Die Reihen fest geschlossen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2021

Zu:

Doris Reisinger, Christoph Röhl: Nur die Wahrheit rettet, Der Missbrauch in der katholischen Kirche und das System Ratzinger, Piper – Verlag, München 2021, gebunden, 348 Seiten, mit Personenregister, ISBN: 978-3-492-07069-0, Preis: 22,00 Euro

Als Überschrift zu dieser Rezension dachte ich zunächst an eine Formulierung wie „Gnade vor Gerechtigkeit“ bis mir die Formulierung einfiel, die eine extreme Position verdeutlicht. Um ein Unrechtssystem aufrechtzuerhalten, müssen die Reihen eben fest geschlossen sein.

Dass dies hier in der katholischen Kirche der Fall ist, verdeutlicht das vorliegende Buch der Missbrauch-Expertinnen Doris Reisinger und Christoph Röhl.

Rolle des Vatikans

Das Bemühen der Zentrale der katholischen Kirche in Sachen des sexuellen Missbrauchs bestand seitens des Vatikans (zunächst) vor allem aus Vertuschung und Verharmlosung. Papst Benedikt XVI. gab sich dann als Aufklärer (ab 2004/5) und leitete fast jeden Staatsbesuch mit einem Gespräch mit Opfern des sexuellen Missbrauchs ein. Doch das Grundprinzip blieb unangetastet: die Kirche versucht, sich unabhängig von staatlicher Macht und staatlichem Recht zu geben.

Konkret: Auch wenn staatliche Gerichte einige Täter rechtskräftig verurteilten, blieben sie meist Priester der katholischen Kirche. Disziplinierungsmaßnahmen blieben halbherzig. Nicht selten kam es vor, dass ein pädophiler Priester zwar versetzt wurde, aber in seiner „Freizeit“ in der „Jugendarbeit“ arbeitete.

Das Buch von Doris Reisinger und Christoph Röhl geht der Geschichte des sexuellen Missbrauchs in der Katholischen Kirche mindestens in den letzten 60 Jahren auf den Grund.

Dabei geht die Darstellung immer wieder auf die Rolle des Kardinals Ratzinger ein, später Papst Benedikt XVI.

Noch zur Zeit des Papstes Johannes Paul II. war Joseph Ratzinger Leiter des das päpstlichen Zensuramtes war, zuständig für Lehrverurteilungen und Disziplinarmaßnahmen. Die „Legionäre Christi“ standen unter dem Einfluss des pädophilen Klerikers Maciel (Mexico). Die Aufarbeitung seiner Verbrechen wurden immer wieder verzögert. Er präsentierte noch zu seinem achtzigsten Geburtstag der staunenden Öffentlichkeit nicht nur seine inoffizielle Ehefrau, sondern auch seine Tochter.

Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs scheiterte in Rom

Ratzinger, wie er im Buch meist genannt wird, kämpfte als Glaubenswächter gegen jede politische Theologie und entzog manchen Priestern die Lehrbefugnis, während Pädophile lange weiterarbeiten konnten und Eingaben bei der Vatikanischen Behörde kaum Gehör fanden, bzw. einfach im Aktenkeller verschwanden.

Gerade im ersten Teil sind Beispiele des Missbrauchs aufgeführt, bis hin zum Prostituieren von Ordensfrauen und deren Ansteckung mit AIDS durch katholische Priester. Wenn sie schwanger wurden, mussten sie im Namen der Kirche abtreiben, während die Kirche in der Öffentlichkeit gleichzeitig Abtreibung als Mord bezeichnete.

Es ist ein wirklich lesenswertes Buch, das aber meines Erachtens später zu sehr auf die Person Ratzingers fokussiert. Sind hier vielleicht sogar zwei Bücher zusammengearbeitet worden, eines über den sexuellen Missbrauch und eines über das gescheiterte Pontifikat Joseph Ratzingers? Trotzdem ist es ein lesenswertes Buch, ein Kirchenkrimi und ein Schwarzbuch in einem.

 

Coming-Out eines vatikanischen Priesters, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu:

Krzysztof Charamsa: Der erste Stein, Als homosexueller Priester gegen die Heuchelei der katholischen Kirche, aus dem Italienischen übertragen von Michael Jacobs, gebunden, 316 Seiten, ISBN 978-3-570-10327-2, Preis: 19,99 Euro

Das Buch ist auf etwa 290 Seiten eine Coming-Out Geschichte, wie es sie vermutlich schon mehrere Male gibt. Für mich als heterosexuellen Mann ist es interessant, zu verfolgen und nachzuspüren wie sich die eigentliche Bestimmung der sexuellen Orientierung aus dem Unbewussten heraus entfaltet. Dies ist dadurch sehr spannnend, weil der Leser und die Leserin ja weiß, dass es in diesem Fall zu einem sofortigen Ende der beruflichen Tätigkeit als Priester im Vatikan führen wird. „Coming-Out eines vatikanischen Priesters, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen

Coming-Out eines Priesters, zum Hintergrund, Christoph Fleischer, Welver 2017

Zusammenfassung eines Interviews in: Philosophie Magazin Nr. 06/2017, Rubrik Horizonte: Portrait Krzysztof Charamsa, Durch die Gnade der Liebe.

Das Philosphie-Magazin dokumentiert ein Interview, das zuerst in französischer Sprache erschienen ist, gehalten von Alexandre Lacroix, aus dem Französischen von Till Bardoux.

Der Artikel berichtet zuerst von der „Liebe auf den ersten Blick“, die Krzysztof Charamsa erfahren hat, er bezeichnet diese Erfahrung als „Offenbarung der Liebe“ (S. 24).

Im Jahr 2005 noch unter Kardinal Ratzinger ist Charamsa Mitarbeiter der „Kongregation für die Glaubenslehre“ im Vatikan geworden. Die „Verteidigung der absoluten Wahrheit“ habe ihm am Herzen gelegen (S. 24). Von dieser Zeit sagt er: „Mir war meine Homosexualität nicht bewusst, oder eher: Als etwas, das ich verabscheute, hatte ich sie in den Tiefen meines Unterbewusstseins vergraben.“ (S. 25). Er gibt sogar zu, dass die Kongregation (vor 2003!?) daran beteiligt war, sich an „Verfolgung Homosexueller“ zu beteiligen (S. 25). Er meint, die Kongregation sei eine Art Geheimdienst, der die Aufgabe hatte, die weltweite Kirche und die Diplomatie des Vatikans im Sinn der Glaubenslehre zu beeinflussen.

Aus heutiger Sicht stellt er fest, dass die Einstellung Jesu im Unterschied dazu von absoluter Offenheit auch gegenüber Homosexualität geprägt sei: „Bei Lukas begegnet Jesus einem Zenturio, der ihn anfleht, einem kranken Sklaven zu retten, den er sehr liebt. Christus erhört ihn.“ (S. 25). Paulus hingegen sei mit dem Bruch der Toleranz in Verbindung zu bringen. Festgestellt wird auch, dass sich der Kampf der Kirche gegen die Homosexualität seit 2005 sogar verschärft habe unter Benedikt XVI. Der Widerspruch der kirchlichen Lehre liegt auch darin laut Charamsa, von Transvestie o.ä. die Rede war, von homophilem Umgang ganz zu schweigen.

Hier kommt das Interview allerdings auch auf eine etwas abstruse These Charamsas zu sprechen, der meint, viele Priester und Ordensleute seien schwul, auch ohne sich geoutet zu haben.

Für Charamsa war der 3. Oktober 2015 der Tag, an dem er in einer Pressekonferenz, an dem er in einer Pressekonferenz sich öffentlich zu seiner Homosexualität bekannt und seinen Freund vorgestellt hat. Gegenüber der Vermutung, er habe dies in quasi priesterlicher Art liturgisch inszeniert meint Charamsa: „Ich betrachte das Coming Out als ein Sakrament. […] Nach einem Sakrament bist du nicht mehr derselbe. Du hast dich für immer verändert. Also habe ich die Kräfte meines Geistes und meines Körpers vereint, […] schon war ich frei.“ (S. 27).

Das Buch zu diesem Coming Out ist 2016 auf Italienisch und 2017 auf Deutsch erschienen (siehe Rezension). – und was macht Krzysztof Charamsa heute? Leider fehlt darauf im Artikel eine Antwort.  Auf seiner Homepage gibt es weitere Informationen: http://www.kcharamsa.com/home

Hier findet sich auf folgender Link zu einem Artikel in englischer Sprache:

articlescompilationforbandsexuality.pdf