Predigt Hiob – oder die Frage: Wo ist Gott im Leiden?
Text entnommen aus https://www.bibel-in-gerechter-sprache.de/
1 Da reagierte Hiob und sprach: 2 »Auch heute noch besteht meine Klage im Widerspruch, meine Hand liegt schwer auf meinem Stöhnen.
3 Wer gäbe, dass ich Gott zu finden wüsste, dass ich zu Gottes Thron gelangte!
4 Ich wollte vor Gottes Antlitz den Rechtsfall vorbringen und meinen Mund mit Zurechtstellungen füllen.
5 Ich wüsste dann endlich die Worte, die Gott mir erwiderte, merkte, was Gott mir sagte.
6 Würde Gott mit großer Kraft gegen mich streiten? Nein – aber mich beachten!
7 Dort setzte sich ein Aufrechter mit Gott auseinander, und ich wäre auf immer meinem Gericht entronnen.
8 Schau: Gehe ich nach vorn, so ist Gott nicht da, und nach hinten, da bemerke ich es nicht,
9 nach links beim göttlichen Wirken, ich erblicke es nicht, lenkte Gott nach rechts, so sähe ich es nicht.
10 Ja, Gott kennt den Weg mit mir, prüfte Gott mich – da käme ich wie Gold heraus.
11 Mein Fuß hielt an Gottes Schritt fest, diesen Weg beachtete ich und wich nicht ab.
12 Das Gebot der göttlichen Lippen – ich ließ nicht ab vom mir geltenden Gesetz, ich bewahrte die Worte aus Gottes Mund.
13 Die Gottheit aber bleibt sich gleich – und wer könnte das wenden? –
sie will es tun und tut es.
14 Ja, Gott wird dem mir geltenden Gesetz Genüge tun und Ähnliches ist viel bei Gott.
15 Darum erschrecke ich vor Gottes Angesicht; ich nehme es wahr und erbebe davor.
16 Gott selbst macht mein Herz verzagt, die Gottheit, die Macht über die Macht hat, versetzt mich in Schrecken.
17 Ja, nicht von der Finsternis werde ich vernichtet und auch nicht von meinem eignen Gesicht, bedeckt von Dunkel.
Liebe Gemeinde,
mein Name ist Hiob, was übersetzt heißt: Wo ist mein Vater? In meinem Fall läge es auch nahe zu übersetzen: Wo ist mein göttlicher Vater? Um es vorwegzusagen: Ich weiß es nicht, dennoch will ich von meiner Erfahrung berichten, die mein Vertrauen in Gott gestärkt hat. Ob das ein Widerspruch ist oder ob beides nebeneinanderstehen kann, mein Nicht-Wissen über Gott und meine Erfahrung Gottes, überlasse ich Ihnen. Es wäre schon sehr viel, wenn Sie einfach zuhören und das Gehörter in sich aufnehmen. Zuhören ist nämlich gar nicht einfach. Ich sage nicht, dass mein Weg auch ihr Weg, meine Wahrheit auch ihre Wahrheit, meine Gotteserfahrung auch Ihre werden muss. Aber ich will meine Erfahrung mit Ihnen teilen.
Warum oder die Frage nach Schuld
Ich war reich gesegnet. Mir fehlte es an nichts. Doch von einem zum anderen Tag ist mir alles genommen worden. Wie ist nicht entscheidend. Entscheidend war für mich, dass ich mich unendlich verlassen fühlte, sosehr, dass ich den Tag meiner Geburt verfluchte. Ich war gezeichnet am ganzen Leib und habe das als große Schmach erlebt. Drei Freunde besuchten mich. Sie hatten von meinem Unglück gehört. Die ersten sieben Tage saßen sie mit mir auf der nackten Erde und schwiegen, teilten mein großes Leid, halfen mir durch die endlos langen Tage und Nächte. Dann aber fing die Frage nach dem Warum meines bösen Schicksals an. Ich kann mich heute noch aufregen über vieles, was sie gesagt haben.
„Warum ist mir das passiert?“ Diese Frage hämmerte auch in meinem Kopf. Und ich fand keine Antwort. Was meine Freunde aber sagten, entfremdete sie mir, machten den Schmerz nur noch größer. Ich war völlig allein. Sie sagten, dass es mich böse erwischt habe, läge an mir selbst. Ich hätte Schuld auf mich geladen. Dass mir alles genommen wurde und ich so elend darniederläge, hätte ich selbst zu verantworten. Anders sei es nicht zu erklären. Gott ist gerecht, nur der Frevler wird bestraft. Der Gerechte aber wird fröhlich leben. Einer dichtete mir gar schlimme Verbrechen an. Ich erforschte mein Gewissen, aber da war nichts, was mich belastete, jedenfalls nichts, was mein Schicksal gerechtfertigt hätte. Derselbe meinte sogar, ich müsste mich nur vor Gottes Gericht demütig beugen, dann würde alles wieder gut werden. Er unterstellte mir praktisch, dass ich nicht mehr an Gott glauben würde. Um Gottes willen, damit er Recht bekommt, müsste ich klein beigeben.
Gott handelt nicht
Rückblickend sehe ich, meine Freunde wollten das damals allgemein gültige Gottesbild retten. Es waren viele gute, richtige Sätze über Gott, aber es waren Menschensätze. Diese Sätze halfen mir in meinem Leiden nicht weiter. Sie quälten mich. Sie waren absurd. Was meine Freunde nicht sahen. Ich suchte in meinem Leiden verzweifelt nach Gott, aber da war kein Gott, der mir antwortete. Gott sprach nicht zu mir. Gott hörte mich nicht. Gott sah mich nicht. Gott rettete mich nicht.
Mit Gott streiten
Auch ich glaubte an Gerechtigkeit. Ich hatte Lust mit Gott zu rechten. Ja, in meiner Fantasie habe ich Gott alle Beweise meiner Unschuld vor die Füße geworfen und sah genüsslich, wie Gott gezwungen war, meine Unschuld anzuerkennen und seine Schuld mir gegenüber einzugestehen.
Erst viel später habe ich erkannt, dass mein Streiten mit Gott auf derselben Ebene lag, wie die Reden meiner Freunde. Ich war verunsichert, ich habe geklagt, Gott angeklagt, ja. Und wisst Ihr was? Das tat gut! Ich würde es immer wieder tun.
Solange Menschen auf dieser Erde Unrecht erleiden, ist bittere Klage Ausdruck empathischen Glaubens: Aufruf Gottes rettende Energien zu aktivieren und Aufruf zur Menschlichkeit: Mahnung Recht einzuhalten.
Gott spricht
Lange, lange, lange hat Gott nicht zu mir geredet. Er hat geschwiegen. In der Regel schweigt Gott. Auch ich stand fragend, klagend und anklagend vor dem „schweigenden Geheimnis“ (Karl Rahner). Gott hat sich mir entzogen. Gott war fern. Gott war dunkel und das hat mir schrecklich Angst gemacht. Meine alte Gottesgewissheit ist zerbrochen. Ganz langsam ist etwas Neues in mir gewachsen. Eine zarte Pflanze. Ich weiß gar nicht, wie sie dahingekommen ist. Wie konnte auf dem Boden, der mir entzogen wurde, etwas Neues wachsen und reifen. Ich erwarte nicht mehr, dass Gott von außen eingreift in mein kleines Leben oder in die Welt. Aber Gott hat zu mir gesprochen und ich habe ihn geschaut (Kontemplation). Gott ist in mir gewachsen, nachdem ich meine Vorstellungen über ihn ad acta gelegt habe. Ich weiß nicht, ob Gott Leiden verhindern kann, ich glaube auch nicht, dass Gott uns durch das Leiden auf die Probe stellt oder erziehen will, ich weiß auch nicht, ob Gott im Leiden dabei ist und mitleidet, ich weiß nur, dass Gott, „Macht über die Macht hat“ (Hiob 23,16b) und) ein „schweigendes Geheimnis“ (Karl Rahner) ist. Vor diesem „schweigenden Geheimnis“ beuge ich mich.
Wo ist mein göttlicher Vater? Ich kann ihn nicht lokalisieren. Gott ist unverfügbar. Ich weiß nur: Mein Erlöser lebt. „Vom Hörensagen hatte ich von dir [Gott] gehört, jetzt aber hat mein Auge dich geschaut“ (Hiob 42,5) Nicht, dass ich Gott gesehen hätte, er ist mir widerfahren. Mein inneres Auge hat ihn geschaut (Mystik). Durch das Leiden hindurch hat sich Gott mir gezeigt. Ich konnte mein Leben wieder auf Gott ausrichten.
Im biblischen Buch Hiob ist meine Geschichte aufgeschrieben: Mein „Weg durch das Leid“ hin zu Gott.
Lest nach.
Literatur:
Bibel in Gerechter Sprache, Gütersloh 2006
Hiob. Die Bibel erzählt: Hg Klara Butting/Gerand Minnard, Erev-Rav, Wittingen 2003
Die neuen alttestamentlichen Perikopentexte,(Hg) Alexander Deeg/Andreas Schüle, Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2018, S.380-386
Ein Weg durch das Leid. Das Buch Hiob: Ludger Schwienhorst-Schönberger, Verlag Herder, Freiburg i.Br., Neuausgabe 2022
73 Overtüren. Die Buchanfänge der Bibel und ihre Botschaft, (Hg) Egbert Ballhorn, u.a., Gütersloher Verlag 2020, 2. Auflage, S. 240-249
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