Wo die Seele spazieren geht, Rezension von Christoph Fleischer, Fröndenberg 2025

Zu:

Rüdiger Sünner: Seelenlandschaften, Spirituelle Orte in Deutschland, Scorpio Verlag München, 2025, Broschur, 238 Seiten, ISBN: 9783958036291, Preis: Print – 29,00 Euro

Zum gleichen Titel gibt es einen Film, der über das Internet gebucht werden kann (Stream bei Cosmic Cine TV und Sooner
DVD bei CFSunfilm und im Info3-Shop, Trailer hier
). Weitere Informationen auch hier:https://www.ruedigersuenner.de/seelenlandschaften/.

Warum ist hier von „Seele“ die Rede?

Der Begriff „Seelenlandschaften“ gibt Rätsel auf. So referiert Rüdiger Sünner zunächst einige Gedanken zum Thema Seele und knüpft dabei an AutorInnen und Künstler der Romantik an. Kurz gesagt: „Das Wort `Seele` wird eingesetzt, um ein raumgreifendes Sich-Ausbreiten unserer Emotionen zu beschreiben, die hinausdrängen[…]“ (S. 11).

Seine inhaltliche Anknüpfung ist ein Nachdenken über Landschaften in England, Schottland und Irland mit uralten Burgruinen, Kapellen, megalithischen Altären und Begräbnisorten. In Deutschland gibt es solche Orte auch, diese fügen sich aber oftmals unscheinbar in die Landschaft ein: Externsteine, Loreley, Brocken, Teufelsmauer und die Steilküste auf Rügen. Dass jedem und jeder dazu noch weitere steinerne Denkmale einfallen, besonders im nahen Umfeld, ist denkbar klar. Mir fehlen z. B. die Felsen im Hönnetal, die steinernen Riesen der sächsischen Schweiz und die Tropfsteinhöhlen.

Besondere Landschaftsformationen bekommen besondere Namen

Doch damit ich daran denke, funktioniert dieses Buch ja gerade richtig

Rüdiger Sünners Ausführungen regen an über Seelenlandschaften nachzudeknen, sich bewusst zu werden, dass Landschaften aufgeladen sind , vielleicht sogar eine eigene Seele haben.

(inwieweit der Seelenbegriff hier treffend ist, weiß ich nicht, jedoch wird der Begriff Seelenlandschaft sofort mit Gefühlen assoziiert. Andere sagen Kraftorte, energetisch aufgeladene Felder, magische Orte etc.. Den Aspekt der räumlichen Ausdehnung fängt Seelenlandschaft gut ein).

Ich frage mich: Wie oft bin ich selbst Seelenlandschaften schon begegnet und welche müsste ich noch einmal aufsuchen? Das Buch lädt zu einer solchen Deutschlandreise ein. Wo ist eigentlich der Kyffhäuser? Wo die Ruinenkirche Eldena? Ist sie nicht die Ruinenkirche auf dem Cover, deren fotografische Herkunft im Buch verschwiegen wird?

Der Film folgt dem Aufriss des Buches fast vollständig und verzichtet lediglich auf „Himmelswege: Kosmische Seelenlandschaften in Sachsen-Anhalt.“ (S. 136-148).

Beispiele aus Kunst und Literatur

Die Verbindung zur Kunst wird am Beispiel von Caspar David Friedrich und der Insel Rügen vertieft. Hölderlin, Brentano und Heine kommen im Kapitel über den Rhein zu Wort. Die Märchensammlung der Gebrüder Grimm wird illustriert von Beispielen aus den Wald-Kapiteln.

In Deutschland, so wie es der Autor auf seiner Reise erlebt hat, scheint die Landschaft selbst zu sprechen wie die Felsen der tiefen Taleinschnitte, die Berge der Alpen und im Mittelgebirge, auch die Moore, die Wälder, die Flüsse und die Seen.

Wo es angebracht ist, wird die nationalsozialistische Auferstehung der Mythologie angesprochen, wobei klar wird, dass diese die Größe und Vielfalt der Verbindung zu Natur, Kultur und Religion glatt verfehlt. So kann man heute auch Verstorbene in Friedwäldern bestatten, ohne daran zu denken, dass diese Bestattungsform vor „1000“ Jahren weltanschaulich aufgewertet worden ist.

Wohin reisen wir als Nächstes?

Das Buch von Rüdiger Sünner ist nirgends flach oder oberflächlich und muss doch zum Teil auf Details verzichten, da es sich sonst in Details verlieren würde. Es gibt ohnehin genügend Literatur, deren Titel mit dem Wort mythisch oder mystisch beginnen. Wer nach der Lektüre des Buches Reisepläne schmiedet, wird in Deutschland auf jedem Fall fündig, auch über dessen Beispiele hinaus.  Wie wäre es mal wieder mit dem Bodensee und dem Rheinfall von Schaffhausen, mit Schloss Schwanstein oder Tübingen und Freiburg?

Weiterdenken: Welche Orte sind ähnlich sinntragend?

Für mich gehören zu dieser Art Mythos auch die Erinnerungsstücke der Industrialisierung hinzu. Und warum nur in der Natur? Gibt es Seelenlandschaften nicht auch in den Städten und Metropolen?

Und angeregt durch die unbekannte Kirchenruine auf dem Umschlag möchte ich zum Begriff Seelenorte auch mal ganz vorsichtig einige bedeutende Kirchen vorschlagen, alte und neu, wie den Kölner Dom und die Wallfahrtskirche in Neviges.

Man sieht, dass die Lektüre des Buches mich selbst auf die Reise schickt, in Gedanken oder ganz real. Als nächstes ist dringend ein Besuch bei den Externsteinen fällig, um abschließend Rüdiger Sünner zu zitieren: „Wahrscheinlich waren die Externsteine einst ein Ort, an dem Mönche und Pilger die Schönheit der Schöpfung zum Anlass nahmen, auch darin Spuren Gottes zu sehen.“ (S. 39)

Diese Konkretion zeigt beispielhaft, dass es sich keinesfalls um eine neue Art von Tourismus handelt, der Deutschlandreise zu mystischen Orten, sondern darum, selbst Spuren einer göttlichen Wirklichkeit in konkreten Erfahrungen zu entdecken. Dazu muss man wahrhaft kein Eremit werden.

Die Lektüre des Buches ist unbedingt zu empfehlen.

„Die Wahrheit ist zumutbar“ (Ingeborg Bachmann), Rezension von Joachim Leberecht, Herzogenrath 2020

Zu: Emmanuel Carrère: Der Widersacher, Matthes & Seitz, Berlin 2018,195 Seiten, Gebunden, Originaltitel: L’Adversaire (Französisch), Übersetzung: Claudia Hamm, ISBN: 978-3-95757-612-5, Preis: 22,00 €

Link: https://www.matthes-seitz-berlin.de/buch/der-widersacher.html

„Der Widersacher“ ist ein guter Einstiegsroman in den carrèreschen Kosmos, da er zügig und ohne viele assoziativen Sprünge eine (wahre) Geschichte erzählt.

Zwar schleicht sich Carrères Ich auch schon in diesem Roman ein, ja, es ermöglicht ihm überhaupt das Erzählen – man achte auf den ersten Satz des Romans –, aber die existentielle Dramatik seines Ich-Erzählstils ist hier noch längst nicht so weit entwickelt, wie ich sie in „Ein russischer Roman“ oder in „Das Reich Gottes“ schätzen und lieben gelernt habe.

Den „Widersacher“ in der gewohnt guten und inzwischen ebenso vertrauten Übersetzerin Claudia Hamm in den Händen zu halten, ist ein schönes Gefühl, auch wenn es mich gruselt, dass der vielfache Familienmörder Jean Claude Romand inzwischen wieder auf freien Fuß ist. Carrère versteht es, den Leser immer tiefer in seine Geschichte hineinzuziehen. Er zwingt den Leser, sich zu positionieren und den „Widersacher“ in sich selbst wahr zu nehmen.

Bei aller Rätselhaftigkeit der menschlichen Seele, geht es um die Annäherung einen Menschen in seinen Handlungen zu verstehen. Wohlgemerkt es geht nicht um Verständnis und einer etwaigen Stilisierung des Täters zum Opfer. Dieser Balanceakt gelingt Carrère, auch wenn die Gefahr nicht von der Hand zu weisen ist, dass er dem Täter mit dem Buch eine große Bühne verschafft.

Die Zerbrechlichkeit der menschlichen Existenz, die Erschütterung des Vertrauens, die Sehnsucht danach geliebt zu werden, die Frage nach dem Bösen und dem Guten, der Trost und die Vertröstung des Glaubens sind Themen, die bei Carrère nicht nur im „Widersacher“ zur Sprache kommen. Ein Stoff, nichts für schwache Gemüter, aber die Augen verschließen hilft nicht weiter: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar“ sagt zurecht Ingeborg Bachmann. In diesem Geist ist „Der Widersacher“ geschrieben.

 

Das Leben bejahen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019,

Zu:

Christoph Quarch: Das große Ja, Ein philosophischer Wegweiser zum Sinn des Lebens, Legenda Q, Daun 2019, 3. Auflage, zuerst im Kailash-Verlag, München 2012, gebunden, 224 Seiten, ISBN: 978-3-948206-00-0, Preis: 19,90 Euro

Link: www.legenda-Q.de

Christoph Quarch, geboren 1964 in Düsseldorf, NRW, ist Philosoph, Autor und Hochschuldozent. Einer seiner Tätigkeiten ist auch die Durchführung von „Philosophiereisen“ z. B.   zu philosophischen Stätten der Antike. Man merkt diesem Buch an, dass er eine Lehre im Dialog mit Hörerinnen und Hörern vermittelt und deren Zeit- und Lebensfragen aufgreift. „Das Leben bejahen, Rezension von Christoph Fleischer, Welver 2019,“ weiterlesen

Die Sprache der Symbole, Christoph Quarch

Was der Brand von Notre Dame uns über unser Menschsein lehrt

Notre Dame ohne Baugerüst

Machen wir ein Gedankenexperiment: Man stelle sich vor, ein Forscherteam im Silikon-Valley hätte am Morgen des 15. April einem ihrer mit den besten Algorithmen der Künstlichen Intelligenz ausgestatteten Superrechner die Frage vorgelegt, wie hoch das zu erwartende Spendenaufkommen für den Wiederaufbau einer französischen Kathedrale nach einem Brand des Dachstuhls und dem partiellen Einbruch des Deckengewölbes ausfallen dürfte. Selbst wenn die Programmierer dezidiert von Notre Dame gesprochen hätten, dürfte die Super-KI wohl kaum darauf gekommen sein, dass für den Wiederaufbau dieser Kirche innerhalb von nur zwei Tagen weit mehr Spenden aufgebracht würden als für die fünf weltweit größten Projekte des Roten Kreuzes (Syrien, Südsudan, Irak, Nigeria, Jemen) zusammen in einem ganzen Jahr. „Die Sprache der Symbole, Christoph Quarch“ weiterlesen

Stressfrei entscheiden, Christoph Quarch, Freiburg, Berlin 2018

Achten Sie auf die Impulse Ihres Inneren

 

Entscheiden müssen wir uns permanent. Doch nicht immer fällt uns das Entscheiden leicht. Dann hilft es, sich darüber aufzuklären, was beim Entscheiden genau geschieht, und wer in uns entscheidend ist, meint der Philosoph Dr. Christoph Quarch.

Quarch, Christoph_ (c)Achim_Hehn

Es war einmal ein Esel, der hatte großen Hunger. Da traf es sich dem Anschein nach recht gut, dass sich zu seiner Linken ein großer Heuhaufen befand. Allein, im gleichen Abstand war ein zweiter Haufen, dessen Heu genauso frisch und lecker duftete. „Wer die Wahl hat, hat die Qual“, bemerkte da der arme Esel, und weil er sich partout nicht denken konnte, welcher Heuhaufen der schmackhaftere sei … bekam er keinen Huf von der Stelle und verreckte jämmerlich in der Mitte zwischen beiden.

 

Diese Anekdote verdanken wir dem Philosophen Johannes Buridan (1295–1363), der mit ihrer Hilfe zu bedenken geben wollte, wie wichtig es für die Entscheidungsfindung ist, mit Hilfe des rationalen Denkens zu ermessen, welche Option sich als die bessere und folglich tunliche erweisen könne. Hunger oder Appetit allein, so Buridan, sind als Entscheidungshelfer unzureichend. Deshalb ließ er seinen armen Esel sterben.

 

Wenn wir ehrlich sind, müssen wir uns eingestehen, dass auch wir mit Rationalität gesegneten Menschen uns oft mit Entscheidungen schwertun: dass uns zuweilen auch der schärfste Sachverstand nicht hilft, wenn wir Entscheidungen zu treffen haben. Und dann leiden wir und quälen uns nicht anders als Buridans Esel; dann machen wir uns Stress und suchen verzweifelt nach einem Entscheidungshelfer, der uns von jenem unangenehmen Zustand des Unentschieden-Seins befreit. Was dann?

 

Wer dem Geheimnis des Entscheidens auf die Schliche kommen möchte, ist nicht schlecht beraten, auf die Sprache zu achten. Denn sie verrät, worauf es beim Entscheiden ankommt (und warum es für uns so wichtig ist, entschieden zu sein): Es geht darum, einen Zustand der inneren Geschiedenheit zu überwinden. Wer sich nicht entscheiden kann, ist uneins mit sich selbst. Zwei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust: Er ist mit sich nicht länger eins und ringt darum, mit sich wieder ins Reine zu kommen. Und also muss er sich ent-scheiden.

Was tut er dann? Er versucht, eine Entscheidung zu treffen oder auch zu fällen. Erneut verrät die Sprache etwas Wesentliches: Das Verb „fällen“ verwenden wir sonst nur im Zusammenhang mit Bäumen. Man fällt einen Baum, der schon da ist, den man aber fällen muss, um ihn sich anzueignen. Genauso ist es mit Entscheidungen: Sie sind schon da – und die Kunst besteht nur darin, sie zu finden bzw. zu treffen, um ihrer habhaft zu werden. „Treffen“ ist das geläufigste Verb im Zusammenhang von Entscheidungen. Man trifft sie so wie man einen Freund trifft: manchmal zufällig, aber meistens so, dass man sich aufmacht, um ihm zu begegnen. Dann trifft man ihn, aber „macht“ ihn nicht. Ebensowenig kann man Entscheidungen machen. „Decision making“ ist ein irreführendes Idiom.

 

Halten wir fest: Entscheidungen muss man treffen, und zwar immer dann, wenn man mit sich uneins ist bzw. wenn die Stimmen im Inneren konkurrieren. Nur: Wie trifft man sie – und vor allem: wie trifft man die richtigen Entscheidungen?

 

Zunächst sollte man ermitteln, um was für Stimmen es sich handelt. Häufig schwelen in uns Konflikte zwischen unterschiedlichen Interessen: schnell ans Ziel kommen oder die schönere Strecke nehmen? Oder zwei Werte kollidieren: möglichst kostengünstig einkaufen oder möglichst umweltschonend? Hat man sich darüber aufgeklärt, was da konkurriert, kann man sich die – entscheidende – Folgefrage vorlegen: Wer ist der Urheber dieser Stimmen? Wo genau verläuft in uns die Scheidung, die zu überwinden wäre?

 

Diese Frage rührt an unser Menschenbild. Sie nötigt uns zu einer Reflexion darauf, wer wir eigentlich sind. Eine traditionelle Antwort lautet: Wir sind komplexe Wesen, die unterschiedliche Dimensionen an sich aufweisen: Wir sind Leib, wir sind Ich, wir sind Seele, wir sind Geist. Wenngleich diese Begriffe schwer beladen sind, können wir sie hier zu Rate ziehen. Denn der innere Konflikt, der uns Entscheidungen erschwert, kann sich zwischen den Bedürfnissen unseres Leibes (Hunger, Schlaf) und den Interessen unseres Ichs (Abnehmen, Party machen) zutragen; er kann sich aber genauso zwischen den Interessen des Ichs (Karriere machen) und der Dynamik unserer Seele (Familie gründen) abspielen – wobei Konflikte zwischen Ich und Seele am schwersten aufzulösen sind, weil sich die Dynamik der Seele – oder des Selbst – oft im Unterbewussten, im Bereich der Emotionen oder auch Intuitionen abspielt, während unser Ich seine Interessen und Wünsche oft klar benennen und rational verfolgen kann.

 

Diese Art von Konflikten sind die gravierendsten. Sie verursachen am meisten Stress, weil sie nicht durch rationale Operationen, Kalküle oder gar Berechnungen aufgelöst werden können. Kein Algorithmus der KI reicht in die Tiefen einer Seele. Deshalb bleibt uns nichts anderes, als uns in Achtsamkeit und Wachsamkeit für die Impulse zu üben, die aus der Seele in uns aufsteigen: Intuitionen, Bauchgefühl, körperliche Reaktionen. Sie sind bei den großen Fragen stets die besten Entscheidungshelfer, denn das Leben lehrt, dass Ihre Seele längst entschieden hat und Sie in ihr Ihre Entscheidungen treffen. Also lauschen Sie auf die Impulse Ihrer Seele, und verzetteln sich nicht in umständlichen Kalkülen.

 

 

Dr. phil. Christoph Quarch ist Philosoph, Autor und Berater. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen und veranstaltet philosophische Reisen, u.a. mit „ZEIT-Reisen“. In seinem aktuellen philosophischen Entscheidungshelfer „Nicht denken ist auch keine Lösung“ (GU)identifiziert er unterhaltsam, informativ und praktisch die Faktoren, die bei der Entscheidungsfindung eine Rolle spielen und zeigt Wege, wie wir diese Faktoren gewichten und berücksichtigten können.

www.christophquarch.de

 

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