschickt, der mich zu einer Nachfrage animierte:

Ihr definiert euch selbst über das, was ihr das Böse nennt, und über das, was ihr als das Gute bezeichnet. Von daher wäre es der größte Frevel, wenn ihr überhaupt nichts als böse bezeichnen würdet. GmG 1, Seite 206

Dieser Satz besagt doch ganz einfach, dass derjenige, der sich über den Unterschied von gut und böse definiert, wie das mit der christlichen Religion allgemein der Fall ist, dann einen Frevel, also etwas Böses begehen würde, wenn er nichts als böse bezeichnen würde. Es ist mir eigentlich egal, wie tief die Worte von Walsch philosophisch reflektiert sind, denn sie enthalten oft solche Wahrheit, die an die Sprüche eines Angelus Silesius erinnern. „Austausch über Rechtfertigung mit Gerd Kracht, Christoph Fleischer, Werl 2012“ weiterlesen

Interview mit Sebastian Schwarz über das Genre des Slasher – Films. Christoph Fleischer, Werl 2010.

Info: Sebastian Schwarz. Mordlust im und für den Slasherfilm: Ein Beitrag zur Diskussion um das Subgenre „Slasher“ aus rezeptionsästhetischer Sicht, Verlag Dr. Müller 2010. Das Interview ist in Form von Frage- und Antwortaustausch über Emails entstanden und gibt kein Gespräch wieder.
Hinweis: Am Schluss des Interviews befindet sich ein Bild vom Cover des Buches.

Christoph Fleischer: Was bedeutet die Tatsache, dass mit dem Wort „Genre“ für den Bereich „Film“ ein spezieller Begriff der Gattung oder Art entstanden ist?

Sebastian Schwarz: Nun, das Wort „spezieller“ würde ich gar nicht in Zusammenhang mit Genre stellen, da dieser Begriff selber ein sehr weitreichendes Wort darstellt. Begriffsfindungen sollen der Kommunikation helfen, so auch der Begriff „Genre“ – wir hätten auch bei Gattung und Art bleiben können.

Christoph Fleischer: Inwiefern ist das Element „Horror“ verwandt mit Religion?

Sebastian Schwarz: Horror bezeichnet die Angst vor etwas Unbekanntem, etwas, was man nicht (be- oder er-) greifen kann. Horror vacui bezeichnet zum Beispiel die Angst der Natur vor der Leere. Dadurch erlangt dieses Unbeschreibliche eine Transzendenz, ähnlich der Religion.

Christoph Fleischer: Was heißt: Das Monster kann nicht ohne Zuschauer existieren?

Sebastian Schwarz: Damit wir uns richtig verstehen, ich meine damit das Monster auf der Leinwand: Das verkörperte Monster oder auch das Andere ist aus psychologischer Sicht die Reflexion eigener Ängste. Es bildet somit ein Abbild des Unbeschreibbaren des eigenen Selbst. Und wenn der Zuschauer fehlt, wo ist dann das Monster? Eine ganz andere Erklärung wäre: Wenn es keinen Zuschauer gibt, ist der Film nicht rentabel und damit redundant.

Christoph Fleischer: Was heißt: Wiederkehr der Anderen?

Sebastian Schwarz: Die Wiederkehr in meinem Buch beschreibt die Kontinuität des Schreckens, die der Serienkiller auslöst. Er kommt immer wieder, was sich zudem auch als gewinnbringende Methode in Bezug auf Genre zeigt.

Christoph Fleischer: Wenn ich das Buch richtig verstanden habe, hat der „Serienkiller“ psychologisch gesehen eine symbolische Seite. Kommt dann nicht mit seiner Wiederkehr auch diese Seite wieder?

Sebastian Schwarz: Ja, sie kommt immer wieder. Sie ist nicht wegzudenken, denn nur so funktionieren die Regeln des Genres. Weiter noch, nur so ist die Existenz von Final Girl und weiteren Elementen möglich. Das Symbolische ist im Slasher auch immer ein Zeichen der Kontinuität und der ständigen Bedingung.

Christoph Fleischer: Welche Rolle spielt der Körper im filmischen Exzess und warum identifiziert sich der Zuschauer damit?

Sebastian Schwarz: Moment, der Zuschauer IDENTIFIZIERT sich gar nicht, er sympathisiert höchstens. Der Körper ist eine sehr wichtige Zutat für den Horrorfilm. Er bietet, als größtes menschliches Organ, genug „Spiel“raum für Projektionen um Zeigehandlung voran zu bringen. Der Körper besitzt zudem die größte Sinnlichkeit am Menschen. Das weiß der Zuschauer, weshalb die eigene taktile Sinnlichkeit auf die im Film Agierenden übertragen wird, und das weiß der Produzent, weshalb die Körperzerstörung so zelebriert wird. Wir sprechen hier von Kommunikation.

Christoph Fleischer: Ersetzen die spirituellen Figuren des Horror eine religiöse Welt? Oder haben sie eine politische Funktion?

Sebastian Schwarz: Nein, die ersetzen nichts, sondern befriedigen Bedürfnisse. Selbstverständlich haben Horrorfilme eine politische Funktion. Gehen wir nur 50 Jahre zurück und schauen uns die Horrorfilme an – hier sieht man Kriegsängste. Oder schauen Sie sich neuzeitige Horrorfilme an, die Katastrophe vom 11. September ist auch hier zu erkennen.

Christoph Fleischer: Welche Rolle spielt die Grenzüberschreitung für die kulturelle Entwicklung der Gesellschaft?

Sebastian Schwarz: Das ist sehr spannend. Ich würde sagen, dass sie die notwendige Konsequenz von kultureller Entwicklung selbst ist. Durch die Überschreitung kommt es zu Neuentstehung, was Kultur ermöglicht.

Christoph Fleischer: Kann man sagen: Das Bedürfnis der Menschen zur Auseinandersetzung mit dem Tod zeigt sich heute im Horror?

Sebastian Schwarz: Kann man bestimmt, ich würde es aber nicht sagen. Die Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Tod ist eine Sache, die ich allein mit mir führe. Der Film verführt mich; ich bin mit ihm im Gespräch, da wird sich nicht groß mit der eigenen Sterblichkeit auseinander gesetzt, sondern da wird (relativ) kurzzeitig miterlebt.

Christoph Fleischer: Warum sind die Sinneswahrnehmungen so wichtig? Was sollen Adrenalinschübe bewirken?

Sebastian Schwarz: Das Wort „Sinneswahrnehmung“ erklärt sich ja von selbst, die Wahrnehmung geschieht über die Sinne. Dies ist für das emotionale Fühlen, Verstehen, Denken von Wichtigkeit. Adrenalinschübe sind besondere explosive Fluten in einem Selbst, die einem beweisen, wie lebendig man ist. Ist es nicht schön am eigenen Leib zu erfahren, wie es ist, lebendig zu sein?

Christoph Fleischer: Können Medien ein Individuum zur Gewalt bringen? Warum unterstützen politische Institutionen die Meinung, Medien könnten ein Individuum gewalttätig machen?

Sebastian Schwarz: Das ist schwierig. Grundsätzlich würde ich sagen: Nein, gewalthaltige Inhalte führen nicht zur Nachahmung. Aber man kann das leider nicht verallgemeinert festhalten, denn sie machen zudem erfinderisch. „Vorgeschädigte“ Individuen sind labil bei der Aufnahme solcher Inhalte, die zwischen Diegese (Filmwelt) und Wirklichkeit (Alltäglichkeit) nicht unterscheiden können, bzw. bei denen Verschiebungen auftreten. Darum ist es wichtig nicht die Medien zu verbieten und ständig zu kommunizieren, sie seien gefährlich, sondern aufzuklären – am besten am Medium selbst.

Christoph Fleischer: Warum muss zwischen realer und medialer Gewalt unterschieden werden? Warum ist es wichtig, Formen von Aggression zu unterscheiden?

Sebastian Schwarz: Weil die Gewaltarten ganz unterschiedliche sind. Gewalt ist nicht gleich Gewalt. Die Ursprünge, die Sozialisation, die Intensität, … all das sind Faktoren, die nicht miteinander verglichen werden können. Und es ist schon gar nicht möglich daraus allgemeine Wirkungsweisen zu ziehen. Genauso schaut es auch mit der Aggression aus. Auch hier erlauben unterschiedliche Wirkungsgrade von Aggressionen keine Verallgemeinerungen. Aber um das genauer zu schreiben, würden wir hier den Platz sprengen.

Christoph Fleischer: Welche Wirkungen können von visueller Gewalt ausgehen? Was ist der Unterschied zwischen audiovisueller Lust an medialer Gewalt und akuter Gewaltbereitschaft?

Sebastian Schwarz: Es sind ganz unterschiedliche Wirkungen: Ablehnung, Ekel, Lust, Interesse, etc. Jeder erlaubt sich seine eigene Wirkung. Der zweite Teil der Frage ist schon genauer zu beantworten. Akute Gewaltbereitschaft ist pathologisch, über deren Herkunft der Täter im ausführenden Moment nicht nachdenkt. Dies ist der Unterschied zu audiovisueller Lust an medialer Gewalt, diese wird durch das Bewusstsein gesteuert.

Christoph Fleischer: Wie kann der Rezipient über die Bedeutung des Mediums verfügen, wo dieses doch ein fertiges Produkt darstellt?

Sebastian Schwarz: Die Bedeutung von Filmen erschließt sich aber erst durch die Sichtung. Bilder und Ton (seitens des Films) treffen auf sozio-kulturelle, wissensbedingte, religiöse, etc. Erfahrungshorizonte. Durch diese Interaktion entsteht im Zwischenraum die Bedeutung.

Christoph Fleischer: Wie kann man denken: „Das Kunstwerk entsteht erst im Moment der Betrachtung“? Was kann ich mir unter Lustgewinn beim Film vorstellen, insb. bei Gewalttätigkeiten? Wie kann man dabei Lust empfinden? Was ist Lust am Text? Wieso kommt es, dass Lust einmal intellektuell kognitiv ist, einmal emotional?

Sebastian Schwarz: Puh, das sind eine Menge Fragen. Zuerst das Erkennen eines Kunstwerks. Der bildenden Kunst ist dies einfach eingeschrieben: Kunst steht entweder im Museum oder entsteht bei der Betrachtung / im Erleben. Auch hier tritt das ein, was ich schon weiter oben genannt habe – das Erkennen von Bedeutungen. Der Horrorfilm ist polysem strukturiert, was bedeutet, dass durch ihn unterschiedliche Zuschauer unterschiedlich erreicht werden. Gerade bei Horrorfilmen ist die Anregung von körperlichen, psychischen und emotionalen Aktivierungen (Muskelkontraktionen, Empathie, Angst, Adrenalinausschüttungen, lachen, schwitzen, Herzfrequenzveränderungen, etc.) stark vertreten. Das bei diesen Erlebnissen auch (Ge-)Lüste entstehen, ist ganz natürlich. Die Lust dabei besitzt unterschiedliche Auslöser und Interessen. Es kommt auch hier wieder auf den Rezipienten an.

Christoph Fleischer: Warum bekommen Teenager eine wichtige Rolle im Film? Warum wird von Slasher in erste Linie das adoleszente Publikum angesprochen?

Sebastian Schwarz: Weil sie sich selber sehen! Ist es nicht paradox? Teenager sehen sich gerne Filme an, in denen sie ihres Gleichen abgeschlachtet sehen? Ich finde das unglaublich und sehr verwirrend. Und vielleicht ist es genau das, was man in der Adoleszenz erlebt – eine Menge Verwirrungen und das eigene Gefühl sich da beweisen zu müssen.

Christoph Fleischer: Warum findet trotz Einfühlung und Rollenübernahme keine Identifikation statt?

Sebastian Schwarz: Weil eine Identifikation ein durch sehr viele Faktoren bestimmter Prozess ist, der nicht aufhört. Die Sichtung eines 2-Stunden Films führt nicht dazu, dass ich in diesem Moment diese Person BIN. Man sympathisiert höchstens oder genauer, die Distanz zur Diegese (Filmwelt) verringert sich durch Selbsterkennung. Man ist und bleibt Zuschauer, und nicht vorübergehend Opfer / Täter.

Christoph Fleischer: Das Ende des Films trägt mit der femininen Seite zur Vollendung der Adoleszenz bei, um das Maskuline zur Reife zu bringen? Was ist mit weiblichen Zuschauern?

Sebastian Schwarz: Was soll mit denen sein? Es geht doch um die weibliche Figur im Film. Bitte vertauschen Sie nicht Diegese (Filmwelt) und Alltäglichkeit.

Christoph Fleischer: Die Frage bezog sich darauf, dass die Formulierung im Buch hinsichtlich unterschiedlicher Geschlechterrollen mir unterschwellig aus einer männlichen Perspektive formuliert schien, so dass ich den Eindruck hatte, dass diese weibliche Rolle am Schluss an das männliche Publikum gerichtet ist. Doch da habe ich wohl zu viel hineingelesen, oder?

Sebastian Schwarz: Ach so meinen Sie das. Nun, das Slashergenre ist genauer betrachtet ein sehr feministisches und (trans-) gegendertes Subgenre. Kein Genre hat die „Entwicklung“ von Frauenrollen so intensiv behandelt, wie der Slasher, wenn auch in einer sehr gewaltexpliziten Darstellung. Es geht nicht wirklich darum, dass die Frau „maskulinisiert“ wird und sich an den männlichen Zuschauer richtet, das überlassen wir lieber dem Actiongenre, sondern darum, dass die Frau an Macht und Stärke gewinnt. Man könnte deshalb eher von einer „Phallisierung“ sprechen. Nichts desto trotz kommt damit eine Traumatisierung einher, da das Final Girl am Ende den Terror erlebt hat, und ihn nicht los wird. Dies zeigt sich hier wieder in der Wiederkehr des Killers.

Christoph Fleischer: Was bedeutet das Spannungsverhältnis zwischen schwach und stark im Film?

Sebastian Schwarz: Diese kulturellen Konventionen haben wir durch viele Filme, Fernsehen, Bücher, Musik, etc. gelernt. Im Slasherfilm haben wir es mit körperlicher Schwäche / Stärke und geistiger Schwäche / Stärke zu tun, im jeweiligen Anderen ist es zu finden – meistens wechseln diese Seiten zum Ende des Films hin. Das Spannungsverhältnis zwischen schwach und stark hält den Film aufrecht und ist ein narratives Mittel.

Christoph Fleischer: Was heißt: Haus und Familie werden zur Quelle der Gefahr? Geht es dabei auch unausgesprochen um traumatische Erfahrungen in der Kindheit?

Sebastian Schwarz: Aber klar. Schauen Sie sich Filme wie „Halloween“, „Prom Night“, „Scream“, etc. an. Das Andere und die Angst davor ist nicht mehr „irgendwo da draußen“, sondern schon lange im eigenen Blut. Die traumatische Erfahrung ist ein Leitmotiv des Slashers.

Christoph Fleischer: Welche Bedeutung hat die hohe Zahl der Opfer im Film?

Sebastian Schwarz: Ganz klar – der Film muss sich verkaufen. So einfach ist das. Wenn man aber etwas genauer hinschaut, so braucht man doch einen berechtigten Grund, um das Final Girl zu traumatisieren, oder nicht? Und das geht nur durch überdurchschnittlichen Terror, Angst und Tod.

Sebastian Schwarz: Nun, das Wort „spezieller“ würde ich gar nicht in Zusammenhang mit Genre stellen, da dieser Begriff selber ein sehr weitreichendes Wort darstellt. Begriffsfindungen sollen der Kommunikation helfen, so auch der Begriff „Genre“ – wir hätten auch bei Gattung und Art bleiben können.

Christoph Fleischer: Inwiefern ist das Element „Horror“ verwandt mit Religion?

Sebastian Schwarz: Horror bezeichnet die Angst vor etwas Unbekanntem, etwas, was man nicht (be- oder er-) greifen kann. Horror vacui bezeichnet zum Beispiel die Angst der Natur vor der Leere. Dadurch erlangt dieses Unbeschreibliche eine Transzendenz, ähnlich der Religion.

Christoph Fleischer: Was heißt: Das Monster kann nicht ohne Zuschauer existieren?

Christoph Fleischer: Damit wir uns richtig verstehen, ich meine damit das Monster auf der Leinwand: Das verkörperte Monster oder auch das Andere ist aus psychologischer Sicht die Reflexion eigener Ängste. Es bildet somit ein Abbild des Unbeschreibbaren des eigenen Selbst. Und wenn der Zuschauer fehlt, wo ist dann das Monster? Eine ganz andere Erklärung wäre: Wenn es keinen Zuschauer gibt, ist der Film nicht rentabel und damit redundant.

Christoph Fleischer: Was heißt: Wiederkehr der Anderen?

Sebastian Schwarz: Die Wiederkehr in meinem Buch beschreibt die Kontinuität des Schreckens, die der Serienkiller auslöst. Er kommt immer wieder, was sich zudem auch als gewinnbringende Methode in Bezug auf Genre zeigt.

Christoph Fleischer: Wenn ich das Buch richtig verstanden habe, hat der „Serienkiller“ psychologisch gesehen eine symbolische Seite. Kommt dann nicht mit seiner Wiederkehr auch diese Seite wieder?

Sebastian Schwarz: Ja, sie kommt immer wieder. Sie ist nicht wegzudenken, denn nur so funktionieren die Regeln des Genres. Weiter noch, nur so ist die Existenz von Final Girl und weiteren Elementen nur möglich. Das Symbolische ist im Slasher auch immer ein Zeichen der Kontinuität und der ständigen Bedingung.

Christoph Fleischer: Welche Rolle spielt der Körper im filmischen Exzess und warum identifiziert sich der Zuschauer damit?

Christoph Fleischer: Moment, der Zuschauer IDENTIFIZIERT sich gar nicht, er sympathisiert höchstens. Der Körper ist eine sehr wichtige Zutat für den Horrorfilm. Er bietet, als größtes menschliches Organ, genug „Spiel“raum für Projektionen um Zeigehandlung voran zu bringen. Der Körper besitzt zudem die größte Sinnlichkeit am Menschen. Das weiß der Zuschauer, weshalb die eigene taktile Sinnlichkeit auf die im Film Agierenden übertragen wird, und das weiß der Produzent, weshalb die Körperzerstörung so zelebriert wird. Wir sprechen hier von Kommunikation.

Christoph Fleischer: Ersetzen die spirituellen Figuren des Horror eine religiöse Welt? Oder haben sie eine politische Funktion?

Sebastian Schwarz: Nein, die ersetzen nichts, sondern befriedigen Bedürfnisse. Selbstverständlich haben Horrorfilme eine politische Funktion. Gehen wir nur 50 Jahre zurück und schauen uns die Horrorfilme an – hier sieht man Kriegsängste. Oder schauen Sie sich neuzeitige Horrorfilme an, die Katastrophe vom 11. September ist auch hier zu erkennen.

Christoph Fleischer: Welche Rolle spielt die Grenzüberschreitung für die kulturelle Entwicklung der Gesellschaft?

Sebastian Schwarz: Das ist sehr spannend. Ich würde sagen, dass sie die notwendige Konsequenz von kultureller Entwicklung selbst ist. Durch die Überschreitung kommt es zu Neuentstehung, was Kultur ermöglicht.

Christoph Fleischer: Kann man sagen: Das Bedürfnis der Menschen zur Auseinandersetzung mit dem Tod zeigt sich heute im Horror?

Sebastian Schwarz: Kann man bestimmt, ich würde es aber nicht sagen. Die Auseinandersetzung mit dem (eigenen) Tod ist eine Sache, die ich allein mit mir führe. Der Film verführt mich; ich bin mit ihm im Gespräch, da wird sich nicht groß mit der eigenen Sterblichkeit auseinander gesetzt, sondern da wird (relativ) kurzzeitig miterlebt.

Christoph Fleischer: Warum sind die Sinneswahrnehmungen so wichtig? Was sollen Adrenalinschübe bewirken?

Sebastian Schwarz: Das Wort „Sinneswahrnehmung“ erklärt sich ja von selbst, die Wahrnehmung geschieht über die Sinne. Dies ist für das emotionale Fühlen, Verstehen, Denken von Wichtigkeit. Adrenalinschübe sind besondere explosive Fluten in einem Selbst, die einem beweisen, wie lebendig man ist. Ist es nicht schön am eigenen Leib zu erfahren, wie es ist, lebendig zu sein?

Christoph Fleischer: Können Medien ein Individuum zur Gewalt bringen? Warum unterstützen politische Institutionen die Meinung, Medien könnten ein Individuum gewalttätig machen?

Sebastian Schwarz: Das ist schwierig. Grundsätzlich würde ich sagen: Nein, gewalthaltige Inhalte führen nicht zur Nachahmung. Aber man kann das leider nicht verallgemeinert festhalten, denn sie machen zudem erfinderisch. „Vorgeschädigte“ Individuen sind labil bei der Aufnahme solcher Inhalte, die zwischen Diegese (Filmwelt) und Wirklichkeit (Alltäglichkeit) nicht unterscheiden können, bzw. bei denen Verschiebungen auftreten. Darum ist es wichtig nicht die Medien zu verbieten und ständig zu kommunizieren, sie seien gefährlich, sondern aufzuklären – am besten am Medium selbst.

Christoph Fleischer: Warum muss zwischen realer und medialer Gewalt unterschieden werden? Warum ist es wichtig, Formen von Aggression zu unterscheiden?

Sebastian Schwarz: Weil die Gewaltarten ganz unterschiedliche sind. Gewalt ist nicht gleich Gewalt. Die Ursprünge, die Sozialisation, die Intensität, … all das sind Faktoren, die nicht miteinander verglichen werden können. Und es ist schon gar nicht möglich daraus allgemeine Wirkungsweisen zu ziehen. Genauso schaut es auch mit der Aggression aus. Auch hier erlauben unterschiedliche Wirkungsgrade von Aggressionen keine Verallgemeinerungen. Aber um das genauer zu schreiben, würden wir hier den Platz sprengen.

Christoph Fleischer: Welche Wirkungen können von visueller Gewalt ausgehen? Was ist der Unterschied zwischen audiovisueller Lust an medialer Gewalt und akuter Gewaltbereitschaft?

Sebastian Schwarz: Es sind ganz unterschiedliche Wirkungen: Ablehnung, Ekel, Lust, Interesse, etc. Jeder erlaubt sich seine eigene Wirkung. Der zweite Teil der Frage ist schon genauer zu beantworten. Akute Gewaltbereitschaft ist pathologisch, über deren Herkunft der Täter im ausführenden Moment nicht nachdenkt. Dies ist der Unterschied zu audiovisueller Lust an medialer Gewalt, diese wird durch das Bewusstsein gesteuert.

Christoph Fleischer: Wie kann der Rezipient über die Bedeutung des Mediums verfügen, wo dieses doch ein fertiges Produkt darstellt?

Sebastian Schwarz: Die Bedeutung von Filmen erschließt sich aber erst durch die Sichtung. Bilder und Ton (seitens des Films) treffen auf sozio-kulturelle, wissensbedingte, religiöse, etc. Erfahrungshorizonte. Durch diese Interaktion entsteht im Zwischenraum die Bedeutung.

Christoph Fleischer: Wie kann man denken: „Das Kunstwerk entsteht erst im Moment der Betrachtung“? Was kann ich mir unter Lustgewinn beim Film vorstellen, insb. bei Gewalttätigkeiten? Wie kann man dabei Lust empfinden? Was ist Lust am Text? Wieso kommt es, dass Lust einmal intellektuell kognitiv ist, einmal emotional?

Sebastian Schwarz: Puh, das sind eine Menge Fragen. Zuerst das Erkennen eines Kunstwerks. Der bildenden Kunst ist dies einfach eingeschrieben: Kunst steht entweder im Museum oder entsteht bei der Betrachtung / im Erleben. Auch hier tritt das ein, was ich schon weiter oben genannt habe – das Erkennen von Bedeutungen. Der Horrorfilm ist polysem strukturiert, was bedeutet, dass durch ihn unterschiedliche Zuschauer unterschiedlich erreicht werden. Gerade bei Horrorfilmen ist die Anregung von körperlichen, psychischen und emotionalen Aktivierungen (Muskelkontraktionen, Empathie, Angst, Adrenalinausschüttungen, lachen, schwitzen, Herzfrequenzveränderungen, etc.) stark vertreten. Das bei diesen Erlebnissen auch (Ge-)Lüste entstehen, ist ganz natürlich. Die Lust dabei besitzt unterschiedliche Auslöser und Interessen. Es kommt auch hier wieder auf den Rezipienten an.

Christoph Fleischer: Warum bekommen Teenager eine wichtige Rolle im Film? Warum wird von Slasher in erste Linie das adoleszente Publikum angesprochen?

Sebastian Schwarz: Weil sie sich selber sehen! Ist es nicht paradox? Teenager sehen sich gerne Filme an, in denen sie ihres Gleichen abgeschlachtet sehen? Ich finde das unglaublich und sehr verwirrend. Und vielleicht ist es genau das, was man in der Adoleszenz erlebt – ein Menge Verwirrungen und das eigene Gefühl sich da beweisen zu müssen.

Christoph Fleischer: Warum findet trotz Einfühlung und Rollenübernahme keine Identifikation statt?

Sebastian Schwarz: Weil eine Identifikation ein durch sehr viele Faktoren bestimmter Prozess ist, der nicht aufhört. Die Sichtung eines 2-Stunden Films führt nicht dazu, dass ich in diesem Moment diese Person BIN. Man sympathisiert höchstens oder genauer, die Distanz zur Diegese (Filmwelt) verringert sich durch Selbsterkennung. Man ist und bleibt Zuschauer, und nicht vorübergehend Opfer / Täter.

Christoph Fleischer: Das Ende des Films trägt mit der femininen Seite zur Vollendung der Adoleszenz bei, um das Maskuline zur Reife zu bringen? Was ist mit weiblichen Zuschauern?

Sebastian Schwarz: Was soll mit denen sein? Es geht doch um die weibliche Figur im Film. Bitte vertauschen Sie nicht Diegese (Filmwelt) und Alltäglichkeit.

Christoph Fleischer: Die Frage bezog sich darauf, dass die Formulierung im Buch hinsichtlich unterschiedlicher Geschlechterrollen mir unterschwellig aus einer männlichen Perspektive formuliert schien, so dass ich den Eindruck hatte, dass diese weibliche Rolle am Schluss an das männliche Publikum gerichtet ist. Doch da habe ich wohl zu viel hineingelesen, oder?

Sebastian Schwarz: Ach so meinen Sie das. Nun, das Slashergenre ist genauer betrachtet ein sehr feministisches und (trans-) gegendertes Subgenre. Kein Genre hat die „Entwicklung“ von Frauenrollen so intensiv behandelt, wie der Slasher, wenn auch in einer sehr gewaltexpliziten Darstellung. Darum geht es nicht wirklich darum, dass die Frau „maskulinisiert“ wird und sich an den männlichen Zuschauer richtet, das überlassen wir lieber dem Actiongenre, sondern darum, dass die Frau an Macht und Stärke gewinnt. Man könnte deshalb eher von einer „Phallisierung“ sprechen. Nichts desto trotz kommt damit eine Traumatisierung einher, da das Final Girl am Ende den Terror erlebt hat, und ihn nicht los wird. Dies zeigt sich hier wieder in der Wiederkehr des Killers.

Christoph Fleischer: Was bedeutet das Spannungsverhältnis zwischen schwach und stark im Film?

Sebastian Schwarz: Diese kulturellen Konventionen haben wir durch viele Filme, Fernsehen, Bücher, Musik, etc. gelernt. Im Slasherfilm haben wir es mit körperlicher Schwäche / Stärke und geistiger Schwäche / Stärke zu tun, im jeweiligen Anderen ist es zu finden – meistens wechseln diese Seiten zum Ende des Films hin. Das Spannungsverhältnis zwischen schwach und stark hält den Film aufrecht und ist ein narratives Mittel.

Christoph Fleischer: Was heißt: Haus und Familie werden zur Quelle der Gefahr? Geht es dabei auch unausgesprochen um traumatische Erfahrungen in der Kindheit?

Sebastian Schwarz: Aber klar. Schauen Sie sich Filme wie „Halloween“, „Prom Night“, „Scream“, etc. an. Das Andere und die Angst davor ist nicht mehr „irgendwo da draußen“, sondern schon lange im eigenen Blut. Die traumatische Erfahrung ist ein Leitmotiv des Slashers.

Christoph Fleischer: Welche Bedeutung hat die hohe Zahl der Opfer im Film?

Sebastian Schwarz: Ganz klar – der Film muss sich verkaufen. So einfach ist das. Wenn man aber etwas genauer hinschaut, so braucht man doch einen berechtigten Grund, um das Final Girl zu traumatisieren, oder nicht? Und das geht nur durch überdurchschnittlichen Terror, Angst und Tod.

siehe auch: www.filmkrake.de