Husarenritt durch die Wissenschaft, Rezension, Christoph Fleischer, Welver 2019

Zu: Jorge Cham, Daniel Whiteson: no idea, was wir noch nicht wissen, Vorletzte Antworten auf die letzten Fragen des Universums, Aus dem Englischen von Hainer Kober, C. Bertelsmann Verlag, München 2018, 463 Seiten, Softcover, ISBN: 978-3-570-10320-3, Preis: 15,00 Euro

Allgemeinverständliche Wissenschaftsliteratur, ist das so etwas wie die Quadratur des Kreises? Wie kann man einen komplizierten Sachverhalt einfach erklären? Immerhin, der Versuch ist streckenweise gelungen, dank der Zusammenarbeit des Wissenschaftlers Daniel Whiteson mit dem Comic-Zeichner Jorge Cham. Ein Comic ist das Buch allerdings nicht geworden. Der Textteil überwiegt, liefert allerdings auch manche Steilvorlage für gelungene Zeichnungen.

Die zweite Schwierigkeit ist der Unterschied zwischen amerikanischen und deutschen Sachbüchern. Ich möchte den Unterschied mal mit zwei Spielen verdeutlichen. Das amerikanische Sachbuch ist ein Quartett mit 32 Karten, davon je vier zu einem Set gehörend. Das Thema bzw. die Grundaussage ist bei allen Bildern gleich. Die Quartette unterscheiden sich in ihren Unterthemen. Der Erkenntnisfortschritt liegt in der geschickten Illustration des immer gleichen Themas, das in diesem Fall schon mit dem Buchtitel gegeben ist.

Ein deutsches Sachbuch wäre hingegen wie ein Leiterspiel. Es geht einen Weg, hat Anfang und Ende und dazu gibt es Ereigniskarten, Pausen und Sprünge. Aber alles bleibt innerhalb eines roten Fadens, so dass es immer noch am Grundkonzept der Erzählung orientiert bleibt, die erst mit dem Ende eine Lösung päsentiert.

Das vorliegende Buch ist ein amerikanisches Sachbuch. Die Themen der Kapitel sind unterschiedlich, aber die Aussage ist immer die gleiche: Die Wissenschaft steht vor großen Rätseln. 

Ich halte es für wichtig und notwendig, diese Aussage gründlich zu bedenken, da sie die Wissenschaftsgläubigkeit der Moderne in Frage stellt. Das Problem liegt m. E. darin, dass sich die Wissenschaftlichkeit selbst hierdurch nicht erledigt. Die offenen Fragen sind die Fortsetzung einer sehr gründlichen Beschäftigung mit allen mathematischen, physikalischen, chemischen und biologischen Faktoren unserer Welt.

Die ersten Kapitel befassen sich mit dem Universum, die folgenden sind eher der Quantenmechanik gewidmet. Die Grundfragen der Wissenschaft werden in ihrer Prozesshaftigkeit und Offenheit geschildert.

Jetzt könnte man sagen, dass das Buch mehr Fragen aufwirft als es beantwortet, wäre ja schon vom Leitthema her vorgegeben, dass nämlich gerade das Wesen unserer heutigen Wissenschaft darin liegt, dass immer wieder neue offene Fragen entstehen. Manchmal entstehen aber die offenen Fragen auch durch die lockere und humorvolle Art und Weise, das Wesen der Wissenschaft zu vereinfachen. Im Kapitel 5 „Die Mysterien der Masse“ werden zwar die Schwierigkeiten der Quantenmechanik geschildert, aber es wird einfach unterschlagen, dass die Newtonsche Physik deshalb nicht ungültig ist.

Diese spaßige Art der Illustration und der Beispiele lassen vergessen, dass der Leser und die Leserin mindestens über ein naturwissenschaftliches Abitur verfügen sollte. Die leichte und lockere Weise, schwierige Themen aufzutischen, macht die Materie, um die es geht, nicht einfacher.

Glauben in der Spätmoderne? Rezension von Konrad Schrieder, Hamm 2018


Rudolf Hubert: Wo alle anderen Sterne verlöschen. Glaube als Zukunftsmodell, Echter Verlag, Würzburg 2018, ISBN 978-3-429-05314-7, 133 S, broschiert, € 14,90.

Welche Bedeutung kann dem Glauben in einer modernen pluralistischen Gesellschaft noch zukommen? Dieser Frage geht Rudolf Hubert, Regionalleiter der Region Schwerin im Caritasverband für das Erzbistum Hamburg e.V. nach. Dazu lässt er Texte von Hans Urs von Balthasar, Karl Rahner, Reinhold Schneider und Eugen Drewermann sprechen. Die Erfahrung von Ohnmacht im Angesicht von Terror und anderen Katastrophen führt uns unsere eigene Geschichte als eine ständige Entfremdung vom Christentum vor Augen (S. 18 f.). Demgegenüber gilt es, das Christentum als „Anwalt echter Humanität“ (18) wiederzuentdecken. Dies versucht Rudolf Hubert in Abgrenzung zum atheistischen Humanismus, der meint, ohne Gott auskommen zu können und stattdessen das eigene Glücksstreben einer hedonistischen Ethik unterordnet (59, 79, 81).

Existentielle Grenzerfahrungen des Menschen angesichts des Todes und der Theodizeefrage können zu Anknüpfungspunkten für die Rede von Gott werden (60,64). Der Mensch stellt die Frage nach dem letzten Sinn, er ist selbst die Frage (33,88,92). Ja, es ist sogar so, dass der Glaubende einen „bekümmerten Atheisten“, der „vor dem finsteren Rätsel des Daseins“ verstummt, als jemanden ernstnehmen kann, der, auch wenn er Gott leugnet, sich nicht mit Klischees zufriedengibt, sondern eine „unerfüllte metaphysische Sehnsucht“ hat (96). 

Es gehört zum Wesen des Menschen, dass er offen ist für Gott, und wenn er das leugnet, dann widerspricht er sich selbst (95). Dennoch ist Gott nicht nur eine Vorstellung innerhalb des Menschen, sonder sein Gegenüber (41, vgl. 37). 

So kann Rahners Rede vom anonymen Christentum den Weg weisen, dass der Mensch sich nicht narzisstisch-sinnentleert in einer pluralistischen Gesellschaft verliert, sondern durch den Glauben an sich selbst und damit an Gott rückgebunden bleibt. 

Der Glaube transzendiert den Menschen und gibt seinem Leben Sinn. So ist der Mensch keine Funktion oder ein „Vehikel der Gene“, sondern ein „Kind der Liebe“ (88,94). Liebe ist „die Mitteilung der stärksten Kraft, der ein Mensch sich selber verdankt und die ihn zum Menschsein bestimmt“ (67) heißt es bei Drewermann, den Rudolf Hubert immer wieder als zuverlässigen Rahner-Interpreten heranzieht. Dieser Erfahrungshorizont des Geliebtwerdens um lieben zu können wird, Rahners Argumentation folgend, christologisch rückgebunden.

Christus ist als der Logos die trinitarische „Subsistenzweise“ (36 f.), die dazu bestimmt ist, Mensch zu werden. Als solcher ist er „am radikalsten Mensch“ (71) und Brücke zwischen Welt und Gott (vgl. 29, v. Balthasar). Diese Erkenntnis ergibt sich freilich aus der kategorialen Heilsgeschichte, in der sich Gott in Jesus Christus offenbart hat. Darin wird Christus dadurch zum Urtypus des Menschen, ohne dass das transzendentale Geheimnis Gottes dadurch aufgehoben oder vollständig erschlossen werden könnte. Oder mit Rahner: Das liebende Herz Jesu wird zu einem Realsymbol der transzendentalen Wirklichkeit des Menschen (53, gegen die positivistische Position auf S. 28). 

In Christus bleibt der Mensch zwangsläufig auf Gott bezogen. Der Autor zieht daraus die Konsequenz: „Wenn Christus das Geheimnis meines Lebens ist, das Geheimnis jedesmenschlichen Lebens, dann ergeben sich daraus Schlussfolgerungen für die Vermittlung und die Vermittler des Glaubens.“ (35). Es ist die priesterliche Existenz, die paradigmatisch für die Existenz schlechthin ist. Glaube hat etwas mit Einübung zu tun (ebd.), und so wird der Priester zum Mystagogen (101). Gott bleibt ein Geheimnis, und so bleibt auch die Sinnsuche ein Prozess (42), ebenso wie der Glaube nie fester verfügbarer Besitz sein kann (31). Die Erfahrung des Geistes, den Gott in seiner liebenden Selbstmitteilung in die Herzen ausgegossen hat (72) ermöglicht es, in Freiheit (103) das Gnadengeschenk des Glaubens anzunehmen (101), mehr noch, betend die eigenen Grenzen zu überschreiten (71) und dadurch, gegründet auf die Liebe, wirklichfrei zu sein (70) und ein sinnerfülltes Dasein zu führen – fernab von „Selbstüberschätzung, Hybris und falsch verstandener Autonomie“ (37 f.,71).

Rudof Hubert unternimmt in dem schmalen Band den erfreulichen Versuch, die großen Denkansätze des 20. Jahrhunderts in der katholischen Theologie wieder aufzugreifen und für den gegenwärtigen Lebenskontext fruchtbar zu machen, ein Anliegen, um das sich die herangezogenen Theologen stets bemüht haben. Es geht um nichts weniger als die Frage „wann und wo die Rede von Gott überhaupt sinnvoll ist“ (41). Der Glaube als „Vollzug des gläubigen Subjektseins“ (ebd.) ist Existenzweise nicht ein Moment im pluralistischen Konzert der Neuzeit, er ist existentialer Stand-punkt. Als Gegenüber  zu Gott erfährt sich der Mensch im Hören (49,56,103). Um dieses Wort lebendig werden zu lassen, bedarf es heute mehr denn je einer narrativen Theologie aber auch Multiplikatoren in den Gemeinden und der Gemeindeleitung, vor allem aber eines ganzheitlichen Vollzugs von Glauben und Leben (49 f.).

Rahners oft schwer zu verstehende Ansatz (37) hat seinen Ansatz bei der Anthropologie. „Erfahrung“ (41) ist ein transzendentaler Begriff, der im Menschen notwendig angelegt und auf Gott als sein Gegenüber ausgerichtet ist. Dieser katholische Ansatz ist auch – jenseits von Barth und Schleiermacher – für evangelische Christen bedenkenswert, nicht zuletzt auch aufgrund von Tillichs Rede von dem, „was uns unbedingt angeht“.

Religionen im Dialog, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu: Katajun Amirpur, Thorsten Knauth, Carola Roloff, Wolfram Weiße (Hrsg.): Perspektiven dialogischer Theologie, Offenheit in den Religionen und eine Hermeneutik des interreligiösen Dialogs, Waxmann Verlag, Münster 2016, in: Religionen im Dialog, Band 10, Eine Schriftenreihe der Akademie der Weltreligionen der Universität Hamburg, ISBN 978-3-8309-3494-3 (print), Seiten 363, Paperback, Preis: 37,90 Euro

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Akademie der Weltreligionen an der Universität Hamburg hat ein Projekt ins Leben gerufen, das der Entwicklung und Bearbeitung einer dialogischen Theologie gewidmet ist. Mitarbeit und Begleitung liegt in den Händen der Professorinnen und Professoren der Universität Hamburg, weiteren Mitarbeitern sowie solchen, die im Rahmen einer Gastprofessur am Projekt beteiligt sind. Diese Lehr- und Forschungstätigkeit wird durch Stiftungen mitfinanziert, der „Udo-Keller-Stiftung, Forum Humanum“ aber auch die „Veronika-und-Volker-Putz-Stiftung“. Kennzeichen und Merkmale einer „Dialogischen Theologie“ werden in der Form einer Thesenreihe dargestellt, womit zugleich die inhaltlichen Kriterien für die Autorinnen und Autoren vorgegeben sind.

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J.-L. Nancy: „Ins Offene geworfen“, Rezension von Markus Chmielorz, Dortmund und Christoph Fleischer, Welver 2017

Zu: Friederike Rass, Anita Sophia Horn, Michael U. Braunschweig (Hg.): Entzug des Göttlichen, Interdisziplinäre Beiträge zu Jean-Luc Nancys Projekt einer „Dekonstruktion des Christentums“, Verlag Karl Alber, Freiburg/ München 2017, broschiert, 175 Seiten, ISBN 978-3-494-48824-9: Preis: 24,99 Euro

Jean-Luc Nancy (geb. 1940, Frankreich) lebt im Ruhestand in Straßburg und lehrt dort an der Université Marc Bloch Philosophie. Er hat sich zum Ziel gesetzt, das Projekt „Dekonstruktion“ des Pariser Philosophen Jacques Derrida fortzuführen und auf das Christentum anzuwenden. Das Thema „Dekonstruktion des Christentums“ ist keinesfalls theologisch gemeint, sondern stellt die Frage nach den Spuren des Christentums in der säkularen Welt. „J.-L. Nancy: „Ins Offene geworfen“, Rezension von Markus Chmielorz, Dortmund und Christoph Fleischer, Welver 2017“ weiterlesen